Verfassungsschutzbericht 2011 (I) : Zunahme der leeren Seiten

Das Bun­de­samt für Ver­fas­sungss­chutz und Ter­ror­is­mus­bekämp­fung (BVT) hat vor rund 10 Tagen seinen Ver­fas­sungss­chutzbericht 2011 (für das Beobach­tungs­jahr 2010) präsen­tiert. Rein quan­ti­ta­tiv hat der Bericht zugelegt: von 114 Seit­en auf 130 Seit­en. Aber das ist eine optis­che Täuschung! Deut­lich zugenom­men hat jeden­falls die Zahl der leeren Seit­en, die für Noti­zen gedacht sind, von 9 auf 13 Seit­en. Das Kapi­tel Recht­sex­trem­is­mus wurde von 12 auf 8 Seit­en ver­schlankt, der Link­sex­trem­is­mus von 8 auf 7 Seit­en. Dafür gibt es ein neues Kapi­tel „Kon­fronta­tionspoten­ziale im Bere­ich Links- und Recht­sex­trem­is­mus“. Alles nur Formalia?

Rechts – und Linksextremismus als ideologische Formel

Der Ver­fas­sungss­chutz hat auf die anhal­tende Kri­tik an seinen Ein­schätzun­gen reagiert. Seit Jahren steigen die Straftat­en der recht­sex­tremen Szene kon­tinuier­lich an, trotz­dem kon­sta­tierte das BVT jedes Jahr, dass sich die Aktiv­itäten nicht verän­dert hät­ten: „Die Aktiv­itäten der diversen recht­sex­tremen Organ­i­sa­tio­nen und die Zahl ihrer Mit­glieder bewegten sich auf dem Niveau der let­zten Jahre“, heißt es im Bericht 2011 beispielsweise.

Auch für das Bericht­s­jahr 2010 weisen die Sta­tis­tiken des BVT einen weit­eren Anstieg der angezeigten Straftat­en im Bere­ich Recht­sex­trem­is­mus aus (dazu noch später).

Rechts- und Link­sex­trem­is­mus sind für BVT und BMI nur zwei Seit­en ein­er Medaille. Auf poli­tis­ch­er Ebene entspricht das dem ide­ol­o­gis­chen Konzept der ÖVP, die seit Jahren das Innen­min­is­teri­um stellt, und sich gerne als die Partei der „Mitte“ präsen­tiert. Auf der insti­tu­tionellen Ebene des Ver­fas­sungss­chutzes kommt diese Posi­tion­ierung dadurch zum Aus­druck, dass für die Beobach­tung des Rechts- und Link­sex­trem­is­mus oft­mals die gle­ichen Per­so­n­en bzw. Abteilun­gen zuständig sind.

Quan­ti­ta­tiv und qual­i­ta­tiv sind Rechts- und Link­sex­trem­is­mus eigentlich nicht zu ver­gle­ichen. Für 2009 reg­istri­erte der Bericht im Bere­ich Link­sex­trem­is­mus 90 angezeigte Straftat­en, beim Recht­sex­trem­is­mus waren es 791.

Im Bericht 2011 wird die Sta­tis­tik Link­sex­trem­is­mus kräftig aufge­fet­tet. Das BVT dazu: „Das in den let­zten Jahren in Ver­wen­dung befind­liche Erfas­sungssys­tem link­sex­trem motiviert­er Tathand­lun­gen führte in der Prax­is zu Erfas­sungs­de­fiziten“. Das Resul­tat, die Besei­t­i­gung „evi­den­ter Unschär­fen“ bei der Erfas­sung ein­schlägiger Tathand­lun­gen, kann sich aus der Sicht des BVT sehen lassen: 340 Anzeigen, davon 281 nach dem Strafge­setz, wer­den für das Jahr 2010 gemeldet (2009: 90, 2008: 64). Für den Link­sex­trem­is­mus hat sich das BVT Kat­e­gorien ein­fall­en lassen, die beim Recht­sex­trem­is­mus nicht vorkom­men, jeden­falls nicht expliz­it erwäh­nt werden.


BVT: Quan­ti­ta­tiv unter­schiedliche Kri­te­rien, qual­i­ta­tiv gle­iche für Rechts- und Linksextremismus?
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Für eine qual­i­ta­tive Analyse fehlt die wichtig­ste Voraus­set­zung: eine Def­i­n­i­tion von Rechts- bzw. Link­sex­trem­is­mus! Wovon spricht das BVT, wenn es Rechts- bzw. Link­sex­trem­is­mus zu erfassen versucht?

Im Bericht 2011 find­en sich im neuen Kapi­tel „Kon­fronta­tionspoten­ziale im Bere­ich Links- und Recht­sex­trem­is­mus“ nur einige magere Anhaltspunkte:

  • „Fre­und-Feind-Stereo­type gehören zu den Struk­turmerk­malen extrem­istis­ch­er Weltan­schau­un­gen“, heißt es im Bericht, und weit­er: „Die jew­eili­gen Feind­bilder sind so kon­stru­iert, dass ein Kom­pro­miss zwis­chen dem eige­nen Leit­bild und dem frem­den Feind­bild nicht möglich ist“. Das bewirkt die näch­ste, vom BVT kon­sta­tierte Gemein­samkeit zwis­chen Links- und Rechtsextremismus:
  • „Gewalt gegen den Feind gilt als Gegenge­walt und Notwehr…Der jew­eilige Feind gilt als Bedro­hung der eige­nen Gruppe und darüber hin­aus als Gefahr für alle „guten“ Menschen.“
  • Mit diesen bei­den Merk­malen „Fre­und-Feind-Stereo­type“ und Bere­itschaft zur Gewal­tan­wen­dung“ aus­ges­tat­tet, operiert der Ver­fas­sungss­chutz im Bere­ich Rechts- und Link­sex­trem­is­mus! Damit würde ein großer Bere­ich recht­sex­tremer Strö­mungen und Hal­tun­gen nicht unter die Def­i­n­i­tion des BVT fall­en , weil ihnen etwa das offene Beken­nt­nis zur Gewalt fehlt. Selb­st Per­so­n­en, die nach dem NS-Ver­bots­ge­setz straf­fäl­lig oder auch verurteilt wer­den, sind in den aller­meis­ten Fällen nicht damit zu erwis­chen, dass sie die gewalt­same Errich­tung ein­er nation­al­sozial­is­tis­chen Herrschaft und / oder die gewalt­same Auss­chal­tung ihrer Geg­n­er einfordern!

    Ver­mut­lich wür­den bei dieser defin­i­torischen Armut des BVT auch die Recht­sex­trem­istIn­nen von Job­bik und ihre paramil­itärisch organ­isierten Trup­pen, die sich ja gerne als Hil­f­spolizei oder Ord­nungstrupp beschreiben, unter der Wahrnehmungss­chwelle bleiben!

    Das eigentliche Prob­lem aber ist, dass mit der dürfti­gen Formel des BVT zwar jen­er Extrem­is­mus, der am Beispiel Breiviks häu­fig als ein Extrem­is­mus aus der „Mitte der Gesellschaft“ beschrieben wird, mit­definiert wäre, aber nicht beschrieben bzw. beobachtet wird! Damit sind jene Strö­mungen gemeint, die ‑zwis­chen christlich fun­da­men­tal­is­tis­chen Posi­tio­nen und offen­em Recht­sex­trem­is­mus oszil­lierend — sich vor allem über ihre strik­te Ablehnung von Zuwan­derung und Islam beschreiben und Gewalt ver­bal, aber auch tat­säch­lich befürworten.