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Die rechten Sprachdeuter (Teil 3): Faschismuskeulen und andere Rohrkrepierer

Pro­ble­me mit dem Erfas­sen ein­fa­cher Zei­tungs­tex­te scheint der Wie­ner FPÖ-Hin­­ter­­bän­k­­ler Mah­da­lik zu haben. Anders ist nur schwer erklär­bar, dass er der Wie­ner Ver­kehr­stadt­rä­tin Vas­sila­kou unter­stellt, Abstim­mun­gen und Bür­ger­be­fra­gun­gen für „faschis­tisch“ zu hal­ten. „Abstim­mun­gen etwa über das kos­ten­pflich­ti­ge Park­pi­ckerl“ sei­en „für die blass­grü­ne Ver­kehrs­stadt­rä­tin [Maria Vas­sila­kou; Anmk. SdR] eben­so abzu­leh­nen wie sol­che über Todes­stra­fe, Waf­fen­be­sitz, Abtreibung […]

4. Mai 2012

„Abstim­mun­gen etwa über das kos­ten­pflich­ti­ge Park­pi­ckerl“ sei­en „für die blass­grü­ne Ver­kehrs­stadt­rä­tin [Maria Vas­sila­kou; Anmk. SdR] eben­so abzu­leh­nen wie sol­che über Todes­stra­fe, Waf­fen­be­sitz, Abtrei­bung oder Men­schen­rech­te. Bür­ger­be­fra­gun­gen dazu — so von der FPÖ gefor­dert — sind gar ‚faschis­tisch’ ”, ver­brei­te­te Mah­da­lik am 18. April über die APA. Mah­da­liks absur­de Rea­li­täts­ver­zer­rung bezieht sich auf ein Inter­view von Maria Vas­sila­kou in der Zeit­schrift „Fal­ter“ vom 18. April 2012, in dem fol­gen­de Pas­sa­gen zu lesen sind:

Fal­ter: „Die FPÖ schafft es auf­fal­lend oft, die Inter­es­sen der Bür­ger poli­tisch zu ver­mark­ten. Kann man von der FPÖ etwas lernen?”
Vas­sila­kou: „Nein. Abso­lut nicht. Für uns Grü­ne ist es wich­tig, die Bür­ger zu ermun­tern, ihre Inter­es­sen selbst wahr­zu­neh­men. Die FPÖ setzt sich aber auf die Inter­es­sen drauf und nützt sie für eige­ne Zwe­cke. Die Bür­ger ver­schwin­den hin­ter dem Par­tei­lo­go. Die Zusam­men­ar­beit wird zur Vereinnahmung.”
Fal­ter: „Stra­che wür­de ent­geg­nen, er sei ja dafür gewählt wor­den, die Bür­ger­an­lie­gen zu Par­tei­an­lie­gen zu machen.”
Vas­sila­kou: „Hier sehen wir eine völ­lig ande­re poli­ti­sche Kul­tur. Ich arbei­te an einer Welt mün­di­ger Bür­ger, die ihre eige­nen Anlie­gen in einem frucht­ba­ren Dia­log mit Par­tei­en aus­han­deln. Er steht für eine Form des Ple­bis­zits, die man auch im Faschis­mus fin­den kann. Man kann eben nicht über alles abstim­men, etwa die Todes­stra­fe, den Waf­fen­be­sitz, Abtrei­bung, die Men­schen­rech­te. Direk­te Demo­kra­tie braucht eine brei­te Debat­te über Chan­cen, Stär­ken, aber auch Gefah­ren. Die­se Debat­te ver­mis­se ich. Ich will jeden­falls nicht stän­dig sämt­li­che zivi­li­sa­to­ri­sche Errun­gen­schaf­ten der letz­ten 150 Jah­re abfra­gen müssen.”

Inter­es­sant ist der Mahdalik’sche Aus­wurf nicht wegen des absur­den Angriffs auf Maria Vas­sila­kou. Die Vol­te, die der Hin­ter­bänk­ler jedoch mit dem Wort „faschis­tisch“ dreht, passt her­vor­ra­gend in die bereits mehr­fach auf die­ser Web­site dar­ge­stell­ten Ten­denz der FPÖ zur Umdeu­tung rechts­extre­mis­ti­schen Voka­bu­lars.


Stra­che und das Schwei­zer Volks­be­geh­ren (Fak­si­mi­le der Web­sei­te fpoe.at)

Vas­sila­kou hat­te nicht Bür­ger­be­fra­gun­gen als „faschis­tisch“ bezeich­net, son­dern FPÖ-Obmann Stra­che vor­ge­wor­fen, eine Kon­zep­ti­on von Ple­bis­zit zu ver­tre­ten, wie sie in faschis­ti­schen Sys­te­men gebräuch­lich war und ist. Eine Fest­stel­lung, die leicht beleg­bar ist: Sowohl der Natio­nal­so­zia­lis­mus als auch der ita­lie­ni­sche Faschis­mus, aber auch kle­ri­kal­fa­schis­ti­sche Regimes und tota­li­tä­re Dik­ta­tu­ren wie etwa im Iran bedien­ten und bedie­nen sich angeb­li­cher Ple­bis­zi­te zur Legi­ti­ma­ti­on ihrer Ter­ror­herr­schaft. Die­se ziel­ten stets dar­auf ab, grund­le­gen­de demo­kra­ti­sche Prin­zi­pi­en außer Kraft zu set­zen bzw. durch tota­li­tä­re Macht­aus­übungs­struk­tu­ren zu erset­zen bzw. die­se qua­si zu immunisieren.

Und in genau die­ses Fahr­was­ser zieht es auch die FPÖ, wenn sie etwa den Aus­tritt aus der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on for­dert oder eine Volks­ab­stim­mung über ein Mina­rett­ver­bot. Und nicht zufäl­lig hat die FPÖ im Natio­nal­rat auch einen Antrag ein­ge­bracht, der dezi­diert auf die Auf­kün­di­gung inter­na­tio­na­ler Ver­trä­ge Bezug nimmt, ohne zu unter­schei­den, ob dabei irgend­ein Pim­perl-Ver­trag oder grund­le­gen­de demo­kra­ti­sche Rech­te (etwa bei der Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on) in Fra­ge gestellt wer­den sollen.


Das „Öster­reich zuerst” („Anti-Ausländer-Volksbegehren”)-Volksbegehren der FPÖ von 1993

Ple­bis­zit ist also nicht gleich Ple­bis­zit. Den gewich­ti­gen Unter­schied zwi­schen poli­ti­scher Par­ti­zi­pa­ti­on und Legi­ti­ma­ti­on anti­de­mo­kra­ti­scher Herr­schaft ver­schlei­ert Mah­da­lik, wenn er Vas­sila­kous Kri­tik an Stra­ches Poli­tik unse­riö­ser­wei­se auf Bür­ger­be­fra­gun­gen und Abstim­mun­gen über­trägt. Mah­da­lik macht aber noch etwas: Er kon­stru­iert eine – um im Begriffsar­se­nal unver­bes­ser­li­cher Rechts­extre­mis­ten und Ewig­gest­ri­ger zu blei­ben – „Faschis­mus­keu­le“ und legt nahe, dass die­se gegen Bür­ger­initia­ti­ven und poli­tisch akti­ve Men­schen gerich­tet sei. Das passt zwar nicht zu dem, was Vas­sila­kou wirk­lich gesagt hat, bedient aber ein ande­res Ste­reo­typ, das seit eini­gen Jah­ren in rechts­extre­mis­ti­schen Denk­wel­ten fröh­li­che Urständ fei­ert: Die Eti­ket­tie­rung von Anti­fa­schis­tIn­nen als FaschistInnen.

Kaum ein Satz wird von Rechts­extre­mis­tIn­nen in der Kon­fron­ta­ti­on mit Anti­fa­schis­tIn­nen häu­fi­ger zitiert als der Igna­zio Silo­ne zuge­schrie­be­ne Satz: „Der neue Faschis­mus wird nicht sagen: ‚Ich bin der Faschis­mus’. Er wird sagen: ‚Ich bin der Anti­fa­schis­mus‘.” Der Satz fin­det sich in Nazi-Foren wie etwa thia­zi oder der rechts­extre­mis­ti­schen „Welt­net­z­en­zy­klo­pä­die“ Metape­dia“ wie auch in Reden und Pres­se­aus­sen­dun­gen von FPÖ-Poli­ti­ke­rIn­nen (z.B. Kickl und Gude­nus) wie­der und wird völ­lig unhin­ter­fragt als Angriff gegen jene genutzt, die sich als Anti­fa­schis­tIn­nen bezeichnen.

Mit dem Zitat von Silo­ne, einem anti­fa­schis­ti­schen Wider­stands­kämp­fer mit beweg­tem Leben im Span­nungs­feld, aber auch in der Schnitt­men­ge von Kom­mu­nis­mus und Chris­ten­tum, machen sich Rechts­extre­mis­tIn­nen selbst kei­ne Freu­de: Das Zitat ist nicht beleg­bar (es wur­de Silo­ne zehn Jah­re nach sei­nem Tod ledig­lich zuge­schrie­ben) und kon­text­los. Der zuschrei­ben­de Fran­cois Bon­dy macht sich nicht die Mühe, zu erläu­tern, wann und in wel­chem Kon­text Silo­ne wem damit einen Vor­wurf gemacht haben soll. Damit stellt sich aber die Fra­ge, wer genau eigent­lich wie­der­kehrt und schreit „Ich bin der Anti­fa­schis­mus“. Her­vor­ra­gend pas­sen wür­de das Zitat etwa auf FPÖ-Chef Stra­che, der im Jahr 2007 auf einer Pres­se­kon­fe­renz mein­te, „der Isla­mis­mus“ sei „der Faschis­mus des 21. Jahr­hun­derts” und im Jahr 2012 sich kon­se­quent zum „neu­en Juden“ erklärte.

➡️ Die rech­ten Sprach­deu­ter (Teil 1): FPÖ reani­miert den Blockwart
➡️ Die rech­ten Sprach­deu­ter (Teil 2): Gesin­nungs­ter­ror – Umer­zie­hung — Vernichtungsfeldzug
➡️ Die rech­ten Sprach­deu­ter (Teil 4): Die Frei­heit der Kunst und die FPÖ

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