Liebe ZeitzeugInnen,
liebe Ehrengäste,
liebe Freundinnen und Freunde,
„Meine Eltern und ich sind vom Sammellager Malzgasse in LKWs stehend mit dem gelben Judenstern auf unserer Kleidung in Richtung Aspangbahnhof gefahren. In meinem Gedächtnis sind noch immer die höhnischen, verächtlichen und gemeinen Zurufe der Menschen wie eingebrannt. Wir sind die Ungargasse zum Rennweg gefahren. An der Kreuzung Rennweg musste der LKW verkehrsbedingt anhalten. Da konnte dann das umstehende Publikum seinem Hass freien Lauf lassen: „Wie guat dass verschwinds, schleichts eich, dass ma eich endlich los wern, jidische Bagage u.s.w. Diese Tragödie war damals den Wienern Triumph, Freude und Genugtuung. Es gab kein Zeichen des Mitgefühls, des Mitleids oder der Menschlichkeit, lediglich Hohn und Spott.“

So beschrieb mein Opa Herbert Schrott letztes Jahr bei der Eröffnung dieses Mahnmals den Tag an dem er von hier, dem Aspangbahnhof in das KZ Theresienstadt deportiert wurde. Für manche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ist es unmöglich über diese dunkle Zeit zu reden, für meinen Opa allerdings nicht. Bei jedem Familienessen kommt mindestens einmal das Thema Nationalsozialismus vor. Meine Oma geht dann immer hinaus, und mein Opa fängt dann an zu erzählen. Auch wenn er seine fünf „Lieblingsgeschichten“ hat, wenn man das überhaupt so nennen kann, höre ich immer wieder gerne zu, weil ich merke, wie wichtig es ihm ist, diese Geschichten weiter zu geben.

Vor einem Jahr sagte mein Großvater an diesem Platz auch : „Im Grunde genommen reicht die menschliche Sprache nicht aus Elend, Leid, Angst, Erniedrigung, Brutalität, Terror, Gemeinheit und die begangenen Verbrechen darzustellen.“ Doch wenn ich ganz ehrlich bin, ist er dazu in der Lage, von dem Schrecken des Nationalsozialismus auf so eine eingängige Art und Weise zu berichten, dass es auch mir den Rücken kalt hinunterläuft.
Im Mai dieses Jahres fuhren mein Opa, mein Vater und ich im Rahmen eines Videodrehs für die Gedenkfahrt in das KZ Mauthausen in die Naturarena Hohe Warte. Dieses Stadion ist die Heimstätte des First Vienna Football Club, auch „Vienna“ genannt. Mein Urgroßvater Emanuel Schrott war ein glühender Vienna Anhänger. Wenn er heute sehen würde, mit welcher Leidenschaft ich die Wiener Austria unterstütze, würde er sich vermutlich im Grab umdrehen.
Für den Videodreh saßen wir ungefähr dort, wo mein Opa und sein Vater ihre Stammplätze hatten. Jede Woche waren mein Opa und mein Uropa im Stadion. Mein Opa erzählte damals, wie glücklich er war, der Vienna beim Gewinnen zuzuschauen. Dann drehte er sich zu mir und erzählte, wie sich alles von einem Tag auf den anderen schlagartig änderte. Die „Freunde“ seines Vaters, neben denen er saß, waren von einem Tag auf den anderen nicht mehr seine Freunde. Mein Großvater und seine Eltern sind als Nichtarier plötzlich zu Menschen zweiter Klasse geworden. Die Freunde waren zu Feinden geworden.
„Am Tag davor haben sie mich noch hochgehoben, damit ich mehr vom Spiel sehe und am nächsten Tag bezeichneten sie uns als dreckige Juden-Bagage”, so mein Opa. Mein Opa wollte mir damit nicht sagen, dass ich kritisch gegenüber meinen nichtjüdischen Freunden sein soll. Er wollte mir damit sagen, dass es meine Aufgabe und die meiner jüdischen Freund*innen ist aufzuklären und rechtzeitig aufzustehen, wenn Unrecht getan wird, laut zu sein, wenn es zu leise ist und stark zu sein, wenn wir es sein müssen.

Die Jüdischen Österreichischen Hochschülerinnen und Hochschüler sehen sich in der Pflicht, gegen Menschenhass zu kämpfen. Weil wir es ihnen schulden.
Wir schulden es unseren Vorfahren, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert.
Wir schulden es unseren Vorfahren, rechtzeitig darauf aufmerksam zu machen, wenn Burschenschafter im Parlament und der Regierung sitzen.
Heute wird mit Hass regiert.
Es wird mit Polemik und Hetze Politik gemacht.
Die Gesellschaft wird systematisch in Gruppen dividiert und gegeneinander ausgespielt.
Es liegt in unserer Verantwortung als demokratische Zivilgesellschaft zusammenzuhalten und mit Toleranz und Solidarität als Vorbild agieren.
Menschenverachtendes Gedankengut darf nicht zur Norm werden.
Wie wir unlängst schmerzlich wieder in Pittsburgh sehen mussten, kann Rechtsextremismus und Antisemitismus tödlich enden.
Wir dürfen dem schleichenden Abbau demokratischer Instanzen und Normen nicht tatenlos zusehen.
Staatliche Angriffe auf den freien Journalismus dürfen wir nicht tolerieren. Wir müssen Menschlichkeit und Demokratie in unserem Tun als oberste Prinzipien stellen.
Wir schulden es unseren Vorfahren, gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus zu kämpfen.
Ich schulde es meinen zukünftigen Kindern, für eine bessere Welt zu kämpfen.
Die letzten Worte der Rede meines Opas letztes Jahr, hier am Wiener Aspangbahnhof, bleiben mir bis heute in Erinnerung und sollen auch heute nicht in Vergessenheit geraten.
Dieses Mahnmal soll an eine Zeit ohne Gnade erinnern.
