„Das Wachstum des Guten in der Welt hängt in gewissem Grade von unhistorischen Taten ab, und dass die Dinge für dich und mich nicht so schlecht bestellt sind, wie sie es hätten sein können, verdanken wir zum großen Teil jenen, die getreulich ein Leben im Verborgenen gelebt haben und in Gräbern ruhen, die niemand besucht“, lautet das Zitat von George Eliot, dem man wohl schlecht widersprechen kann, weil die vielen unhistorischen Taten von vielen Verborgenen nur schwer auffindbar sind und weil auch Bert Brecht in seinen „Fragen eines lesenden Arbeiters“ weniger moralisch aufgeladen als Eliot zu ähnlichen Antworten gelangte.
Vieles vom Leben des Franz Jägerstätter liegt noch immer im Verborgenen. Das mag auch daran liegen, dass beinahe alles an historischer Forschung zum strenggläubigen Jägerstätter aus einer christlichen Motivation und Perspektive entstanden ist. Jetzt kommt der Film eines Regisseurs dazu, der ebenfalls als tiefgläubiger Mensch beschrieben wird. Schon die ersten Sequenzen des Filmes zeigen auch, dass es Malick nicht primär um historische Wahrheit, sondern um anderes geht.
Nachdem der Film mit einigen Bildern von Nazi-Aufmärschen aus Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ beginnt, versetzt Malick den Franz Jägerstätter in eine Ansichtskartenlandschaft: Berge, hohe Berge, fleißige Bauern, blühende Wiesen, Sensen, Familie. Jägerstätter mit Frau im Gras, mit den Kindern im Spiel, beim Mähen, beim Säen. Diese Bilder sind kein „Kitsch“, befand die „Presse“ in ihrer Rezension. Es könnte schlimmer sein: Sie erinnern an eine Ästhetik, derer sich die Nazis gerne bedienten, um eine heile deutsche Landwelt zu suggerieren. Warum benutzt sie Malick, der mit den Nazis ganz sicher nichts am Hut hat? Es erschließt sich mir nicht.
Es wird nicht viel gesprochen im Film. Franziska, Jägerstätters Frau, muss die Entscheidungen und Haltungen ihres Franz an seiner Mimik und Gestik ablesen. War es beim echten Jägerstätter tatsächlich nicht anders? Die Quellen deuten auf einen belesenen Jägerstätter hin, der gerne diskutiert hatte, auch mit seiner Frau. Im Film erfährt man jedenfalls kaum etwas aus dem Mund von Franz über seine Entwicklung oder gar seine Zweifel und Ängste. Da ist nur der Glaube, der ihm den Weg weist, nichts offen lässt, ihm Kraft gibt für das Widerstehen.
Der Film belässt fast das ganze kurze Leben Jägerstätters im Verborgenen, beschränkt sich auf die Jahre 1938 bis 1943. Dabei könnte die Biographie des Franz Jägerstätter vermutlich einiges hergeben für dessen Entwicklung. Nachdem sein leiblicher Vater im Ersten Weltkrieg umkommt, wächst Franz zunächst in bitterer Armut auf, erfährt in der Schule seine Deklassierung durch schlechte Noten, obwohl er ein vifer Bursche ist. Später arbeitet er drei Jahre im Bergbau in Eisenerz, in einem klassischen Arbeitermilieu – für seine katholische Biographin Erna Putz so etwas wie eine „kirchenfeindliche“ Versuchung: „Vorübergehend gibt er den Kirchenbesuch auf, kommt aber als vertieft Glaubender 1930 in seine Heimat zurück.“
Mit einem Motorrad, das er sich von seinem Arbeiterlohn gekauft hat, kommt er voller Stolz nach St. Radegund im Innviertel zurück – das erste Motorrad in seiner Gemeinde! Mit dem fährt er auch im Film, aber ohne diesen Hintergrund. 1933 kommt seine erste –uneheliche –Tochter Hildegard zur Welt, die der gar nicht lebensfremde Franz mit der Magd der Jägerstätters gezeugt hat. Hildegard wächst nicht am Hof auf (wird aber von ihrem Vater geliebt) – die drei Kinder, die durch den Film wuseln, sind die ehelichen aus der Verbindung mit seiner Frau Franziska.
St. Radegund war bei der letzten freien Wahl im Jahr 1931 eine durch und durch schwarze Gemeinde: Acht Sozialdemokraten standen 228 christlichsoziale Stimmen gegenüber, die NSDAP hatte damals keine einzige! 1938 kam allerdings die einzige Nein-Stimme gegen den „Anschluss“ an Hitler-Deutschland von Jägerstätter – und die ließen die Nazis unter den Tisch fallen. Der Radegunder Pfarrer Josef Karobath, ein Vertrauter Jägerstätters, wurde 1940 von den Nazis wegen eines angeblichen Vergehens nach dem Heimtückegesetz eineinhalb Monate inhaftiert und dann mangels Beweisen, aber mit der Auflage eines Kreisverbots entlassen.
Im Bezirk Braunau kam von den katholischen Geistlichen massiver Widerstand gegen das Nazi-Regime: „Wir haben nirgends einen solchen Widerstand im Klerus als im Bezirk Braunau“, zitiert Florian Schwanninger in seiner Studie „Im Heimatkreis des Führers“ einen Gestapo-Beamten und listet zahlreiche Geistliche aus dem Bezirk auf, die von den Nazis verfolgt und verhaftet wurden.
All das und noch viel mehr wird im Film nicht erzählt. Stattdessen ein in das Südtiroler Hochgebirge versetztes Almdorf, das St. Radegund simulieren soll, eine heile Familie, blühende Wiesen, böse Dorfbewohner und – schwere Symbolik! – die Sensen, die nicht nur mähen, sondern auch den Schnittermann ankündigen.

In der letzten Stunde des fast dreistündigen Epos dann die Verhandlung vor dem Reichskriegsgericht wegen Wehrkraftzersetzung, in der Jägerstätter im Film den Sanitätsdienst als Ausweg vor der Todesstrafe ablehnt. In Wirklichkeit war es genau umgekehrt: Jägerstätter bietet den Sanitätsdienst an, der vom Kriegsgericht abgelehnt wird.
Die „Wehrkraftzersetzung“, ein von den Nazis mit Todesstrafe bedrohtes Delikt, wird ihm und seiner Familie über seinen Tod und das Nazi-Regime hinaus vorgeworfen. In behördlichen Schreiben der Nachkriegszeit ist von seinem Religionswahn die Rede und davon, dass durch seine Wehrkraftzersetzung (ohne Anführungszeichen) kein Nachweis erbracht worden sei, dass er der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs einen Weg bahnen wollte. So ähnlich tönte auch der Linzer Bischof Fließer, der 1946 einen Beitrag über Jägerstätter in der Linzer Kirchenzeitung mit folgender Begründung ablehnte:
„Ich halte jene idealen katholischen Jungen und Theologen und Priester und Väter für die größeren Helden, die in heroischer Pflichterfüllung […] gekämpft haben und gefallen sind. Oder sind Bibelforscher und Adventisten, die ‚konsequent‘ lieber im KZ starben als zur Waffe griffen, die größeren Helden?“
Immerhin, dieser zynische Bischof kommt auch bei Malick nicht gut weg. Darstellerisch ist der Film übrigens bis in die Nebenrollen (z.B. Bruno Ganz in einer seiner letzten Rollen) stark besetzt. Und ja, der Film zeigt einen Menschen, dessen Leben nicht im Verborgenen bleiben darf, auch wenn Malick mit seinem Film nicht wirklich etwas zu seinem besseren Verständnis beiträgt. Er setzt ihm ein Denkmal – das ist sein Verdienst.