Amstetten (NÖ): Alle gegen Ehrenbürger Hitler – FPÖ nicht

Plöt­zlich ging alles sehr schnell: Der Gemein­der­at von Amstet­ten trat am Dien­stag zu ein­er Sitzung zusam­men und beschloss über einen Dringlichkeit­santrag den Wider­ruf der Ehren­bürg­er­schaft für den „Dik­ta­tor und Ver­brech­er“ Adolf Hitler. Ein­stim­mig? Nein, denn die Frei­heitlichen enthiel­ten sich der Stimme.

Die FPÖ Amstet­ten argu­men­tierte ihre Hal­tung mit der Direk­tive 38 des Alli­ierten Kon­troll­rates aus dem Jahr 1946, in der in Artikel VIII, Zif­fer 2. In dieser Direk­tive heißt es zu den Hauptschuldigen des Nazi-Regimes: „i) Sie ver­lieren alle ihnen erteil­ten Appro­ba­tio­nen, Konzes­sio­nen und Vor­rechte sowie das Recht, ein Kraft­fahrzeug zu halten.“

Bloß: Der Alli­ierte Kon­troll­rat fasste seine Beschlüsse für Deutsch­land. Öster­re­ich hat­te – und das dürfte der FPÖ Amstet­ten ent­gan­gen sein – ab April1945 eine Pro­vi­sorische Regierung, die die Selb­st­ständigkeit und Lostren­nung von Deutsch­land proklamierte. Für Öster­re­ich war die „Alli­ierte Kom­mis­sion“ zuständig. Die Direk­tive 38 wurde übri­gens 1955 für die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land außer Kraft geset­zt. Die deutschen Kom­munen, die Hitler die Ehren­bürg­er­schaft ver­liehen hat­ten (es waren an die 4.000), haben fast voll­ständig Beschlüsse zur Aberken­nung der Ehren­bürg­er­schaft gefasst.

Das Prob­lem der FPÖ 2011 ist nicht die Direk­tive 38 aus 1946 für Deutsch­land oder die Rechtsmei­n­ung, dass eine Ehren­bürg­er­schaft ohne­hin mit dem Tod erlis­cht, son­dern ihr Ver­hält­nis zum NS-Regime. Das Prob­lem der Gemein­deoberen von Amstet­ten ist ein anderes: das Ver­drän­gen, Ver­harm­losen und Wegsehen.

In der Debat­te um die Aberken­nung der Ehren­bürg­er­schaft wurde der Über­bringer der Nachricht, der Grün­man­datar Raphael Lueger von den anderen Parteien dafür geprügelt, dass er auf die Ehren­bürg­er­schaft Hitlers hingewiesen hat.

Die Feigheit von SPÖ und ÖVP

Aus­gerech­net die SPÖ-Kul­turstadträtin Königs­berg­er-Lud­wig (sie ist auch Nation­al­ratsab­ge­ord­nete) machte kein Geheim­nis aus der Hal­tung der SPÖ: „Er hat wegen ein­er pop­ulis­tis­chen schnellen Botschaft in den Zeitun­gen großen Schaden für Amstet­ten angerichtet. Er hat nichts aufgedeckt. Es war kein Geheim­nis, dass Hitler die Ehren­bürg­er­schaft ver­liehen wor­den war.“ (NÖN, 24.5.2011) Die Sätze muss man sich auf der Zunge zerge­hen lassen: eine „schnelle“ Botschaft 65 Jahre danach, „kein Geheim­nis“ … SPÖ und ÖVP haben nur deshalb gehan­delt, weil sie einen weit­eren Imageschaden befürchtet haben. Der ÖVP-Vize­bürg­er­meis­ter sorgte sich um die großen, weltweit operieren­den Unternehmen mit Sitz in Amstet­ten: Wie kom­men sie dazu, sich für etwas ver­ant­worten zu müssen, was mit ihnen nichts zu tun hat?“ (NÖN, 24.5.11) Wie kom­men die Amstet­tner dazu, so feige Gemein­derätIn­nen ertra­gen zu müssen?

1995 hat­ten junge His­torik­er ver­sucht, sich mit der Ver­gan­gen­heit Amstet­tens in Form ein­er Ausstel­lung auseinan­derzuset­zen. Der His­torik­er Zeillinger schreibt dazu in der „Presse“ vom 7.3.2009:

Als wir unsere zeit­geschichtliche Ausstel­lung auf dem Haupt­platz von Amstet­ten eröffneten, wur­den wir von einem FPÖ-Man­datar fotografiert. Die Bilder wollte er später ein­mal — ‘nach der Wende’  –, so sagte er, seinen Enkelkindern zeigen, als Beweis, dass er 1995 ‚auf der anderen Seite’ ges­tanden sei. Ob Herr K. seinen Enkerln schon die Fotos gezeigt hat, triumphierend?

Es waren bewegte Jahre damals in Amstetten.

Es war nicht so schlimm, es war ganz anders! Wirk­lich? 1995 gab es, so Thomas Huber von den Grü­nen, schon einen Ver­such, Hitler die Ehren­bürg­er­schaft abzuerken­nen: „Da wurde es immer abgewürgt.“ (NÖN, 24.5.11)

1996 ver­sucht­en die Grü­nen, ein Mah­n­mal für die Opfer des Nation­al­sozial­is­mus durchzuset­zen. Immer­hin beherbergte die Gemeinde jüdis­che Bürg­erIn­nen, die ver­trieben und ermordet wur­den und auch zwei Außen­lager des KZ Mau­thausen. Als ein Gemein­der­at der Grü­nen über das Schick­sal von Amstet­tner Juden und im beson­deren das ein­er Fam­i­lie, von der Vater, Mut­ter und Tochter ver­schleppt und ermordet wor­den waren, referierte, bemerk­te der ÖVP-Man­datar Ebn­er dazu: „Der Sohn lebt heute noch in Amstet­ten. So schlimm kann es damals also nicht gewe­sen sein.“ (Kuri­er, 10.7.1996) Zur Recht­fer­ti­gung fiel dem Man­datar beze­ich­nen­der­weise nur ein: Ich bin kein Juden­has­s­er, ich hab‘ ihnen im Krieg Brot zugesteckt.“ Später kam dann auch noch hinzu: „[I]ch sehe auch keinen Sinn darin, diese Dinge nach 50 Jahren wieder aufzurühren.“ Das Mah­n­mal wurde nicht errichtet.

Herr K., der fotografierende FPÖ-Man­datar, der schon damals von der Wende träumte, wurde im „pro­fil“ noch mit anderen Sprüchen zitiert:

Vor drei Wochen, bei einem City-Fest in Amstet­ten, rümpften nur noch die Hon­o­ra­tioren der geg­ner­ischen Parteien die Nase, als Kashofer öffentlich kund­tat, er „ver­wahre sich gegen die Umvolkung des Amstet­tner Haupt­platzes”. Denn dort gebe es, so der Arzt im Tra­cht­en­janker, nur noch ein Wirtshaus, aber ein Chinarestau­rant und mehrere Pizze­rien. Was Kashofer aber am meis­ten ver­ab­scheut, ges­tand er den „Amstet­tner Stadt­nachricht­en”: „den Voraus­ge­hor­sam der Sühnedeutschen”. (pro­fil, 12.3.1995)

Auch Brigitte Kashofer, die damals für die frei­heitlichen LehrerIn­nen kan­di­dierte, äußerte in einem Flug­blatt der „Aktion­s­ge­mein­schaft Unab­hängiger und Frei­heitlich­er“ (AUF) 1995 ähn­liche Posi­tio­nen: „[N]och heute wer­den die Kriegsver­lier­er pausen­los zu ein­seit­igem Schuld­beken­nt­nis aufge­fordert, während in Vergessen­heit gerät, dass Eng­land den Krieg begonnen“ hat. Das NS-Ver­bots­ge­setz beurteilte Brigitte Kashofer damals so: „[S]icherheitshalber wurde das Ver­bots­ge­setz erlassen, um die Gebilde­ten unter den Kri­tik­ern mund­tot zu machen.“

Die Sprüche der Frau Kashofer wur­den ein­hel­lig verurteilt, damals auch von der FPÖ. Brigitte Kashofer wurde wegen des braunen Flug­blatts sog­ar aus der AUF und der FPÖ aus­geschlossen, der Lan­dess­chul­rat leit­ete ein Diszi­pli­narver­fahren gegen sie ein: „Auch eine strafrechtliche Prü­fung werde über­legt, teilte der nö. Lan­dess­chul­rat mit.“ (SN, 30.6.1995) Heute ist Brigitte Kashofer wieder FPÖ-Mit­glied. Sie ist sog­ar Stadträtin und Vor­sitzende der FPÖ in Amstet­ten, und unter ihrem Namen erscheinen weit­er irreführende Postings.

2009 schreibt der His­torik­er Ger­hard Zeillinger seinen lesenswerten Essay „F wie Amstet­ten“ für die „Presse“. Wieder keine Reak­tion – nur die FPÖ erin­nert sich später daran und protestiert, dass ein „Nest­beschmutzer“ mit Arbeit­en zum Jubiläum­s­jahr „900 Jahre Amstet­ten“ beauf­tragt wird. 2011, im Jubiläum­s­jahr, dann die Empörung über das „angepatzte“ Jubiläum. Der Gemein­der­at fällt trotzig seinen Beschluss über die Aberken­nung der Ehren­bürg­er­schaft, Bürg­er­meis­ter Katzen­gru­ber will noch weit­ere Unter­la­gen zu Paul Scher­pon, dem Vize­bürg­er­meis­ter und früheren SS-Mann, ein­holen, um über dessen Ehren­bürg­er­schaft zu urteilen. Soll sein, auch wenn’s schon jet­zt klar ist!

Amstet­ten hat noch und ger­ade im Jubiläum­s­jahr eine Chance, reinen Tisch zu machen mit sein­er Nazi-Ver­gan­gen­heit. Ein Schul­pro­jekt aus dem Jahr 1998 kön­nte dabei helfen: Damals haben Schü­lerIn­nen der Höheren Lehranstalt für Wirtschaft (HLW) die Straßen­züge von Amstet­ten durch­forstet. Von den damals 222 Straßen­zü­gen waren lediglich drei nach Frauen und kein­er nach Wider­stand­skämpferIn­nen oder ver­triebe­nen jüdis­chen Bürg­erIn­nen benan­nt. (Kuri­er, 6.6.1998)

Siehe auch: Ehren­bürg­er Hitler