„Die Freunde waren zu Feinden geworden“

Zu der Gedenkkundge­bung beim ehe­ma­li­gen Aspang­bahn­hof, von wo zwis­chen 1939 und 1942 zehn­tausende öster­re­ichis­chen Jüdin­nen und Juden in die Ver­nich­tungslager trans­portiert wur­den, kamen heuer, am 9.11.2018, mehr Men­schen als je zuvor. Samy Schrott von der Jüdis­chen Öster­re­ichis­chen Hochschü­lerIn­nen­schaft hielt dabei eine Rede, die wir mit sein­er fre­undlichen Genehmi­gung hier wiedergeben.

Liebe Zeitzeug­In­nen,
liebe Ehrengäste,
liebe Fre­undin­nen und Freunde,

„Meine Eltern und ich sind vom Sam­mel­lager Malz­gasse in LKWs ste­hend mit dem gel­ben Juden­stern auf unser­er Klei­dung in Rich­tung Aspang­bahn­hof gefahren. In meinem Gedächt­nis sind noch immer die höh­nis­chen, verächtlichen und gemeinen Zurufe der Men­schen wie einge­bran­nt. Wir sind die Ungar­gasse zum Ren­nweg gefahren. An der Kreuzung Ren­nweg musste der LKW verkehrs­be­d­ingt anhal­ten. Da kon­nte dann das umste­hende Pub­likum seinem Hass freien Lauf lassen: „Wie guat dass ver­schwinds, schle­ichts eich, dass ma eich endlich los wern, jidis­che Bagage u.s.w. Diese Tragödie war damals den Wienern Tri­umph, Freude und Genug­tu­ung. Es gab kein Zeichen des Mit­ge­fühls, des Mitlei­ds oder der Men­schlichkeit, lediglich Hohn und Spott.“

Gedenkkundgebung Aspangbahnhof 2018 (© Nikolaus Kunrath)

Gedenkkundge­bung Aspang­bahn­hof 2018 (© Niko­laus Kunrath)

So beschrieb mein Opa Her­bert Schrott let­ztes Jahr bei der Eröff­nung dieses Mah­n­mals den Tag an dem er von hier, dem Aspang­bahn­hof in das KZ There­sien­stadt deportiert wurde. Für manche Zeitzeug­in­nen und Zeitzeu­gen ist es unmöglich über diese dun­kle Zeit zu reden, für meinen Opa allerd­ings nicht. Bei jedem Fam­i­lienessen kommt min­destens ein­mal das The­ma Nation­al­sozial­is­mus vor. Meine Oma geht dann immer hin­aus, und mein Opa fängt dann an zu erzählen. Auch wenn er seine fünf „Lieblings­geschicht­en“ hat, wenn man das über­haupt so nen­nen kann, höre ich immer wieder gerne zu, weil ich merke, wie wichtig es ihm ist, diese Geschicht­en weit­er zu geben.

Denkmal Aspangbahnhof (© Nikolaus Kunrath)

Denkmal Aspang­bahn­hof (© Niko­laus Kunrath)

Vor einem Jahr sagte mein Groß­vater an diesem Platz auch : „Im Grunde genom­men reicht die men­schliche Sprache nicht aus Elend, Leid, Angst, Erniedri­gung, Bru­tal­ität, Ter­ror, Gemein­heit und die began­genen Ver­brechen darzustellen.“ Doch wenn ich ganz ehrlich bin, ist er dazu in der Lage, von dem Schreck­en des Nation­al­sozial­is­mus auf so eine eingängige Art und Weise zu bericht­en, dass es auch mir den Rück­en kalt hinunterläuft.

Im Mai dieses Jahres fuhren mein Opa, mein Vater und ich im Rah­men eines Video­drehs für die Gedenk­fahrt in das KZ Mau­thausen in die Nat­u­rarena Hohe Warte. Dieses Sta­dion ist die Heim­stätte des First Vien­na Foot­ball Club, auch „Vien­na“ genan­nt. Mein Urgroß­vater Emanuel Schrott war ein glühen­der Vien­na Anhänger. Wenn er heute sehen würde, mit welch­er Lei­den­schaft ich die Wiener Aus­tria unter­stütze, würde er sich ver­mut­lich im Grab umdrehen.

Für den Video­dreh saßen wir unge­fähr dort, wo mein Opa und sein Vater ihre Stamm­plätze hat­ten. Jede Woche waren mein Opa und mein Uropa im Sta­dion. Mein Opa erzählte damals, wie glück­lich er war, der Vien­na beim Gewin­nen zuzuschauen. Dann drehte er sich zu mir und erzählte, wie sich alles von einem Tag auf den anderen schla­gar­tig änderte. Die „Fre­unde“ seines Vaters, neben denen er saß, waren von einem Tag auf den anderen nicht mehr seine Fre­unde. Mein Groß­vater und seine Eltern sind als Nichtari­er plöt­zlich zu Men­schen zweit­er Klasse gewor­den. Die Fre­unde waren zu Fein­den geworden.

„Am Tag davor haben sie mich noch hochge­hoben, damit ich mehr vom Spiel sehe und am näch­sten Tag beze­ich­neten sie uns als dreck­ige Juden-Bagage”, so mein Opa. Mein Opa wollte mir damit nicht sagen, dass ich kri­tisch gegenüber meinen nichtjüdis­chen Fre­un­den sein soll. Er wollte mir damit sagen, dass es meine Auf­gabe und die mein­er jüdis­chen Freund*innen ist aufzuk­lären und rechtzeit­ig aufzuste­hen, wenn Unrecht getan wird, laut zu sein, wenn es zu leise ist und stark zu sein, wenn wir es sein müssen.

Samy Schrott bei seiner Rede am Aspangbahnhof 11.2018

Samy Schrott bei sein­er Rede am Aspang­bahn­hof 11.2018

Die Jüdis­chen Öster­re­ichis­chen Hochschü­lerin­nen und Hochschüler sehen sich in der Pflicht, gegen Men­schen­hass zu kämpfen. Weil wir es ihnen schulden.
Wir schulden es unseren Vor­fahren, dafür zu sor­gen, dass so etwas nie wieder passiert.
Wir schulden es unseren Vor­fahren, rechtzeit­ig darauf aufmerk­sam zu machen, wenn Burschen­schafter im Par­la­ment und der Regierung sitzen.
Heute wird mit Hass regiert.
Es wird mit Polemik und Het­ze Poli­tik gemacht.
Die Gesellschaft wird sys­tem­a­tisch in Grup­pen divi­diert und gegeneinan­der ausgespielt.
Es liegt in unser­er Ver­ant­wor­tung als demokratis­che Zivilge­sellschaft zusam­men­zuhal­ten und mit Tol­er­anz und Sol­i­dar­ität als Vor­bild agieren.
Men­schen­ver­ach­t­en­des Gedankengut darf nicht zur Norm werden.
Wie wir unlängst schmer­zlich wieder in Pitts­burgh sehen mussten, kann Recht­sex­trem­is­mus und Anti­semitismus tödlich enden.
Wir dür­fen dem schle­ichen­den Abbau demokratis­ch­er Instanzen und Nor­men nicht taten­los zusehen.
Staatliche Angriffe auf den freien Jour­nal­is­mus dür­fen wir nicht tolerieren. Wir müssen Men­schlichkeit und Demokratie in unserem Tun als ober­ste Prinzip­i­en stellen.
Wir schulden es unseren Vor­fahren, gegen Ras­sis­mus, Faschis­mus und Anti­semitismus zu kämpfen.
Ich schulde es meinen zukün­fti­gen Kindern, für eine bessere Welt zu kämpfen.

Die let­zten Worte der Rede meines Opas let­ztes Jahr, hier am Wiener Aspang­bahn­hof, bleiben mir bis heute in Erin­nerung und sollen auch heute nicht in Vergessen­heit geraten.
Dieses Mah­n­mal soll an eine Zeit ohne Gnade erinnern.

Gedenkstein Aspangbahnhof (© Nikolaus Kunrath)

Gedenkstein Aspang­bahn­hof (© Niko­laus Kun­rath) „ln den Jahren 1939–1942 wur­den vom ehe­ma­li­gen Aspang­bahn­hof zehn­tausende Öster­re­ichis­che Juden in Ver­nich­tungslager trans­portiert und kehrten nicht mehr zurück. Niemals vergessen”