Gedenkkultur: Kein Lernen aus der Geschichte!

Am 8. März fand im Wiener Rathaus eine Ver­anstal­tung zum zehn­jähri­gen Beste­hen des Vere­ins „IM-MER Maly Trostinec erin­nern“ statt. Die Fes­trede hielt die His­torik­erin und Nation­al­ratsab­ge­ord­nete Eva Blim­linger. Sie stellt unsere gewohn­ten For­men von Gedenkkul­tur infrage und fordert: „Wir müssen viele Weg gehen und neue Wege anle­gen, und wir müssen auf die Wege gehen, wo die anderen Wirs gehen – es wird eine lange Wan­derung.“ Viel Stoff zum Nach­denken, den uns Eva Blim­linger mitgibt.

Unser Dank gilt Eva Blim­linger, die uns ihre bemerkenswerte Rede zur Ver­fü­gung gestellt hat!

Eva Blimlinger anlässlich der Zehnjahres-Feier Verein "IM-MER Maly Trostinec erinnern" (Foto © Niki Kunrath)

Eva Blim­linger anlässlich der Zehn­jahres-Feier Vere­in „IM-MER Maly Trostinec erin­nern” (Foto © Niki Kunrath)

Diese Rede wurde von Eva Blim­linger anlässlich der 10 Jahres-Feier IM-MER Maly Trostinec erin­nern (Wal­traud Bar­ton) am 8. März 2020 im Wiener Rathaus gehal­ten. Es gilt das gesproch­ene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Wal­traud Barton

Am 27. Jän­ner wurde, fast kann man sagen weltweit, an die Befreiung des Konzen­tra­tionslagers Auschwitz vor 75 Jahren gedacht: Medi­enkam­pag­nen, Aktio­nen, Gedenkver­anstal­tun­gen, inter­na­tionale Kon­gresse, Staats­be­suche, Gedenkminuten, Tafeln in den Social Medi­en mit dem Hash­tag WeRe­mem­ber und und und und – damit ver­bun­den ein Niemals vergessen. All das sollte daran erin­nern, dass in den Ver­nich­tungslagern der Nation­al­sozial­is­ten Mil­lio­nen von Men­schen ermordet wor­den sind. „Auschwitz zu besuchen, ist nicht leicht. Aber es ist notwendig. Ich empfinde tiefes Entset­zen darüber, was hier im KZ Auschwitz-Birke­nau Kindern, Frauen und Män­nern ange­tan wurde“ (1), so Bun­de­spräsi­dent Alexan­der van der Bellen anlässlich des Besuchs der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birke­nau im Jän­ner dieses Jahres.

Bei ein­er Tre­f­fen von über 50 Staatschefs in Yad Vashem/Israel hat Frank Wal­ter Stein­meier, Bun­de­spräsi­dent der Repub­lik Deutsch­land, gesagt: „Deutsch­land muss sich immer an die Ver­brechen im Nation­al-Sozial­is­mus erin­nern. Wir dür­fen niemals damit aufhören. Schon gar nicht jet­zt, wo sich Hass und Het­ze in Deutsch­land wieder aus­bre­it­en.“ (2) Und Van der Bellen in der KZ-Gedenkstätte: „Der Kampf gegen Anti­semitismus und Ras­sis­mus ist mir per­sön­lich sehr wichtig. Der Anti­semitismus und Ras­sis­mus der Nation­al­sozial­is­ten ist nicht vom Him­mel gefall­en. Er war schon zuvor in der öster­re­ichis­chen Gesellschaft sehr stark präsent. Aus Abw­er­tung von Men­schen wurde Aus­gren­zung, wurde Ent­men­schlichung, wurde Ermor­dung. Der Holo­caust war der grausame Höhep­unkt. Es ist daher unser gemein­samer fes­ter Wille und unsere Pflicht, jedem Aufkeimen von Men­schen­ver­ach­tung, Ras­sis­mus und Anti­semitismus in der Gegen­wart entsch­ieden und kom­pro­miss­los ent­ge­gen­zutreten.“ (3)

Ja, ich denke, darüber sind wir uns einig, wir, die hier ein Jubiläum bege­hen, zu dem ich Wal­traud Bar­ton sehr sehr her­zlich grat­uliere, wir, die wir seit Jahren und Jahrzehn­ten daran arbeit­en, sei es in der Wis­senschaft, der Forschung, der Kun­st, sei es in den Schulen, sei es an der Uni­ver­sität, sei es in der Erwach­se­nen­bil­dung, sei es in Organ­i­sa­tio­nen, sei es in Museen oder Kul­turvere­inen, sei es im Kino oder im Fernse­hen. Ich kann nicht alles aufzählen – es sind viele in unter­schiedlich­sten Zusam­men­hän­gen, mit ver­schieden­sten Moti­va­tio­nen. Wir dür­fen – wie Stein­meier sagt – niemals damit aufhören, und wir wer­den es auch sicher­lich nicht – aber die Frage ist, wie sollen wir es in Zukun­ft machen?

Denn es gibt eben auch andere Wirs, die das ganz und gar nicht so sehen, wenn sie, wie in Halle geschehen, an Yom Kip­pur am 19 Okto­ber 2019 einen Anschlag auf die dor­tige Syn­a­goge durch­führen, bei der zwei Men­schen ermordet wor­den sind. Geplant war, möglichst viele Besuch­er und Besucherin­nen des Gottes­di­en­stes zu ermor­den. Oder das ras­sis­tis­che Atten­tat in Hanau gegen die Besuch­er und Besucherin­nen von Shisha Bars, bei dem zehn Per­so­n­en ermordet wor­den sind. Die anti­semi­tis­chen und ras­sis­tis­chen Atten­tate sind nur die grauen­volle Spitze eines Eis­bergs der anderen Wirs, der anderen kollek­tiv­en Gedächt­nisse. Die anderen Wirs greifen zu vielfälti­gen Mit­teln, um ihrem Anti­semitismus, ihrem Ras­sis­mus Aus­druck zu ver­lei­hen. Und ja, es sind Kollek­tive – und die haben ihr eigenes Gedächt­nis. Es sind nicht die immer wieder behaupteten Einzeltäter, die ohne gesellschaftliche Ver­ankerung in anti­semi­tis­chen und ras­sis­tis­chen Zusam­men­hän­gen dies und das machen. Es geht kein Einzel­ner auf einen jüdis­chen Fried­hof und zer­stört und schän­det dort Grab­steine und Gräber – es sind Wirs.

Egal, ob im Schulk­lo oder auf der Uni­ver­sität, egal ob in der Straßen­bahn, im Bus oder in der U‑Bahn, auf dem Haus nebe­nan, am Arbeit­splatz, im Stiegen­haus oder auf der Haustüre – wir find­en sie über­all, die anti­semi­tis­chen und ras­sis­tis­chen Graf­fi­tis der anderen Wirs. (4) Egal ob auf Face­book, Twit­ter, Insta­gram wir find­en sie über­all die anti­semi­tis­chen und ras­sis­tis­chen Mel­dun­gen, Fotos, Tweets der anderen Wirs.

Erst neulich haben wir – also die Abge­ord­neten zum Nation­al­rat – ein­stim­mig einen Entschließungsantrag betr­e­f­fend Verurteilung von Anti­semitismus und der BDS-Bewe­gung beschlossen. Darin fordern wir die Bun­desregierung auf, eine ganzheitliche Strate­gie zur Ver­hü­tung und Bekämp­fung aller For­men von Anti­semitismus als Teil ihrer Strate­gien zur Ver­hü­tung von Ras­sis­mus, Frem­den­feindlichkeit, Radikalisierung und gewalt­bere­it­em Extrem­is­mus unter enger Ein­beziehung aller rel­e­van­ten Stellen zu entwickeln.

Wie kann denn so eine Strate­gie entwick­elt wer­den? Wie kann eine Strate­gie entwick­elt wer­den, die das alles ver­hüten und bekämpfen soll? Wie kann eine Strate­gie entwick­elt wer­den, die Bezug nimmt auf die Geschichte des Anti­semitismus, des Ras­sis­mus, des Nation­al­sozial­is­mus, um Konzepte für die Zukun­ft zu entwick­eln. Wir, also die Abge­ord­neten zum Nation­al­rat, haben hier ein­stim­mig zuges­timmt – aber ob wir da inhaltlich alle ein Wir sind, das ist jeden­falls zu bezweifeln. Es fand sich kein/e Red­ner oder Red­ner­in der FPÖ, der oder die sich dazu äußern wollte – bemerkenswert, um es vor­sichtig auszu­drück­en. Zu Anti­semitismus und Ras­sis­mus hat die FPÖ also nichts zu sagen.

Ja, wir dür­fen niemals damit aufhören zu forschen, zu gedenken zu erin­nern, aufzuk­lären, weit­erzu­bilden, zu war­nen und und und. Aber manch­mal, dann, wenn ich wieder ein­mal an ein­er Hauswand ein Hak­enkreuz sehe, ein SS in Runen­schrift und daneben 88 lesen muss, dann, wenn ich lese, dass Grab­steine am jüdis­chen Fried­hof beschmiert wor­den sind, dann pack­en mich der Ärg­er und die Wut und manch­mal auch ein biss­chen die Res­ig­na­tion – nützt denn das alles nichts, was wir dage­gen machen, was Gen­er­a­tio­nen seit 1945 dage­gen gemacht haben, die Büch­er und die Vorträge, die Filme und Doku­men­ta­tio­nen, die Erinnerungs‑, Mah­n­male, Steine der Erin­nerung und Grab­steine, die Kon­gresse und Diskus­sio­nen und und und. Wir machen irgend­was falsch, oder sagen wir oder sage ich es pos­i­tiv­er: Wir machen offen­sichtlich zu wenig richtig, denn son­st wäre es mit dem Anti­semitismus, dem Ras­sis­mus längst vor­bei – ist es aber nicht, und Neon­azis ren­nen nicht nur in Öster­re­ich in manch anderen Verklei­dun­gen und mit anderen Chiffren herum, son­dern find­en sich über­all in Europa. Es gibt lei­der – auch wenn das immer wieder beschworen wird – kein Ler­nen aus der Geschichte. Wenn das so wäre, würde es keine Kriege, keinen Anti­semitismus, keine Ras­sis­mus, keine Diskri­m­inierung von Min­der­heit­en, wie zum Beispiel LGBTQIA+ geben.

Gedenken und Mah­nen ist ein Weg, wie der Erin­nerung an den Nation­al­sozial­is­mus und auch der damit ver­bun­de­nen Hoff­nung, gegen das Vergessen zu agieren, begeg­net wird. Mah­n­male ver­ste­hen sich oder wer­den von jenen, die eine Errich­tung wün­schen, als Orte des mah­nen­den Erin­nerns oder, ich würde sagen, Gedenkens ver­standen – das im Zusam­men­hang mit der Idee des kollek­tiv­en Gedächt­nis ste­ht. Auch beim Mas­siv der Namen. Ein Denkmal für die Öster­re­ichis­chen Opfer der Shoa in Maly Trostinec stand im Antrag der Bürg­erini­tia­tive, um die Forderung „Maly Trostinec als Ort der Ver­nich­tung im kollek­tiv­en Gedächt­nis Öster­re­ichs zu ver­ankern“ (5). Ich kann dem Konzept des kollek­tiv­en und kul­turellen Gedächt­niss­es, wie es vor allem von Mau­rice Halb­wachs begrün­det und von Jan Ass­mann und Alei­da Ass­mann weit­er­en­twick­elt wurde, nicht fol­gen. (vgl. Halb­wachs 1991; Jan Ass­mann 1997; Alei­da Ass­mann 1999) Dieses Konzept eignet sich nicht für die Entwick­lung von geeigneten Strate­gien, denn die Kollek­tive, denn die Wirs sind in höch­sten Maße dif­fer­ent, und in diesem Sinne sind das auch ihre Gedächt­nisse – es gibt kein öster­re­ichis­ches kollek­tives Gedächt­nis. Lassen Sie mich das kurz am Beispiel von Denk- und Mah­n­malen – Wal­traud Bar­ton spricht immer von Grab­mal in Maly Trostinec – verdeutlichen.

Der Wun­sch jen­er, die die Errich­tung eines Mah­n­mals wollen, ist oft­mals ver­bun­den mit ein­er ästhetis­chen und funk­tionalen Vorstel­lung, wie nun dieses Mah­n­mal sein und welche Anforderun­gen es erfüllen soll. Für Maly Trostinec war es die Idee von Wal­traud Bar­ton, die Namen jen­er mehr als 9.700 Men­schen zu nen­nen, die zwis­chen Novem­ber 1941 und Okto­ber 1942 von den Nazis aus soge­nan­nten Sam­mel­woh­nun­gen in Wien geholt, quer durch die Stadt getrieben und per Zug Rich­tung Osten gefahren – ins­ge­samt gab es zehn solche Trans­porte – wur­den. Sie wur­den wie 50.000 andere dort umge­bracht bzw. gin­gen im nahegele­gen Ghet­to Min­sk zugrunde. Sie wur­den erschossen oder in Gaswa­gen mit Aus­puff­gasen erstickt. Kein Grab – „wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng“ (6) wie es Paul Celan in seinem Gedicht Todesfuge nannte.

Mah­n­male wer­den aufge­laden mit Wün­schen und Pro­gram­men, etwa jenen, dass über die Ver­brechen der Nationalsozialist*innen aufgek­lärt, dass informiert wer­den soll, dass Mate­ri­alien für Jugendliche ver­füg­bar sein sollen. Das Denkmal, das Mah­n­mal als Gedächt­nishil­fe beziehungsweise Gedächt­nis­stütze, wie der eigentliche Wortsinn meint, funk­tion­iert aber nur dann, wenn wir etwas wis­sen, denn erin­nern an diese Zeit kön­nen nur mehr wenige. Und diejeni­gen, die sich erin­nern kön­nen, weil sie es selb­st er- und über­lebt haben oder weil die Fam­i­lien, die Fre­unde und Fre­undin­nen involviert waren, sind durch die jahrzehn­te­lange Diskri­m­inierung oft immer noch vor­sichtig, kön­nen oder wollen nicht sprechen und wer­den in eini­gen Jahren – Stich­wort das Ende der Zeitzeu­gen­schaft – auch nicht mehr live erzählen kön­nen. Aufk­lärung über das, was war, was geschehen ist, kann und soll ein Mah­n­mal, wenn es als jenes im Sinne eines Denkmals, auch eines Trauerortes ver­standen wird, jedoch nicht leis­ten. Es ist eine kün­st­lerisch-inhaltliche ästhetis­che Auseinan­der­set­zung mit der The­matik, denn kom­plexe his­torische Sachver­halte lassen sich nicht über Mah­n­male erk­lären oder gar darstellen und schon gar nicht in einem behaupteten kollek­tiv­en Gedächt­nis ver­ankern Ein Mah­n­mal kann also nur ein Teil, ein Aus­gangspunkt sein, darf als Arte­fakt nicht funk­tion­al­isiert wer­den, son­dern muss für sich les­bar und ver­ste­hbar sein. Selb­stver­ständlich kön­nen und sollen vor­liegende wis­senschaftliche Ergeb­nisse als Basis dieses ästhetis­chen Erken­nt­nis­prozess­es dienen.

Während Denkmäler tra­di­tionell von Staats wegen Top-down, wie man heute sagen würde, vor allem aus poli­tis­chen Repräsen­ta­tion­s­grün­den errichtet wer­den – wie etwa das Denkmal der Exeku­tive beim äußeren Burgtor oder das vor einiger Zeit auf dem Budapester Frei­heit­splatz aufgestellte umstrit­tene Denkmal zur Erin­nerung an die deutsche Besatzung 1944 oder das 2013 errichtete Denkmal für den ehe­ma­li­gen ungarischen Reichsver­weser und Hitler-Ver­bün­de­ten Mik­lós Hor­thy in Budapest –, ist der Weg der Errich­tung von Mah­n­malen meist ein ander­er: ein Bot­tom-up-Ver­fahren (7) – ini­ti­iert von Bürger_inneninitiativen, regionalen Grup­pen, betrof­fe­nen Per­so­n­en oder Hausbewohner_innen wie etwa bei den Stolper­steinen oder eben beim „Mas­siv der Namen“ (8) in Maly Trostinec. In Öster­re­ich – und für Öster­re­icherin­nen und Öster­re­ich­er – sind nahezu alle Mah­n­male und Erin­nerungsze­ichen von Grup­pen der Zivilge­sellschaft einge­fordert wor­den, nur äußerst sel­ten wur­den die Repub­lik, die Län­der oder gar Gemein­den ohne Anre­gung oder Aufre­gung tätig, ähn­lich wie bei den Maß­nah­men zur Entschädi­gung oder Rück­stel­lung nach 1945. Dieser Bot­tom-up-Prozess ist bis hin zur Real­isierung in den meis­ten Fällen ein lang­wieriger und müh­samer, ja noch immer – und wer ist hier das Wir? Und welch­es kollek­tive Gedächt­nis ist hier die Grundlage?

Den Real­isierun­gen geht nach wie vor zunächst eine poli­tis­che Debat­te über die Fra­gen, warum über­haupt und warum für diese Gruppe und wozu, voran. Der zweite Kom­plex der Debat­te gilt in der Regel dem Stan­dort, wie etwa die Beispiele des Mah­n­mals für die öster­re­ichis­chen jüdis­chen Opfer der Shoah am Juden­platz – hier gab es eine Ini­tia­tive der Anrainer_innen, die sich gegen den Juden­platz als Auf­stel­lung­sort aussprachen – oder auch des Denkmals für die Ver­fol­gten der NS-Mil­itär­jus­tizam Wiener Ball­haus­platz, dessen Stan­dort immer wieder von Ver­ant­wortlichen infrage gestellt wurde, zeigen. Ohne zen­tralen Stan­dort – so es nicht ein sich aus der Geschichte ergeben­der Erin­nerung­sort, wie er etwa Maly Trostinec ist – wird aber der Sinn und die Bedeu­tung eines Mah­n­mals marginalisiert.

Diese Erin­nerungsze­ichen ste­hen an sich in der Tra­di­tion des Kriegerdenkmals, das nahezu in jed­er öster­re­ichis­chen Gemeinde ste­ht, meist für die getöteten und namentlich genan­nten Sol­dat­en der bei­den Weltkriege, manch­mal auch für die zivilen Toten. Der tat­säch­lichen Opfer des Nation­al­sozial­is­mus wird hinge­gen nur sel­ten bis gar nicht gedacht – und sie wer­den auch sel­ten namentlich genan­nt. Dort, beim Kriegerdenkmal wird die Form des Denkmals mit der Tra­di­tion des Grab­mals ver­bun­den und das Kriegerdenkmal ver­lei­ht dem Tod des Gefal­l­enen Sinn und ver­her­rlicht diesen Tod vor allem im Zusam­men­hang mit ein­er nation­al­is­tis­chen Opfer­per­spek­tive. Das Mah­n­mal ver­weigert zunächst diesen Appell und dekon­stru­iert einen Anspruch der nationalen Sinns­tiftung. Die Darstel­lung – und hier ist im Grunde fraglich, ob sich dies über­haupt darstellen lässt – von Trauer, Schuld, Ver­ant­wor­tung in einem Medi­um, welch­es tra­di­tionell der Legit­i­ma­tion und Iden­titätss­tiftung dient, erscheint nur auf den ersten Blick para­dox. Dieser Wider­spruch lässt sich jedoch insofern auflösen, als ein dif­fer­entes Iden­tität­sange­bot geschaf­fen wird, denn let­ztlich ist auch die Frage zu stellen, ob nicht damit eine Gegen­erzäh­lung etabliert wer­den kann, deren Absicht eine Hege­mo­ni­al­isierung ist, ja aus mein­er Sicht sein muss. Durch das zunehmende Bedürf­nis – in den let­zten 20 Jahren – der Namen­snen­nung von Opfern des Nation­al­sozial­is­mus jew­eils in einem nationalen Kon­text bei Mah­n­malen ord­nen sich diese immer mehr in die Tra­di­tion der Kriegerdenkmäler ein, und die vorhin insinuierte Para­dox­ie löst sich auf.

Lassen Sie mich zum Schluss kom­men: Meine Frage nach ein­er Strate­gie, wie ich sie angesichts des unverän­dert beste­hen­den Anti­semitismus und Ras­sis­mus gestellt habe, richtet sich zunächst an mich sel­ber. Ich muss Ihnen sagen, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ob wir also zum Beispiel wir hier, etwas entwick­eln kön­nen, das zu weniger Anti­semitismus, zu weniger Ras­sis­mus führt – und den­noch müssen wir hier weit­er arbeit­en, all das, was ich zu Beginn erwäh­nt habe, weit­er machen, bess­er machen – dif­feren­ziert­er ein­er­seits und all­ge­mein ver­ständlich­er ander­er­seits. Und wir müssen uns bemühen, dieses unser Wir zu einem größeren machen, mehr Men­schen in dieses Wir inte­gri­eren – wir müssen viele Weg gehen und neue Wege anle­gen, und wir müssen auf die Wege gehen, wo die anderen Wirs gehen – es wird eine lange Wanderung.

Vie­len Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fußnoten

1 https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/van-der-bellen (abgerufen am 19/3/2020).
2 https://www.nachrichtenleicht.de/erinnerung-an-auschwitz.2042.de.html?dram:article_id=468655 (abgerufen am 19/3/2020),
3 https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/van-der-bellen (abgerufen am 19/3/2020).
4 Vgl. zu dieser Rede fol­gende Artikel und Inter­netquellen: Ass­mann, Alei­da (1999): Erin­nerungsräume. For­men und Wand­lun­gen des kul­turellen Gedächt­niss­es. München: C. H. Beck. Ass­mann, Jan (1997): Das kul­turelle Gedächt­nis. Schrift, Erin­nerung und poli­tis­che Iden­tität in frühen Hochkul­turen. München: C. H. Beck. Blim­linger Eva (2015); Der lokale (Mahnmal-)Kunstdiskurs. Künstler_innen und die Rah­menbe­din­gun­gen für die Errich­tung von Mah­n­malen, in: Zu spät? Dimen­sio­nen des Gedenkens an homo­sex­uelle und trans­gen­der NS-Opfer, Wien: zaglo­sus S. 255–269. Doku­men­ta­tion­sarchiv des öster­re­ichis­chen Wider­standes (Hg.) (2019): Depor­ta­tion und Ver­nich­tung – Maly Trostinec. Wien: DÖW. Halb­wachs Mau­rice (1991):Das kollek­tive Gedächt­nis. Frank­furt am Main: Fis­ch­er. Scharf, Hel­mut (1984): Kleine Kun­st­geschichte des Deutschen Denkmals. Darm­stadt: Wis­senschaftliche Buchgesellschaft.Tomberger, Corin­na (2007): Das Gegen­denkmal. Avant­gardekun­st, Geschicht­spoli­tik und Geschlecht in der bun­des­deutschen Erin­nerungskul­tur. Biele­feld: Tran­script (Stu­di­en zur visuellen Kul­tur 4).Young, James E. (1992): The Counter-Mon­u­ment: Mem­o­ry against Itself in Ger­many Today. In: Crit­i­cal Inquiry, Jg. 18, H. 2, S. 267–297; stopptdierechten.atdoew.at
5 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/BI/BI_00073/index.shtml (abgerufen 19/3/2020).
6 https://www.lyrikline.org/de/gedichte/todesfuge-66(abgerufen 19/3/2020).
7 Hier danke ich Corin­na Tomberg­er für den Hin­weis, dass auch frühere Denkmäler durch Bürger*innenbeteiligung ent­standen sind. Beispiel­haft sei hier das Fer­di­nand-Raimund-Denkmal im Wiener Weghu­ber Park, das bis 1939 vor dem Deutschen Volk­sthe­ater stand, genan­nt, welch­es auf­grund der Bemühun­gen und durch die Finanzierung eines Denkmal-Komi­tees ent­standen ist. Dies gilt etwa auch für das Schiller-und das Goethe-Denkmal an der Wiener Ringstraße sowie für andere Denkmäler von Schrift­stellern und Kün­stlern. Bewusst ist hier die männliche Form gewählt, da es kaum Denkmäler für Schrift­stel­lerin­nen und Kün­st­lerin­nen gibt.
8 Das Mas­siv der Namen. Ein Denkmal für die Öster­re­ichis­chen Opfer der Shoah in Maly Trostinec, Bun­deskan­zler­amt 2019.