Beharrliche Bilder — Bildsprache und Neonazismus-/Rechtsextremismusprävention

Die Ikono­grafie des männlichen, armen, dum­men, gewalt­täti­gen und juve­nilen Skin­heads, der in herun­tergekomme­nen Gegen­den herum­mar­o­diert, ist unge­brochen dom­i­nant, wenn sich mit dem The­ma Recht­sex­trem­is­mus beschäftigt wird. Es gibt kaum Zeitun­gen, Buch­cov­er oder Broschüren zum The­ma, in der sich keine Bilder von muskel­bepack­ten Glatzen, Bomber­jack­en, Springer­stiefeln, Tätowierun­gen, brül­lende Män­ner­hor­den und der­gle­ichen mehr finden.
Eine Analyse von Andreas Hechler*

Zugle­ich liegt der Fokus fast auss­chließlich auf den Täter_innen (1), wenn Bilder zum The­ma Recht­sex­trem­is­mus gezeigt wer­den. Aus dem Blick ger­at­en Opfer/Diskriminierte (2) und ihre Bedürfnisse ein­er­seits, Alter­na­tiv­en zum Recht­sex­trem­is­mus ander­er­seits. Die Frage nach Bildern ist von her­aus­ra­gen­der Bedeu­tung auf­grund ihrer Wirk­mächtigkeit. Vorherrschende Bilder­wel­ten haben direk­te Fol­gen für poli­tis­ches und päd­a­gogis­ches Han­deln und prä­gen die Selb­st- und Fremd­wahrnehmung der­jeni­gen, die als ‚recht­sex­trem‘ wahrgenom­men werden.

In drei Tex­ten prob­lema­tisiere ich zunächst (Teil I) den Täter_innenfokus sowie eingeschränk­te und ein­schränk­ende Bilder­wel­ten über Recht­sex­treme. Daran anschließend wende ich mich in Teil II der Genese von Bilder­wel­ten zu und frage, welche gesellschaftlichen und indi­vidu­ellen Funk­tio­nen diese erfüllen. Ich stelle dabei die These auf, dass die zen­trale Funk­tion sowohl des Täter_innenfokus als auch eingeschränk­ter recht­sex­tremer Bilder­wel­ten die Affir­ma­tion der beste­hen­den Diskri­m­inierungsver­hält­nisse ist. Selb­st wenn dies nicht gewollt ist, kann es ein unge­woll­ter Effekt sein. An diese Kri­tik angelehnt, über­lege ich in einem drit­ten Teil Alter­na­tiv­en und frage nach den Imp­lika­tio­nen ein­er erfol­gre­ichen Rechtsextremismusprävention.

Copyright: Udi Nir/Sagi Bornstein

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Teil I: Täter_innenfokus und eingeschränk­te Bilderwelten
In der medi­alen Main­stream-Öffentlichkeit find­et sich zum The­menkom­plex ‚Recht­sex­trem­is­mus‘ wenig. Das The­ma wird jen­seits ein­er Berichter­stat­tung über exzes­sive Gewalt­tat­en eher ignori­ert. Wird hinge­gen über das The­ma berichtet, sind die aufgerufe­nen Bilder­wel­ten oft prob­lema­tisch, da sie nur sehr eingeschränkt Recht­sex­treme/-ismus repräsentieren.

Täter_innenfokus
Bei der Betra­ch­tung von Bilder­wel­ten, die im Kon­text Recht­sex­trem­is­mus pro­duziert und repro­duziert wer­den, fällt auf, dass sich fast durch­weg ein Täter_innenfokus find­et. Es ist ja auch nahe­liegend, sich ‚den Recht­sex­tremen‘ – ihren Tat­en, Struk­turen und Ide­olo­gien – zuzuwen­den, wenn es um ‚Recht­sex­trem­is­mus‘ geht. Ver­loren gehen hinge­gen zwei andere Ebe­nen, die für eine Präven­tion­sar­beit von großer Bedeu­tung sind:

Ein­er­seits der Blick auf und das Inter­esse an Men­schen, die von Recht­sex­tremen ange­grif­f­en wer­den, in täglich­er Angst vor Bedro­hun­gen leben und in ihrem Aktions- und Hand­lungsra­dius stark eingeschränkt sind. Wird ihre Per­spek­tive nicht wahrgenom­men, so wer­den ihre Ver­let­zun­gen unsicht­bar gemacht mit der Folge, dass Diskri­m­inierun­gen repro­duziert und Gewöh­nungsef­fek­te in Kauf genom­men wer­den (Ensinger / Kaletsch 2013, 31).

Ander­er­seits fehlt der Blick auf Alter­na­tiv­en zum Recht­sex­trem­is­mus. Diese sind notwendig, ganz real wie auch gedanklich, denn ohne Alternative(n) gibt es keine Alternative(n) zum Recht­sex­trem­is­mus. Die Alter­na­tiv­en sind das, was von vorn­here­in Kinder, Jugendliche und Erwach­sene auf andere Wege, Gedanken und Ver­hal­tensweisen bringt. Alter­na­tiv­en sicht­bar zu machen ist wichtig, und dazu gehören auch entsprechende Bilder.

Es gibt eine aufeinan­der bezo­gene Dynamik: Je mehr sich die Aufmerk­samkeit auf die Täter_innen konzen­tri­ert, umso mehr wer­den die Opfer/Diskriminierten und Alter­na­tiv­en an den Rand gedrängt.

Aus der päd­a­gogis­chen Arbeit mit Video­ma­te­r­i­al gegen Recht­sex­trem­is­mus ist bekan­nt, dass der vorherrschende Täter_innenfokus bei vie­len Fil­men, die in päd­a­gogis­chen Set­tings gegen Rechts einge­set­zt wer­den (z.B. Amer­i­can His­to­ry X, Kom­bat Sechzehn, Die Kriegerin), auch das Gegen­teil der gewoll­ten abschreck­enden Wirkung her­vor­rufen kann. Aus der „Fokussierung auf die Täter ergeben sich für die päd­a­gogis­che Arbeit ver­schiedene Prob­leme, die sich mit den Worten ‚Iden­ti­fika­tions­falle‘ und ‚man­gel­nder Per­spek­tivwech­sel‘ zusam­men­fassend beschreiben lassen“ (Radvan/Stegmann 2013, 9). Bilder sprechen Zuschauende nicht nur kog­ni­tiv an, son­dern erre­ichen sie auch auf emo­tionaler Ebene. Wenn es zum Gezeigten keine Alternative(n) gibt, kann die Wirkung von Bildern anstatt zu ein­er kri­tis­chen Auseinan­der­set­zung mit Recht­sex­trem­is­mus auch qua Ästhetisierung zu Iden­ti­fika­tion und Sym­pa­thie führen. Wenn es nur die pos­i­tive oder neg­a­tive Iden­ti­fika­tion­s­möglichkeit mit Recht­sex­tremen gibt, heißt das zusät­zlich für all diejeni­gen, die sich niemals extrem recht­en Kon­tex­ten anschließen kön­nen oder wollen, dass sie nicht vorkom­men und ihnen keine pos­i­tiv­en Iden­ti­fika­tion­s­möglichkeit­en geboten werden.

Ein­seit­ige Darstel­lun­gen von Recht­sex­tremen, ihrer Per­spek­tiv­en, Posi­tio­nen und Geschicht­en führen oft auch dazu, dass ihre Moti­va­tio­nen indi­vid­u­al­isierend und psy­chol­o­gisierend erk­lärt wer­den, zugle­ich wer­den rechte Ein­stel­lungsmuster in der Gesamt­ge­sellschaft dethe­ma­tisiert und Diskri­m­inierung an einen kon­stru­ierten recht­en Rand pro­jek­tiv aus­ge­lagert (ebd.).

Diese grund­sät­zliche Kri­tik am Täter_innenfokus wird durch eine zweite Kri­tik ergänzt, die die konkrete Bebilderung recht­sex­tremer Lebenswel­ten, Szenen und Ide­olo­gien direkt betrifft.

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Eingeschränk­te Bilderwelten
Die medi­ale Berichter­stat­tung über Recht­sex­treme ori­en­tiert sich seit mehreren Jahrzehn­ten am klas­sis­chen Skin­head, dem ‚Hool‘, dem Demogänger, dem Black-Block-Autonomen Nation­al­is­ten, neuerd­ings auch den ‚Iden­titären‘. Glatze, Bomber­jacke, Springer­stiefel, Tätowierun­gen, Base­ballschläger, Hit­ler­gruß, Hak­enkreuz und der­gle­ichen mehr gehören zu den Bildele­menten ein­er Ikono­grafie, die schon viel zu oft pro­duziert, repro­duziert, gese­hen und kon­sum­iert wurden.

Tat­säch­lich gibt es solche Recht­sex­tremen. Die Mehrheit ist aber anders. Es gibt die am Nation­al­sozial­is­mus ori­en­tierte sol­datis­che Männlichkeit, die recht­sex­treme Lie­der­ma­cherin, den tra­di­tionell-elitären Verbindungsstu­den­ten, die rechts­bürg­er­liche Law and Order und Anti-EU-Partei­funk­tionärin, den trend­be­wussten autonomen Nation­al­is­ten, den christlichen Fun­da­men­tal­is­ten, die völkische Mehrfach-Mut­ter und Haus­frau, den recht­en Inter­net-Blog­ger, die erleb­nisori­en­tierte Demogän­gerin, die Ver­triebe­nen­funk­tionärin, den NPD-Abge­ord­neten, den neurecht­en Schreiber, die Aktivistin der Braunen Hil­fe, recht­sex­treme Renees, die Szene-Anwältin, die Hak­enkreuz-Kuchen­bäck­erin im Eltern­rat, den recht­en Kneipen­wirt, die Anti-Antifa-Fotografin, den schwulen nation­al-sozial­is­tis­chen Skin­head, den völkisch-eso­ter­ischen Ökobauern, das ‚Iden­titäre‘ It-Girl und viele mehr. Recht­sex­treme sind auch alt, weib­lich, reich, akademisch, intel­li­gent, nicht selb­st gewalt­tätig, nicht organ­isiert, leben in liebevollen Fam­i­lien­bezü­gen, sind sich­er gebun­den und wählen nicht-recht­sex­treme Parteien. In den Bildern über sie kommt diese Aus­fächerung von Artiku­la­tions­for­men, Lebensweisen und Posi­tion­ierun­gen hinge­gen kaum vor; es sind Bilder, die nur sehr eingeschränkt wiedergeben, was sie vorge­blich abbilden.

Hinzu kommt, dass auch Recht­sex­treme viele ‚nor­male‘ Dinge tun: Sie atmen, kochen, essen, schlafen, tre­f­fen Freund_innen, betreuen Kinder, machen Aus­flüge, hören Musik und der­gle­ichen mehr. Das ist banal und ver­gle­ich­sweise lang­weilig und für Medi­en daher unin­ter­es­sant. Dies dürfte ein­er der Gründe dafür sein, dass oft über Recht­sex­treme erst dann berichtet wird, wenn es um mar­tialis­che Gewalt­tat­en geht und hier­für entsprechen­der Bilder gesucht wer­den. Zusät­zlich ist vieles oben Aufgezählte schw­er abbild­bar, da es im pri­vat­en Rah­men stat­tfind­et. Das wiederum dürfte neben vergeschlechtlicht­en Wahrnehmungsmustern, die weib­liche Recht­sex­treme aus­blenden, ein­er der Gründe sein, warum es zu ein­er Schieflage in der Darstel­lung recht­sex­tremer Män­ner und Frauen kommt, da Frauen qua recht­sex­tremer Ide­olo­gie und Prax­is erhe­blich stärk­er als Män­ner an weniger sicht­bare ‚pri­vate‘ Sphären und Tätigkeit­en gebun­den sind (Amadeu Anto­nio Stiftung 2014).

Teil II: Funk­tio­nen des Täter_innenfokus und eingeschränk­ter Bilderwelten
An die Prob­lem­beschrei­bung anknüpfend stellt sich die Frage, wieso das so ist: Wieso set­zen sich bes­timmte Bilder durch und andere nicht?

Wenn man* davon aus­ge­ht, dass die meis­ten Men­schen der Ansicht sind, ‚echte‘ Recht­sex­treme nicht zu ken­nen, kön­nen Bilder von Recht­sex­tremen einen Ein­druck direk­ter Anschaulichkeit ver­mit­teln: ‚So sind sie, so sehen Recht­sex­treme aus!‘ Auf­gabe der Bilder wäre es dem­nach, etwas sicht­bar zu machen, was sich dem ‚nor­mal­sterblichen‘ Auge entzieht. Diesem kon­ven­tionellen Bild­ver­ständ­nis zufolge gibt es eine Übere­in­stim­mung von Bild und Realität.

Bilder sind aber keine ein­fachen Spiegelun­gen von Real­ität, son­dern Abbil­dun­gen ein­er ganz bes­timmten Real­ität. Es gibt einen Unter­schied zwis­chen dem repräsen­ta­tiv­en Charak­ter von Bildern und der Sache, auf die sie ver­weisen (sollen). Es ist ‚nur‘ ein Bild von Recht­sex­tremen, und zwar ein ganz bes­timmtes, es sind nicht die Recht­sex­tremen selb­st, geschweige denn der Recht­sex­trem­is­mus als gesellschaft­spoli­tis­ches Phänomen.

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Um nachvol­lziehen zu kön­nen, wie kul­turelle und indi­vidu­elle Bildgedächt­nisse (mit-)konstruiert wer­den, ist es rel­e­vant, sich medi­ale Kanon­isierung­sprozesse zu verge­gen­wär­ti­gen. Uwe Pörk­sen spricht bei der­ar­ti­gen stan­dar­d­isierten visuellen Zugrif­f­en auf die Welt von „Visio­typen“, die durch eine ganz bes­timmte Lesart in ihrer Bedeu­tung fest­gelegt sind: „Ich gebrauche das Wort ‚Visio­typ‘ par­al­lel zu ‚Stereo­typ‘ und meine zunächst diesen all­ge­mein zu beobach­t­en­den, durch die Entwick­lung der Infor­ma­tion­stech­nik begün­stigten Typus sich rasch stan­dar­d­isieren­der Visu­al­isierung. Es ist eine durchge­set­zte Form der Wahrnehmung und Darstel­lung, des Zugriffs auf ‚die Wirk­lichkeit‘“ (Pörk­sen 1997, 27). Visio­type sind Resul­tate ein­er bes­timmten Per­spek­tive, sie vere­in­heitlichen Vielfalt, reduzieren Kom­plex­ität, fol­gen einem homogenisieren­dem Blick und haben eine ein­fache und klare Botschaft. Ihre Bedeu­tung ist eine durch kon­stan­ten Gebrauch sich ein­spie­lende Übereinkun­ft, die, ein­mal durchge­set­zt und kanon­isiert, ein gewiss­es Eigen­leben führt und eine andere Lesart weitest­ge­hend unmöglich macht (ebd.: 164‒168).

Der recht­sex­treme Skin­head kann meines Eracht­ens als ein solch­es Visio­typ beze­ich­net wer­den. Es ist ein Visio­typ, das das Real­itäts­bild viel­er Men­schen darin bee­in­flusst, wie sie ‚Recht­sex­treme‘ und ‚Recht­sex­trem­is­mus‘ wahrnehmen: als jung, arm, dumm, hyper­maskulin, über alle Maßen gewalt­tätig, aus ein­er sozial zer­rüt­teten Fam­i­lie und ganz über­wiegend aus Bren­npunk­t­ge­bi­eten stam­mend. Wer dem nicht entspricht, fällt ten­den­ziell durch das Raster ‚Recht­sex­tremer‘. Das kann dazu führen, dass Skin­heads auf der Straße oder im Jugend­club automa­tisch mit Recht­sex­tremen in Verbindung gebracht wer­den, während Recht­sex­treme, die beim Fam­i­lien­tr­e­f­fen am gle­ichen Tisch sitzen, nicht als Recht­sex­treme wahrgenom­men wer­den. Es kann auch dazu führen, dass sich Jugendliche und Erwach­sene mit extrem recht­en Ein­stel­lungsmustern selb­st über­haupt nicht mit Recht­sex­trem­is­mus in Verbindung brin­gen. Das Visio­typ des recht­sex­tremen Skin­heads bee­in­flusst auch poli­tis­ches Han­deln, was u. a. an den regionalen, nationalen und EU-weit­en Pro­gram­men gegen Rechts mit ihrem starken Fokus auf Gewalthandeln und Jugendlichkeit, ihrer Del­e­ga­tion an die Päd­a­gogik und ein­er Unter­be­lich­tung von Ein­stel­lun­gen ein­er­seits und alltäglichen Mikro­prozessen der Aus­gren­zung ander­er­seits, abzule­sen ist (Blome / Man­the 2014; Burschel et. Al. 2013; Stützel 2013).

Funk­tionale Bilder
Pörk­sen (1997, 167) führt aus, dass sich die Norm auf der Ebene des Gebrauchs durch­set­zt und die Vorherrschaft über andere Vari­anten erlangt. Dies erk­lärt aber noch nicht, warum es ger­ade diese und nicht jene Norm ist, die sich durch­set­zt. Wieso gab und gibt es nach wie vor das Skin­head­bild von Recht­sex­tremen und wieso kom­men in der Beschäf­ti­gung mit dem The­ma Opfer/Diskriminierte und Alter­na­tiv­en so wenig vor? Welche Funk­tio­nen erfüllt dieses eingeschränk­te Bild?

Ich denke, dass die zen­trale Funk­tion sowohl des Täter_innenfokus als auch eingeschränk­ter recht­sex­tremer Bilder­wel­ten die Bestä­ti­gung des Sta­tus quo und die Abwehr ein­er tief­greifend­en und ern­sthaften Auseinan­der­set­zung mit Recht­sex­trem­is­mus und Ide­olo­gien der Ungle­ich­heit ist. Auf mögliche daran geknüpfte Funk­tio­nen gehe ich im Fol­gen­den ein.

Mögliche Funk­tio­nen des Täter_innenfokus: Begün­s­ti­gung von Herrschaft
Wenn Opfer/Diskriminierte von Recht­sex­tremen ange­grif­f­en wer­den, brauchen sie über einen lan­gen Zeitraum jede nur denkbare Unter­stützung. Sie lei­den und das scheint oft lang­weilig und unat­trak­tiv zu sein. Die Fasz­i­na­tion des Bösen/der Recht­sex­tremen und ihrer Macht ist oft größer. Die Ver­weigerung von Empathie und Unter­stützung kann Aus­druck eines sim­plen Bedürfniss­es nach Ruhe sein. Es kann auch die Abwehr ein­er Angst sein, selb­st in eine Posi­tion großer Ohn­macht und einen Opfer­sta­tus zu geraten.
Die Wahrnehmung von Opfern/Diskriminierten und ihrer Bedürfnisse erfordert die Anerken­nung staatlich und gesellschaftlich pro­duziert­er Ungle­ich­heitsver­hält­nisse. Das fängt bere­its mit dem Umstand an, dass man* sich mit Recht­sex­trem­is­mus nicht beschäfti­gen muss, wenn man* nicht unmit­tel­bar bedro­ht ist, Angsträume bleiben für Priv­i­legierte oft unsicht­bar (Ensinger / Kaletsch 2013, 30). Eben­so gelangt man* beim Nach­denken über Alter­na­tiv­en zum Recht­sex­trem­is­mus schnell an die Gren­zen des Beste­hen­den. In bei­den Fällen müsste über Kap­i­tal­is­mus nachgedacht, über staatlichen Ras­sis­mus gesprochen, insti­tu­tion­al­isiert­er Sozial­dar­win­is­mus hin­ter­fragt, die kul­turelle Tradierung des Anti­semitismus unter­brochen und het­ero­nor­ma­tive Zweigeschlechtlichkeit kri­tisiert wer­den ‒ und das ist nur eine sehr unvoll­ständi­ge Aufzählung.

Bezo­gen auf die Recht­sex­trem­is­mus­präven­tion geht die Förderung der Arbeit mit ‚recht­sex­trem­istisch gefährde­ten Jugendlichen‘ zu Las­ten zivilge­sellschaftlich­er Struk­turen gegen Rechts (Lau­mann 2014). Flankierende Main­streamdiskurse der let­zten Jahre waren und sind u. a. Jun­gen als Bil­dungsver­lier­er, ‚Ras­sis­mus gegen Weiße‘ und nicht zulet­zt das Ein­schwören auf ‚Deradikalisierung‘, die Antifaschis­mus per se unter Ver­dacht stellt (‚Extrem­is­ten von links‘) und auf der extrem­is­mus­the­o­retis­chen Grun­dan­nahme ein­er unbe­lasteten ‚Mitte‘ basiert. Mit diesen Diskus­sio­nen wer­den recht­sex­treme Ide­olo­gieele­mente bestärkt sowie Opfer/Diskriminierte und Alter­na­tiv­en ver­drängt (Feustel 2014, 78f.).

Die Begün­s­ti­gung indi­vidu­eller, struk­tureller und diskur­siv-kul­tureller Herrschaft ist immer ein Plus für den Recht­sex­trem­is­mus und ein Minus für die Opfer/Diskriminierten und die Alter­na­tiv­en. Wenn zusät­zlich diejeni­gen, die den Recht­sex­trem­is­mus bekämpfen, als ‚link­sex­trem‘ dif­famiert wer­den und Opfern/Diskriminierten vorge­hal­ten wer­den kann, zur ‚falschen Zeit‘ am ‚falschen Ort‘ mit dem ‚falschen Ver­hal­ten‘ gewe­sen zu sein, muss sich mit ein­er Kri­tik am Täter_innenfokus nicht weit­er beschäftigt werden.

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Mögliche Funk­tio­nen eingeschränk­ter Bilder­wel­ten: Schaf­fung max­i­maler Distanz
Als Inbe­griff des Bösen haftet Recht­sex­tremen eine Aura des Teu­flis­chen an. Hier geht es um die Kon­struk­tion als ‚das Andere‘ und die Schaf­fung max­i­maler Dis­tanz durch Abscheu. Recht­sex­treme wer­den als klar zu umreißende Gruppe von ‚Extremist_innen‘ geze­ich­net, die von ‚den Demokrat­en‘ und ‚unser­er Gesellschaft‘ abge­gren­zt wer­den. Es geht um Grup­pendis­tink­tion und eine ein­deutige Schei­dung: Der Main­stream der Gesellschaft hat damit nichts zu tun. Je mar­gin­al­isiert­er und gescheit­ert­er Recht­sex­treme gezeigt wer­den, umso mehr kön­nen sich nationale Gesellschaften und die viel zitierte ‚europäis­che Wert­ge­mein­schaft‘ ihrer Selb­st­bilder ver­sich­ern und sich ‚von denen‘ abgrenzen.

Würde ein real­is­tis­cheres Bild von Recht­sex­tremen abge­bildet, würde diese schein­bar klare Tren­nung in fließende Übergänge dif­fundieren. ‚Die Mitte‘ oder ‚die Demokrat­en‘ oder ‚die Österreicher_innen/ Engländer_innen/ Italiener_innen/ Rumän_innen/ Pol_innen/ …‘ wären als Gegen­satz zu ‚den Recht­sex­tremen‘ nicht halt­bar, es gibt Über­schnei­dun­gen, Par­al­le­len, wech­sel­seit­ige Bezug­nah­men und Dynamiken. Die Träger_innen des Recht­sex­trem­is­mus sind Men­schen, aber der Recht­sex­trem­is­mus ist nicht nur eine per­son­al­isierte Angele­gen­heit, son­dern er ist kom­plex­er: Er ver­weist auf eine bes­timmte Gesellschaftsstruk­tur, indi­vidu­elle wie kollek­tive Denk­tra­di­tio­nen, den Stand der Pro­duk­tivkraften­twick­lung, gesellschaftliche Umgangsweisen mit Krisen­phänome­nen, insti­tu­tion­al­isierte Herrschaft und der­gle­ichen mehr. Nation­al­staat­en und Kap­i­tal­is­mus, um nur zwei zu nen­nen, begün­sti­gen rechte Denk­for­men. All das lässt sich schw­er bebildern und geht im bomber­jack­en­tra­gen­den Skin­head nicht auf. In dessen Fig­ur wer­den alle sozialen und poli­tis­chen Zusam­men­hänge aus­geklam­mert, sie ist ein mythis­ches Bild.

Die bish­eri­gen Aus­führun­gen verdeut­lichen, warum sich wed­er wirk­lich mit den Opfern/Diskriminierten von Recht­sex­trem­is­mus beschäftigt wird, noch mit den Alter­na­tiv­en zum Recht­sex­trem­is­mus und auch nicht wirk­lich mit den Recht­sex­tremen sel­ber, da es sich bei ihnen, Main­stream-Logiken fol­gend, nur um eine kleine Min­der­heit han­delt, mit denen man* nichts zu tun hat und die an einem als ‚extrem­istisch‘ kon­stru­ierten Rand vor sich hin­tüm­peln. Dies erk­lärt sowohl den Täter_innenfokus als auch die eingeschränk­ten Bilder­wel­ten. Gän­zlich aus dem Blick ger­at­en zudem staatlich­es wie insti­tu­tionelles Handeln.

Teil III: Bildliche Alternativen
Meine Kern­these ist, dass die Dethe­ma­tisierung der Per­spek­tiv­en von Opfern/Diskriminierten ein­er­seits und Alter­na­tiv­en zum Recht­sex­trem­is­mus ander­er­seits den diskri­m­inieren­den Sta­tus quo sta­bil­isiert und, dass sich dies auch in Bildern nieder­schlägt. Da Bilder die Gesellschaft und nicht zulet­zt poli­tis­ches wie päd­a­gogis­ches Han­deln bee­in­flussen, fol­gt für mich daraus, dass wir (auch) andere Bilder benötigen.

Was wären Alternativen?
Eine gute Alter­na­tive ist ein Per­spek­tiven­wech­sel, um einen ein­seit­i­gen Täter_innenfokus nicht immer und immer wieder zu repro­duzieren. Ensinger und Kaletsch plädieren dafür, „die Täter­fix­ierung zu über­winden und die Analyse aus einem kon­se­quent die Opfer­per­spek­tive beach­t­en­den Fokus zu betreiben“ (Ensinger / Kaletsch 2013, 31).

Auf der Ebene von Bildern ist wichtig, bei der Sicht­bar­ma­chung von Ver­let­zun­gen und Bedro­hun­gen darauf zu acht­en, dass Opfer/Diskriminierte nicht ein­fach nur als Opfer gezeigt wer­den, da diese Form der Revik­timisierung den Opfer­sta­tus festschreibt und andere Umgangsweisen unsicht­bar bleiben, beispiel­sweise wenn Opfer/Diskriminierte sich gegen Diskri­m­inierung und Aus­gren­zung wehren. Es soll­ten also starke Bilder von Men­schen pro­duziert und gezeigt wer­den, die von Recht­sex­tremen poten­ziell ange­grif­f­en werden.

Die Per­spek­tive der Opfer/Diskriminierten doku­men­tiert die Tat­en der Täter_innen und mit dieser lässt sich sehen und nachempfind­en, was Recht­sex­trem­is­mus bedeuten kann, ohne dass Recht­sex­tremen und recht­sex­tremer Ide­olo­gie zu viel Raum gegeben wird. Aus ein­er solchen Per­spek­tive kann deut­lich wer­den, dass eine kleine Sache viel aus­lösen kann, die von jenen Men­schen, die nicht zum recht­sex­tremen Feind­bild gehören, in den meis­ten Fällen gar nicht erst wahrgenom­men wird. Ein recht­sex­tremer Aufk­le­ber an der Straßen­later­ne beispiel­sweise kann für jeman­den, der Ras­sis­mus erlebt, ein Bedro­hungs­ge­fühl und Unwohl­sein her­vor­rufen, eine Ein­schränkung im All­t­ag bedeuten und den Bewe­gungsra­dius einschränken.

Copyright: Udi Nir/Sagi Bornstein

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Ein auss­chließlich­er Fokus auf die Opfer/Diskriminierten kann allerd­ings auch Gefahr laufen, die Täter_innen und Zusam­men­hänge, die zum Opfer machen auszublenden. His­torisch betra­chtet ist das beispiel­sweise in der bun­des­deutschen Post-NS-Gesellschaft mit ihrem Philosemitismus lange Zeit der Fall gewe­sen und ist es teil­weise bis heute. Für die Post-NS-Täter_in­nenge­sellschaft war es leichter, sich mit Jüd_innen zu beschäfti­gen, den eige­nen Kindern jüdis­che Vor­na­men zu geben und Klezmer zu goutieren als eine kri­tis­che Täter_innenperspektive einzunehmen, die wesentlich unan­genehmer für das eigene Dasein gewe­sen wäre (Rom­melspach­er 1994, 42–45; Bode­mann 1996). Eine Kri­tik am Täter_innenfokus meint nicht, dass man* sich mit den Täter_innen gar nicht mehr beschäftigt. Es heißt lediglich, dass man* sich nicht nur mit den Täter_innen beschäftigt, son­dern auch.

Die Kri­tik an eingeschränk­ten Bilder­wel­ten impliziert, dass real­itäts­ge­treuere Bilder von Recht­sex­tremen und ihren Lebenswel­ten gezeigt wer­den kön­nten. Zum einen soll­ten Recht­sex­treme in ihrer Vielfalt und auch Wider­sprüch­lichkeit dargestellt wer­den, zum anderen sollte erhe­blich stärk­er als bish­er auf Inhalte einge­gan­gen wer­den. Weib­liche, intellek­tuelle, gebildete, erfol­gre­iche, wohlhabende, gewalt­delegierende, nicht organ­isierte, in ‚guten‘ Wohnge­gen­den lebende und/oder ältere Recht­sex­treme gilt es hier­bei ver­stärkt abzubilden.

Zum mul­ti­per­spek­tivis­chen Blick gehören als dritte Per­spek­tive auch die Alter­na­tiv­en zum Recht­sex­trem­is­mus. Ohne diese ist jedes Bemühen vergebens. Alter­na­tiv­en bedeutet im Kon­text von Rechtsextremismus(-prävention), die Macht der Täter_innen und des Recht­sex­trem­is­mus zu hin­ter­fra­gen, Auswege aufzuzeigen und gegen die Ohn­macht anzuge­hen – es geht auch anders! Alter­na­tiv­en sind ins­beson­dere linke, emanzi­pa­torische, demokratis­che, queere, anti­ras­sis­tis­che und antifaschis­tis­che Zusam­men­schlüsse, Orte, (Jugend-)Kulturen und Aktiv­itäten eben­so wie nicht-diskri­m­inierende Ver­hal­tensweisen, demokratis­che Inter­essen­vertre­tun­gen und Kon­flik­tlö­sungsstrate­gien (MBR / VDK 2006, 98–102). Diese ins Bewusst­sein zu rufen und bildlich darzustellen, ist ein wichtiger Aspekt von Rechtsextremismusprävention.

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Für eine gelun­gene Bilder­welt gegen Recht­sex­trem­is­mus sind demzu­folge erstens empow­ernde Bilder von Opfern/Diskriminierten, zweit­ens Bilder von und über Alter­na­tiv­en und drit­tens ein kri­tisch-real­is­tis­ch­er Blick auf Täter_innen nötig. Die Rei­hen­folge gibt auch die Pri­or­isierung an, ins­beson­dere wenn Ressourcen begren­zt sind. Diese Bilder­welt ste­ht im Kon­text ein­er all­ge­meineren Präven­tion, die dann gelun­gen ist, wenn sich für die Opfer/Diskriminierten von Recht­sex­trem­is­mus nach­haltig etwas zum Pos­i­tiv­en ändert (Ensinger / Kaletsch 2013, 31f.). Es geht um Täter_innenprävention, weil es um Opfer­präven­tion geht!

*Andreas Hech­ler wün­scht sich eine andere Bild­poli­tik im Kampf gegen Neon­azis­mus. Er ist wis­senschaftlich­er Mitar­beit­er und Bil­dungsref­er­ent bei Dis­sens — Insti­tut für Bil­dung und Forschung und Co-Her­aus­ge­ber des Sam­mel­bands ‚Geschlechter­reflek­tierte Päd­a­gogik gegen Rechts.

Der Artikel ist eine gekürzte und über­ar­beit­ete Fas­sung des gle­ich­nami­gen Artikels aus dem Sam­mel­band Geschlechter­reflek­tierte Päd­a­gogik gegen Rechts.

Lit­er­atur:

  • Amadeu Anto­nio Stiftung (2014): Recht­sex­treme Frauen – überse­hen und unter­schätzt. Berlin: Eigendruck.
  • Blome, Mathis/Manthe, Bar­bara [Hrsg.innen] (2014): Zum Erfolg ver­dammt. Bun­de­spro­gramme gegen Recht­sex­trem­is­mus. Düs­sel­dorf: Eigendruck.
  • Bode­mann, Y. Michal (1996): Gedächt­nisthe­ater. Die jüdis­che Gemein­schaft und ihre deutsche Erfind­ung. Ham­burg: Rot­buch Verlag.
  • Burschel, Friedrich/Schubert, Uwe/Wiegel, Gerd [Hrsg.] (2013): Der Som­mer ist vor­bei … Vom „Auf­s­tand der Anständi­gen“ zur „Extrem­is­mus-Klausel“: Beiträge zu 13 Jahren „Bun­de­spro­gramme gegen Rechts“. Mün­ster: Edi­tion Assemblage.
  • Ensinger, Tami/Kaletsch, Christa (2013): Die Bedeu­tung der Opfer­per­spek­tive für die Beratungsar­beit. In: beratungsNet­zw­erk Hes­sen – Mobile Inter­ven­tion gegen Recht­sex­trem­is­mus: Ein­blicke in die Prax­is. Wies­baden: Eigen­druck. S. 29‒32.
  • Feustel, Susanne (2014): Von der „Glatzenpflege auf Staatskosten“ zur Deradikalisierung als Konzept? In: Kul­tur­büro Sach­sen [Hrsg.]: Poli­tis­che Jugen­dar­beit vom Kopf auf die Füße. Dres­den: Eigen­druck. S. 67‒79.
  • Lau­mann, Vivien (2014): Die Bedeu­tung von Geschlecht in den Bun­de­spro­gram­men gegen Recht­sex­trem­is­mus. In: Blome/Manthe [Hrsg.innen]: Zum Erfolg ver­dammt. Düs­sel­dorf: Eigen­druck. S. 57‒60.
  • Mobile Beratung gegen Recht­sex­trem­is­mus in Berlin/Verein für Demokratis­che Kul­tur in Berlin e.V. [Hrsg.innen] (2006): Inte­gri­erte Hand­lungsstrate­gien zur Recht­sex­trem­is­mus­präven­tion und ‑inter­ven­tion bei Jugendlichen. Hin­ter­grund­wis­sen und Empfehlun­gen für Jugen­dar­beit, Kom­mu­nalpoli­tik und Ver­wal­tung. Berlin: Eigendruck.
  • Pörk­sen, Uwe (1997): Welt­markt der Bilder. Eine Philoso­phie der Visio­type. Stuttgart: Klett-Cot­ta Verlag.
  • Rad­van, Heike/Stegmann, Julia (2013): Doku­men­tar- und Spielfilme zum The­ma Recht­sex­trem­is­mus. Päd­a­gogis­che Über­legun­gen. In: Amadeu Anto­nio Stiftung [Hrsg.in]: „Film ab! – Gegen Nazis“. Berlin: Eigen­druck. S. 8‒16.
  • Rom­melspach­er, Bir­git (1994): Schuld­los – Schuldig? Wie sich junge Frauen mit Anti­semitismus auseinan­der­set­zen. Ham­burg: Konkret Lit­er­atur Verlag.
  • Stützel, Kevin (2013): Männlich, gewalt­bere­it und desin­te­gri­ert. In: Amadeu Anto­nio Stiftung/Radvan, Heike [Hrsg.innen]: Gen­der und Recht­sex­trem­is­mus­präven­tion. Berlin: Metropol Ver­lag. S. 211‒229.