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„Demokratische Zumutung“ – Wolfgang Sobotka im ZIB 2‑Interview

Vor­bei ist er der Gedenk­tag anläss­lich des 75. Jah­res­tags der Befrei­ung des KZ Maut­hau­sen und sei­ner Neben­la­ger. Am Abend gab’s in der ZiB 2 ein Inter­view mit Wolf­gang Sobot­ka. Dazu hät­ten wir eini­ge Anmer­kun­gen. Es war Wolf­gang Sobot­ka, dem stu­dier­ten His­to­ri­ker, Innen­mi­nis­ter von April 2016 bis Dezem­ber 2017, seit­her Prä­si­dent des Natio­nal­rats, vor­be­hal­ten, am gestrigen […]

6. Mai 2020

Es war Wolf­gang Sobot­ka, dem stu­dier­ten His­to­ri­ker, Innen­mi­nis­ter von April 2016 bis Dezem­ber 2017, seit­her Prä­si­dent des Natio­nal­rats, vor­be­hal­ten, am gest­ri­gen Gedenk­tag den Schluss­punkt der poli­ti­schen State­ments zu set­zen. Als Gast der ZIB 2 erklär­te er uns, wie das denn mit dem Anti­se­mi­tis­mus so sei und dass wir was dage­gen tun müs­sen. Nichts Außer­ge­wöhn­li­ches also, aber doch eini­ges, was bemer­kens­wert war.

Wolf­gang Sobot­ka erklärt, wie wich­tig Erin­ne­rungs­ar­beit sei und was es da in Öster­reich schon gäbe:

Da gibt es eine gan­ze Rei­he von Orga­ni­sa­tio­nen, wie Cen­tro­pa, die die Geschich­ten auf­schreibt, die sie filmt, die sie zu Ton­trä­gern macht. Aber auch eine ganz wesent­li­che Arbeit leis­ten unse­re Ver­mitt­ler in Maut­hau­sen selbst, (…) Da genügt es nicht allein, wenn die Regie­rung, wenn die Par­la­men­ta­ri­er Maß­nah­men set­zen oder die Israe­li­ti­sche Kul­tus­ge­mein­de. (…) Und da gibt es eine gan­ze Rei­he von Maß­nah­men. Das Par­la­ment hat eine ganz eine wesent­li­che gesetzt: Unse­re Demo­kra­tie­werk­stät­te geht vor allem in Schu­len hin­aus, um die­ses The­ma vor Ort mit Schü­le­rin­nen und Schü­lern zu dis­ku­tie­ren. (Tran­skript APA)

Fehlt da nicht der so ziem­lich wich­tigs­te Akteur gera­de im Feld rund um die KZ Gedenk­stät­te Maut­hau­sen, das Maut­hau­sen Komi­tee Öster­reich (MKÖ)? Es ist ja gut, auch eine weit­ge­hend unbe­kann­te Platt­form zu nen­nen, aber aus­ge­rech­net das MKÖ außen vor zu las­sen, das neben der kon­ti­nu­ier­li­chen Gedenk­ar­beit jähr­lich die zwei wich­tigs­ten Fix­punk­te im Erin­nern an den Holo­caust orga­ni­siert, die Befrei­ungs­fei­ern und das „Fest der Freu­de“, auf die Bei­ne stellt, ist ein Faux­pas – hof­fent­lich kein par­tei­po­li­tisch moti­vier­ter, da das MKÖ als SPÖ-nahe gilt.

Da passt dazu, wenn Sobot­ka – voll­kom­men zu Recht – beklagt, dass es Denk­mal­schän­dun­gen, auch in Maut­hau­sen gäbe: „(…) wenn­gleich aber es immer wie­der zu Schän­dun­gen von Grab­mä­lern kommt, von Fried­hö­fen oder auch, wie es in Maut­hau­sen schon oft­mals vor­ge­kom­men ist, dass dort die­se Gedenk­stät­te geschän­det wird und mit Nazi-Sprü­chen beschmiert wird“.

Just ges­tern wur­de über die Beant­wor­tung einer par­la­men­ta­ri­schen Anfra­ge das publik:

Min­des­tens 107-mal wur­den in den ver­gan­ge­nen sie­ben Jah­ren Gedenk­stät­ten für NS-Opfer in Öster­reich geschän­det, etwa durch Van­da­lis­mus. Der Groß­teil die­ser Straf­ta­ten wur­de der Öffent­lich­keit aller­dings nicht bekannt – und auch das Maut­hau­sen-Komi­tee (MKÖ), Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on der Lager­ge­mein­schaft Maut­hau­sen, wur­de über 22 Schän­dun­gen in der KZ-Gedenk­stät­te nicht infor­miert. (derstandard.at, 5.5.20)

Sobot­ka war in sei­ner Zeit als Innen­mi­nis­ter direkt für die KZ-Gedenk­stät­te Maut­hau­sen ver­ant­wort­lich und damit eben­falls für Reak­tio­nen auf die Van­da­len­ak­te. Er hat sich jedoch – wie sei­ne Amts­kol­le­gin Mikl-Leit­ner davor und Kickl danach – weg­ge­duckt. Die gedenk­po­li­ti­sche Spre­che­rin der SPÖ, Sabi­ne Schatz, ver­weist dar­auf, es sei „allei­ne seit Sep­tem­ber 2018 in der Gedenk­stät­te Maut­hau­sen zu 12 Vor­fäl­len“ gekom­men. Was meint Sobot­ka dazu?

Direkt auf die Denk­mal­schän­dun­gen fol­gert er, er „glau­be, es ist ins­ge­samt eine Situa­ti­on, die in der ana­lo­gen Welt eine durch­aus mode­ra­te Situa­ti­on zeigt, aber die im Inter­net wirk­lich über­hand­nimmt“. Hät­te er nur einen ganz kur­zen Blick auf die Demons­tra­tio­nen der letz­ten Tage in Wien, Kla­gen­furt oder Bre­genz gewor­fen, hät­te auch er bemer­ken müs­sen, wie viel offen zur Schau gestell­ter Anti­se­mi­tis­mus zu bemer­ken war, ganz ana­log! Sobot­ka wei­ter: Und daher muss unser Augen­merk, vor allem in der nächs­ten Zeit, ganz scharf auf das Inter­net gerich­tet sein, denn was in der vir­tu­el­len Räum­lich­keit statt­fin­det, kann leicht dann auch im Ana­lo­gen statt­fin­den.“ Wie recht Sobot­ka doch hat, es ist zu hof­fen, er schärft auch sei­nen ana­lo­gen Blick!

Dies eben­falls, wenn er eine Ber­li­ner Medi­en­wis­sen­schaf­te­rin zitie­rend meint „Anti­se­mi­tis­mus – und das sind neue Ergeb­nis­se – kommt nie aus den Rän­dern der Gesell­schaft, son­dern immer aus der Mit­te der Gesell­schaft oder aus der Tra­di­ti­on.“ Neu dar­an ist höchs­tens, dass die­ser uralte Befund für Sobot­ka neu ist, wirk­lich neu wäre, dar­aus end­lich die rich­ti­gen Schlüs­se zu zie­hen und ent­spre­chen­de Maß­nah­men zu setzen.

Rich­tig­ge­hend abstrus wird der Schluss des Interviews:

Lorenz-Dittl­ba­cher Lou (ORF)
Eine letz­te Fra­ge noch zu die­sen Her­aus­for­de­run­gen und zur Gegen­wart. Die deut­sche Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel hat im Zusam­men­hang mit den Maß­nah­men, die auch Deutsch­land set­zen muss­te und gesetzt hat, zur Aus­brei­tung — zur Ein­däm­mung der Aus­brei­tung des Virus, von einer „demo­kra­tie­po­li­ti­schen” Zumu­tung gespro­chen. Ist es auch aus Ihrer Sicht eine demo­kra­tie­po­li­ti­sche Zumu­tung, womit wir in den ver­gan­ge­nen Wochen kon­fron­tiert waren?

Sobot­ka Wolf­gang (ÖVP)
Das öster­rei­chi­sche Par­la­ment, Natio­nal­rat und Bun­des­rat, hat, glau­be ich, in die­ser Zeit exzel­lent funk­tio­niert, wie alle obers­ten Staats­or­ga­ne. Natür­lich hat so eine Zeit natür­lich auch Her­aus­for­de­run­gen für den par­la­men­ta­ri­schen All­tag und es ist natür­lich eine Her­aus­for­de­rung – man­che sagen, es ist eine Zumu­tung – so vie­le Geset­ze in so kur­zer Zeit, ohne Begut­ach­tung zu beschlie­ßen. Das Gute dar­an ist, sie haben alle ein Ablauf­da­tum — man­che schon ein sehr frü­hes, die sind schon wie­der außer Kraft gesetzt wor­den, am 30. April, man­che dau­ern noch ein paar Wochen weni­ger lang. Und da zeigt sich, dass wir auch in der Kri­se Maß gehal­ten haben. Und dort, wo wir jetzt sind, keh­ren wir Stück für Stück in die­se Nor­ma­li­tät auch zurück in den gewohn­ten All­tag des par­la­men­ta­ri­schen Geschehens.

Es ist ver­ständ­lich, wenn sich Sobot­ka in der Rol­le des Prä­si­den­ten des Natio­nal­rats wahr­nimmt, aber was sag­te und mein­te Mer­kel wirk­lich? „Die­se Pan­de­mie ist eine demo­kra­ti­sche Zumu­tung, denn sie schränkt genau das ein, was unse­re exis­ten­zi­el­len Rech­te und Bedürf­nis­se sind – die der Erwach­se­nen genau­so wie die der Kin­der.” (zeit.de, 23.4.20)

Wäre gut, wenn es dem Prä­si­den­ten des Natio­nal­rats auch gelän­ge, an die Bevöl­ke­rung zu den­ken, denn die hat die deut­sche Bun­des­kanz­le­rin in ihrer bemer­kens­wer­ten Regie­rungs­er­klä­rung schließ­lich gemeint. Und nur die. Es wäre eine wei­te­re demo­kra­ti­sche Zumu­tung, das zu ignorieren.

Das Inter­view ist bis 13.5.20 hier abrufbar.

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