Die entscheidende Frage ist: Was hat man unter einem „Medieninhaltsdelikt“ (nach § 1 Abs 1 Z 12 MedG) zu verstehen? Ist es einfach jedes mittels eines publizistischen Mediums begangene Delikt?
Dann hätten wir einen paradoxen Zustand: Wenn jemand in einem Zeitungsartikel bzw. in einem Leserbrief oder auf einem Webportal schreibt: Alle Türken gehören ins KZ, und dieser Jemand damit ein paar Zehntausend Menschen erreicht – dann betrüge die Verjährungsfrist für ein solches Verhetzungsdelikt nach § 32 MedG ein Jahr. Wenn er aber genau dieselbe verhetzende Äußerung auf einem Marktplatz vor ein paar Dutzend Menschen macht, dann betrüge die Verjährungsfrist (nach § 57 StGB (3)) fünf Jahre.
Da merkt doch jeder – aber offensichtlich nicht jeder Jurist –, dass da etwas nicht stimmen kann.
In der Tat kann man aus der Rechtsprechung des OGH ein ganz anderes (und viel sinnvolleres) Verständnis des Begriffs „Medieninhaltsdelikts“ erkennen. Denn nach der OGH Rechtssatznummer RS0109716 (Entscheidungstext OGH 08.05.2001 11 Os 53/01 – siehe ris.bka.gv.at) umschreibt der Begriff des „Medieninhaltsdelikts“ lediglich und ausschließlich „den (abstrakten) medialen Multiplikationseffekt …, der das Delikt charakterisiert, nicht aber die Handlung des Täters” (s Hanusch, Kommentar zum MedienG, § 1 Rz 27; Brandstetter/Schmid, Mediengesetz2 § 28 Rz 8). Ein Medieninhaltsdelikt stelle also, so der OGH, keinen eigenen Deliktstatbestand dar; die Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung durch den Inhalt eines Mediums sei vorsatzunabhängig, weil damit nicht die Handlung des Täters, sondern nur der mediale Multiplikationseffekt umschrieben werde. Die Legaldefinition des Medieninhaltsdelikts (§ 1 Abs 1 Z 12 MedG) beziehe sich somit grundsätzlich auf ein „Verhalten, das nur tatbestandsmäßig und rechtswidrig, nicht aber auch schuldhaft ist“.
In Einfachdeutsch: Man muss zwischen dem eigentlichen Delikt und der Verbreitungshandlung durch den Medienverantwortlichen unterscheiden. Ein Medieninhaltsdelikt ist – dem OGH zufolge – nicht schlechthin ein auf einem Medium begangenes Delikt (also etwa ein verhetzerisches Posting). Sondern es handelt sich um ein Delikt, das in der Verbreitung eines (anderen) Deliktes besteht. Man müsste deshalb die beiden Tatbilder – Verhetzung einerseits und deren mediale Verbreitung andererseits – juristisch klar unterscheiden.
Das eigentliche Delikt – die Tathandlung eines verhetzenden Postings nach § 283 StGB – hätte dann eine Verjährung der Strafbarkeit von fünf Jahren. Die mediale Verbreitungshandlung durch den Medieninhaber hingegen – also durch den Betreiber des Facebook-Accounts oder den Zeitungsherausgeber – würde hinsichtlich ihrer Strafbarkeit schon nach einem Jahr verjähren.
Ist ja auch logisch. Das Mediengesetz wurde noch in Vor-Internet-Zeiten gemacht, es hatte Zeitungen im Visier. Und da war es sinnvoll zu sagen: Wenn ein Jahr um ist, dann tun wir es uns nicht mehr an, die Zeitung wegen der Verurteilung eines solchen Delikts (Kommentar, Leserbrief etc.) einzuziehen. Das hat sich dann erledigt.
Nicht erledigt sollte sich freilich die eigentliche Tathandlung haben, also die verhetzende Äußerung (oder auch z.B. eine geschäftsschädigende verleumderische Behauptung). Deren Strafbarkeit müsste weiterbestehen, weil die Tat selbst nun einmal in die Welt gesetzt worden ist und sie – im Rahmen einer wesentlich längeren Verjährungsfrist – aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtseinheitlichkeit (gleiche Strafen für gleiche Taten) bestraft werden müsste.
Im vorliegenden Fall ist es also klar, dass die Staatsanwaltschaft die Anzeige gegen den Facebook-Accountbetreiber Dieter Egger nicht weiter verfolgt – eben wegen Verjährung der medialen Verbreitungshandlung nach einem Jahr, ganz nach Gesetz.
Doch dass auch die Ermittlungen gegen den eigentlichen Verhetzer eingestellt bzw. gar nicht erst aufgenommen wurden, ist abstrus. Diese Abstrusität kommt zustande, weil schlicht angenommen wird, der Begriff des „Medieninhaltsdelikts“ beziehe sich auch auf seine Tathandlung.
Hätte also dieser „Jean-Pierre Pressl“ seine verhetzende Äußerung unter freiem Himmel auf einem Vorarlberger Marktplatz gemacht, so wäre die Staatsanwaltschaft Feldkirch heute hinter ihm her (das beweisen diverse andere Verfahren wegen Verhetzung).
So aber hat „Jean-Pierre Pressl“ auf Dieter Eggers Facebook-Account ein ruhiges Platzerl gefunden. Und die Staatsanwaltschaft hält, weil schon ein Jährchen ins Land gezogen ist, die Geschichte für gegessen.
Ist sie aber nicht. Denn Juristen und Rechtspolitiker/innen werden sich überlegen müssen, warum es bei ein und demselben Verhetzungsinhalt einmal eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, ein andermal eine solche von nur einem Jahr gibt.
Und sie sollten bei dieser Gelegenheit den § 1 Absatz 1 Ziffer 12 Mediengesetz – „Medieninhaltsdelikt“ – genauer unter die Lupe nehmen.
Kurt Greussing
(Der Autor legt Wert auf die Feststellung, dass er kein Jurist ist.)