Die merkwürdige Geschichte beginnt damit, dass das Video 2023 auf Vimeo hochgeladen wurde – immerhin 13 Jahre nach seiner Produktion. Landeck feiert heuer das Jubiläum 100 Jahre Stadterhebung. Und da ist wohl irgendjemand in Landeck auf die Idee gekommen, mit diesem Video die Jahre der Nazi-Diktatur in Landeck auch noch einmal hochleben zu lassen.
25 Minuten dauert das Video, das die Jahre zwischen 1923 und 1945 umspannen sollte, aber, abgesehen von den ersten sechs Minuten, sind nur Bilder und Filmausschnitte aus Nazi-Propagandafilmchen über feiernde und feixende Nazi-Bonzen zu sehen. Die Landecker Bevölkerung wird in den ersten sechs Minuten vorgeführt in der Gestalt von Klaubholz sammelnden Frauen, musikalisch untermalt durch Beethovens Schicksalssymphonie, textlich ergänzt durch Hinweise auf die steigende Arbeitslosigkeit und dümmliche Kommentare wie: „Der rauschende Innfluss war eine vertraute Erscheinung und sorgte für gute Luft.“ Im nächsten Satz ist zu hören, dass sich der Rauch aus den Kaminen der Karbid-Fabrik in dichten Schwaden über die Stadt gelegt hat.
Man ahnt, da kommt noch was. Ein rotes Hakenkreuz am Himmel über Landeck deutet es an, der Text dazu macht alles klar: „Am 12. März 1938 begrüßte die Landecker Bevölkerung mit Begeisterung den Einmarsch der deutschen Truppen und den Anschluss an Großdeutschland.“ Es folgt der einzige Hinweis, der auch als Kritik verstanden werden könnte: über die Verhaftung von Regimegegnern, die „wegen angeblicher Staatsgefährlichkeit ins Gefängnis mussten“. Ins Gefängnis? Oder auch ins KZ? Überhaupt: Was ist mit Regimegegner*innen aus dem Bezirk Landeck passiert? Oder mit Juden und Jüdinnen? Gab’s die überhaupt in Landeck? Doch, es gab welche. Edmund Gansl konnte samt Familie noch flüchten – vor Gauleiter Franz Hofer, einem besonders rabiaten Antisemiten, und den Landecker Bürger*innen, die ihn aus seinem Geschäft gezerrt und angespuckt haben. Auf das Textilgeschäft von Samuel Kreisberger, des zweiten namentlich erfassten jüdischen Landeckers, haben SA-Leute schon 1937 zwei Sprengstoffanschläge verübt. 1939 „verliert sich seine Spur“, heißt es dazu in einem Beitrag des Historikers Roman Spiss, der über Landeck in der Nazi-Zeit gearbeitet hat.
Die NSDAP betonte in ihrer Propaganda den friedlichen Übergang von der alten zur neuen Regierung. Der Bericht des Gendarmeriepostens von Landeck vom März 1938 beweist das Gegenteil.
„Die Machtübernahme durch die Nat.Soz. ging in Landeck wohl ohne Blutvergießen, nicht aber ohne seelische Leiden vor sich. Noch in der Nacht zum 12.3. besetzten die Nationalsozialisten sämtliche Behörden und Ämter. Der Gendarmerieposten wurde von der SS besetzt. Der Bezirkshauptmann, der Bürgermeister und andere Persönlichkeiten sowie der Postenkommandant Revierinspektor Moser, Rayonsinspektor Winkler und der Gendarm Albrecht wurden ihres Amtes bzw. ihres Dienstes enthoben. 27 vaterländisch gesinnte Männer von Landeck wurden verhaftet. Drei davon, darunter Rayonsinspektor Winkler, kamen ins Konzentrationslager Dachau.“ Aus: Gendarmeriepostenchronik Landeck. DÖW 12.998. „Zauner, Wilhelm am 6.12.1903 geb., Mineur, Pians zust. und wohnhaft, am 21.3.1938 verhaftet und dem Bezirksgerichte in Landeck eingeliefert, wo er sich noch in Haft befindet. Die Verhaftung erfolgte über Auftrag der SS Leitung in Landeck, weil Zauner beim Einzug des Deutschen-Militärs in Pians dieses beschimpfte.“ Aus: Bezirksgendarmeriekommando Landeck, 23.3.1938. Verzeichnis der seit 11.3.1938 im Bezirk Verhafteten. DÖW 12.998. Der Kreis Landeck Noch vor dem „Anschluss” hatten die Landecker Kaufleute in einer Versammlung am 11. Februar 1938 energisch gegen das „Bestreben einer Judenfirma, hier ein Einheitspreisgeschäft zu errichten”, Stellung genommen. Zu diesem Zeitpunkt lebte der Textilhändler Kreisberger bereits einige Jahre in der Stadt. Er war stiller Teilhaber an einem Geschäft, das Maria Erhart im Haus des Sattlermeisters Gröbner an der Innbrücke eingerichtet hatte, und wohnte laut Angaben einer Zeitzeugin auf dem Marktplatz. 1937 hatten illegale Landecker SA-Leute zwei Sprengstoffanschläge auf das Geschäft verübt. Bei der Volkszählung am 14. Mai 1939 scheint noch ein „Volljude im Sinne der Nürnberger Rassengesetze” auf — wohl Kreisberger -, dann verliert sich seine Spur. Aus: Thomas Albrich, Die Jahre der Verfolgung und Vernichtung unter der Herrschaft von Nationalsozialismus und Faschismus 1938 bis 1945: Jüdisches Leben im historischen Tirol. Haymon 2014 |
Im Landecker Jubelvideo gibt es keine Juden, keinen Antisemitismus, keinen Widerstand, dafür Bilder vom Nazi-Volksfest am Viehmarktplatz, vom morgendlichen Turnen „im Dienste der Volksgesundheit“, von vielen „freiwilligen Arbeitsstunden und Arbeitseinsätzen“ und von drei „Kriegsgefangenenlagern“, die „aufgebaut werden mussten, um die große Zahl der Gefangenen aufnehmen zu können“. Das Wort „Zwangsarbeit“ findet keine Erwähnung. Dafür sind viele, sehr vielen Nazi-Bonzen zu sehen, die viel lachen, feixen und sich den Hitlergruß zuwerfen. Unter ihnen, so der sparsame Kommentar ehrfürchtig, ist nicht nur der Gauleiter, sondern sogar der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, „in Zivil“. Kein Wort zum Massenmörder Himmler!
Jedoch viele wehende Nazi-Flaggen und noch mehr Hakenkreuze. Dazu unterhält die Betrachter*innen des Videos musikalisch der Königgrätzer Marsch. Den liebten die Nazis, in Österreich ist er wegen der verlorenen Schlacht in Königgrätz weniger populär. Aber das Landeck-Video feiert ja auch nicht Österreich oder die Stadterhebung, sondern – das ist mehr als deutlich – die Nazis in Landeck.
Fragt sich: Warum verantwortet die Stadtgemeinde Landeck noch im Jahr 2010 ein derartiges Video? Warum lädt der User „meinlandecktv“ 13 Jahre später das Video mit absolut kritikloser Darstellung der NS-Zeit auf „Vimeo“ hoch und teilt es über Facebook? Das wollten wir von „LandeckTV“ wissen und erhielten folgende Auskunft: „Wir können ihnen in diesem Fall keine Stellungnahme anbieten, da dies nicht unser Kanal ist. Unsere Videos für Landeck TV laufen unter dem Usernamen ‚Huber TV‘. Bitte wenden Sie sich an die entsprechende Person.“
Offensichtlich hat unsere Mail-Anfrage an Landeck bzw. Huber TV schneller den Weg zur „entsprechenden Person“ gefunden als wir, denn kurz nach unserer Anfrage war das Video auf „Vimeo“ verschwunden. Das ist ein kleiner Erfolg, aber nicht ausreichend! Es stellt sich nämlich die Frage, wie das Jubelvideo rechtlich zu beurteilen ist: Nazi-Propaganda? Was hat die Stadtgemeinde Landeck damit zu schaffen?
Mittlerweile wissen wir, dass der Rechtsanwalt Martin Josef Walser in dieser Sache beim Stadtamt der Gemeinde Landeck eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht hat. Aus ihr geht hervor, dass die Stadtgemeinde im Jahr 2010 über 200 DVDs mit dem NS-Jubelvideo verbreitet haben könnte. Jetzt ist die Stadtgemeinde am Zug.
Der erschreckende Inhalt stellt die bekanntlich auch und gerade in Landeck grausame NS-Zeit auf Basis von weitgehend unkommentiertem, jedenfalls aber unzureichend erörtertem Propagandamaterial des seinerzeitigen Verbrecherregimes dar. Nach mir zugetragenen Informationen soll die Stadtgemeinde Landeck seinerzeit davon über 200 DVDs verbreitet haben. (Aufsichtsbeschwerde Martin J. Walser)
Die „Tiroler Tageszeitung“ (10.2.23; Paywall) berichtet von dem „Wirbel um ‚Nazi-Filme‘ im Rathaus“. Der Bürgermeister von Landeck „kann die Kritik an der Dokumentation nicht nachvollziehen“, denn „auch der Audiokommentar zu den Aufnahmen habe einen neutralen Ton“. Zweifellos sind die Verbrechen und Verbrecher des Nationalsozialismus dem Kommentator gleichgültig, aber der Bürgermeister setzt in der TT noch eine geschichtsvergessene Pointe nach: „‚Seien wir froh, dass solche Filme heute noch vorhanden sind‘, hebt der Bürgermeister vielmehr den geschichtlichen Wert der seltenen Aufnahmen hervor.“
Die Entstehungsgeschichte des Videos sei, so der ÖVP-Bürgermeister, nicht mehr nachvollziehbar, ein Beschluss der Stadtgemeinde nicht auffindbar. Der Aufsichtsbeschwerde von Martin J. Walser sieht der Bürgermeister gelassen entgegen. Ein Historiker aus Landeck, dessen Name nicht genannt wird, sei nun von der Gemeinde mit einer „genauen Prüfung“ der DVD beauftragt worden. Wir warten jetzt einmal ab.