Stellungnahme zum Entwurf zur Novellierung des Verbotsgesetzes
„Kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus …“ – Antifaschistisches Recht in Österreich
Antifaschistische Rechtsmaterien in Österreich
Die Umformulierung von § 3g (NS-Wiederbetätigung) und § 3h (Leugnung von NS-Verbrechen) ist sinnvoll und gut gelungen: jeweils Aufgliederung in Grundtatbestand und Qualifikationstatbestände sowie Reduzierung der Strafdrohung für den Grundtatbestand, um Verurteilungen zu erleichtern. Bei der „gröblichen Verharmlosung“ im § 3h fällt das „gröblich“ weg. Ebenfalls im § 3h wurde das Tatbestandsmerkmal „vielen Leuten zugänglich“ (mindestens 30!) durch „vor mehreren Leuten“ (mindestens drei) ersetzt.
Der neue § 3k sieht vor, dass BeamtInnen, die nach dem Verbotsgesetz verurteilt werden, ihr Amt verlieren. Eine analoge Regelung soll für Vertragsbedienstete gelten.
Der neue § 3n schafft die Möglichkeit, NS-Devotionalien auch ohne konkrete strafbare Handlung einzuziehen.
Eine Enttäuschung sind dagegen die neuen §§ 3l und 3m, die die künftige Strafbarkeit von Tathandlungen im Ausland regeln sollen. Die Strafbarkeit dieser Tathandlungen ist eine langjährige Forderung des MKÖ und unseres Netzwerks. Doch die vorgeschlagene Umsetzung brächte faktisch keinen Fortschritt. Klar ist zwar, dass für die Strafbarkeit solcher Tathandlungen ein eindeutiger Österreich-Bezug bestehen muss (etwa durch die österreichische Staatsbürgerschaft des Täters). Unverständlich sind aber die Einschränkungen, die der Entwurf zusätzlich vorsieht. Beim § 3l ist das die „schwerwiegende Verletzung österreichischer Interessen“ durch die Tat (was immer das sein mag). Beim § 3m (der wichtigeren Bestimmung) sind es gleich vier (!) Einschränkungen: Es muss sich um eine „Mitteilung oder Darbietung in einem Medium“ handeln, die „im Inland abgerufen oder empfangen werden kann“, die weiters „österreichische Interessen in schwerwiegender Weise verletzt“ und die „geeignet ist, die Sicherheit des Staates zu beeinträchtigen oder den öffentlichen Frieden zu verletzen“. Durch diese überflüssigen Einschränkungen ist es wenig wahrscheinlich, dass es nach § 3l oder § 3m jemals zu Verurteilungen kommt. Die wirksame Bekämpfung brauner Umtriebe wird auf diese Weise ad absurdum geführt. Bei Delikten wie Kindesmissbrauch, die bei Begehung im Ausland verfolgt werden, gibt es die genannten Einschränkungen nicht. Übrigens würde der Tatbestand, der den Anstoß zur Debatte gegeben hat (Neonazi aus Österreich hält auf der Holocaustleugner-Konferenz in Teheran einschlägige Hetzrede), nach diesem Entwurf der Verbotsgesetz-Novelle sicher nicht bestraft werden.
Eine Diversion für Erwachsene wäre bei NS-Wiederbetätigung das völlig falsche Signal. Davon sind hochkarätige Experten wie Gerhard Baumgartner, der Wissenschaftliche Leiter des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW), überzeugt. Diese Diversion würde aber durch die – an sich sinnvolle – Reduzierung der Strafdrohungen bei den §§ 3g (1) und 3h (1) (höchstens Freiheitsstrafe von fünf Jahren) „automatisch“ möglich. Deshalb ist eine Ausnahmeregelung in § 198 (3) Strafprozessordnung notwendig.
Verwaltungsstrafrecht: Die drei Gesetze mit Nähe zum Verbotsgesetz (EGVG, Abzeichengesetz und Symbolegesetz) müssen untereinander und mit dem Verbotsgesetz abgestimmt werden. Beispielsweise sollte es in allen Gesetzen eine Höchststrafe von 10.000 Euro geben (derzeit nur Symbolegesetz, 4.000 Euro im Abzeichengesetz, 2.180 Euro im EGVG). Die Regierung muss sicherstellen, dass die drei Gesetze bundesweit einheitlich und konsequent angewendet werden (beim EGVG sind große Unterschiede je nach Bezirk belegt). Richtig ist, dass die drei Gesetze nicht in die Zuständigkeit des Justizministeriums (sondern des Innenministeriums bzw. Bundeskanzleramts) fallen. Aber bei der Reform des Verbotsgesetzes ist ja auch die Verfassungsministerin eingebunden. Jedenfalls darf diese wichtige Materie nicht vernachlässigt werden.
Fazit: Der erste Entwurf für die Neufassung des Verbotsgesetzes enthält viel Positives, aber auch einige schwere Defizite. Weil das Verbotsgesetz im Verfassungsrang steht, kann es nur mit einer parlamentarischen Zweidrittel-Mehrheit verändert werden. Deshalb braucht die schwarz-grüne Regierung die SPÖ, um die Novelle zu beschließen. Das ist eine große Chance, denn SPÖ-Gedenksprecherin Sabine Schatz will die Beseitigung der Defizite erreichen.
Siehe zur Debatte: Der Standard: Ärger und Zuspruch bei Reform des NS-Verbotsgesetzes
„Kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus …“ – Antifaschistisches Recht in Österreich
Kurze, auch für Nicht-JuristInnen verständliche Geschichte des antifaschistischen Rechts in Österreich
Am 13. April 1945 befreite die Rote Armee Wien von der nationalsozialistischen Herrschaft. Zwei Wochen später begründeten Vertreter der SPÖ, der ÖVP und der KPÖ mit der Unabhängigkeitserklärung (“Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs“) die Zweite Republik. Sie erklärten den „Anschluss“ an das Deutsche Reich für „null und nichtig“. Österreich wurde als demokratische Republik wiederhergestellt, die „im Geiste der Verfassung von 1920“ einzurichten sei.
Tatsächlich trat Hans Kelsens Verfassungsordnung neuerlich in Kraft. Von deren weltanschaulicher Neutralität gingen die Väter der Republik in einem wesentlichen Punkt allerdings ab: Nicht nur die NSDAP und ihre Organisationen sowie deren Neubildung wurden unter Androhung hoher Strafen verboten, sondern überhaupt jegliche Betätigung im nationalsozialistischen Sinn („Wiederbetätigung“). Ein eigenes „Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP“ (Verbotsgesetz) vom 8. Mai 1945 traf diesbezüglich eine umfassende Regelung. 1947 wurde es novelliert.

Schon die Unabhängigkeitserklärung bringt die gemachten historischen Erfahrungen zum Ausdruck, indem sie auf die Schuld der Nationalsozialisten an der Auslöschung Österreichs und am Weltkrieg verweist. Es sind nur die „antifaschistischen Parteien“, die die Zweite Republik begründen und deren erste Regierung bilden. (Nebenbei erwähnt sei, dass die Unabhängigkeitserklärung auch am Beginn der erst Jahrzehnte später hinterfragten These von der Opferrolle Österreichs steht.)
Unter der Oberhoheit der alliierten Besatzungsmächte wurde das Verbotsgesetz von eigens dafür geschaffenen Volksgerichten zuerst konsequent angewendet. Schon ab 1948/49 – mit Beginn des Kalten Krieges, der Zulassung minder belasteter „Ehemaliger“ zur Nationalratswahl und der Parteigründung des FPÖ-Vorläufers „Verband der Unabhängigen“ (VdU) – nahm diese Konsequenz jedoch ab.
Am 15. Mai 1955 kam es zwischen den vier Alliierten und Österreich zum Abschluss des „Staatsvertrages von Wien“. Dieser verbietet in Artikel 4 den neuerlichen „Anschluss“ an Deutschland. In Artikel 7 wird die Auflösung von Organisationen gefordert, die den slowenischen und kroatischen Minderheiten feindlich gegenüberstehen. Und in Artikel 9 verpflichtet sich Österreich, alle „Organisationen faschistischen Charakters“ aufzulösen sowie aus dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben „alle Spuren des Nazismus“ zu entfernen.
Trotz dieser klaren, nun auch völkerrechtlichen Festschreibung des „antifaschistischen Gehalts“ der österreichischen Verfassung (Manfried Welan u.a.) kam es nach dem Abzug der Alliierten längere Zeit hindurch kaum mehr zu Verurteilungen nach dem Verbotsgesetz.
Die „spezialisierten“ Volksgerichte wurden abgeschafft und die nun zuständigen Geschworenengerichte fällten in Verfahren gegen alte und vermehrt auch neue Nationalsozialisten Freisprüche, die sich weder aus der Sach- noch aus der Rechtslage begründen ließen. Die Erklärung, die Geschworenen wären durch die hohen Strafdrohungen abgeschreckt worden, mag vereinzelt zutreffen, übersieht aber, dass die Stimmung in der Bevölkerung für die Täter und Wiederbetätiger günstig war. Nicht nur in vielen öffentlichen Ämtern, sondern auch auf vielen Geschworenenbänken saßen alte Nationalsozialisten.
Fast drei Jahrzehnte blieb diese Situation unverändert, auch wenn 1960 durch den Beschluss des Abzeichengesetzes und 1974/75 durch die Aufnahme des Verhetzungsparagraphen in das neue Strafgesetzbuch das antifaschistische Rechtsinstrumentarium ergänzt bzw. modifiziert wurde.
Der Umschwung begann in den 1980er Jahren. Zuerst bescheinigte das Landesgericht für Strafsachen Wien (allerdings in einem Verfahren wegen Übler Nachrede) der „Bundesturnzeitung“ des „Österreichischen Turnerbundes“ (ÖTB) eine „nationalsozialistische Schreibweise“. Dann setzte sich der Verfassungsgerichtshof mit den Umtrieben der „Nationaldemokratischen Partei“ (NDP) und der „Aktion Neue Rechte“ (ANR) auseinander. Er entschied nicht nur, dass die antifaschistischen Bestimmungen des Staatsvertrages „self-executive“ (also unmittelbar und damit auch ohne Durchführungsgesetze anzuwenden) seien, sondern traf vor allem folgende Feststellung: „Die kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik. Ausnahmslos jede Staatstätigkeit hat sich daran zu orientieren.“ (ANR-Erkenntnis 1985)
Die langsame Änderung des Meinungsklimas und die international beachteten Aktivitäten der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO) führten letztlich zur Novelle des Verbotsgesetzes im Jahr 1992: Einerseits wurden die Strafuntergrenzen bei Beibehaltung der Obergrenzen deutlich herabgesetzt, andererseits wurde der Tatbestand des § 3h eingefügt, der eine wirksamere Verfolgung der Leugnung, Gutheißung, gröblichen Verharmlosung oder Rechtfertigung von NS-Gewaltverbrechen ermöglicht.
Das „Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen“ (EGVG) gibt es seit 1986. Es enthält eine Bestimmung, die die Verbreitung von NS-Gedankengut ohne Wiederbetätigungsvorsatz (Beispiel: Hakenkreuzschmiererei als jugendliche Provokation) unter Verwaltungsstrafe stellt.
Anfang 2015 trat das Symbole-Gesetz in Kraft, das die Verwendung von Symbolen mehrerer – vorwiegend islamistischer – Organisationen unter Verwaltungsstrafe stellt. Das Gesetz wurde 2019 und 2021 novelliert. Die geltende Fassung verbietet unter anderem die Verwendung von Symbolen der türkisch-faschistischen „Grauen Wölfe“, der kroatisch-faschistischen „Ustascha“, der rechtsextremen „Identitären Bewegung Österreich“ und ihrer Tarnorganisation „Die Österreicher“.
Auf Betreiben des Mauthausen Komitees Österreich trat Anfang 2016 eine Neufassung des Verhetzungsparagraphen (§ 283 StGB) in Kraft, die zu wesentlich mehr Anklagen und Verurteilungen führte. Ebenfalls auf Betreiben des Mauthausen Komitees Österreich begann die Justiz in dieser Zeit auch, Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Hinblick auf das Verbotsgesetz weiterzubilden.
Heute kann bilanziert werden, dass die antifaschistischen Normen der österreichischen Rechtsordnung nicht mehr in Gefahr sind, totes Recht zu werden. Sie tragen vielmehr wesentlich zur Bekämpfung neonazistischer Strömungen bei. Allerdings sind die Verurteilungszahlen noch immer viel zu niedrig. Nicht selten kommt es zu unbegründeten Einstellungen von Verfahren, fallweise auch zu offenkundigen Fehlurteilen durch die Geschworenen. Das Mauthausen Komitee Österreich fordert außerdem, NS-Wiederbetätigung auch dann zu verfolgen, wenn die Tathandlung im Ausland gesetzt wird, aber ein klarer Österreich-Bezug besteht (etwa durch die Staatsbürgerschaft des Täters). Von diesen Themen abgesehen ist strittig, ob die sogenannte Teilleugnung des Holocaust (Beispiel: „Vergasungen hat es gegeben, aber nicht in Mauthausen!“) und die sogenannte Kriegsschuldlüge (Beispiel; „Nicht Hitler wollte den Weltkrieg, sondern England und Frankreich!“) strafbar sind.
2021 hat die derzeitige Justizministerin Alma Zadić (Grüne) wegen des bestehenden Reformbedarfs eine Arbeitsgruppe von Expertinnen und Experten mit der Evaluierung des Verbotsgesetzes beauftragt. Diese Arbeitsgruppe ist mehrfach zusammengetreten, zuletzt im Juni 2022. Inzwischen liegt ein erster Entwurf der geplanten Novelle des Verbotsgesetzes vor. Die Justizministerin verhandelt mit der SPÖ über deren Zustimmung, weil ein Verfassungsgesetz nur mit parlamentarischer Zweidrittel-Mehrheit geändert werden kann.
Robert Eiter
Antifaschistische Rechtsmaterien in Österreich
Unabhängigkeitserklärung („Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs“) vom 27. April 1945
Verbotsgesetz 1947, in der Fassung von 1992: relevant v.a. §§ 1, 3, 3a, 3b, 3d, 3g und 3h
Staatsvertrag von Wien vom 15. Mai 1955: Artikel 4, 7 und 9
Abzeichengesetz 1960, in der Fassung von 2012
Verhetzungsparagraph: § 283 Strafgesetzbuch (StGB), in der Fassung von 2016*
EGVG: Artikel III Abs. 1 Z4, seit 1986
Symbole-Gesetz, in der Fassung von 2021: Graue Wölfe, Ustascha, Identitäre, Die Österreicher …
*Anmk. SdR: Mit 1.1.2021 ist eine Novellierung des Verhetzungsparagraphen in Kraft getreten