Sommerlektüre Rechtsextremismus: Zum Geschlecht rechtsextremer Parteien

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Unser zwei­ter som­mer­li­cher Lek­türe­hin­weis auf ein Stan­dard­werk der (öster­rei­chi­schen) Rechts­extre­mis­mus­for­schung gilt einer 2002 in Buch­form ver­öf­fent­lich­ten Stu­die. Hel­ga Ames­ber­ger und Bri­git­te Halb­mayr unter­su­chen dar­in, gestützt auf Fall­stu­di­en aus fünf Län­dern, die Attrak­ti­vi­tät rechts­extre­mer Par­tei­en für Frau­en – als Wahl­op­ti­on wie auch als Feld für eige­ne poli­ti­sche Betä­ti­gung.

Hel­ga Amesberger/Brigitte Halb­mayr (Hg.innen), „Rechts­extre­me Par­tei­en – eine mög­li­che Hei­mat für Frau­en?“ (Opla­den: Leske+Budrich 2002, 434 S.)

Die Publi­ka­ti­on fußt auf einem am Wie­ner Insti­tut für Kon­flikt­for­schung ange­sie­del­ten, län­der­ver­glei­chen­den Pro­jekt. Die Zeit­his­to­ri­ke­rin­nen Hel­ga Ames­ber­ger und Bri­git­te Halb­mayr berei­ten in einem ein­lei­ten­den Bei­trag die theo­re­ti­schen und begriff­li­chen Grund­la­gen der Stu­die auf. Auf die­ser Basis erör­tern die fol­gen­den (Gast-)Beiträge die Situa­ti­on in fünf Län­dern anhand dort akti­ver Par­tei­en: Frank­reich (Front National/FN), Ita­li­en (Alle­an­za Nazionale/AN), Slo­wa­kei (Slovens­ká Národ­ná Strana/Slowakische Nationalpartei/SNS), Tsche­chi­en (Repu­bli­káns­ká Stra­na Československa/Republikanische Par­tei der Tsche­cho­slo­wa­kei/SPR-RSČ) und Öster­reich (FPÖ). Abschlie­ßend ver­glei­chen die Her­aus­ge­be­rin­nen die Situa­ti­on in den ein­zel­nen Län­dern und zie­hen „Kon­se­quen­zen für die (Frauen-)Politik – Gegen­stra­te­gien zum Rechts­extre­mis­mus“. Die Bei­trä­ge zu Frank­reich und zur Slo­wa­kei sind auf Eng­lisch abge­fasst, die rest­li­chen auf Deutsch. 

Posi­tiv her­vor­zu­he­ben sind bereits die Ein­bin­dung zwei mit­tel­ost­eu­ro­päi­scher Fall­stu­di­en zu einer Zeit (vor der EU-Ost­erwei­te­rung), als die Rechts­extre­mis­mus­for­schung in den EU-Län­dern die­sem Raum noch wenig Beach­tung schenk­te. Wäh­rend die­ser Umstand sich inzwi­schen doch geän­dert hat, ist ein wei­te­rer Miss­stand nach wie vor gege­ben: der Män­ner­über­hang im For­schungs­feld. Hier setzt das Buch mit neun Frau­en unter zehn Stu­di­en­au­torIn­nen bzw. ‑mit­ar­bei­te­rIn­nen einen erfreu­li­chen Kontrapunkt.


Hel­ga Ames­ber­ger / Bri­git­te Halb­mayr; „Rechts­extre­me Par­tei­en – eine mög­li­che Hei­mat für Frauen?“
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Die ein­zel­nen Bei­trä­ge wei­sen eine ein­heit­li­che Struk­tur auf, was Lese­rIn­nen den eigen­stän­di­gen Ver­gleich erheb­lich erleich­tert: zunächst wird die jewei­li­ge Par­tei hin­sicht­lich ihrer Geschich­te, ideo­lo­gi­schen Ver­or­tung, Wäh­le­rIn­nen und Struk­tu­ren vor­ge­stellt und dabei auch (über die Aus­ein­an­der­set­zung mit den von ihnen vor­ge­fun­den poli­ti­schen „oppor­tu­ni­ty struc­tures“) im grö­ße­ren Kon­text ihres gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Umfelds ver­or­tet. Danach wer­den Daten zum Anteil von Frau­en an Wäh­le­rIn­nen, Kan­di­da­tIn­nen und Funk­tio­nä­rIn­nen der Par­tei vor­ge­stellt. Über die blo­ße Inter­pre­ta­ti­on quan­ti­ta­ti­ver Daten hin­aus lie­fern die Bei­trä­ge auch eine Ana­ly­se der Par­tei­pro­gram­me unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung frau­en­po­li­ti­scher Aspek­te. Infor­ma­ti­ve Tabel­len run­den die Dar­stel­lung ab und ver­lei­hen den Ana­ly­sen Erdung in har­ten Daten.

Der abschlie­ßen­den Zusam­men­schau über die behan­del­ten Fäl­le ist zu ent­neh­men, dass alle fünf Par­tei­en stär­ker von Män­nern gewählt wer­den, wobei das Aus­maß das „gen­der gap“ erheb­lich dif­fe­riert. Bestä­ti­gung fin­det die Vor­an­nah­me, dass die von den Par­tei­en ver­te­te­nen Rol­len­bil­der – trotz einer gewis­sen Moder­ni­sie­rung – „im Prin­zip der biolog(isti)schen Argu­men­ta­ti­on ver­haf­tet blei­ben“ (S. 414). Rol­len und geschlecht­li­che Arbeits­tei­lung wer­den von ihnen natu­ra­liert – wobei Amesberger/Halbmayr fest­hal­ten, dass ent­spre­chen­de Zugän­ge auch in (kon­ser­va­ti­ven) Mit­te-Par­tei­en anzu­tref­fen seien. 

Einig sind die behan­del­ten Par­tei­en sich auch in der Pro­pa­gie­rung eines kon­ser­va­ti­ven Fami­li­en­mo­dells unter Ver­tei­di­gung der männ­li­chen Ernäh­rer­rol­le. Zum Teil wür­den dabei fami­li­en- mit bevöl­ke­rungs­po­li­ti­schen Erwä­gun­gen ver­knüpft – mehr „eige­ne“ Kin­der sol­len den Fort­be­stand der „auto­chtho­nen“ Gemein­schaft sichern. Über­ra­schen mag der Befund, dass Frau­en, die einem tra­di­tio­nel­len Rol­len­ver­ständ­nis anhän­gen, kei­ne über­durch­schnitt­li­che FPÖ-Affi­ni­tät hegen. Dies, obwohl die FPÖ mit den ande­ren unter­such­ten Par­tei­en eine anti­fe­mi­nis­ti­sche Grund­aus­rich­tung teilt.

Ein­drück­lich geschil­dert wird die für den Rechts­extre­mis­mus typi­sche Gleich­set­zung von Frau­en- und Fami­li­en­po­li­tik. „Über Frau­en wird nur als Ehe­frau­en und Müt­ter gespro­chen.“ (S. 416) Gleich­zei­tig lie­ßen zumin­dest ein­zel­ne Par­tei­en ein ver­stärk­tes Bemü­hen um Wäh­le­rin­nen erken­nen. Nicht zuletzt vor die­sem Hin­ter­grund wür­den Kan­di­da­tin­nen bzw. Funk­tio­nä­rin­nen ver­schie­dent­lich auch ein­ge­setzt, um den übli­cher­wei­se „rau­en, männ­li­chen, aggres­si­ven“ poli­ti­schen Stil des Rechts­extre­mis­mus zu kon­ter­ka­rie­ren und ihn so für weib­li­che Stimm­be­rech­tig­te attrak­ti­ver zu machen (S. 418). Der ange­spro­che­ne Stil schei­ne Frau­en als Wäh­le­rin­nen auf Distanz zu hal­ten – was auch erklä­re, wes­halb trotz gerin­ger Geschlech­ter­un­ter­schie­de auf der Ein­stel­lungs­ebe­ne im Stimm­ver­hal­ten häu­fig eine erheb­li­che Schief­la­ge fest­stell­bar sei. Die Moti­va­ti­on für Frau­en, rechts­extre­me Par­tei­en zu wäh­len, unter­schei­de sich näm­lich kaum von jener der Män­ner: geschlechts­über­gei­fend sei­en natio­na­lis­ti­sche und ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen maß­geb­li­che Motive.

Auch wenn inzwi­schen aktu­el­le­re Publi­ka­tio­nen mit ähn­li­cher The­men­stel­lung vor­lie­gen (wie etwa die­se online zugäng­li­che, kom­pak­te Bro­schü­re der Ama­deu-Anto­nio-Stif­tung, bie­tet das Buch auch heu­te noch eine infor­ma­ti­ve Lek­tü­re nicht nur zu Geschlech­ter­aspek­ten rechts­extre­mer Poli­tik, son­dern auch Auf­schlüs­se über ande­re sozio­struk­tu­rel­le, ideo­lo­gi­sche und polit-sti­lis­ti­sche Merk­ma­le des Rechtsextremismus. 

Link­tipp: For­schungs­netz­werk Frau­en und Rechts­extre­mis­mus.