Erich F. musste seine Haftstrafe nicht antreten, weil ihm ein Gutachten eine organisch bedingte Persönlichkeitsstörung und Klaustrophobie attestierte. Als diese Vorgeschichte publik wird, meldet sich das BZÖ mit einer etwas hektisch formulierten Presseaussendung zu Wort:
„Angesichts des aktuellen Kinderschänder-Falles aus Niederösterreich stellt das BZÖ klar, dass Herr Erich F. kein Mitglied des BZÖ ist oder jemals war, ansonsten F. bei bekannt werden [sic!] der Vorwürfe selbstverständlich sofort ausgeschlossen worden wäre.“ (APA OTS, 10.5.2011)
Nun, Mitglied des BZÖ war Erich F. vielleicht nicht, aber Kandidat für die Nationalratswahlen 2008. F., der sich zuletzt als Personal-Motivations- und Mentaltrainer vorstellte und auch „Privatunterricht für Kinder und Jugendliche, Heil- und Sportmassage“ anbot, kandidierte damals auf einer nicht besonders ausssichtsreichen Position für das BZÖ in Niederösterreich.
Anfang September 2008 dürfte das BZÖ NÖ von den Vorwürfen gegen Erich F. erfahren haben. Da war schon zwei Jahre gegen F. ermittelt worden. Der Prozess fand dann Anfang Oktober 2008, wenige Tage nach der Nationalratswahl, statt. Das BZÖ versuchte noch, F. von der Wahlliste streichen zu lassen. Ohne Erfolg, Erich F. blieb auf der Wahlliste, erhielt allerdings nur eine Vorzugsstimme.
Interessant ist, wie das BZÖ damals mit dem bevorstehenden Prozess gegen F. umging: „Es muss ein Kuckucksei sein, das uns gelegt wurde“, erklärte die damalige Landesgeschäftsführerin des BZÖ, Christine Döttelmayer (Kurier, 11.9.08). Wenige Tage zuvor, in der TV-Debatte zur Nationalratswahl, attackierte BZÖ-Chef Jörg Haider den Spitzenkandidaten der Grünen, Alexander van der Bellen damit, dass für die Grünen Tiere offensichtlich wichtiger seien als Menschen: „Die Grünen haben immer dagegen gestimmt, wenn wir härtere Strafen für Kinderschänder gefordert haben.“ (Österreich, 5.9.2008)
Die Vorgangsweise erinnert an den Nationalratswahlkampf 2006. Damals hatte das BZÖ während des Wahlkampfs (BZÖ-Slogan „Wir sind die Kinderschutzpartei“) erfahren, dass es Vorwürfe bzw. Vorerhebungen der Justiz wegen Unzucht mit Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses gegen einen halbprominenten Wahlkampfhelfer des BZÖ gibt: „In einer Krisensitzung des ‚Wahlkampfaussschusses‘ des BZÖ“ (News, 30.4.2008) wurde der Helfer damals zur Rede gestellt, legte, so der damalige BZÖ-Generalsekretär Gerald Grosz, ein Dokument vor, „das die Vorwürfe widerlegte“, worauf der Wahlkampf mit dem Helfer fortgesetzt wurde. Die öffentliche Reaktion des BZÖ erfolgte unmittelbar nach der vertraulichen Krisensitzung: eine dringliche Debatte im Parlament zum Thema Kinderschändung und Pädophilie, bei der vor allem SPÖ und Grüne wegen ihrer angeblich laxen Haltung angegriffen wurden.
Der damalige Wahlkampfhelfer des BZÖ wurde zuletzt Ende Jänner 2011 vom Vorwurf des Missbrauchs nach einem langwierigen und komplizierten Verfahren freigesprochen, weil „begründete Zweifel“ an der Darstellung des fünfjährigen Opfers bestünden. Wegen Betrugs und Untreue war er zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hat sich damals weitere Rechtsmittel vorbehalten. (Standard, 1.2.2011)
Die Schuld oder Unschuld des Wahlkampfhelfers von 2006 bzw. des verurteilten Kandidaten von 2008 ist nicht unser Thema, sondern wie das BZÖ in beiden Fällen damit umgegangen ist. Das Wissen um mögliche Verfehlungen wurde sofort in eine Attacke („Kuckucksei“, Kampagne für härtere bzw. lebenslange Strafen für Kinderschänder) umgemünzt.
Siehe auch: FPÖ & Kriminalität – Die Partei der „Saubermänner”