Robert Kagan muss man nicht kennen. Er war vor Jahren ein einflussreicher strategischer Berater, Neokonservativer und Republikaner. Ganz sicher kein Linker. Von ihm stammt aber eine der frühesten und schärfsten Warnungen vor Donald Trump. Im Mai 2016 schrieb er in der „Washington Post“ (18.5.16) seine Kolumne „So kommt der Faschismus nach Amerika“.
Kagan warnte früh vor der Illusion, Trumps Machtansprüche einhegen, zähmen zu können. Weder Berater und schon gar nicht die Republikanische Partei seien dazu in der Lage. Seine große Gefolgschaft, die „nur ihm ergeben ist“, stelle seine Macht sicher:
Auf diese Weise kommt der Faschismus nach Amerika: nicht mit Stiefeln und Salutschüssen (…), sondern mit einem TV-Ganoven, einem falschen Milliardär, einem typischen Egomanen, der die Ressentiments und Unsicherheiten der Bevölkerung ausnutzt und mit einer ganzen nationalen politischen Partei, die sich – aus Ehrgeiz, blinder Parteiloyalität oder einfach aus Angst – hinter ihn stellt. (washingtonpost.com, 18.5.16)
Das war die hellsichtige Analyse eines Publizisten, die 2016 mit der persönlichen Konsequenz des Austritts aus der Republikanischen Partei endete, dennoch wurde Trump Präsident.
John Kelly war Innenminister und Stabschef von Donald Trump, bis der stramm rechtskonservative General Ende 2018 das Handtuch warf. Der „New York Times“ (22.10.24) erklärte er jetzt vor der Wahl, dass Trump seiner Meinung nach die Definition eines Faschisten erfülle und – wenn man ihn ließe – wie ein Diktator regieren würde. Trump habe keine Ahnung von Rechtsstaatlichkeit, habe bewundernde Aussagen über Hitler getätigt und die auf den Schlachtfeldern für die USA Gefallenen als „Verlierer“ und „Trottel“ bezeichnet.
John Kelly fällte sein Urteil aus praktischer Erfahrung mit Trump. Was aber sagt der wohl wichtigste Faschismustheoretiker der USA, der Historiker Robert Paxton, über den Faschismusverdacht bei Trump? Seine 2006 erschienene „Anatomie des Faschismus“, ein Standardwerk der modernen Faschismustheorie, ist in der deutschen Übersetzung zwar seit Jahren vergriffen und der 92-jährige Paxton selbst äußert sich seit Jahren nur mehr sehr selten öffentlich.
2017 lehnte er in einem Beitrag für „Harper’s Magazine“ (5.17) die Klassifikation von Trump als Faschist noch klar ab:
Es ist sehr verlockend, den neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten einen Faschisten zu nennen. Donald Trumps tyrannischer Ton, sein finsterer Blick und sein vorspringender Unterkiefer erinnern an Benito Mussolinis absurde Theatralik. Seine dramatischen Ankünfte mit dem Flugzeug (eine PR- Taktik, deren Pionier Adolf Hitler war) und seine aufgeregten Dialoge mit Menschenmengen, die einfache Slogans skandierten („USA! USA!“ „Sperrt sie ein!“), erinnern an Nazi-Kundgebungen der frühen 1930er Jahre. In seinen Wahlkampfreden beklagt Trump gern den nationalen Niedergang, für den er Ausländer und verachtete Minderheiten verantwortlich macht; er verachtet Rechtsnormen, duldet Gewalt gegen Andersdenkende und lehnt alles ab, was nach Internationalismus riecht, sei es Handel, Institutionen oder bestehende Verträge. All dies waren Grundpfeiler des Faschismus.
Dann aber warnt Paxton: „Dennoch sollten wir zögern, Trump mit diesem giftigsten aller politischen Etiketten zu belegen. Ein solcher Begriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn er das Verständnis erweitert oder klärt.“
Letztlich, so Paxton, würde die neoliberale bis libertäre Wirtschaftspolitik Trumps eine gewaltige Differenz zur korporatistischen Politik der Faschisten des 20. Jahrhunderts bilden:
Es ist vielleicht sinnvoll, sich das Trump-Regime als aus drei Strängen bestehend vorzustellen. (…) Da Trump als erfolgreicher und nicht allzu gewissenhafter Immobilienunternehmer deren libertäre, wirtschaftsfreundliche Agenda akzeptiert, dürfte dieser Strang am ehesten zufrieden sein. Die Deregulierung ist bereits im Gange. Trump hat hämisch Barack Obamas Verordnung aufgehoben, die es Bergwerksbetreibern verbietet, ihre Abfälle in Flüsse zu kippen. Und obwohl er zunächst zögerte, 20 Millionen Amerikanern Obamas Krankenversicherung zu entziehen, gehen die republikanischen Abgeordneten nun mit Vorschlägen voran, die genau das erreichen könnten, auch wenn der Präsident sich weigert, sie mit seinem Namen zu unterschreiben.
Unter Trump ist mit einer radikalen Schwächung oder gar dem Verschwinden der Bundesbehörden zu rechnen, die bisher das Wasser, die Luft und das Überleben bedrohter Arten in den Vereinigten Staaten überwacht haben. Man kann davon ausgehen, dass die Reichen überproportional von einer Steuerreform profitieren werden. (…) Faschistische Regime hingegen hatten eine stark progressive Besteuerung.
Der zweite Strang des Trump-Regimes sind jene Amerikaner, die von den Kulturexperimenten der 1960er Jahre abgestoßen waren. Die Bewohner des tiefen Amerikas, die sich durch Feminismus, Abtreibung, Schwulenrechte und Rassenintegration angegriffen fühlen, sind oft dieselben, die Obamas technologiegetriebener Wirtschaftsaufschwung zurückgelassen hat. Trumps Wahlkampf appellierte erfolgreich an die Bitterkeit dieser ungelernten weißen Arbeiterklasse, die sich sowohl wirtschaftlich als auch kulturell bedrängt fühlt.
Hier gibt es wohl eine gewisse Überschneidung zwischen Trump und den Faschisten. Auch die Nazis verurteilten die sozialen und kulturellen Experimente der Weimarer Republik. (…) Doch die reaktionären Amerikaner, die Trump ins Amt gebracht haben, werden nicht so reich belohnt wie die Geschäftswelt. Nachdem sie ihre Aufgabe bei der Wahl 2016 erfüllt haben, können sie nun ignoriert werden. Sie werden sich über einige neue Einschränkungen bei Abtreibung und LGBT-Rechten freuen, aber sie werden nicht durch Konjunkturprogramme mehr Arbeitsplätze bekommen, da diese höhere Steuern für die Reichen erfordern würden.
Der dritte Strang ist Trump selbst, der das ganze System an der Spitze zusammenhält. Donald Trump ist ein Opportunist, dem es ausschließlich um seinen eigenen Ruhm und Reichtum geht. Er handelt nach jedem momentanen Impuls, der diesen Zielen förderlich zu sein scheint. Er ist eine autoritäre Persönlichkeit ohne jegliche Verpflichtung gegenüber Rechtsstaatlichkeit, politischer Tradition oder gar Ideologie. (…)
In seinen Beziehungen zum Rest der Welt lautet Trumps erklärtes Motto „America First“ – ein Satz, den man in den USA seit den isolationistischen 1930er Jahren kaum noch hört. Seine außenpolitischen Prioritäten sind ein Rätsel. Möglicherweise gehört dazu auch die Beschwichtigung mysteriöser russischer Gläubiger. Doch anders als die Faschisten strebt Trump keine Gebietsgewinne an, sondern konzentriert sich stattdessen auf den Ausschluss von Einwanderern und die symbolische Abriegelung der mexikanischen Grenze.
Im Jänner 2021, kurz nach dem von Trump angefeuerten Sturm auf das Kapitol, korrigiert Paxton in einem Beitrag für „Newsweek“ (11.1.21) seine Analyse von 2017:
Wie Hitler, der zu den ersten politischen Führern gehörte, die das Radio beherrschten, beherrschte Trump die elektronischen Medien wie Twitter und gewann die Unterstützung von Amerikas größter Fernsehkette, Fox News. Wie die faschistischen Führer war sich Trump der tiefen Unzufriedenheit von Teilen der Gesellschaft mit traditionellen Führern und Institutionen bewusst, und er wusste, wie er die weit verbreitete Angst vor einer nationalen Spaltung und einem nationalen Niedergang ausnutzen konnte. Wie Hitler und Mussolini verstand er es, sich als einziges wirksames Bollwerk gegen eine vorrückende Linke zu präsentieren, die umso furchterregender war, weil sie kulturelle Formen annahm, die dem provinziellen ländlichen Amerika fremd waren – Feminismus, Black Power, Schwulenrechte.
Dann wiederholt Paxton zwar seine Einwände gegen die Klassifikation Trumps als Faschist, um dann aber festzustellen:
Trumps Anstiftung zur Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2020 beseitigt meinen Einwand gegen das Etikett „Faschist“. Seine offene Ermutigung zu ziviler Gewalt, um eine Wahl zu kippen, überschreitet eine rote Linie. Das Etikett erscheint jetzt nicht nur akzeptabel, sondern notwendig.
Ob die „relative Robustheit der amerikanischen Institutionen“ und die Regierung Biden eine „Heilung“ ermöglichen würden, wollte Paxton als „verantwortungsbewusster Historiker“ damals noch nicht beantworten.
Im Oktober 2024 befragt das „New York Times Magazine“ (23.10.24) Paxton neuerlich zu Trump: „Ist es Faschismus? Ein führender Historiker ändert seine Meinung“ Paxton bleibt dabei: Vieles deute bei Trumps Politik darauf hin, dass es sich bei ihm um Faschismus handle, aber: „Ich denke immer noch, dass dieses Wort mehr Hitze als Licht erzeugt.“
Der Trumpismus sei zu etwas geworden, was „auf seltsame Weise nicht Trumps Werk ist“. Der Trumpismus komme von unten, als Massenphänomen „und die Führer rennen ihm voraus“. So habe der Faschismus auch historisch begonnen, als Hitler und Mussolini die Unzufriedenheit, den Frust der Massen ausgenutzt haben, um an die Macht zu kommen:
Sich auf die Führer zu konzentrieren, so Paxton schon lange, lenkt vom Versuch ab, den Faschismus zu verstehen. „Was man untersuchen sollte, ist das Milieu, aus dem sie hervorgegangen sind“, sagte Paxton. Damit der Faschismus Fuß fassen kann, muss es „eine Öffnung im politischen System geben, also den Verlust der Zugkraft der traditionellen Parteien“, sagte er. „Es muss einen echten Zusammenbruch geben.“
Dieser Warnung haben wir nichts hinzuzufügen.
Zitierte Quellen
Robert Kagan 2016: Opinion This is how fascism comes to America (Paywall)
John Kelly 2024: As Election Nears, Kelly Warns Trump Would Rule Like a Dictator (Paywall)
Robert Paxton 2017: American Duce. Is Donald Trump a fascist or a plutocrat?
Robert Paxton 2021: I’ve Hesitated to Call Donald Trump a Fascist. Until Now
Robert Paxton 2024: Is It Fascism? A Leading Historian Changes His Mind.
Alle Übersetzungen via google translate.