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Ein verborgenes Leben

Der Film­ti­tel „Ein ver­bor­ge­nes Leben“ fin­det sich in einem Zitat der eng­li­schen Schrift­stel­le­rin Geor­ge Eli­ot wie­der, mit dem der Film von Ter­rence Malick endet. Ein mehr­deu­ti­ger Titel, denn auch die­ser Film über Franz Jäger­stät­ter, den katho­li­schen Wider­ständ­ler aus dem Inn­vier­tel, trägt wenig bei, um sein Leben sicht­ba­rer, sei­nen Wider­stand für spä­te­re Gene­ra­tio­nen greif­ba­rer und verständlicher […]

31. Jan 2020
Ein verborgenes Leben – Trailer
Ein verborgenes Leben – Trailer

Das Wachs­tum des Guten in der Welt hängt in gewis­sem Gra­de von unhis­to­ri­schen Taten ab, und dass die Din­ge für dich und mich nicht so schlecht bestellt sind, wie sie es hät­ten sein kön­nen, ver­dan­ken wir zum gro­ßen Teil jenen, die getreu­lich ein Leben im Ver­bor­ge­nen gelebt haben und in Grä­bern ruhen, die nie­mand besucht“, lau­tet das Zitat von Geor­ge Eli­ot, dem man wohl schlecht wider­spre­chen kann, weil die vie­len unhis­to­ri­schen Taten von vie­len Ver­bor­ge­nen nur schwer auf­find­bar sind und weil auch Bert Brecht in sei­nen „Fra­gen eines lesen­den Arbei­ters“ weni­ger mora­lisch auf­ge­la­den als Eli­ot zu ähn­li­chen Ant­wor­ten gelangte.

Vie­les vom Leben des Franz Jäger­stät­ter liegt noch immer im Ver­bor­ge­nen. Das mag auch dar­an lie­gen, dass bei­na­he alles an his­to­ri­scher For­schung zum streng­gläu­bi­gen Jäger­stät­ter aus einer christ­li­chen Moti­va­ti­on und Per­spek­ti­ve ent­stan­den ist. Jetzt kommt der Film eines Regis­seurs dazu, der eben­falls als tief­gläu­bi­ger Mensch beschrie­ben wird. Schon die ers­ten Sequen­zen des Fil­mes zei­gen auch, dass es Malick nicht pri­mär um his­to­ri­sche Wahr­heit, son­dern um ande­res geht.

Nach­dem der Film mit eini­gen Bil­dern von Nazi-Auf­mär­schen aus Leni Rie­fen­stahls „Tri­umph des Wil­lens“ beginnt, ver­setzt Malick den Franz Jäger­stät­ter in eine Ansichts­kar­ten­land­schaft: Ber­ge, hohe Ber­ge, flei­ßi­ge Bau­ern, blü­hen­de Wie­sen, Sen­sen, Fami­lie. Jäger­stät­ter mit Frau im Gras, mit den Kin­dern im Spiel, beim Mähen, beim Säen. Die­se Bil­der sind kein „Kitsch“, befand die „Pres­se“ in ihrer Rezen­si­on. Es könn­te schlim­mer sein: Sie erin­nern an eine Ästhe­tik, derer sich die Nazis ger­ne bedien­ten, um eine hei­le deut­sche Land­welt zu sug­ge­rie­ren. War­um benutzt sie Malick, der mit den Nazis ganz sicher nichts am Hut hat? Es erschließt sich mir nicht.

Es wird nicht viel gespro­chen im Film. Fran­zis­ka, Jäger­stät­ters Frau, muss die Ent­schei­dun­gen und Hal­tun­gen ihres Franz an sei­ner Mimik und Ges­tik able­sen. War es beim ech­ten Jäger­stät­ter tat­säch­lich nicht anders? Die Quel­len deu­ten auf einen bele­se­nen Jäger­stät­ter hin, der ger­ne dis­ku­tiert hat­te, auch mit sei­ner Frau. Im Film erfährt man jeden­falls kaum etwas aus dem Mund von Franz über sei­ne Ent­wick­lung oder gar sei­ne Zwei­fel und Ängs­te. Da ist nur der Glau­be, der ihm den Weg weist, nichts offen lässt, ihm Kraft gibt für das Widerstehen.

Der Film belässt fast das gan­ze kur­ze Leben Jäger­stät­ters im Ver­bor­ge­nen, beschränkt sich auf die Jah­re 1938 bis 1943. Dabei könn­te die Bio­gra­phie des Franz Jäger­stät­ter ver­mut­lich eini­ges her­ge­ben für des­sen Ent­wick­lung. Nach­dem sein leib­li­cher Vater im Ers­ten Welt­krieg umkommt, wächst Franz zunächst in bit­te­rer Armut auf, erfährt in der Schu­le sei­ne Deklas­sie­rung durch schlech­te Noten, obwohl er ein vifer Bur­sche ist. Spä­ter arbei­tet er drei Jah­re im Berg­bau in Eisen­erz, in einem klas­si­schen Arbei­ter­mi­lieu – für sei­ne katho­li­sche Bio­gra­phin Erna Putz so etwas wie eine „kir­chen­feind­li­che“ Ver­su­chung: „Vor­über­ge­hend gibt er den Kir­chen­be­such auf, kommt aber als ver­tieft Glau­ben­der 1930 in sei­ne Hei­mat zurück.

Mit einem Motor­rad, das er sich von sei­nem Arbei­ter­lohn gekauft hat, kommt er vol­ler Stolz nach St. Rade­gund im Inn­vier­tel zurück – das ers­te Motor­rad in sei­ner Gemein­de! Mit dem fährt er auch im Film, aber ohne die­sen Hin­ter­grund. 1933 kommt sei­ne ers­te –unehe­li­che –Toch­ter Hil­de­gard zur Welt, die der gar nicht lebens­frem­de Franz mit der Magd der Jäger­stät­ters gezeugt hat. Hil­de­gard wächst nicht am Hof auf (wird aber von ihrem Vater geliebt) – die drei Kin­der, die durch den Film wuseln, sind die ehe­li­chen aus der Ver­bin­dung mit sei­ner Frau Franziska.

St. Rade­gund war bei der letz­ten frei­en Wahl im Jahr 1931 eine durch und durch schwar­ze Gemein­de: Acht Sozi­al­de­mo­kra­ten stan­den 228 christ­lich­so­zia­le Stim­men gegen­über, die NSDAP hat­te damals kei­ne ein­zi­ge! 1938 kam aller­dings die ein­zi­ge Nein-Stim­me gegen den „Anschluss“ an Hit­ler-Deutsch­land von Jäger­stät­ter – und die lie­ßen die Nazis unter den Tisch fal­len. Der Rade­gun­der Pfar­rer Josef Karo­bath, ein Ver­trau­ter Jäger­stät­ters, wur­de 1940 von den Nazis wegen eines angeb­li­chen Ver­ge­hens nach dem Heim­tü­cke­ge­setz ein­ein­halb Mona­te inhaf­tiert und dann man­gels Bewei­sen, aber mit der Auf­la­ge eines Kreis­ver­bots entlassen.

Im Bezirk Brau­nau kam von den katho­li­schen Geist­li­chen mas­si­ver Wider­stand gegen das Nazi-Regime: „Wir haben nir­gends einen sol­chen Wider­stand im Kle­rus als im Bezirk Brau­nau“, zitiert Flo­ri­an Schwan­nin­ger in sei­ner Stu­die „Im Hei­mat­kreis des Füh­rers“ einen Gesta­po-Beam­ten und lis­tet zahl­rei­che Geist­li­che aus dem Bezirk auf, die von den Nazis ver­folgt und ver­haf­tet wurden.

All das und noch viel mehr wird im Film nicht erzählt. Statt­des­sen ein in das Süd­ti­ro­ler Hoch­ge­bir­ge ver­setz­tes Alm­dorf, das St. Rade­gund simu­lie­ren soll, eine hei­le Fami­lie, blü­hen­de Wie­sen, böse Dorf­be­woh­ner und – schwe­re Sym­bo­lik! – die Sen­sen, die nicht nur mähen, son­dern auch den Schnit­ter­mann ankündigen.

A Hidden Life: Die Sensen künden den Tod
A Hid­den Life: Die Sen­sen kün­den den Tod

In der letz­ten Stun­de des fast drei­stün­di­gen Epos dann die Ver­hand­lung vor dem Reichs­kriegs­ge­richt wegen Wehr­kraft­zer­set­zung, in der Jäger­stät­ter im Film den Sani­täts­dienst als Aus­weg vor der Todes­stra­fe ablehnt. In Wirk­lich­keit war es genau umge­kehrt: Jäger­stät­ter bie­tet den Sani­täts­dienst an, der vom Kriegs­ge­richt abge­lehnt wird.

Die „Wehr­kraft­zer­set­zung“, ein von den Nazis mit Todes­stra­fe bedroh­tes Delikt, wird ihm und sei­ner Fami­lie über sei­nen Tod und das Nazi-Regime hin­aus vor­ge­wor­fen. In behörd­li­chen Schrei­ben der Nach­kriegs­zeit ist von sei­nem Reli­gi­ons­wahn die Rede und davon, dass durch sei­ne Wehr­kraft­zer­set­zung (ohne Anfüh­rungs­zei­chen) kein Nach­weis erbracht wor­den sei, dass er der Frei­heit und Unab­hän­gig­keit Öster­reichs einen Weg bah­nen woll­te. So ähn­lich tön­te auch der Lin­zer Bischof Flie­ßer, der 1946 einen Bei­trag über Jäger­stät­ter in der Lin­zer Kir­chen­zei­tung mit fol­gen­der Begrün­dung ablehnte:

Ich hal­te jene idea­len katho­li­schen Jun­gen und Theo­lo­gen und Pries­ter und Väter für die grö­ße­ren Hel­den, die in heroi­scher Pflicht­er­fül­lung […] gekämpft haben und gefal­len sind. Oder sind Bibel­for­scher und Adven­tis­ten, die ‚kon­se­quent‘ lie­ber im KZ star­ben als zur Waf­fe grif­fen, die grö­ße­ren Hel­den?

Immer­hin, die­ser zyni­sche Bischof kommt auch bei Malick nicht gut weg. Dar­stel­le­risch ist der Film übri­gens bis in die Neben­rol­len (z.B. Bru­no Ganz in einer sei­ner letz­ten Rol­len) stark besetzt. Und ja, der Film zeigt einen Men­schen, des­sen Leben nicht im Ver­bor­ge­nen blei­ben darf, auch wenn Malick mit sei­nem Film nicht wirk­lich etwas zu sei­nem bes­se­ren Ver­ständ­nis bei­trägt. Er setzt ihm ein Denk­mal – das ist sein Verdienst.

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