Das Urteil im NSU-Prozess: Rezeption in und Reaktionen aus Österreich

Es war ein­er der wichtig­sten Prozesse der Nachkriegszeit – so der Tenor in Deutsch­land zum mehr als fünf Jahre andauern­den Prozess gegen Beate Zschäpe und die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Carsten S., André E. und Hol­ger G.. Der Prozess fand gestern mit den Urteilssprüchen ein vor­läu­figes Ende. Doch was waren die Reak­tio­nen in Öster­re­ich, zumal Ver­strick­un­gen von Öster­re­icherIn­nen und Beziehun­gen nach Öster­re­ich keines­falls auszuschließen sind? Eine Auswahl und Leerstellen.

Die medi­ale Res­o­nanz in Öster­re­ich auf die Urteilssprüche in München war – sagen wir so – ins­ge­samt beschei­den: Es wur­den weit­ge­hend die Vorgeschichte des NSU und die Urteilssprüche referiert, Kom­men­tierun­gen oder gar tiefer­greifende Analy­sen waren zumin­d­est in den let­zten Tagen mit weni­gen Aus­nah­men nicht zu finden.

Der gestrige Beitrag aus Öster­re­ich vom Team von „prozess.report“ in München

Eine zusam­men­fassende APA-Mel­dung, die viele Medi­en online über­nah­men, gab die Reak­tio­nen aus Deutsch­land wieder. Sie endet damit, dass Beate Zschäpe nun in der JVA Aichach wahrschein­lich in ein­er Bäck­erei oder Schnei­derei arbeit­en wolle. Das ist wohl jene Infor­ma­tion, die uns im Zusam­men­hang mit dem NSU-Ver­brechen am aller­wenig­sten zu inter­essieren hat.

Gudrun Doringer ging in den Salzburg­er Nachricht­en sprachkri­tisch auf die Beze­ich­nung „Dön­er Morde“ ein und stellte diese unsägliche Tit­ulierung in einen Zusam­men­hang mit der gesellschaftlichen Gesamthal­tung zu dieser Mord­serie: Man ver­harm­loste. Man schlampte. Und man sig­nal­isierte vor allem: Was geht uns das als Gesellschaft eigentlich an? Es bet­rifft ja die. Nicht uns.“

Der Stan­dard brachte gestern bere­its vor der Urteilsverkün­dung ein Inter­view mit der Gericht­sre­por­terin Annette Ramels­berg­er von der Süd­deutschen Zeitung, die den Prozess über die gesamte Zeit beobachtet, kom­men­tiert und mit­pro­tokol­liert hat­te: Weil es son­st nie­mand tut. Zwar machen sich die Richter und die Vertei­di­ger Noti­zen. Aber es gibt kein offizielles Pro­tokoll von diesem Jahrhun­dert­prozess. Als Begrün­dung gab das Gericht an, Zeu­gen kön­nten sich gehemmt fühlen, wenn alles auf Ton­band aufgenom­men wird. Das ist schon sehr weit herge­holt. So haben wir die Arbeit der Jus­tiz über­nom­men und alles aufgeschrieben für die Nach­welt. Wir wer­den im Herb­st eine mehrbändi­ge Doku­men­ta­tion herausbringen.“

Einen aus fach­lich­er Sicht völ­lig deplatzierten Ver­gle­ich mit der RAF zog Bir­git Bau­mann eben­falls im Stan­dard: In Deutsch­land zog eine Art braune RAF durchs Land und kon­nte unerkan­nt mor­den, weil die Sicher­heits­be­hör­den sie nicht ent­deck­en kon­nten oder wollten.“

Die Print-Aus­gabe der „Presse“ erwäh­nt, wie andere Medi­en auch die mit Zschäpe weit­eren Angeklagten: Vier weit­ere Helfer des NSU wur­den am Mittwoch (eben­falls nicht recht­skräftig) schuldig gesprochen. Nur ein­er davon, Carsten S., half den Behör­den bei der Aufk­lärung. Er lebte bish­er im Zeu­gen­schutzpro­gramm, nun wurde er zu drei Jahren Jugend­haft verurteilt. Ralf W., der dem Urteil zufolge die Mord­waffe besorgt hat, soll für zehn Jahre ins Gefäng­nis. Hol­ger G. wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, er organ­isierte gefälschte Papiere. Andre E. wird wegen Unter­stützung des NSU zu zweiein­halb Jahren Haft verurteilt. Er provozierte im Gerichtssaal mit heftigem Grin­sen und ließ sich Neon­azi-Sym­bole und ‑Sprüche tätowieren.“ Dass genau diese Straf­maße zum Teil erhe­blich unter den von der Bun­de­san­waltschaft beantragten Strafen blieben, wird bedauer­licher­weise gle­ich wenig erwäh­nt wie die Tat­sache, dass sich alle dieser – noch immer beken­nen­den – Neon­azis bis auf Wohlleben damit auf freiem Fuß befinden.

Der Print-Kuri­er stellt die zehn Mor­dopfer mit Fotos und Kurzbeschrei­bung vor und berichtet in lap­i­dar­er Weise: Bei der Urteilsverkün­dung waren rechte Pro­voka­teure im Saal anwe­send. Dass diese Neon­azis sind und nicht nur anwe­send waren, son­dern ins­beson­dere bei der Verkün­dung des gerin­gen Straf­maßes von André E. sog­ar applaudierten, erfahren wir über die „recht­en Pro­voka­teure“ nicht.

In der ZiB 24 war der gehaltvoll­ste ORF-Beitrag in einem Inter­view mit Wiebke Ramm (Süd­deutsche Zeitung) zu sehen, die die Möglichkeit­en des Prozess­es dur­chaus kon­tro­ver­siell beurteilt, da ihre Sicht keines­falls ein­hel­lig, beson­ders nicht von VertreterIn­nen der Opfer, geteilt wird: Also, ich würde schon sagen, dass der Sen­at, also die Richter unter Vor­sitz von Man­fred Göt­zl, das Best­mögliche tat­säch­lich getan hat, weil ein Straf­prozess, der sich ja um die Tat- und Schuld­vor­würfe gegen die konkreten Angeklagten richtet, kann dann vielle­icht tat­säch­lich, nicht, das ist nicht seine Auf­gabe, nicht die Rolle, die Fehler, das Ver­sagen, der Behör­den, der Ermit­tlungs­be­hör­den, des Ver­fas­sungss­chutzes natür­lich aufk­lären. Das ist in der Tat nicht Auf­gabe dieses Straf­prozess­es gewe­sen. So muss man das, glaube ich, sehen. Es gab ja auch zahlre­iche par­la­men­tarische Unter­suchungsauss­chüsse, das heißt, auf poli­tis­ch­er Ebene wurde da einiges geleis­tet und wird es ja auch noch. Die ganzen Fra­gen, die es in der Tat immer noch gibt, die kon­nte dieser Straf­prozess, mein­er Mei­n­ung nach nicht aufklären.“

Die „Kleine Zeitung“ brachte mit ihrem regionalen Ableger „Neue“ neben aus­gewählten Reak­tio­nen aus inter­na­tionalen Medi­en die aus­führlich­ste Kom­men­tierung zum Prozess: 

Der Nation­al­sozial­is­tis­che Unter­grund und unser Umgang mit ihm markiert einen Wen­depunkt in der Geschichte. Die Jahre, die Beate Zschäpe in Unter­suchung­shaft ver­brachte, sind Achsen­jahre. Nation­al­sozial­is­tis­che Reden wer­den heute in aller Öffentlichkeit von gut situ­ierten Bürg­ern geführt. Nicht mehr bevorzugt von jugendlichen Haudraufs.
Und das – fast – über­all in Europa. Im Novem­ber 2011 gab es viel zu viele, die so naiv waren, die NSU-Morde als die Tat aus­ge­flippter Einzel­ner zu betra­cht­en. Sie wur­den nicht gese­hen als Aktion ein­er Gruppe von Men­schen, die in einem bes­timmten Milieu sich in diese Rich­tung entwick­elt hat­te. Das war, als es Jahrzehnte zuvor um den Ter­ror­is­mus der Roten Armee Frak­tion ging, ganz anders. Da wurde der Fokus sofort auf das „Sym­pa­thisan­tenum­feld“ eingestellt.
Man erin­nere sich an die Verve, mit der die ein­schlägi­gen Behör­den sich sog­ar Hein­rich Böll vorknöpften. Nichts Ver­gle­ich­bares geschah nach dem Novem­ber 2011, als die NSU-Tat­en bekan­nt wurden.
Man wird darum zögern, nur von Naiv­ität zu sprechen. Die Augen zu schließen vor dem Recht­sradikalis­mus und sein­er Gewalt­bere­itschaft, passt zu gut in die Geschichte der Bun­desre­pub­lik und ihrer Dienste.“

Der hier fehlende Nach­satz sei von uns ange­fügt: Das gilt auch und vielle­icht sog­ar in gesteigertem Maß für Öster­re­ich. Den­noch waren in keinem Medi­um O‑Töne von öster­re­ichis­chen Exper­tIn­nen zu find­en. Auch Reak­tio­nen aus der öster­re­ichis­chen Poli­tik haben wir verge­blich gesucht. Um diese Leer­stelle zu füllen, über­lassen wir der deutschen Bun­destagsab­ge­ord­neten Mar­ti­na Ren­ner einen Ausblick: