Revival eines Nazi-Propagandafilms in Landeck

Es ist eine merk­würdi­ge Geschichte, auf die wir da vor weni­gen Tagen aufmerk­sam wur­den. Ein Video über die Stadt­ge­meinde Lan­deck war auf die Plat­tform „Vimeo“ hochge­laden wor­den. Vorge­blich die Geschichte der Stadt zwis­chen 1923 und 1945 schildernd, bestand das Mach­w­erk haupt­säch­lich aus weit­ge­hend unkom­men­tiertem Nazi-Pro­pa­gan­da­ma­te­r­i­al. Ein braunes Jubel-Video? Im Abspann wird die Stadt­ge­meinde Lan­deck als Pro­duzentin des Videos ausgewiesen.

Die merk­würdi­ge Geschichte begin­nt damit, dass das Video 2023 auf Vimeo hochge­laden wurde – immer­hin 13 Jahre nach sein­er Pro­duk­tion. Lan­deck feiert heuer das Jubiläum 100 Jahre Stadter­he­bung. Und da ist wohl irgend­je­mand in Lan­deck auf die Idee gekom­men, mit diesem Video die Jahre der Nazi-Dik­tatur in Lan­deck auch noch ein­mal hochleben zu lassen.

25 Minuten dauert das Video, das die Jahre zwis­chen 1923 und 1945 umspan­nen sollte, aber, abge­se­hen von den ersten sechs Minuten, sind nur Bilder und Fil­mauss­chnitte aus Nazi-Pro­pa­gandafilm­chen über feiernde und feix­ende Nazi-Bonzen zu sehen. Die Lan­deck­er Bevölkerung wird in den ersten sechs Minuten vorge­führt in der Gestalt von Klaub­holz sam­mel­nden Frauen, musikalisch unter­malt durch Beethovens Schick­salssym­phonie, textlich ergänzt durch Hin­weise auf die steigende Arbeit­slosigkeit und dümm­liche Kom­mentare wie: „Der rauschende Inn­fluss war eine ver­traute Erschei­n­ung und sorgte für gute Luft.“ Im näch­sten Satz ist zu hören, dass sich der Rauch aus den Kami­nen der Kar­bid-Fab­rik in dicht­en Schwaden über die Stadt gelegt hat.

Landeck im Nationalsozialismus (Screenshot Video Landeck 1923-1945)

Lan­deck im Nation­al­sozial­is­mus (Screen­shot Video Lan­deck 1923–1945)

Man ahnt, da kommt noch was. Ein rotes Hak­enkreuz am Him­mel über Lan­deck deutet es an, der Text dazu macht alles klar: „Am 12. März 1938 begrüßte die Lan­deck­er Bevölkerung mit Begeis­terung den Ein­marsch der deutschen Trup­pen und den Anschluss an Großdeutsch­land.“ Es fol­gt der einzige Hin­weis, der auch als Kri­tik ver­standen wer­den kön­nte: über die Ver­haf­tung von Regimegeg­n­ern, die „wegen ange­blich­er Staats­ge­fährlichkeit ins Gefäng­nis mussten“. Ins Gefäng­nis? Oder auch ins KZ? Über­haupt: Was ist mit Regimegegner*innen aus dem Bezirk Lan­deck passiert? Oder mit Juden und Jüdin­nen? Gab’s die über­haupt in Lan­deck? Doch, es gab welche. Edmund Gansl kon­nte samt Fam­i­lie noch flücht­en – vor Gauleit­er Franz Hofer, einem beson­ders rabi­at­en Anti­semiten, und den Lan­deck­er Bürger*innen, die ihn aus seinem Geschäft gez­er­rt und ange­spuckt haben. Auf das Tex­tilgeschäft von Samuel Kreis­berg­er, des zweit­en namentlich erfassten jüdis­chen Lan­deck­ers, haben SA-Leute schon 1937 zwei Sprengstof­fan­schläge verübt. 1939 „ver­liert sich seine Spur“, heißt es dazu in einem Beitrag des His­torik­ers Roman Spiss, der über Lan­deck in der Nazi-Zeit gear­beit­et hat.

Die NSDAP betonte in ihrer Pro­pa­gan­da den friedlichen Übergang von der alten zur neuen Regierung. Der Bericht des Gen­darmeriepostens von Lan­deck vom März 1938 beweist das Gegenteil.

 

„Die Machtübernahme durch die Nat.Soz. ging in Lan­deck wohl ohne Blutvergießen, nicht aber ohne seel­is­che Lei­den vor sich. Noch in der Nacht zum 12.3. beset­zten die Nation­al­sozial­is­ten sämtliche Behörden und Ämter. Der Gen­darmerieposten wurde von der SS beset­zt. Der Bezirk­shaupt­mann, der Bürgermeister und andere Persönlichkeiten sowie der Postenkom­man­dant Revierin­spek­tor Moser, Rayon­sin­spek­tor Win­kler und der Gen­darm Albrecht wur­den ihres Amtes bzw. ihres Dien­stes enthoben. 27 vaterländisch gesin­nte Männer von Lan­deck wur­den ver­haftet. Drei davon, darunter Rayon­sin­spek­tor Win­kler, kamen ins Konzen­tra­tionslager Dachau.“

Aus: Gen­darmeriepos­tenchronik Lan­deck. DÖW 12.998.

„Zauner, Wil­helm am 6.12.1903 geb., Mineur, Pians zust. und wohn­haft, am 21.3.1938 ver­haftet und dem Bezirks­gerichte in Lan­deck ein­geliefert, wo er sich noch in Haft befind­et. Die Ver­haf­tung erfol­gte über Auf­trag der SS Leitung in Lan­deck, weil Zauner beim Einzug des Deutschen-Militärs in Pians dieses beschimpfte.“

Aus: Bezirks­gen­darmeriekom­man­do Lan­deck, 23.3.1938. Verze­ich­nis der seit 11.3.1938 im Bezirk Ver­hafteten. DÖW 12.998.

Der Kreis Landeck

Noch vor dem „Anschluss” hat­ten die Lan­deck­er Kau­fleute in ein­er Ver­samm­lung am 11. Feb­ru­ar 1938 ener­gisch gegen das „Bestreben ein­er Juden­fir­ma, hier ein Ein­heit­spreis­geschäft zu erricht­en”, Stel­lung genom­men. Zu diesem Zeit­punkt lebte der Tex­til­händler Kreis­berg­er bere­its einige Jahre in der Stadt. Er war stiller Teil­haber an einem Geschäft, das Maria Erhart im Haus des Sat­tler­meis­ters Gröb­n­er an der Innbrücke ein­gerichtet hat­te, und wohnte laut Angaben ein­er Zeitzeu­g­in auf dem Mark­t­platz. 1937 hat­ten ille­gale Lan­deck­er SA-Leute zwei Sprengstof­fan­schläge auf das Geschäft verübt. Bei der Volk­szäh­lung am 14. Mai 1939 scheint noch ein „Volljude im Sinne der Nürn­berg­er Ras­sen­ge­set­ze” auf — wohl Kreis­berg­er -, dann ver­liert sich seine Spur.
Seit 1935 eben­falls Lan­deck­er Ein­wohn­er war Edmund Gans, der mit sein­er Lebens­ge­fährtin Aran­ca und dem Sohn Sieg­mund in der Andreas-Hofer-Straße wohnte. Sieg­mund hat­te eine Gold­schmiedelehre in Wien absolviert, dann in Paris gear­beit­et und war alljährlich auf Urlaub zu seinem Vater nach Lan­deck gekom­men, bis er schließlich bei ihm blieb und ihn im Geschäft unter­stützte. Mit seinem Han­del mit „Textil‑, Stoff‑, Wirk-und Kon­fek­tion­swaren” hat­te sich Edmund Gansl in der Malser­straße eingemietet. Er war bekan­nt für seine niedri­gen Preise und die aus­geze­ich­nete Qual­ität sein­er Waren. Schon vor dem „Anschluss” wurde sein Schaufen­ster mit „Bei Juden kauft man nicht ein!* beschmiert, zer­rten ihn junge Lan­deck­er in ihren weißen Hem­den und Knicker­bock­er­ho­sen aus dem Geschäft, beschimpften ihn und spuck­ten ihn an.

Aus: Thomas Albrich, Die Jahre der Ver­fol­gung und Ver­nich­tung unter der Herrschaft von Nation­al­sozial­is­mus und Faschis­mus 1938 bis 1945: Jüdis­ches Leben im his­torischen Tirol. Hay­mon 2014

Im Lan­deck­er Jubelvideo gibt es keine Juden, keinen Anti­semitismus, keinen Wider­stand, dafür Bilder vom Nazi-Volks­fest am Viehmark­t­platz, vom mor­gendlichen Tur­nen „im Dien­ste der Volks­ge­sund­heit“, von vie­len „frei­willi­gen Arbeitsstun­den und Arbeit­sein­sätzen“ und von drei „Kriegs­ge­fan­genen­lagern“, die „aufge­baut wer­den mussten, um die große Zahl der Gefan­genen aufnehmen zu kön­nen“. Das Wort „Zwangsar­beit“ find­et keine Erwäh­nung. Dafür sind viele, sehr vie­len Nazi-Bonzen zu sehen, die viel lachen, feix­en und sich den Hit­ler­gruß zuw­er­fen. Unter ihnen, so der sparsame Kom­men­tar ehrfürchtig, ist nicht nur der Gauleit­er, son­dern sog­ar der Reichs­führer SS, Hein­rich Himm­ler, „in Ziv­il“. Kein Wort zum Massen­mörder Himmler!

NS-Propaganda in Landeck (Screenshot Video Landeck 1923-1945)

NS-Pro­pa­gan­da in Lan­deck (Screen­shot Video Lan­deck 1923–1945)

NS-Propaganda in Landeck (Screenshot Video Landeck 1923-1945)

NS-Pro­pa­gan­da in Lan­deck (Screen­shot Video Lan­deck 1923–1945)

NS-Propaganda in Landeck (Screenshot Video Landeck 1923-1945)

NS-Pro­pa­gan­da in Lan­deck (Screen­shot Video Lan­deck 1923–1945)

Volksfest zum Anschluss in Landeck (Screenshot Video Landeck 1923-1945)

Volks­fest zum Anschluss in Lan­deck (Screen­shot Video Lan­deck 1923–1945)

Jedoch viele wehende Nazi-Flaggen und noch mehr Hak­enkreuze. Dazu unter­hält die Betrachter*innen des Videos musikalisch der König­grätzer Marsch. Den liebten die Nazis, in Öster­re­ich ist er wegen der ver­lore­nen Schlacht in König­grätz weniger pop­ulär. Aber das Lan­deck-Video feiert ja auch nicht Öster­re­ich oder die Stadter­he­bung, son­dern – das ist mehr als deut­lich – die Nazis in Landeck.

Himmler mit Gauleiter Hofer (?) in Landeck (Screenshot Video Landeck 1923-1945)

Himm­ler mit Gauleit­er Hofer (?) in Lan­deck (Screen­shot Video Lan­deck 1923–1945)

Fragt sich: Warum ver­ant­wortet die Stadt­ge­meinde Lan­deck noch im Jahr 2010 ein der­ar­tiges Video? Warum lädt der User „mein­lan­deck­tv“ 13 Jahre später das Video mit abso­lut kri­tik­los­er Darstel­lung der NS-Zeit auf „Vimeo“ hoch und teilt es über Face­book? Das woll­ten wir von „Lan­deck­TV“ wis­sen und erhiel­ten fol­gende Auskun­ft: „Wir kön­nen ihnen in diesem Fall keine Stel­lung­nahme anbi­eten, da dies nicht unser Kanal ist. Unsere Videos für Lan­deck TV laufen unter dem User­na­men ‚Huber TV‘. Bitte wen­den Sie sich an die entsprechende Per­son.“

Offen­sichtlich hat unsere Mail-Anfrage an Lan­deck bzw. Huber TV schneller den Weg zur „entsprechen­den Per­son“ gefun­den als wir, denn kurz nach unser­er Anfrage war das Video auf „Vimeo“ ver­schwun­den. Das ist ein klein­er Erfolg, aber nicht aus­re­ichend! Es stellt sich näm­lich die Frage, wie das Jubelvideo rechtlich zu beurteilen ist: Nazi-Pro­pa­gan­da? Was hat die Stadt­ge­meinde Lan­deck damit zu schaffen?

Mit­tler­weile wis­sen wir, dass der Recht­san­walt Mar­tin Josef Walser in dieser Sache beim Stad­tamt der Gemeinde Lan­deck eine Auf­sichts­beschw­erde ein­gere­icht hat. Aus ihr geht her­vor, dass die Stadt­ge­meinde im Jahr 2010 über 200 DVDs mit dem NS-Jubelvideo ver­bre­it­et haben kön­nte. Jet­zt ist die Stadt­ge­meinde am Zug.

Der erschreck­ende Inhalt stellt die bekan­ntlich auch und ger­ade in Lan­deck grausame NS-Zeit auf Basis von weit­ge­hend unkom­men­tiertem, jeden­falls aber unzure­ichend erörtertem Pro­pa­gan­da­ma­te­r­i­al des sein­erzeit­i­gen Ver­brecher­regimes dar. Nach mir zuge­tra­ge­nen Infor­ma­tio­nen soll die Stadt­ge­meinde Lan­deck sein­erzeit davon über 200 DVDs ver­bre­it­et haben. (Auf­sichts­beschw­erde Mar­tin J. Walser)

Die „Tirol­er Tageszeitung“ (10.2.23; Pay­wall) berichtet von dem „Wirbel um ‚Nazi-Filme‘ im Rathaus“. Der Bürg­er­meis­ter von Lan­deck „kann die Kri­tik an der Doku­men­ta­tion nicht nachvol­lziehen“, denn „auch der Audiokom­men­tar zu den Auf­nah­men habe einen neu­tralen Ton“. Zweifel­los sind die Ver­brechen und Ver­brech­er des Nation­al­sozial­is­mus dem Kom­men­ta­tor gle­ichgültig, aber der Bürg­er­meis­ter set­zt in der TT noch eine geschichtsvergessene Pointe nach: ‚Seien wir froh, dass solche Filme heute noch vorhan­den sind‘, hebt der Bürg­er­meis­ter vielmehr den geschichtlichen Wert der sel­te­nen Auf­nah­men hervor.“

Die Entste­hungs­geschichte des Videos sei, so der ÖVP-Bürg­er­meis­ter, nicht mehr nachvol­lziehbar, ein Beschluss der Stadt­ge­meinde nicht auffind­bar. Der Auf­sichts­beschw­erde von Mar­tin J. Walser sieht der Bürg­er­meis­ter gelassen ent­ge­gen. Ein His­torik­er aus Lan­deck, dessen Name nicht genan­nt wird, sei nun von der Gemeinde mit ein­er „genauen Prü­fung“ der DVD beauf­tragt wor­den. Wir warten jet­zt ein­mal ab.