Der angebliche Sturm der Antifa auf das Kapitol ist schnell entlarvt. Die deutlich rechte „Washington Times“, ein Blatt, das der Vereinigungskirche des Sun Myung Moon gehört, hat in einem – mittlerweile gelöschten – Beitrag am 6.1.2021 behauptet, die Gesichtserkennungsfirma XRVision könne anhand von Aufnahmen belegen, dass Antifa-Krawallmacher an den Ausschreitungen beim Kapitol beteiligt waren. Um die Lüge noch etwas greller auszugestalten, schwafelte die Zeitung von einem Stalinisten und einem BLM (Black Lives Matter)-Aktivisten, die dabei erkannt worden seien.
Schöne Geschichte, oder? Machte natürlich die Runde bis hin zu österreichischen Abnehmern von QAnon-Schauermärchen. Blöd nur, dass sie erstunken und erlogen war. XRVision bestritt nicht, dass man Bild- und Videomaterial des Staatsstreichversuchs ausgewertet habe, aber sonst alles an dem Beitrag. Um die Behauptungen der „Washington Times“ zu widerlegen, veröffentlichte der XRVision-Chef auf seinem Blog Fotos der beteiligten Neonazis – mit Namen. Die „Washington Times“ wurde mit einem Unterlassungsbegehren aufgefordert, den Lügenbeitrag zu löschen und sich dafür zu entschuldigen, was sie dann auch tat.
Dazu macht nun ein Evergreen der rechtsextremen Lügen die Runde: „Rechts“ ist nicht nazi – etwas holprig, aber doch deutlich erkennbar kommt hier das uralte Märchen wieder, der Nationalsozialismus sei eine linke Ideologie gewesen. Sogar „Belege“ für diese doch ziemlich freche Lüge werden angeführt: Hitler sei demnach vor der Gründung der NSDAP in der SPD gewesen, Goebbels und der Blutrichter Freisler sogar in der KPD. Wirklich?
Beginnen wir mit Hitler. Der hat ja bekanntlich ein autobiographisches Werk verfasst: „Mein Kampf“. Das strotzt zwar vor Lügen, aber man kann es ja versuchen:
Wir waren alle mehr oder minder fest überzeugt, daß Deutschland durch die Parteien des Novemberverbrechens, Zentrum und Sozialdemokratie, nicht mehr aus dem heranreifenden Zusammenbruche gerettet werden würde. (…) So wurde denn in unserem kleinen Kreise die Bildung einer neuen Partei erörtert.
Das schreibt er im 8. Kapitel „Beginn meiner politischen Tätigkeit“. Davor war also laut Hitler nichts, und danach kam die Gründung der „Deutschen Arbeiterpartei“ (DAP),Vorläuferin der NSDAP. Die DAP war eine antisemitische, völkische und daher rechtsextreme Partei. Weil aber Hitler ein notorischer Lügner und Hetzer war, sollte man sich natürlich nicht auf seine Erzählung verlassen. Wir ziehen also die Hitler-Biographie von Longerich (Peter Longerich, Hitler Biographie. Siedler Verlag, München 2015) zu Rate.
Longerich erwähnt, dass Hitler im Juli 1921 – da war er schon Chef der NSDAP – seinen Parteikameraden Hermann Esser gegen den Vorwurf, dass der ein Spitzel sei, mit der Bemerkung verteidigt hat, „Jeder war einmal Sozialdemokrat“ (Longerich, S. 61). Aus anderen Aufzeichnungen Hitlers gehe, so Longerich, hervor, dass Hitler „rückblickend die Rolle der MSPD in der Revolutionszeit nicht völlig negativ sah. Doch solche Bemerkungen galten eindeutig der Sozialdemokratie als einer antirevolutionären Kraft, als einer Ordnungsmacht, die sich im Frühjahr 1919 einer weiteren Radikalisierung nach links entgegengestellt hatte.“ (ebd.)
Also nichts mit Mitgliedschaft. Ein Spurenelement Sympathie für die Sozialdemokratie gab es bei Hitler ausschließlich im Rückblick und auch nur dort, wo die Sozialdemokratie (MSPD) gegen die Linke (USPD, KPD usw.) vorging, also deutlich rechts agierte.
Was aber ist mit Goebbels, von dem das Posting behauptet, dass er sogar in der KPD gewesen sei? Der Reichspropagandaminister war ein mindestens so begabter Lügner und Hetzer wie Hitler. Daher muss man auch seinen Erinnerungen nicht unbedingt trauen, in denen er von „Abscheu“ über die (linke) Novemberrevolution 1918 schrieb und dass er damals „konservativ“, nämlich die rechte Bayerische Volkspartei, gewählt habe. Biographisch und politisch folgte dann bereits die Hinwendung zu Hitler, zum Antisemitismus und zur NSDAP, was gut dokumentiert ist. Da blieb kein Platz für die KPD. Und was ist mit seinem Spruch, „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke“? Der Satz ist ein echter Goebbels, stammt aus dem Jahr 1931, als sich Goebbels als Berliner Gauleiter gerade mit Straßenschlachten gegen Sozialdemokraten und Kommunisten profilierte und diesen Parteien mit seiner Rhetorik die Wähler abspenstig zu machen versuchte. Longerich, der auch eine umfangreiche Goebbels-Bio schrieb, charakterisierte den Goebbel‘schen „Sozialismus“ damit, dass er
wenig zu tun hatte mit den zeitgenössischen Debatten um Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und nicht die Verwirklichung einer egalitären und gerechten Gesellschaftsordnung zum Ziel hatte. Der „nationale Sozialismus“ lief vielmehr auf die totale Einordnung des einzelnen in eine durchorganisierte Volksgemeinschaft hinaus. Da in einer solchen rassisch homogenen und ganz auf die Durchsetzung nationaler Ziele ausgerichteten Volksgemeinschaft soziale Unterschiede zweitrangig waren, war aus Goebbels‘ Sicht auch die „soziale Frage“ gelöst, herrschte eben „nationaler Sozialismus“. (Peter Longerich, Joseph Goebbels. Biographie. Pantheon Verlag München 2010)
Die Nazis und ihr Nationalsozialismus hatten immer die Zerschlagung der Linken, der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen, die Verfolgung aller ihrer politischen Gegner zur Voraussetzung ihrer Herrschaft. In einer „rassisch“ homogenen Volksgemeinschaft der Deutschen, die fremde „Rassen“ unterwirft, bestiehlt und ermordet, sahen sie ihr Ziel vom Tausendjährigen Reich. Millionen Ermordete in den KZ, Millionen Tote auf den Schlachtfeldern waren das Ergebnis. Mit Sozialismus und/oder linken Ideen hat der Nationalsozialismus nichts gemeinsam. Und nein: Hitler war auch kein Antifa! Den Sturm auf das Kapitol in Washington haben Trump und seine rechtsextremen Bündnisgesellen zu verantworten.