Eine Analyse von Andreas Hechler*
Zugleich liegt der Fokus fast ausschließlich auf den Täter_innen (1), wenn Bilder zum Thema Rechtsextremismus gezeigt werden. Aus dem Blick geraten Opfer/Diskriminierte (2) und ihre Bedürfnisse einerseits, Alternativen zum Rechtsextremismus andererseits. Die Frage nach Bildern ist von herausragender Bedeutung aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit. Vorherrschende Bilderwelten haben direkte Folgen für politisches und pädagogisches Handeln und prägen die Selbst- und Fremdwahrnehmung derjenigen, die als ‚rechtsextrem‘ wahrgenommen werden.
In drei Texten problematisiere ich zunächst (Teil I) den Täter_innenfokus sowie eingeschränkte und einschränkende Bilderwelten über Rechtsextreme. Daran anschließend wende ich mich in Teil II der Genese von Bilderwelten zu und frage, welche gesellschaftlichen und individuellen Funktionen diese erfüllen. Ich stelle dabei die These auf, dass die zentrale Funktion sowohl des Täter_innenfokus als auch eingeschränkter rechtsextremer Bilderwelten die Affirmation der bestehenden Diskriminierungsverhältnisse ist. Selbst wenn dies nicht gewollt ist, kann es ein ungewollter Effekt sein. An diese Kritik angelehnt, überlege ich in einem dritten Teil Alternativen und frage nach den Implikationen einer erfolgreichen Rechtsextremismusprävention.
Teil I: Täter_innenfokus und eingeschränkte Bilderwelten
In der medialen Mainstream-Öffentlichkeit findet sich zum Themenkomplex ‚Rechtsextremismus‘ wenig. Das Thema wird jenseits einer Berichterstattung über exzessive Gewalttaten eher ignoriert. Wird hingegen über das Thema berichtet, sind die aufgerufenen Bilderwelten oft problematisch, da sie nur sehr eingeschränkt Rechtsextreme/-ismus repräsentieren.
Täter_innenfokus
Bei der Betrachtung von Bilderwelten, die im Kontext Rechtsextremismus produziert und reproduziert werden, fällt auf, dass sich fast durchweg ein Täter_innenfokus findet. Es ist ja auch naheliegend, sich ‚den Rechtsextremen‘ – ihren Taten, Strukturen und Ideologien – zuzuwenden, wenn es um ‚Rechtsextremismus‘ geht. Verloren gehen hingegen zwei andere Ebenen, die für eine Präventionsarbeit von großer Bedeutung sind:
Einerseits der Blick auf und das Interesse an Menschen, die von Rechtsextremen angegriffen werden, in täglicher Angst vor Bedrohungen leben und in ihrem Aktions- und Handlungsradius stark eingeschränkt sind. Wird ihre Perspektive nicht wahrgenommen, so werden ihre Verletzungen unsichtbar gemacht mit der Folge, dass Diskriminierungen reproduziert und Gewöhnungseffekte in Kauf genommen werden (Ensinger / Kaletsch 2013, 31).
Andererseits fehlt der Blick auf Alternativen zum Rechtsextremismus. Diese sind notwendig, ganz real wie auch gedanklich, denn ohne Alternative(n) gibt es keine Alternative(n) zum Rechtsextremismus. Die Alternativen sind das, was von vornherein Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf andere Wege, Gedanken und Verhaltensweisen bringt. Alternativen sichtbar zu machen ist wichtig, und dazu gehören auch entsprechende Bilder.
Es gibt eine aufeinander bezogene Dynamik: Je mehr sich die Aufmerksamkeit auf die Täter_innen konzentriert, umso mehr werden die Opfer/Diskriminierten und Alternativen an den Rand gedrängt.
Aus der pädagogischen Arbeit mit Videomaterial gegen Rechtsextremismus ist bekannt, dass der vorherrschende Täter_innenfokus bei vielen Filmen, die in pädagogischen Settings gegen Rechts eingesetzt werden (z.B. American History X, Kombat Sechzehn, Die Kriegerin), auch das Gegenteil der gewollten abschreckenden Wirkung hervorrufen kann. Aus der „Fokussierung auf die Täter ergeben sich für die pädagogische Arbeit verschiedene Probleme, die sich mit den Worten ‚Identifikationsfalle‘ und ‚mangelnder Perspektivwechsel‘ zusammenfassend beschreiben lassen“ (Radvan/Stegmann 2013, 9). Bilder sprechen Zuschauende nicht nur kognitiv an, sondern erreichen sie auch auf emotionaler Ebene. Wenn es zum Gezeigten keine Alternative(n) gibt, kann die Wirkung von Bildern anstatt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus auch qua Ästhetisierung zu Identifikation und Sympathie führen. Wenn es nur die positive oder negative Identifikationsmöglichkeit mit Rechtsextremen gibt, heißt das zusätzlich für all diejenigen, die sich niemals extrem rechten Kontexten anschließen können oder wollen, dass sie nicht vorkommen und ihnen keine positiven Identifikationsmöglichkeiten geboten werden.
Einseitige Darstellungen von Rechtsextremen, ihrer Perspektiven, Positionen und Geschichten führen oft auch dazu, dass ihre Motivationen individualisierend und psychologisierend erklärt werden, zugleich werden rechte Einstellungsmuster in der Gesamtgesellschaft dethematisiert und Diskriminierung an einen konstruierten rechten Rand projektiv ausgelagert (ebd.).
Diese grundsätzliche Kritik am Täter_innenfokus wird durch eine zweite Kritik ergänzt, die die konkrete Bebilderung rechtsextremer Lebenswelten, Szenen und Ideologien direkt betrifft.
Eingeschränkte Bilderwelten
Die mediale Berichterstattung über Rechtsextreme orientiert sich seit mehreren Jahrzehnten am klassischen Skinhead, dem ‚Hool‘, dem Demogänger, dem Black-Block-Autonomen Nationalisten, neuerdings auch den ‚Identitären‘. Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel, Tätowierungen, Baseballschläger, Hitlergruß, Hakenkreuz und dergleichen mehr gehören zu den Bildelementen einer Ikonografie, die schon viel zu oft produziert, reproduziert, gesehen und konsumiert wurden.
Tatsächlich gibt es solche Rechtsextremen. Die Mehrheit ist aber anders. Es gibt die am Nationalsozialismus orientierte soldatische Männlichkeit, die rechtsextreme Liedermacherin, den traditionell-elitären Verbindungsstudenten, die rechtsbürgerliche Law and Order und Anti-EU-Parteifunktionärin, den trendbewussten autonomen Nationalisten, den christlichen Fundamentalisten, die völkische Mehrfach-Mutter und Hausfrau, den rechten Internet-Blogger, die erlebnisorientierte Demogängerin, die Vertriebenenfunktionärin, den NPD-Abgeordneten, den neurechten Schreiber, die Aktivistin der Braunen Hilfe, rechtsextreme Renees, die Szene-Anwältin, die Hakenkreuz-Kuchenbäckerin im Elternrat, den rechten Kneipenwirt, die Anti-Antifa-Fotografin, den schwulen national-sozialistischen Skinhead, den völkisch-esoterischen Ökobauern, das ‚Identitäre‘ It-Girl und viele mehr. Rechtsextreme sind auch alt, weiblich, reich, akademisch, intelligent, nicht selbst gewalttätig, nicht organisiert, leben in liebevollen Familienbezügen, sind sicher gebunden und wählen nicht-rechtsextreme Parteien. In den Bildern über sie kommt diese Ausfächerung von Artikulationsformen, Lebensweisen und Positionierungen hingegen kaum vor; es sind Bilder, die nur sehr eingeschränkt wiedergeben, was sie vorgeblich abbilden.
Hinzu kommt, dass auch Rechtsextreme viele ‚normale‘ Dinge tun: Sie atmen, kochen, essen, schlafen, treffen Freund_innen, betreuen Kinder, machen Ausflüge, hören Musik und dergleichen mehr. Das ist banal und vergleichsweise langweilig und für Medien daher uninteressant. Dies dürfte einer der Gründe dafür sein, dass oft über Rechtsextreme erst dann berichtet wird, wenn es um martialische Gewalttaten geht und hierfür entsprechender Bilder gesucht werden. Zusätzlich ist vieles oben Aufgezählte schwer abbildbar, da es im privaten Rahmen stattfindet. Das wiederum dürfte neben vergeschlechtlichten Wahrnehmungsmustern, die weibliche Rechtsextreme ausblenden, einer der Gründe sein, warum es zu einer Schieflage in der Darstellung rechtsextremer Männer und Frauen kommt, da Frauen qua rechtsextremer Ideologie und Praxis erheblich stärker als Männer an weniger sichtbare ‚private‘ Sphären und Tätigkeiten gebunden sind (Amadeu Antonio Stiftung 2014).
Teil II: Funktionen des Täter_innenfokus und eingeschränkter Bilderwelten
An die Problembeschreibung anknüpfend stellt sich die Frage, wieso das so ist: Wieso setzen sich bestimmte Bilder durch und andere nicht?
Wenn man* davon ausgeht, dass die meisten Menschen der Ansicht sind, ‚echte‘ Rechtsextreme nicht zu kennen, können Bilder von Rechtsextremen einen Eindruck direkter Anschaulichkeit vermitteln: ‚So sind sie, so sehen Rechtsextreme aus!‘ Aufgabe der Bilder wäre es demnach, etwas sichtbar zu machen, was sich dem ‚normalsterblichen‘ Auge entzieht. Diesem konventionellen Bildverständnis zufolge gibt es eine Übereinstimmung von Bild und Realität.
Bilder sind aber keine einfachen Spiegelungen von Realität, sondern Abbildungen einer ganz bestimmten Realität. Es gibt einen Unterschied zwischen dem repräsentativen Charakter von Bildern und der Sache, auf die sie verweisen (sollen). Es ist ‚nur‘ ein Bild von Rechtsextremen, und zwar ein ganz bestimmtes, es sind nicht die Rechtsextremen selbst, geschweige denn der Rechtsextremismus als gesellschaftspolitisches Phänomen.
Um nachvollziehen zu können, wie kulturelle und individuelle Bildgedächtnisse (mit-)konstruiert werden, ist es relevant, sich mediale Kanonisierungsprozesse zu vergegenwärtigen. Uwe Pörksen spricht bei derartigen standardisierten visuellen Zugriffen auf die Welt von „Visiotypen“, die durch eine ganz bestimmte Lesart in ihrer Bedeutung festgelegt sind: „Ich gebrauche das Wort ‚Visiotyp‘ parallel zu ‚Stereotyp‘ und meine zunächst diesen allgemein zu beobachtenden, durch die Entwicklung der Informationstechnik begünstigten Typus sich rasch standardisierender Visualisierung. Es ist eine durchgesetzte Form der Wahrnehmung und Darstellung, des Zugriffs auf ‚die Wirklichkeit‘“ (Pörksen 1997, 27). Visiotype sind Resultate einer bestimmten Perspektive, sie vereinheitlichen Vielfalt, reduzieren Komplexität, folgen einem homogenisierendem Blick und haben eine einfache und klare Botschaft. Ihre Bedeutung ist eine durch konstanten Gebrauch sich einspielende Übereinkunft, die, einmal durchgesetzt und kanonisiert, ein gewisses Eigenleben führt und eine andere Lesart weitestgehend unmöglich macht (ebd.: 164‒168).
Der rechtsextreme Skinhead kann meines Erachtens als ein solches Visiotyp bezeichnet werden. Es ist ein Visiotyp, das das Realitätsbild vieler Menschen darin beeinflusst, wie sie ‚Rechtsextreme‘ und ‚Rechtsextremismus‘ wahrnehmen: als jung, arm, dumm, hypermaskulin, über alle Maßen gewalttätig, aus einer sozial zerrütteten Familie und ganz überwiegend aus Brennpunktgebieten stammend. Wer dem nicht entspricht, fällt tendenziell durch das Raster ‚Rechtsextremer‘. Das kann dazu führen, dass Skinheads auf der Straße oder im Jugendclub automatisch mit Rechtsextremen in Verbindung gebracht werden, während Rechtsextreme, die beim Familientreffen am gleichen Tisch sitzen, nicht als Rechtsextreme wahrgenommen werden. Es kann auch dazu führen, dass sich Jugendliche und Erwachsene mit extrem rechten Einstellungsmustern selbst überhaupt nicht mit Rechtsextremismus in Verbindung bringen. Das Visiotyp des rechtsextremen Skinheads beeinflusst auch politisches Handeln, was u. a. an den regionalen, nationalen und EU-weiten Programmen gegen Rechts mit ihrem starken Fokus auf Gewalthandeln und Jugendlichkeit, ihrer Delegation an die Pädagogik und einer Unterbelichtung von Einstellungen einerseits und alltäglichen Mikroprozessen der Ausgrenzung andererseits, abzulesen ist (Blome / Manthe 2014; Burschel et. Al. 2013; Stützel 2013).
Funktionale Bilder
Pörksen (1997, 167) führt aus, dass sich die Norm auf der Ebene des Gebrauchs durchsetzt und die Vorherrschaft über andere Varianten erlangt. Dies erklärt aber noch nicht, warum es gerade diese und nicht jene Norm ist, die sich durchsetzt. Wieso gab und gibt es nach wie vor das Skinheadbild von Rechtsextremen und wieso kommen in der Beschäftigung mit dem Thema Opfer/Diskriminierte und Alternativen so wenig vor? Welche Funktionen erfüllt dieses eingeschränkte Bild?
Ich denke, dass die zentrale Funktion sowohl des Täter_innenfokus als auch eingeschränkter rechtsextremer Bilderwelten die Bestätigung des Status quo und die Abwehr einer tiefgreifenden und ernsthaften Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Ideologien der Ungleichheit ist. Auf mögliche daran geknüpfte Funktionen gehe ich im Folgenden ein.
Mögliche Funktionen des Täter_innenfokus: Begünstigung von Herrschaft
Wenn Opfer/Diskriminierte von Rechtsextremen angegriffen werden, brauchen sie über einen langen Zeitraum jede nur denkbare Unterstützung. Sie leiden und das scheint oft langweilig und unattraktiv zu sein. Die Faszination des Bösen/der Rechtsextremen und ihrer Macht ist oft größer. Die Verweigerung von Empathie und Unterstützung kann Ausdruck eines simplen Bedürfnisses nach Ruhe sein. Es kann auch die Abwehr einer Angst sein, selbst in eine Position großer Ohnmacht und einen Opferstatus zu geraten.
Die Wahrnehmung von Opfern/Diskriminierten und ihrer Bedürfnisse erfordert die Anerkennung staatlich und gesellschaftlich produzierter Ungleichheitsverhältnisse. Das fängt bereits mit dem Umstand an, dass man* sich mit Rechtsextremismus nicht beschäftigen muss, wenn man* nicht unmittelbar bedroht ist, Angsträume bleiben für Privilegierte oft unsichtbar (Ensinger / Kaletsch 2013, 30). Ebenso gelangt man* beim Nachdenken über Alternativen zum Rechtsextremismus schnell an die Grenzen des Bestehenden. In beiden Fällen müsste über Kapitalismus nachgedacht, über staatlichen Rassismus gesprochen, institutionalisierter Sozialdarwinismus hinterfragt, die kulturelle Tradierung des Antisemitismus unterbrochen und heteronormative Zweigeschlechtlichkeit kritisiert werden ‒ und das ist nur eine sehr unvollständige Aufzählung.
Bezogen auf die Rechtsextremismusprävention geht die Förderung der Arbeit mit ‚rechtsextremistisch gefährdeten Jugendlichen‘ zu Lasten zivilgesellschaftlicher Strukturen gegen Rechts (Laumann 2014). Flankierende Mainstreamdiskurse der letzten Jahre waren und sind u. a. Jungen als Bildungsverlierer, ‚Rassismus gegen Weiße‘ und nicht zuletzt das Einschwören auf ‚Deradikalisierung‘, die Antifaschismus per se unter Verdacht stellt (‚Extremisten von links‘) und auf der extremismustheoretischen Grundannahme einer unbelasteten ‚Mitte‘ basiert. Mit diesen Diskussionen werden rechtsextreme Ideologieelemente bestärkt sowie Opfer/Diskriminierte und Alternativen verdrängt (Feustel 2014, 78f.).
Die Begünstigung individueller, struktureller und diskursiv-kultureller Herrschaft ist immer ein Plus für den Rechtsextremismus und ein Minus für die Opfer/Diskriminierten und die Alternativen. Wenn zusätzlich diejenigen, die den Rechtsextremismus bekämpfen, als ‚linksextrem‘ diffamiert werden und Opfern/Diskriminierten vorgehalten werden kann, zur ‚falschen Zeit‘ am ‚falschen Ort‘ mit dem ‚falschen Verhalten‘ gewesen zu sein, muss sich mit einer Kritik am Täter_innenfokus nicht weiter beschäftigt werden.
Mögliche Funktionen eingeschränkter Bilderwelten: Schaffung maximaler Distanz
Als Inbegriff des Bösen haftet Rechtsextremen eine Aura des Teuflischen an. Hier geht es um die Konstruktion als ‚das Andere‘ und die Schaffung maximaler Distanz durch Abscheu. Rechtsextreme werden als klar zu umreißende Gruppe von ‚Extremist_innen‘ gezeichnet, die von ‚den Demokraten‘ und ‚unserer Gesellschaft‘ abgegrenzt werden. Es geht um Gruppendistinktion und eine eindeutige Scheidung: Der Mainstream der Gesellschaft hat damit nichts zu tun. Je marginalisierter und gescheiterter Rechtsextreme gezeigt werden, umso mehr können sich nationale Gesellschaften und die viel zitierte ‚europäische Wertgemeinschaft‘ ihrer Selbstbilder versichern und sich ‚von denen‘ abgrenzen.
Würde ein realistischeres Bild von Rechtsextremen abgebildet, würde diese scheinbar klare Trennung in fließende Übergänge diffundieren. ‚Die Mitte‘ oder ‚die Demokraten‘ oder ‚die Österreicher_innen/ Engländer_innen/ Italiener_innen/ Rumän_innen/ Pol_innen/ …‘ wären als Gegensatz zu ‚den Rechtsextremen‘ nicht haltbar, es gibt Überschneidungen, Parallelen, wechselseitige Bezugnahmen und Dynamiken. Die Träger_innen des Rechtsextremismus sind Menschen, aber der Rechtsextremismus ist nicht nur eine personalisierte Angelegenheit, sondern er ist komplexer: Er verweist auf eine bestimmte Gesellschaftsstruktur, individuelle wie kollektive Denktraditionen, den Stand der Produktivkraftentwicklung, gesellschaftliche Umgangsweisen mit Krisenphänomenen, institutionalisierte Herrschaft und dergleichen mehr. Nationalstaaten und Kapitalismus, um nur zwei zu nennen, begünstigen rechte Denkformen. All das lässt sich schwer bebildern und geht im bomberjackentragenden Skinhead nicht auf. In dessen Figur werden alle sozialen und politischen Zusammenhänge ausgeklammert, sie ist ein mythisches Bild.
Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, warum sich weder wirklich mit den Opfern/Diskriminierten von Rechtsextremismus beschäftigt wird, noch mit den Alternativen zum Rechtsextremismus und auch nicht wirklich mit den Rechtsextremen selber, da es sich bei ihnen, Mainstream-Logiken folgend, nur um eine kleine Minderheit handelt, mit denen man* nichts zu tun hat und die an einem als ‚extremistisch‘ konstruierten Rand vor sich hintümpeln. Dies erklärt sowohl den Täter_innenfokus als auch die eingeschränkten Bilderwelten. Gänzlich aus dem Blick geraten zudem staatliches wie institutionelles Handeln.
Teil III: Bildliche Alternativen
Meine Kernthese ist, dass die Dethematisierung der Perspektiven von Opfern/Diskriminierten einerseits und Alternativen zum Rechtsextremismus andererseits den diskriminierenden Status quo stabilisiert und, dass sich dies auch in Bildern niederschlägt. Da Bilder die Gesellschaft und nicht zuletzt politisches wie pädagogisches Handeln beeinflussen, folgt für mich daraus, dass wir (auch) andere Bilder benötigen.
Was wären Alternativen?
Eine gute Alternative ist ein Perspektivenwechsel, um einen einseitigen Täter_innenfokus nicht immer und immer wieder zu reproduzieren. Ensinger und Kaletsch plädieren dafür, „die Täterfixierung zu überwinden und die Analyse aus einem konsequent die Opferperspektive beachtenden Fokus zu betreiben“ (Ensinger / Kaletsch 2013, 31).
Auf der Ebene von Bildern ist wichtig, bei der Sichtbarmachung von Verletzungen und Bedrohungen darauf zu achten, dass Opfer/Diskriminierte nicht einfach nur als Opfer gezeigt werden, da diese Form der Reviktimisierung den Opferstatus festschreibt und andere Umgangsweisen unsichtbar bleiben, beispielsweise wenn Opfer/Diskriminierte sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung wehren. Es sollten also starke Bilder von Menschen produziert und gezeigt werden, die von Rechtsextremen potenziell angegriffen werden.
Die Perspektive der Opfer/Diskriminierten dokumentiert die Taten der Täter_innen und mit dieser lässt sich sehen und nachempfinden, was Rechtsextremismus bedeuten kann, ohne dass Rechtsextremen und rechtsextremer Ideologie zu viel Raum gegeben wird. Aus einer solchen Perspektive kann deutlich werden, dass eine kleine Sache viel auslösen kann, die von jenen Menschen, die nicht zum rechtsextremen Feindbild gehören, in den meisten Fällen gar nicht erst wahrgenommen wird. Ein rechtsextremer Aufkleber an der Straßenlaterne beispielsweise kann für jemanden, der Rassismus erlebt, ein Bedrohungsgefühl und Unwohlsein hervorrufen, eine Einschränkung im Alltag bedeuten und den Bewegungsradius einschränken.
Ein ausschließlicher Fokus auf die Opfer/Diskriminierten kann allerdings auch Gefahr laufen, die Täter_innen und Zusammenhänge, die zum Opfer machen auszublenden. Historisch betrachtet ist das beispielsweise in der bundesdeutschen Post-NS-Gesellschaft mit ihrem Philosemitismus lange Zeit der Fall gewesen und ist es teilweise bis heute. Für die Post-NS-Täter_innengesellschaft war es leichter, sich mit Jüd_innen zu beschäftigen, den eigenen Kindern jüdische Vornamen zu geben und Klezmer zu goutieren als eine kritische Täter_innenperspektive einzunehmen, die wesentlich unangenehmer für das eigene Dasein gewesen wäre (Rommelspacher 1994, 42–45; Bodemann 1996). Eine Kritik am Täter_innenfokus meint nicht, dass man* sich mit den Täter_innen gar nicht mehr beschäftigt. Es heißt lediglich, dass man* sich nicht nur mit den Täter_innen beschäftigt, sondern auch.
Die Kritik an eingeschränkten Bilderwelten impliziert, dass realitätsgetreuere Bilder von Rechtsextremen und ihren Lebenswelten gezeigt werden könnten. Zum einen sollten Rechtsextreme in ihrer Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit dargestellt werden, zum anderen sollte erheblich stärker als bisher auf Inhalte eingegangen werden. Weibliche, intellektuelle, gebildete, erfolgreiche, wohlhabende, gewaltdelegierende, nicht organisierte, in ‚guten‘ Wohngegenden lebende und/oder ältere Rechtsextreme gilt es hierbei verstärkt abzubilden.
Zum multiperspektivischen Blick gehören als dritte Perspektive auch die Alternativen zum Rechtsextremismus. Ohne diese ist jedes Bemühen vergebens. Alternativen bedeutet im Kontext von Rechtsextremismus(-prävention), die Macht der Täter_innen und des Rechtsextremismus zu hinterfragen, Auswege aufzuzeigen und gegen die Ohnmacht anzugehen – es geht auch anders! Alternativen sind insbesondere linke, emanzipatorische, demokratische, queere, antirassistische und antifaschistische Zusammenschlüsse, Orte, (Jugend-)Kulturen und Aktivitäten ebenso wie nicht-diskriminierende Verhaltensweisen, demokratische Interessenvertretungen und Konfliktlösungsstrategien (MBR / VDK 2006, 98–102). Diese ins Bewusstsein zu rufen und bildlich darzustellen, ist ein wichtiger Aspekt von Rechtsextremismusprävention.
Für eine gelungene Bilderwelt gegen Rechtsextremismus sind demzufolge erstens empowernde Bilder von Opfern/Diskriminierten, zweitens Bilder von und über Alternativen und drittens ein kritisch-realistischer Blick auf Täter_innen nötig. Die Reihenfolge gibt auch die Priorisierung an, insbesondere wenn Ressourcen begrenzt sind. Diese Bilderwelt steht im Kontext einer allgemeineren Prävention, die dann gelungen ist, wenn sich für die Opfer/Diskriminierten von Rechtsextremismus nachhaltig etwas zum Positiven ändert (Ensinger / Kaletsch 2013, 31f.). Es geht um Täter_innenprävention, weil es um Opferprävention geht!
*Andreas Hechler wünscht sich eine andere Bildpolitik im Kampf gegen Neonazismus. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Bildungsreferent bei Dissens — Institut für Bildung und Forschung und Co-Herausgeber des Sammelbands ‚Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts.
Der Artikel ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung des gleichnamigen Artikels aus dem Sammelband Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts.
Literatur:
- Amadeu Antonio Stiftung (2014): Rechtsextreme Frauen – übersehen und unterschätzt. Berlin: Eigendruck.
- Blome, Mathis/Manthe, Barbara [Hrsg.innen] (2014): Zum Erfolg verdammt. Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus. Düsseldorf: Eigendruck.
- Bodemann, Y. Michal (1996): Gedächtnistheater. Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung. Hamburg: Rotbuch Verlag.
- Burschel, Friedrich/Schubert, Uwe/Wiegel, Gerd [Hrsg.] (2013): Der Sommer ist vorbei … Vom „Aufstand der Anständigen“ zur „Extremismus-Klausel“: Beiträge zu 13 Jahren „Bundesprogramme gegen Rechts“. Münster: Edition Assemblage.
- Ensinger, Tami/Kaletsch, Christa (2013): Die Bedeutung der Opferperspektive für die Beratungsarbeit. In: beratungsNetzwerk Hessen – Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus: Einblicke in die Praxis. Wiesbaden: Eigendruck. S. 29‒32.
- Feustel, Susanne (2014): Von der „Glatzenpflege auf Staatskosten“ zur Deradikalisierung als Konzept? In: Kulturbüro Sachsen [Hrsg.]: Politische Jugendarbeit vom Kopf auf die Füße. Dresden: Eigendruck. S. 67‒79.
- Laumann, Vivien (2014): Die Bedeutung von Geschlecht in den Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus. In: Blome/Manthe [Hrsg.innen]: Zum Erfolg verdammt. Düsseldorf: Eigendruck. S. 57‒60.
- Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin/Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V. [Hrsg.innen] (2006): Integrierte Handlungsstrategien zur Rechtsextremismusprävention und ‑intervention bei Jugendlichen. Hintergrundwissen und Empfehlungen für Jugendarbeit, Kommunalpolitik und Verwaltung. Berlin: Eigendruck.
- Pörksen, Uwe (1997): Weltmarkt der Bilder. Eine Philosophie der Visiotype. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
- Radvan, Heike/Stegmann, Julia (2013): Dokumentar- und Spielfilme zum Thema Rechtsextremismus. Pädagogische Überlegungen. In: Amadeu Antonio Stiftung [Hrsg.in]: „Film ab! – Gegen Nazis“. Berlin: Eigendruck. S. 8‒16.
- Rommelspacher, Birgit (1994): Schuldlos – Schuldig? Wie sich junge Frauen mit Antisemitismus auseinandersetzen. Hamburg: Konkret Literatur Verlag.
- Stützel, Kevin (2013): Männlich, gewaltbereit und desintegriert. In: Amadeu Antonio Stiftung/Radvan, Heike [Hrsg.innen]: Gender und Rechtsextremismusprävention. Berlin: Metropol Verlag. S. 211‒229.