Anton, Berta, Cäsar: Buchstabieren wie die Nazis?

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Eini­ge Unbe­darf­te und vie­le Rech­te wer­den sicher der Mei­nung sein, dass „wir“ – wer ist damit gemeint? – doch ganz ande­re Sor­gen haben soll­ten. Ja eh, Kli­ma­kri­se, Ver­tei­lungs­fra­ge, Kapi­ta­lis­mus, Rechts­extre­mis­mus, Neo­na­zis usw.! Das kann aber trotz­dem nicht hei­ßen, dass wir die Ari­sie­rung der Buch­sta­bier­ta­fel nicht rück­gän­gig machen und bei der Gele­gen­heit viel­leicht auch eini­ge männ­li­che durch weib­li­che Namen erset­zen soll­ten? Über die Buch­sta­bier­ta­fel und ihre brau­ne Geschichte.

Eine Buch­sta­bier­ta­fel braucht man, um die Über­mitt­lung schwie­ri­ger oder auch sel­te­ner Wör­ter leich­ter zu machen, auch um Hör­feh­ler aus­zu­schlie­ßen. Ver­wen­det wer­den Buch­sta­bier­ta­feln daher beim Tele­fo­nat, bei Dik­ta­ten und im Ver­kehrs­we­sen. Es gibt inter­na­tio­na­le Buch­sta­bier­ta­feln und auch eine für Öster­reich, die in der ÖNORM A 1081 gere­gelt ist. Die­se Ö‑Norm, deren Titel „Richt­li­ni­en für das Pho­no­dik­tat“ heißt, kann man um rund 60 Euro auch käuf­lich erwerben.

Die den ein­zel­nen Buch­sta­ben des Alpha­bets zuge­ord­ne­ten Wör­ter kann man natür­lich auch kos­ten­los abru­fen, etwa über Wiki­pe­dia. Vie­le kön­nen auch die Tafel, aber ken­nen sie auch die Geschich­te der Wörter?

Bis 1934 gab es eine Buch­sta­bier­ta­fel, die offen­sicht­lich im gan­zen deut­schen Sprach­raum Ver­brei­tung fand. Kurz nach der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­er­grei­fung in Deutsch­land 1933 bemerk­te ein eif­ri­ger Nazi, dass die Buch­sta­bier­ta­bel­le des Ber­li­ner Tele­fon­buchs noch immer jüdi­sche Namen wie David, Nathan oder Samu­el ent­hielt, was „in Anbe­tracht des natio­na­len Umschwungs in Deutsch­land“ nicht mehr ange­bracht sei. Schon einen Monat spä­ter waren eini­ge jüdi­sche Namen (David, Jakob, Nathan, Samu­el und Zacha­ri­as) eli­mi­niert und durch Dora, Juli­us, Niko­laus, Sieg­fried und Zep­pe­lin ersetzt.

“Wer behauptet, er habe selbst nichts mit Antisemitismus zu tun, der hat gar nicht verstanden, wie tief das in unserer Kultur drinsteckt und unserem Denken drinsteckt." (Michael Blume via scilogs.spektrum.de)

“Wer behaup­tet, er habe selbst nichts mit Anti­se­mi­tis­mus zu tun, der hat gar nicht ver­stan­den, wie tief das in unse­rer Kul­tur drin­steckt und unse­rem Den­ken drin­steckt.” (Micha­el Blu­me via scilogs.spektrum.de)

Gegen die­se Ari­sie­rung der Buch­sta­bier­ta­fel gab es aber auch Wider­stand. Aus­ge­rech­net der Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te der NSDAP, Gau­lei­ter und mili­tan­te Anti­se­mit Jakob Spren­ger don­ner­te in einem Schrei­ben an das Reichs­post­mi­nis­te­ri­um im Mai 1933:

Der Vor­na­me Jakob, den zu füh­ren ich die Ehre habe, kann doch nach der heu­ti­gen Ent­wick­lung nicht als jüdisch ange­se­hen wer­den. Es müs­sen schon son­der­ba­re Hei­li­ge sein, die auf einen der­ar­ti­gen Ein­fall kom­men; man beden­ke doch, dass tau­send und aber­tau­sen­de von Men­schen durch die­se Ver­fü­gung gröb­lich ver­letzt wur­den.“ (1)

Der Ober­na­zi Spren­ger muss­te die Bür­de sei­nes Vor­na­mens wei­ter tra­gen, denn der Nazi-Furor mach­te bei den jüdi­schen Namen nicht Halt, son­dern ersetz­te auch den völ­lig unver­däch­ti­gen Albert durch Anton und die eben­so alt­hoch­deut­sche Ber­tha durch Bru­no (was für die Nazis natür­lich Sinn mach­te, denn Bru­no steht für brun = braun). Auch ein wei­te­rer Frau­en­na­me, Katha­ri­na, wur­de durch Kur­fürst ersetzt und das unschul­di­ge Ypsi­lon durch Ypern (als Remi­nis­zenz an die grau­en­haf­ten, für die Nazis aber „hel­den­haf­ten“ Gemet­zel bei Ypern im 1. Weltkrieg).

Brief Joh. Schliemanns an das Postamt von Rostock von 1933, in dem die "Arisierung" des Telefonalphabets gefordert wird. (Wikipedia)

Brief Joh. Schli­e­manns an das Post­amt von Ros­tock von 1933, in dem die „Ari­sie­rung” des Tele­fon­al­pha­bets gefor­dert wird. (Wiki­pe­dia)

Nach dem Ende des Nazi-Regimes trenn­ten sich die Wege beim Buch­sta­bie­ren zwi­schen Deutsch­land und Öster­reich. Wäh­rend Deutsch­land zumin­dest zwei Namen mit jüdi­scher Her­kunft, näm­lich Samu­el und Zacha­ri­as, in die Buch­sta­bier­ta­fel zurück­hol­te, blieb Öster­reich bei den Nazi-Umfär­bun­gen: Zep­pe­lin statt Zacha­ri­as, Sieg­fried statt Samuel.

Buchstabiertafel Deutschland (Wikipedia)

Buch­sta­bier­ta­fel Deutsch­land (Wiki­pe­dia)

Buchstabiertafel DACH (Wikipedia)

Buch­sta­bier­ta­fel DACH (Wiki­pe­dia)

In Öster­reich wur­de kei­ner der ursprüng­li­chen bibli­schen Namen wie­der­ein­ge­führt“, schreibt Aus­tria-Wiki.

Wäh­rend es aber in Deutsch­land nach etli­cher media­ler Kri­tik aktu­ell zumin­dest Bestre­bun­gen gibt, über eine Exper­tIn­nen­kom­mis­si­on zu einer Reform der Buch­sta­bier­ta­fel zu kom­men, ist es in Öster­reich sehr ruhig zu die­sem The­ma. Ein­zig ein Bei­trag in der Online-Aus­ga­be der Wie­ner Zei­tung von Ale­xia Weiss am 21.2.2019 hat auf die The­ma­tik auf­merk­sam gemacht und eine Abkehr von den anti­se­mi­ti­schen Ände­run­gen in der öster­rei­chi­schen Buch­sta­bier­ta­fel eingefordert.

1 Mat­thi­as Hei­ne, Ver­brann­te Wör­ter. Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht. Duden­ver­lag, Ber­lin 2019, S. 169