„Wie gefährlich es damals sein konnte, seine Meinung kundzutun, bekam auch meine Familie zu spüren: Mein Großvater, der spätere Bundesrat Dipl.-Ing. Max Rabl, wurde wegen kritischer Äußerungen zum NS-Regime gleich mehrmals verhaftet.“ (Andreas Rabl, Vorwort zu Rudolf Dietl: 1938 – Nie mehr wieder) Wegen kritischer Äußerungen? Belege dazu finden sich bislang keine, eher dafür, dass Enkel Rabl der sehr österreichischen Krankheit, der Geschichtsklitterung, zum Opfer gefallen ist.
Andreas Rabl, FPÖ-Bürgermeister von Wels, war empört:
„Es ist eine Schmutzkübelkampagne der ganz üblen Sorte“, sagte Rabl am Sonntag im APA-Gespräch. Sein Großvater war wegen politischer Gründe in Haft. Dass die Antifa NS-Quellen heranziehe, um das zu relativieren, verwundere ihn. Man bringe keinen einzigen Beweis vor, so Rabl. „Nur einen Zeitungsartikel, der widerlegt ist.“ Dazu gebe es auch stenografische Protokolle aus dem Parlament. „Offensichtlich bestimmt die SPÖ und die Antifa, wer Opfer des Nationalsozialismus war“, meinte der Welser Bürgermeister. (kurier.at, 28.10.18)
Anlass für Rabls Empörung war ein Ende Juli erschienener Artikel der Welser Antifa, in dem Rabls Version von seinem Großvater als NS-Opfer sehr in Zweifel gezogen wurde. Schon zuvor hatte der Welser Bürgermeister kräftig am Mythos seines Großvaters gearbeitet, wie die „Oberösterreichischen Nachrichten“ bereits 2016 berichteten: „Nach der Pressekonferenz bemerkte er [Andreas Rabl, Anm.] im Gespräch mit der APA, dass sein Vater [sic! Großvater, Anmk.] drei Jahre lang in Gestapo-Haft gesessen sei.“ Im „profil“ war am 21. August 2015 dann in einem Bericht über Rabl zu lesen: „Sein Großvater saß einst wegen kritischer Artikel in Gestapo-Haft.“
Drei Jahre Gestapohaft? „Kritische Artikel“? Oder zumindest „kritische Äußerungen“? Das lässt sich zumindest nicht belegen. Max Rabl war bereits 1921 in Wien-Döbling der NSDAP beigetreten und hatte nach dem „Anschluss“ Karriere gemacht, wie im Bericht der Welser Antifa festgehalten wird. Dennoch aber steht fest, dass Rabl mit den NS-Behörden in Konflikt gekommen war. Über Max Rabl, der als Mitglied der Partei der „Ehemaligen“, dem VdU, von 1949 bis 1955 im Bundesrat saß, ist auf der Website des Parlaments zu lesen: „Politische Freiheitsstrafe: 1939 dreimal in Gestapohaft.“„Politische Freiheitsstrafe“ für einen Mann wie Rabl, der überzeugter Nazi war und auf beste Kontakte im deutschnationalen Lager verweisen konnte? Er war ja nicht nur frühzeitig der NSDAP beigetreten, sondern ab 1920 auch Mitglied der Burschenschaft „Hubertus Wien“ und ab 1936 auch der Burschenschaft „Alemannia Wien“.
Zur Erklärung der Eintragung auf der Website des Parlaments sollte man auch den Fußeintrag lesen, denn dort steht, dass „Inhalt und Umfang der Biografien ab 1945 grundsätzlich auf die von den MandatarInnen selbst gemachten Angaben zurück [gehen]. Diese können von der Parlamentsdirektion ohne Zustimmung der Betroffenen nicht geändert werden.“
Ein stenographisches Protokoll des Bundesrates aus dem Jahr 1951, auf das Andreas Rabl als Beleg für seine Version der Großvater-Geschichte verwies, bringt etwas Licht ins Dunkel, aber vielleicht anders, als es Andreas Rabl gefallen könnte. In einer offenbar sehr lebhaft geführten Debatte am 31. Juli 1951 spielte zuerst der sozialdemokratische Abgeordnete Hans Riemer in einer Rede auf Rabls nationalsozialistische Vergangenheit an:
Herr Ing. Rabl; ich gehöre seit fast 40 Jahren einer Partei an, die den Kampf um die Demokratie seit ihrem Bestand geführt hat und deren Anhänger für diesen Kampf und für die Demokratie schwere Opfer, auch persönliche Opfer, gebracht haben. (Bundesrat Dipl.-Ing. Rabl: Die hat jeder gebracht!) Sie nicht, im Gegenteil, Sie haben die Demokratie zuschanden geritten. (Stenographisches Protokoll, S. 5)

Danach setzte der oberösterreichische ÖVP-Abgeordnete Wilhelm Salzer den Angriff auf Max Rabl fort:
Nun könnte man aber die Meinung vertreten, daß dieses Mißgeschick [wirtschaftlich prekäre Situation von Rabl nach 1945, Anmk.] dem Herrn lng. Rabl aus der Situation, die der zweite Weltkrieg ausgelöst hat, passiert ist. Ich muß diesem Hohen Haus leider auch diese Illusion zerstören. (Heiterkeit.) Es liegt mir ein Bericht des ‚Kleinen Volksblattes’ vom 7. Juli 1939 vor, den ich bereits seit Monaten in meiner Tasche herumtrage, aber es hat sich bisher in mir innerlich alles gesträubt, davon Gebrauch zu. machen; Weil aber der Herr lng. Rabl nicht aufhört, dieses Hohe Haus und diejenigen, die für Österreich wirklich die Verantwortung tragen, immer wieder mit seinen Belehrungen zu belästigen, so will ich dem Hohen Haus auch zur Kenntnis bringen, daß dieses mangelnde Wirtschaftstalent des Herrn Ing. Rabl sich offenbar auch schon früher manifestiert hat. (Stenographisches Protokoll, S. 26)
Salzer hielt fest, dass Rabl zwar in der Tat Probleme mit der Gestapo bekommen hatte, allerdings nicht wegen seiner politischen Anschauungen, sondern wegen finanzieller Ungereimtheiten und anderer Probleme in jenem „gleichgeschalteten“ Betrieb, in dem er kurz nach dem „Anschluss“ als „Betriebsführer eingesetzt worden war. Das war der ehemalige „katholisch-patriotischen Volks- und Preßvereins“ in St. Pölten.
Salzer verwies auf einen Bericht über einen Prozess vor einem Schöffensenat im nationalsozialistischen „Kleinen Volksblatt“ vom 7. Juli 1939. Dort war zu lesen: „Der Anklage ist zu entnehmen, daß nach der Einsetzung eines ‚Ing. Max Rabl in einem größeren St.-Pöltner Betrieb ganz unglaubliche Zustände dort einrissen.“ Der Großvater des heutigen Welser Bürgermeisters wird als „unsozialer und unkorrekter Betriebsführer“ bezeichnet, der die alte Belegschaft entlassen und „junge weibliche Hilfskräfte aufgenommen [hat], wenn sie recht hübsch und nett zum ‚Chef‘ waren“. (Stenographisches Protokoll, S. 26)

Bei einer Buchprüfung sei ein größerer Fehlbetrag festgestellt worden, weil Rabl „der von ihm aufgenommenen 21-jährigen Buchhalterin Marie K. aus Wels, mit der er in freundschaftlichem Verhältnis stand, mehrmals ‚Vorschüsse’ auf sein Gehalt“ gegeben habe, „ohne aber diese Gelder wieder zurückzuzahlen“. Wer nun die Fälschungen in den Lohnlisten zu verantworten hatte, blieb ungeklärt. Laut Staatsanwaltschaft habe Rabl diese durch „Drohungen und Mißhandlungen“ erzwungen, was im Prozess die Aussagen vieler Zeugen – die „halbe Gefolgschaft“ – bestätigten. Sie „schildern ihn ausnahmslos als brutalen Menschen, der zu jedem Mittel griff, um ihm mißgünstig gesinnte Leute um Brot und Verdienst zu bringen.“ Das „Götzzitat“ sei bei ihm „eine gebräuchliche Redensart“ gewesen. Der Vorsitzende sprach zwar davon, es sei ihm „noch nie eine solche Sauwirtschaft bekannt geworden als [die] in den Betrieb durch Rabl eingeführte“. Dennoch: Obwohl der Richter vermutete, dass er das fehlende Geld „eingesteckt habe“, wurde Rabl freigesprochen, unmittelbar danach aber von der Gestapo in Gewahrsam genommen. (alle Zitate Stenographisches Protokoll, S. 26f)
Dass wir Darstellungen der NS-Medien nicht trauen können, wissen wir. Aber wie antwortete Max Rabl in jener Bundesratssitzung auf Wilhelm Salzer? Er rechtfertigte sich damit, er sei Opfer eines „persönlichen Gegners“ von ihm geworden.
Dieser ganze Fall ist, weil ich Offiziersanwärter war, sicher vom Wehrkreis XVII untersucht worden. (Zwischenrufe.) Ich stelle weiter folgendes fest: Wäre das Überprüfungsergebnis so gewesen, wie es in perfider, gehässiger Form der Herr Bundesrat Salzer zu bringen beliebt, dann wäre ich niemals zum Leutnant befördert worden. (…) Mein Fall ist bei der Wehrmacht geprüft. Der Fall ist vielmehr so, dass das, was in der Zeitung steht, eben von dem verstorbenen Schriftleiter, der dieser Clique [gegen die Rabl in seinem Betrieb angekämpft haben will] angehört hat, hineingebaut worden ist. (Stenographisches Protokoll, S. 28f)
Was bedeutet nun Rabls Entgegnung im Klartext? Nirgendwo bringt er zum Ausdruck, dass er wegen NS-kritischer Äußerungen vor Gericht gestanden ist, er beruft sich vielmehr auf eine angebliche persönlich motivierte Intrige gegen ihn. Er betont zudem, dass sein Lebenslauf durchaus NS-kompatibel war, weil er ja immerhin zum Leutnant befördert worden sei. Was auch immer der tatsächliche Hintergrund von Rabls Verhaftungen und seinem Gerichtsauftritt gewesen sein mag: Die Version seines Enkels wird hier nicht bestätigt. Die NS-kritischen Artikel seines Großvaters, von denen Andreas Rabl laut „profil“ sprach, sind bislang jedenfalls auch nicht aufgetaucht.

Aber es kommt noch besser: „So ein Vorwort ist ja nicht dazu da, meine Familiengeschichte aufzuarbeiten, sondern ein Erinnerungsgeschehen darzustellen”, wird Rabl (…) zitiert.“ (sn.at, 27.10.18) Dem Bürgermeister Rabl sei gesagt: Ein „Erinnerungsgeschehen“ mag etwas darüber aussagen, wie Geschehenes – in Rabls Fall in der Familie – rezipiert, also auch interpretiert oder sogar ins Gegenteil verkehrt wird. Als historische Quelle ist es aber nicht geeignet. Schon gar nicht, wenn es die NS-Zeit betrifft. Bevor also Andreas Rabl das nächste Mal als Geschichtsvermittler auftritt, sollte er vielleicht die Antifa Wels um Nachhilfe ersuchen.