Es war Wolfgang Sobotka, dem studierten Historiker, Innenminister von April 2016 bis Dezember 2017, seither Präsident des Nationalrats, vorbehalten, am gestrigen Gedenktag den Schlusspunkt der politischen Statements zu setzen. Als Gast der ZIB 2 erklärte er uns, wie das denn mit dem Antisemitismus so sei und dass wir was dagegen tun müssen. Nichts Außergewöhnliches also, aber doch einiges, was bemerkenswert war.
Wolfgang Sobotka erklärt, wie wichtig Erinnerungsarbeit sei und was es da in Österreich schon gäbe:
Da gibt es eine ganze Reihe von Organisationen, wie Centropa, die die Geschichten aufschreibt, die sie filmt, die sie zu Tonträgern macht. Aber auch eine ganz wesentliche Arbeit leisten unsere Vermittler in Mauthausen selbst, (…) Da genügt es nicht allein, wenn die Regierung, wenn die Parlamentarier Maßnahmen setzen oder die Israelitische Kultusgemeinde. (…) Und da gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen. Das Parlament hat eine ganz eine wesentliche gesetzt: Unsere Demokratiewerkstätte geht vor allem in Schulen hinaus, um dieses Thema vor Ort mit Schülerinnen und Schülern zu diskutieren. (Transkript APA)
Fehlt da nicht der so ziemlich wichtigste Akteur gerade im Feld rund um die KZ Gedenkstätte Mauthausen, das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ)? Es ist ja gut, auch eine weitgehend unbekannte Plattform zu nennen, aber ausgerechnet das MKÖ außen vor zu lassen, das neben der kontinuierlichen Gedenkarbeit jährlich die zwei wichtigsten Fixpunkte im Erinnern an den Holocaust organisiert, die Befreiungsfeiern und das „Fest der Freude“, auf die Beine stellt, ist ein Fauxpas – hoffentlich kein parteipolitisch motivierter, da das MKÖ als SPÖ-nahe gilt.
Da passt dazu, wenn Sobotka – vollkommen zu Recht – beklagt, dass es Denkmalschändungen, auch in Mauthausen gäbe: „(…) wenngleich aber es immer wieder zu Schändungen von Grabmälern kommt, von Friedhöfen oder auch, wie es in Mauthausen schon oftmals vorgekommen ist, dass dort diese Gedenkstätte geschändet wird und mit Nazi-Sprüchen beschmiert wird“.
Just gestern wurde über die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage das publik:
Mindestens 107-mal wurden in den vergangenen sieben Jahren Gedenkstätten für NS-Opfer in Österreich geschändet, etwa durch Vandalismus. Der Großteil dieser Straftaten wurde der Öffentlichkeit allerdings nicht bekannt – und auch das Mauthausen-Komitee (MKÖ), Nachfolgeorganisation der Lagergemeinschaft Mauthausen, wurde über 22 Schändungen in der KZ-Gedenkstätte nicht informiert. (derstandard.at, 5.5.20)
Sobotka war in seiner Zeit als Innenminister direkt für die KZ-Gedenkstätte Mauthausen verantwortlich und damit ebenfalls für Reaktionen auf die Vandalenakte. Er hat sich jedoch – wie seine Amtskollegin Mikl-Leitner davor und Kickl danach – weggeduckt. Die gedenkpolitische Sprecherin der SPÖ, Sabine Schatz, verweist darauf, es sei „alleine seit September 2018 in der Gedenkstätte Mauthausen zu 12 Vorfällen“ gekommen. Was meint Sobotka dazu?
Direkt auf die Denkmalschändungen folgert er, er „glaube, es ist insgesamt eine Situation, die in der analogen Welt eine durchaus moderate Situation zeigt, aber die im Internet wirklich überhandnimmt“. Hätte er nur einen ganz kurzen Blick auf die Demonstrationen der letzten Tage in Wien, Klagenfurt oder Bregenz geworfen, hätte auch er bemerken müssen, wie viel offen zur Schau gestellter Antisemitismus zu bemerken war, ganz analog! Sobotka weiter: „Und daher muss unser Augenmerk, vor allem in der nächsten Zeit, ganz scharf auf das Internet gerichtet sein, denn was in der virtuellen Räumlichkeit stattfindet, kann leicht dann auch im Analogen stattfinden.“ Wie recht Sobotka doch hat, es ist zu hoffen, er schärft auch seinen analogen Blick!
Dies ebenfalls, wenn er eine Berliner Medienwissenschafterin zitierend meint „Antisemitismus – und das sind neue Ergebnisse – kommt nie aus den Rändern der Gesellschaft, sondern immer aus der Mitte der Gesellschaft oder aus der Tradition.“ Neu daran ist höchstens, dass dieser uralte Befund für Sobotka neu ist, wirklich neu wäre, daraus endlich die richtigen Schlüsse zu ziehen und entsprechende Maßnahmen zu setzen.
Richtiggehend abstrus wird der Schluss des Interviews:
Lorenz-Dittlbacher Lou (ORF)
Eine letzte Frage noch zu diesen Herausforderungen und zur Gegenwart. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel hat im Zusammenhang mit den Maßnahmen, die auch Deutschland setzen musste und gesetzt hat, zur Ausbreitung — zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus, von einer „demokratiepolitischen” Zumutung gesprochen. Ist es auch aus Ihrer Sicht eine demokratiepolitische Zumutung, womit wir in den vergangenen Wochen konfrontiert waren?Sobotka Wolfgang (ÖVP)
Das österreichische Parlament, Nationalrat und Bundesrat, hat, glaube ich, in dieser Zeit exzellent funktioniert, wie alle obersten Staatsorgane. Natürlich hat so eine Zeit natürlich auch Herausforderungen für den parlamentarischen Alltag und es ist natürlich eine Herausforderung – manche sagen, es ist eine Zumutung – so viele Gesetze in so kurzer Zeit, ohne Begutachtung zu beschließen. Das Gute daran ist, sie haben alle ein Ablaufdatum — manche schon ein sehr frühes, die sind schon wieder außer Kraft gesetzt worden, am 30. April, manche dauern noch ein paar Wochen weniger lang. Und da zeigt sich, dass wir auch in der Krise Maß gehalten haben. Und dort, wo wir jetzt sind, kehren wir Stück für Stück in diese Normalität auch zurück in den gewohnten Alltag des parlamentarischen Geschehens.
Es ist verständlich, wenn sich Sobotka in der Rolle des Präsidenten des Nationalrats wahrnimmt, aber was sagte und meinte Merkel wirklich? „Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung, denn sie schränkt genau das ein, was unsere existenziellen Rechte und Bedürfnisse sind – die der Erwachsenen genauso wie die der Kinder.” (zeit.de, 23.4.20)
Wäre gut, wenn es dem Präsidenten des Nationalrats auch gelänge, an die Bevölkerung zu denken, denn die hat die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer bemerkenswerten Regierungserklärung schließlich gemeint. Und nur die. Es wäre eine weitere demokratische Zumutung, das zu ignorieren.
Das Interview ist bis 13.5.20 hier abrufbar.