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Hitlers Ehrenbürgerschaften (II): Spezialfall Niederösterreich

Amstet­ten hat lan­ge zuge­war­tet mit der Aberken­nung, obwohl die Ehren­bür­ger­schaft Hit­lers seit eini­gen Jah­ren bekannt war. Waidhofen/Ybbs, das eben­falls eine Ehren­bür­ger­schaft für Hit­ler im Gepäck hat, hat sich bis zuletzt auf ein Gut­ach­ten des Lan­des Nie­der­ös­ter­reich beru­fen, wonach Ehren­bür­ger­schaf­ten mit dem Tod der Geehr­ten erlö­schen wür­den. Die Rea­li­tät ist eine ande­re. Puchen­stu­ben (Bez. Scheibbs NÖ) […]

11. Jun 2011

Puchen­stu­ben (Bez. Scheibbs NÖ) hat sich 2003 anders ent­schie­den und Hit­ler die Ehren­bür­ger­schaft aberkannt. War­um ent­schei­den sich die einen, sobald sie mit der Ver­gan­gen­heit kon­fron­tiert wer­den, sofort für die Aberken­nung der Ehren­bür­ger­schaft, wäh­rend die ande­ren dazu erst durch die Öffent­lich­keit genö­tigt wer­den müs­sen? Wir wis­sen es nicht, aber die Ver­mu­tung liegt nahe, dass da noch mehr im Spiel war als die recht­li­che Ein­schät­zung, dass eine Ehren­bür­ger­schaft ohne­hin mit dem Tod erlösche.

Angeb­lich gibt es ein Gut­ach­ten des nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Ver­fas­sungs­diens­tes, das die Rechts­auf­fas­sung stüt­zen soll, dass eine Ehren­bür­ger­schaft nur bis zum Tod des Betrof­fe­nen wir­ke, eine Aberken­nung post­hum daher nicht mög­lich sei. Hät­te der NÖ-Ver­fas­sungs­dienst nur in den eige­nen Geset­zes­be­schlüs­sen geblät­tert, dann wüss­te er, dass das nicht stim­men kann. Im Jahr 1965 wur­de bei der Beschluss­fas­sung über die nie­der­ös­ter­rei­chi­sche Gemein­de­ord­nung in den Über­gangs- und Schluss­be­stim­mun­gen im Para­graph 98 ein kur­zer Absatz ein­ge­fügt, wonach das Gesetz über den Wider­ruf von Ehren­bür­ger­schaf­ten aus dem Jahr 1938 außer Kraft tritt.

Die Nazis und ihre Ehrenbürgerschaften

Die Nazis hat­ten schon in den ers­ten Tagen nach der Okku­pa­ti­on Öster­reichs am 12. März 1938 alle Macht- und Schlüs­sel­stel­len über­nom­men, die Bür­ger­meis­ter des Aus­tro­fa­schis­mus durch fes­te Nazis als pro­vi­so­ri­sche Bür­ger­meis­ter oder Gemein­de­ver­wal­ter ersetzt. Gemein­de­rä­te, die schon im Aus­tro­fa­schis­mus nicht mehr gewählt wur­den, son­dern aus den „Stän­den“ zusam­men­ge­setzt wur­den, gab es über­haupt nicht mehr. Vor allem die ers­ten Wochen nutz­ten die Nazis, um mit dem ver­hass­ten Regime des Stän­de­staa­tes (Aus­tro­fa­schis­mus) auf­zu­räu­men. In vie­len Gemein­den wur­den die alten Ehren­bür­ger­schaf­ten sofort auf­ge­ho­ben, sodass sich Gau­lei­tung und Lan­des­haupt­mann­schaft ver­an­lasst sahen, die Sache mit einem Dekret zu legi­ti­mie­ren, zugleich aber auch vor der „unbe­grün­de­ten Ent­zie­hung“ zu warnen

Die Nazi-Gemein­de­ver­wal­ter über­schlu­gen sich gera­de­zu damit, ihren Eifer und die Begeis­te­rung für Hit­ler und das Nazi-Regime zu doku­men­tie­ren. Eine der Groß­ta­ten der Nazi-Bür­ger­meis­ter bestand etwa dar­in, Hit­ler-Eichen, manch­mal auch Anschluß-Eichen zu pflan­zen. In den aller­ers­ten Tagen wur­den bereits die Haupt­plät­ze selbst der kleins­ten Ort­schaf­ten in Adolf-Hil­ter-Plät­ze umbe­nannt, in den Wochen dar­auf folg­ten Umbe­nen­nun­gen auch ande­rer Plät­ze und Stra­ßen nach füh­ren­den Nazis.


„Hit­le­rei­chen” I, II & III

In die­sen ers­ten Wochen fan­den sich auch die Gemein­de­ver­wal­ter des Bezir­kes Neu­leng­bach zusam­men und fass­ten den Beschluss, alle Ehren­bür­ger­schaf­ten an Poli­ti­ker und „Abkömm­lin­ge des frü­he­ren Kai­ser­hau­ses“ ab 1934 auf­zu­he­ben. Der ohne­hin schon eigen­ar­ti­ge Sam­mel­be­schluss, der ohne Nen­nung der auf­ge­ho­be­nen Ehren­bür­ger­schaf­ten im ein­zel­nen erfolgt, wird noch kurio­ser, weil die Gemein­de­ver­wal­ter gleich­zei­tig auch ver­fü­gen, dass Hit­ler in allen Gemein­den des Bezir­kes Neu­leng­bach Ehren­bür­ger wird.

Die Anbo­te für Ehren­bür­ger­schaf­ten und Stra­ßen­be­nen­nun­gen dürf­ten so gewu­chert haben, dass sich der dama­li­ge Gau­lei­ter und Reichs­statt­hal­ter der Ost­mark, Josef Bürckel ver­an­lasst sah, den Rah­men wie­der etwas enger zu zie­hen. In wie vie­len Gemein­den Nie­der­ös­ter­reichs damals alte Ehren­bür­ger­schaf­ten aberkannt und neue zuer­kannt wur­den, ist viel­fach nicht über die Gemein­de­ar­chi­ve rekon­stru­ier­bar, weil sie ent­we­der ver­schwun­den sind bzw. ent­sorgt wur­den. Ob sich alle Nazi-Gemein­de­ver­wal­ter über­haupt die Mühe gemacht haben, ihre Ab- und Zuer­ken­nun­gen schrift­lich fest­zu­hal­ten, wird eben­falls kaum zu rekon­stru­ie­ren sein.

Toter Aus­tro­fa­schist ist 1965 wie­der Ehren­bür­ger geworden

Der Geset­zes­be­schluss von 1965 sieht jeden­falls vor, dass das Dekret der Lan­des­haupt­mann­schaft aus 1938 auf­ge­ho­ben wird und so alle zwi­schen 1933 und 1938 zuer­kann­ten Ehren­bür­ger­schaf­ten wei­ter gel­ten. Wie die NÖN (31.5. 2011) her­aus­fand, galt das auch für Tote: Der bereits 1956 ver­stor­be­ne Rüdi­ger Starhem­berg, Aus­tro­fa­schist und Füh­rer der Starhem­berg­schen Sturm­scha­ren, wur­de 1965 so wie­der post­hum zum Ehren­bür­ger von Waidhofen/Ybbs. Das mag auch den Wider­wil­len von Waid­ho­fen erklä­ren, Hit­ler die Ehren­bür­ger­schaft abzu­er­ken­nen; schließ­lich ist ja auch die Fra­ge legi­tim, war­um der Aus­tro­fa­schist Rüdi­ger Starhem­berg Ehren­bür­ger von Waid­ho­fen sein soll. Kom­pli­ziert ist es auch mit der Ehren­bür­ger­schaft für Hit­ler, die die Gemein­de Döl­lers­heim 1938 ver­lie­hen hat. Döl­lers­heim wur­de durch die Gemein­de­re­form 1964 in Pöl­la ein­ge­mein­det. Wur­de dadurch die Ehren­bür­ger­schaft für Hit­ler mit­über­nom­men? Recht­lich wird die­se Fra­ge ver­mut­lich nicht so ein­fach zu lösen sein. Es geht aber in ers­ter Linie nicht um eine recht­li­che Wür­di­gung, son­dern um den scho­nungs­lo­sen, offe­nen Umgang mit der eige­nen Geschich­te. Jede Gemein­de ist gut bera­ten, sich dabei nicht auf irgend­wel­che Behaup­tun­gen oder Gut­ach­ten zu ver­las­sen, son­dern auf die eige­ne Aufarbeitung.

➡️ Hit­lers Ehren­bür­ger­schaf­ten (I)
➡️ Die Ehren­bür­ger­schaf­ten der Nazis (Teil III)

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