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Northeim (BRD): Vom Neonazi zum Jihadisten

Am 22. Febru­ar wur­de der 26-jäh­ri­­ge Sascha L. in sei­ner klei­nen Woh­nung in Nort­heim (Nie­der­sach­sen) fest­ge­nom­men. Beim Zugriff fand die Poli­zei Bestand­tei­le für den Bau einer Bom­be. Der Anlass für die Raz­zia war eigent­lich der Ver­dacht auf Gewalt- und Tier­por­nos, berich­te­te „Bild“. Mitt­ler­wei­le ist klar, dass Sascha L. für den IS bom­ben woll­te und bis […]

1. Mrz 2017

Es ist eine schier unglaub­li­che Geschich­te über einen Neo­na­zi, der zum bom­ben­bas­teln­den Jiha­dis­ten wur­de, die sich aber anhand sei­ner Face­book-Sei­te und der You­Tube-Kon­ten gut nach­voll­zie­hen lässt. Sascha L. war bis etwa 2015 noch ein radi­ka­ler Neo­na­zi. „Etwa 2015“ ver­wen­den wir des­halb, weil sich in die­sem Jahr auf sei­ner Face­book-Time­line der flie­ßen­de Über­gang vom Neo­na­zi zum Jiha­dis­ten abspielt. Der „Spie­gel“ geht von einem frü­he­ren Zeit­punkt (2014) aus.

Sascha L. alias Peter U. stellt klar, dass wer die Wehrmacht mit der Nato vergleicht ein "Systemling" ist.
Sascha L. ali­as Peter U. stellt klar, dass wer die Wehr­macht mit der Nato ver­gleicht ein „Sys­tem­ling” ist.

Vor etwa zwei­ein­halb Jah­ren – so die Medi­en­be­rich­te – soll der Neo­na­zi von Ber­lin in das eher beschau­li­che Nort­heim, eine Stadt mitt­le­rer Grö­ße im süd­li­chen Nie­der­sach­sen, gezo­gen sein. In Ber­lin hat­te Sascha L. auf­fäl­lig gelebt, als Neo­na­zi, war auch wegen meh­re­rer Delik­te vor­be­straft. In sei­ner klei­nen Woh­nung in Nort­heim lebt er völ­lig unauf­fäl­lig und zurück­ge­zo­gen, bis ihn die Poli­zei am 22. Febru­ar besucht und eine Bom­ben­werk­stät­te vor­fin­det: „Bei der Durch­su­chung sei­ner Woh­nung im nie­der­säch­si­schen Nort­heim wur­den Ace­ton­per­oxid, ande­re Che­mi­ka­li­en und elek­tro­ni­sche Bau­tei­le zur Her­stel­lung eines Spreng­sat­zes gefun­den“ (Spie­gel Online). Eigent­lich hät­te die Haus­durch­su­chung dem Ver­dacht auf den Besitz von Gewalt- und Tier­por­nos gel­ten sol­len, aber mit dem, was sie bei ihrem Ein­satz fan­den, waren die Ermitt­ler noch mehr zufrie­den. In ers­ten Ver­neh­mun­gen gestand Sascha L., dass er mit selbst gebau­ten Spreng­sät­zen einen Anschlag auf Sol­da­ten und Poli­zis­ten plan­te und sie in eine (Spreng-)Falle locken wollte.

Sascha L. alias Peter U. postet Inhalte der „Unsterblichen“
Sascha L. ali­as Peter U. pos­tet Inhal­te der „Unsterb­li­chen“

Nach sei­ner Über­sied­lung nach Nort­heim oute­te ihn im Herbst 2014 eine Anti­fa-Grup­pe, die ihn aus sei­ner Ber­li­ner Peri­ode kennt. Dort war Sascha L. bei den „Unsterb­li­chen“ aktiv, die durch ihre nächt­li­chen Auf­mär­sche mit wei­ßen Mas­ken und Fackeln den „Volks­tod“ beklag­ten und damit Auf­se­hen erre­gen woll­ten. Die Anti­fa-Grup­pe hat in ihrem Outing auch Fotos prä­sen­tiert, die Waf­fen zei­gen. Ob sie Sascha L. zuzu­ord­nen sind, bleibt unklar. Das Outing bleibt fol­gen­los, die Anti­fa-Grup­pe ist nicht vor Ort aktiv, son­dern – wie sie sel­ber schreibt – Hun­der­te Kilo­me­ter entfernt.

Sascha L. radi­ka­li­siert sich in die­ser Peri­ode immer mehr, was aus sei­nen Face­book-Pos­tings deut­lich ables­bar ist. Übri­gens, das ihm zuge­schrie­be­ne FB-Pro­fil, das nur Ein­trä­ge für die letz­ten drei Tage vor sei­ner Ver­haf­tung ent­hält, ist ver­mut­lich nicht von ihm, obwohl das Kon­to sei­nen Namen trägt und die Medi­en so berich­ten, als ob es sei­nes wäre.

Sascha L. alias Peter U. produziert massenweise Videos und stellt diese selbst ins Netz.
Sascha L. ali­as Peter U. pro­du­ziert mas­sen­wei­se Vide­os und stellt die­se selbst ins Netz.

Auf Face­book hat Sascha schon 2014 eine Sei­te eröff­net, auf der er sich Peter U. nennt und als Künst­ler bezeich­net. Dort posiert er mit der „Unsterblich“-Maske. Sei­ne „Volks“-Ideologie und der Anti­se­mi­tis­mus wer­den immer schril­ler. Sei­ne vir­tu­el­len Lese­rIn­nen spricht er mit „lie­be Volks­ge­nos­sen“ an, 2015 dann mit „Volks­brü­der und Schwes­tern“. Sascha pro­du­ziert am lau­fen­den Band Vide­os, die er auf You­Tube stellt und dann mit Face­book ver­linkt. Alle die­se Vide­os sind mitt­ler­wei­le nicht mehr abruf­bar, ver­mut­lich von ihm selbst gelöscht. In ihnen setzt er sich mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus, den Juden, aber auch mit PEGIDA aus­ein­an­der. Im Dezem­ber 2014 ist für ihn klar, dass „selbst in der Füh­rung der „Pegi­da” der Feind schon sei­nen Platz gefun­den hat“ (10.12.14). Ähn­li­ches sagt er Mona­te spä­ter über die Iden­ti­tä­ren: „Die iden­ti­tä­re Bewe­gung ist ein sys­tem­ge­steu­er­tes Instru­ment“ (18.5.2015). Ein ande­res Video (4.12.14) setzt sich mit dem islam­feind­li­chen Blog­ger Stür­zen­ber­ger aus­ein­an­der: auch er ist für Sascha ein „Feind“. Es ist schon klar, war­um er die­se Spiel­art des Rechts­extre­mis­mus ablehnt: weil sie gegen den Islam sind. Am 22.12.2014 schreibt er dazu den Kommentar:

„Wenn die Welt­eli­te es schafft, Mus­li­me und Euro­pä­er auf­ein­an­der zu het­zen, dann bringt das für nie­man­den eine Befrei­ung. Das wäre so als wenn Insas­sen eines Gefäng­nis sich gegen­sei­tig bekämp­fen, statt die Wär­ter anzugreifen“.

Aber noch ist er Nazi und Mus­lim und kein Jiha­dist. Zum Jah­res­wech­sel gibt er fol­gen­de Paro­le an das deut­sche Volk via Face­book bekannt:

„So ich wün­sche dem deut­schen Volk kein Glück für das neue Jahr, denn Glück brau­chen nur die Schwa­chen und das deut­sche Volk ist gewiss nicht schwach!…“ (1.1.15).

Sascha L. alias Peter U., vom Neonazi zum Jihadisten
Sascha L. ali­as Peter U., vom Neo­na­zi zum Jihadisten

2015 setzt sich Sascha L ali­as Peter U. in zwei Doku­men­ten noch ein­mal als Neo­na­zi in Sze­ne. Am 22. Mai stellt er das bis­lang nur mit deut­schen Unter­ti­teln erhält­li­che Lügen­epos über den Völ­ker­mord an den deut­schen Nazis auf You­Tube, schreibt sich in den Vor­spann ein: „Über­setzt und wie­der­ge­ge­ben von Peter U.“ Das Nazi-Film­chen wird begeis­tert von den übels­ten Nazi-Blogs geteilt. „Der Trutz­gau­er Bote“, „Der Honig­mann sagt“, „wissenschaft3000“, „Deut­sche Lob­by“ alle Hard­core-Nazi-Blogs über­neh­men die Ver­si­on von und mit Peter U. ali­as Sascha L., bedan­ken sich artig bei ihm.

Sascha L. alias Peter U. schafft auch komplizierte Querfronten: Auf einem Neonazi-Blog mit Antisemitismus pro Islam...
Sascha L. ali­as Peter U. schafft auch kom­pli­zier­te Quer­fron­ten: Auf einem Neo­na­zi-Blog mit Anti­se­mi­tis­mus pro Islam…

Am 22. August gelingt ihm noch ein Coup. Auf dem rechts­extre­men Blog mit dem bezeich­nen­den Namen „Kopfschuss911“ ver­öf­fent­licht er den für ihn pro­gram­ma­ti­schen Text: „Wer gegen den Islam hetzt, zischt mit der Zun­ge des Juden­tums“. In die­sem Text argu­men­tiert Sascha L. zwar noch mit Nazi-Voka­bu­lar, aber schon mehr als Mus­lim für die Mus­li­me und den Islam. Damit das bei den auf bestimm­te Rei­ze kon­di­tio­nier­ten Rechts­extre­men und Nazis ver­fängt, muss er häu­fig das deut­sche Volk und den Anti­se­mi­tis­mus bemühen:

In jeder Islam­het­ze fin­den sich Spu­ren des Juden­tums…

Oder:

Das Kai­ser­reich wie auch das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land waren gro­ße Freun­de und Brü­der des Islams. Heu­te sind es unge­wöhn­li­cher­wei­se genau die Patrio­ten und Natio­na­lis­ten, die gegen den Islam agie­ren — unter Füh­rung des nicht auf den ers­ten Blick sicht­ba­ren Juden oder Zio­nis­ten“.

Sascha L. alias Peter U. verlinkt zur Seite "Deutsche Einheit".
Sascha L. ali­as Peter U. ver­linkt zur Sei­te „Deut­sche Einheit”.

Der Kom­men­tar auf „Kopfschuss911“ ist die letz­te Akti­vi­tät von Sascha L., die ihn als Neo­na­zis aus­weist. Auf Face­book ist die­ser Kom­men­tar vom 19.8.15 der letz­te: „Also die Idee der Ein­heit ohne dum­men Aus­län­der­hass und Reli­gi­ons­hass find ich ne gute Idee“. Er ver­weist dabei noch auf die Sei­te einer „Deut­schen Ein­heit“, die es mitt­ler­wei­le auch nicht mehr gibt. Dort wur­de nicht nur der Hass auf Mus­li­me ver­dammt, son­dern auch der auf Homo­se­xu­el­le. Der Juden­hass bleibt aber die Kon­stan­te, die ihn in die jiha­distsche Peri­ode beglei­tet. Jetzt muss sich Sascha L. zunächst ein­mal mit dem Vor­wurf der Vor­be­rei­tung einer schwe­ren staats­ge­fähr­den­den Gewalt­tat auseinandersetzen.