Was Johanna Willmann (Institut für Staatswissenschaft/ Uni Wien) und Andreas Kranebitter (Leiter des DÖW) mit dem Rechtsextremismus-Barometer geschafft und geschaffen haben, verdient höchste Anerkennung. Die Qualität der Arbeit wird schon dort ersichtlich, wo sie sich mit anderen soziologischen Studien zu Rechtsextremismus in Österreich und Deutschland auseinandersetzt, um daraus Schlüsse für die eigene Studie zu ziehen.
An die 2.200 Personen aus einem Panel des Meinungsforschungsinstituts „marketagent“ wurden online befragt – eine für Österreich repräsentative Größe, gesampelt nach Alter (16 bis 75), Geschlecht, Bildung und Bundesland. Man kann trefflich darüber streiten, ob nicht die Qualität der Befragungsart etwa bei der Leipziger Autoritarismus-Studie, bei der 2.522 Personen zwischen 16 und 91 Jahren in Haushalten aufgesucht und über einen von ihnen selbst auszufüllenden Fragebogen befragt wurden, doch besser ist als eine Online-Befragung. Aber erstens ist diese Befragungsart sehr aufwendig und teuer, zweitens sind 2.522 Personen, gemessen an der Bevölkerungszahl Deutschlands, nicht unbedingt repräsentativer. Und – das ist die Hauptsache –bei der Problemstellung, wie Rechtsextremismus definiert und abgefragt wird, teilen wir die Einschätzung des DÖW, wonach in der Leipziger Studie zu sehr der traditionelle Rechtsextremismus in Gestalt der NS-Ideologie erhoben wurde.
Der Zugang der DÖW-Studie zu rechtsextremen Einstellungen ist ein anderer. Abgefragt wurden Einstellungen zu Anti-Egalitarismus, Autoritarismus und Volksgemeinschaftsdenken/Ethnozentrismus. Mit den Resultaten können zwar keine Rückschlüsse auf geschlossene rechtsextreme Weltbilder (die es mittlerweile eher selten gibt) oder rechtsextreme Individuen, aber auf die Intensität von rechtsextremen Einstellungen und deren Verbreitung gezogen werden.
Die Ergebnisse des ersten Barometers geben „keinen Anlass für Alarmismus“, so das DÖW (S. 30). Die Gruppe vom Menschen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen betrage zwar an die zehn Prozent, aber „der überwiegende Teil der Befragten [ist] dennoch klar demokratisch gesinnt“. Was bei dieser Betrachtungsweise zu kurz kommt, ist der Umstand, dass es unter vorwiegend demokratisch eingestellten Personen eine nicht unbeträchtliche Gruppe gibt, die einer rechtsextremen Partei ihre Stimme und damit auch die Macht zur Umsetzung rechtsextremer Ideen gibt. Sehr deutlich wird diese widersprüchliche Haltung beim Thema Zuwanderung und Islamophobie, bei dem einerseits eine mehrheitlich zustimmende Haltung zu einer „umfassenden Remigration“ sichtbar wird, andererseits aber die Zustimmung zur These, dass die Integration von Zugewanderten eine Bereicherung der Gesellschaft ist, mehrheitsfähig ist.
Wie stark Verschwörungsphantasien in der Bevölkerung verbreitet sind, macht die Grafik 12 deutlich, in der sechs Fragen dargestellt werden. Es ist schlichtweg alarmierend, wenn eine Mehrheit aller Befragten (51 %) der Meinung ist, dass sie von den Medien „systematisch“ belogen wird und 47 % meinen, „geheime Organisationen“ würden einen großen Einfluss auf die Politik haben.
Weitere Detailergebnisse aus der Studie ersparen wir uns, denn wir sind der Ansicht, dass es das Barometer verdient, in seiner Gesamtheit gelesen zu werden: https://www.doew.at/cms/download/c1g6t/DOEW_rex-barometer-2024.pdf
Somit bleibt uns abschließend nur mehr ein Schlenker zur bisherigen medialen Rezeption der Studie, die ausbaufähig ist. Zwar haben viele Printmedien in ihren Online-Ausgaben relativ umfangreich berichtet, in den Print-Ausgaben fielen die Berichte deutlich dünner aus – und wer sich dazu kritische oder aufrüttelnde Kommentare erwartet hat, wurde bisher fast ausnahmslos (nur im „Standard“ ist ein lesenswerter Kommentar zu finden) enttäuscht. Ist das auf eine Schockstarre zurückzuführen?
Völlig erwartbar und entsprechend erbärmlich fällt dagegen das Opfer-Geschrei eines rechtsextremen Auf1-Berichterstatters, bezeichnenderweise vor kurzem noch Kader der Identitären, aus. Der wollte bei der Pressekonferenz des DÖW provozieren, wurde aber durch ein Frageverbot daran gehindert. Dies verkündete er in einem Auf1-Video, allerdings ohne darzulegen, was sein Beitrag gewesen wäre.
Apropos Identitäre und andere Rechtsextreme: Der Rechtsextremismus-Bericht des DÖW, den Innen- und Justizministerium in Auftrag gegeben haben, steckt noch in interministeriellen Pipelines.