Dieter Egger (FPÖ) & Co: Blaue Hetze aus der MottenkisteLesezeit: 5 Minuten

Der Vor­arl­ber­ger FPÖ-Chef Die­ter Egger ver­öf­fent­licht auf sei­nem per­sön­li­chen Face­­book-Kon­­­to einen Leser­brief aus der Kro­nen­zei­tung. Unter dem Titel „Lie­be Tür­ken“ hetzt da ein Fried­rich Leiss­er gegen alle Tür­ken. Das kommt gut an bei den blau­en FB-Freun­­den von Egger. Nicht zum ers­ten Mal, denn der Leser­brief ist alt, sehr alt, die Het­ze funk­tio­niert aber wie neu. „Gedan­ken […]

23. Okt 2014

„Gedan­ken eines Bür­gers. Wie wahr!“, kom­men­tiert Egger knapp den fak­si­mi­lier­ten Leser­brief aus der „Kro­ne“. Ein Datum fehlt – aus gutem Grund. Der Inhalt des Leser­briefs kon­tras­tiert völ­lig mit dem Titel bzw. der Anre­de „Lie­be Tür­ken!“. Wer da noch meint, der Schrei­ber des Leser­briefs wol­le einen Dia­log, ein Gespräch mit den „lie­ben Tür­ken”, liegt kom­plett falsch. Der Inhalt, teil­wei­se in Fra­gen geklei­det, ist voll von pau­scha­li­sie­ren­den Unter­stel­lun­gen. Das beginnt schon mit der ein­lei­ten­den Fra­ge: „Was ist es, das Euch unser schö­nes Land so ver­ach­ten lässt?“ — Alle Tür­ken ver­ach­ten Öster­reich, das ist die tota­li­sie­ren­de Unter­stel­lung, die in den fol­gen­den Sät­zen fort­ge­setzt und aus­ge­malt wird:

Für die land­schaft­li­che Schön­heit habt Ihr kein Auge, für unse­re Kul­tur habt Ihr kei­nen Sinn, für unse­re Men­schen wei­gert Ihr Euch, Ver­ständ­nis auf­zu­brin­gen, unse­re Män­ner sind Ungläu­bi­ge, unse­re Töch­ter sind leich­te Mäd­chen. Wie mir eini­ge von Euch auf den Kopf zusag­ten, kommt Ihr wegen unse­rer Sozi­al­leis­tun­gen und der Verdienstmöglichkeiten.

Die Öster­rei­cher („unse­re Men­schen“) wer­den in den fol­gen­den Sät­zen in den wärms­ten Tönen geschil­dert. Wer sich in frei­heit­li­chen Foren umsieht oder FPÖ-Poli­tik beob­ach­tet, kennt ein ande­res Öster­reich als das geschil­der­te: „Wir ändern Ver­ord­nun­gen, damit Ihr Eure Gewohn­hei­ten auch bei uns leben könnt. Wir tre­ten man­cher­orts für Euch zurück, um es für Euch hier bei uns lebens­wer­ter zu machen.“ – Ach wirk­lich? Stich­wort „Daham statt Islam“ oder Bau von Moscheen!

Der Poli­to­lo­ge Rein­hold Gärt­ner von der Uni­ver­si­tät Inns­bruck hat den Leser­brief von Leiss­er als „ganz stark in eine ras­sis­ti­sche Rich­tung“ gehend cha­rak­te­ri­siert und in einem Inter­view mit dem ORF Vor­arl­berg so charak­tie­ri­siert: „Eine eth­nisch defi­nier­te Bevöl­ke­rungs­grup­pe wer­de mit nega­ti­ven Zuschrei­bun­gen cha­rak­te­ri­siert und zudem bio­lo­gi­siert, indem man von einem Volk spre­che. Der Autor stellt in sei­nem Leser­brief etwa fest, dass alle Tür­ken Öster­reich verachteten.“

Als Ras­sist will Egger dann aber doch nicht gel­ten. In einer wei­te­ren Stel­lung­nah­me, die er auch auf sei­nem Poli­ti­ker-Kon­to auf Face­book ver­brei­tet, behaup­tet er, nie­mals davon gespro­chen zu haben, dass alle Tür­ken Öster­reich ableh­nen wür­den. Natür­lich hat er! Wie lau­te­te sein knap­per Kom­men­tar zu dem Hetz­brief von Leiss­er? „Wie wahr!“

Aber war­um ver­öf­fent­licht Egger den Leser­brief von Leiss­er, ohne das Datum der Ver­öf­fent­li­chung in der „Kro­ne“ anzu­ge­ben? Weil der Leser­brief aus dem Jahr 2009 stammt und in der „Kro­ne“ am 25.9. 2009 ver­öf­fent­licht wurde?


Kro­ne-Leser­brief, ver­öf­fent­licht am 25. Sep­tem­ber 2009

Hat Die­ter Egger damals vor fünf Jah­ren den Leser­brief aus der „Kro­ne“ aus­ge­schnip­selt und in sei­ner Brief­ta­sche ver­wahrt, um ihn bei der erst­bes­ten Gele­gen­heit, die sich lei­der erst fünf Jah­re spä­ter ein­stell­te, zu ver­öf­fent­li­chen? Weil er ihm damals so gut gefal­len hat, aber jetzt doch nicht mehr so ganz?

Ziem­lich sicher nicht! Denn der Leser­brief kur­siert bei den FPÖ-Spit­zen wie ein Wan­der­po­kal. Nach sei­ner Erst­ver­öf­fent­li­chung in der „Kro­ne“ tauch­te er am 7. April 2013 auf dem FB-Kon­to von Heinz-Chris­ti­an Stra­che auf – fak­si­mi­liert. Sein knap­per Kom­men­tar: „Guter Brief eines Bür­gers!” Fast schon über­flüs­sig zu erwäh­nen, dass auch Stra­che auf das Datum der Ver­öf­fent­li­chung in der Kro­ne „ver­ges­sen“ hat.

Die Reak­ti­on sei­ner Fans erklärt alles, was danach folg­te. Der Stra­che-Kom­men­tar mit Leser­brief wur­de so oft geteilt wie kein ande­rer auf Stra­ches Sei­te: Die FB-Sta­tis­tik wies im Jän­ner 2014 mehr als 90.000 Tei­lun­gen aus. 182.106 Per­so­nen gefiel das Pos­ting und mehr als 62.000 gaben einen Kom­men­tar ab. Ob der Bei­trag über bezahl­te FB-Wer­bung gepusht wur­de, wis­sen wir nicht.


Stra­che April 2013

Was wir jeden­falls wis­sen: Stra­che gefiel das so sehr, dass er sich neu­er­lich betä­tig­te. Am 2. Okto­ber 2013 ver­öf­fent­lich­te er den Leser­brief zum zwei­ten Mal — mit dem bedeu­tungs­schwe­ren Zusatz: „Ein The­ma das sehr vie­len Men­schen zu den­ken gibt und in die­sem Brief offen ange­spro­chen wird.“


Stra­che Okto­ber 2013

Obwohl die Kuh bereits gemol­ken war, gab sie noch ein­mal kräf­tig Milch: Mehr als 9.000 Per­so­nen gefiel die Het­ze auch beim zwei­ten Mal. 3.000 Kom­men­ta­re und 2.000 Tei­lun­gen, das ist selbst für Stra­ches FB-Kon­to über­durch­schnitt­lich – trotz­dem mei­len­weit von der ers­ten Erre­gung entfernt.

Von der über­wäl­ti­gen­den Erre­gung woll­ten natür­lich auch ande­re pro­fi­tie­ren: Noch am 7. April 2013 über­nahm die ziem­lich brau­ne FB-Grup­pe „Wir sind stolz Deut­sche zu sein“ den Leser­brief samt Stra­che-Kom­men­tar. Das Resul­tat war auch auf die­sem FB-Kon­to sehr ermu­ti­gend und weit über den übli­chen Daten.

Da woll­te Stra­ches Stell­ver­tre­ter Johann Gude­nus nicht zuwar­ten: Am 2. Jän­ner 2014 ver­öf­fent­lich­te auch er den Leser­brief. Wie es sich für einen treu­en Jün­ger gehört, teil­te er die Bot­schaft sei­nes Vor­sit­zen­den: kein eige­ner Kom­men­tar, daher auch kein Hin­weis dar­auf, dass der Leser­brief schon fünf Jah­re alt ist und bereits zig­tau­send­fach gemol­ken wur­de. Das Pos­ting ist mitt­ler­wei­le nicht mehr auf­zu­fin­den – es ist aber anzu­neh­men, dass es auch bei Gude­nus funk­tio­niert hat.


Gude­nus Jän­ner 2014

Nach wei­te­ren zehn Mona­ten ist jetzt Egger dran: ein spä­ter Nach­ah­mer, der wie sei­ne Vor­gän­ger zu feig ist, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Leser­brief schon einen lan­gen Bart hat. Der nicht erklä­ren kann, war­um er einen fünf Jah­re alten Leser­brief aus der Mot­ten­kis­te holt, sich freu­dig zu ihm bekennt („Wie wahr!“), um sich dar­auf­hin halb­her­zig von ihm zu distanzieren.

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