Rassenforschung an der Uni? (Teil 1)

Über ein Mail wur­den wir informiert. Eine offen ras­sis­tis­che Arbeit sei als Bach­e­lo­rar­beit angenom­men wor­den. The­ma „Rasse und Stimme“. Wir haben das gecheckt und nicht nur eine ganz offen ras­sis­tis­che Bach­e­lo­rar­beit, son­dern auch noch andere Texte des­sel­ben Autors gefun­den, die recht(s) extrem sind. Ganz offen­sichtlich will der Mann damit provozieren, um sich als Opfer (von unter­drück­ter und aus­ge­gren­zter Wis­senschaft und Forschung) zu insze­nieren. Wir haben deshalb renom­mierte Wis­senschaf­terIn­nen gebeten, einige Texte des Autors kurz zu begutachten.

Einiges, was wir von dem Autor gefun­den haben, der sich als „Inde­pen­dent Researcher“ am Insti­tut für Sprach­wis­senschaft der Uni­ver­sität Graz vorstellt, kön­nen wir selb­st dechiffrieren. In Leser­briefen, vor­wiegend an „Die Presse“ gerichtet, mok­iert er sich über die von den Briten gewün­schte Erschaf­fung ein­er öster­re­ichis­chen Nation, beschwört den „hiesi­gen Volks­geist“, um schließlich in ein­er hitzi­gen Diskus­sion mit dem Graz­er Ger­man­is­ten Rudolf Muhr die Vorstel­lung eines öster­re­ichis­chen Deutsch entsch­ieden abzulehnen und ihm ent­ge­gen­zuschleud­ern: „Ihr Ziel ist es, den deutschen Sprachraum, damit aber die Bevölkerun­gen nation­al zu spal­ten, um ‚öster­re­ich-nationale’ Poli­tik zu betreiben!“ (zit. nach: Der Graz­er, 28.2.2016)

Das alles gibt schon eine Ahnung, was da noch kom­men kön­nte – aber wir sind keine Exper­tIn­nen! Deshalb haben wir renom­mierte Wis­senschaf­terIn­nen wie Renée Schroed­er, Ruth Wodak, Teun A.van Dijk, Josef Mit­ter­er und Ernst Berg­er gebeten, einen Blick auf die Bach­e­lo­rar­beit (sowie andere Texte des Autors) zu wer­fen. Ergeb­nis waren viele erhel­lende, auch sehr unter­schiedliche Blicke auf die Texte des Autors, die aber in ihrer Grund­sät­zlichkeit weit über dessen „pseudowis­senschaftlichen Schmar­rn“ (W) hin­aus­ge­hen – teil­weise Noti­zen, aber auch kon­sis­tente Texte, je nach Zeitaufwand. Um nicht zu werten, wur­den wir gebeten, Zitate der befragten Wis­senschaf­terIn­nen nicht namentlich zuzuord­nen. Wir kennze­ich­nen deren Zitate daher mit (W).

Die Bach­e­lo­rar­beit, die vom Autor selb­st unter dem oben ange­führten plaka­tiv­en Titel ange­priesen wird, trägt den nicht sehr spek­takulären Titel „Die inner­artliche Vari­a­tion des men­schlichen Vokaltrak­ts und der Stimme“. Im Vor­wort beschreibt sich der Autor ziem­lich selt­sam „als organ­is­che For­ten­twick­lung all mein­er Vor­fahren“, um sich dann bei sein­er langjähri­gen Fre­undin zu bedanken, „die eine von mir in unser­er Zeit und Gesellschaft ver­lorenge­gan­gen geglaubte weib­liche Gutherzigkeit bei gle­ichzeit­iger aufrechter Kon­se­quenz verkör­pert“. Sug­geriert das, „dass die Gutherzigkeit beim Manne nicht vorhan­den ist“ (W)?

In der ersten Fußnote verdeut­licht der Autor, was er unter dem „Inner­artlichen“ versteht:

In dieser Arbeit wird kon­se­quent zwar vom neg­a­tiv kon­notierten (vgl. z. B. Wheel­er & Bryant 2017: 1), aber wis­senschaftlich sinnhaften Begriff Rasse gesprochen. Andere Begriffe wie ‚Eth­nie’ sind kul­tur­al­is­tisch und wer­den für den vor­liegen­den Fall nicht ver­wen­det.

Dazu heißt es von wis­senschaftlich­er Seite:

In der vorgegebe­nen Arbeit wird der Begriff ‚Rasse’ benützt, aber wed­er erk­lärt noch definiert. Er wird benutzt um vom kul­turgeprägten Begriff Eth­nie zu unter­schei­den. Er wird aber auf jeden Fall mit der Anatomie der Spre­chor­gane in Zusam­men­hang gebracht, was eben­falls nicht ein­deutig ist, weil die Stimm­bil­dung einen starken Erziehungs­fak­tor bein­hal­tet und daher einen starken epi­genetis­chen Fak­tor besitzt.“ (W)

Die Zuge­hörigkeit zu ein­er genetisch definierten „Gruppe“ ist arti­fiziell und müsste genau definiert wer­den. Eine genetisch definierte Gruppe (was der Autor als Rasse beze­ich­net) – ist nur sehr beschränkt möglich und ist nur für einzelne (ganz wenige) Merk­male möglich, weil die genetis­che Rekom­bi­na­tion Muta­tio­nen und Allele immer neu kom­biniert. Man kön­nte eine Gruppe definieren, die ein bes­timmtes Allel besitzt. Aber es wird sich keine Gruppe find­en, die auss­chließlich mehr als ein paar weni­gen Allele teilen, die andere Grup­pen nicht tra­gen.”(W). Ein Allel ist „die Vari­a­tion eines Gens. Ein Gen kommt immer in ver­schiede­nen Vari­a­tio­nen vor, weil es mehr oder weniger Muta­tio­nen enthält.“ (W)

Alle befassten Wis­senschaf­terIn­nen sind sich einig darin, dass der vom Autor ver­wen­dete Begriff der „Rasse“ von ihm wed­er definiert wurde noch sin­nvoll ist. Obwohl sich der Autor lan­gat­mig darüber beklagt, dass Forschungsan­sätze zum The­ma „Rasse“ unter Beru­fung auf poli­tis­che Kor­rek­theit behin­dert wür­den, bleibt er „in sein­er Arbeit allerd­ings die Antwort auf die Frage schuldig, worin die wis­senschaftliche Rel­e­vanz des Zusam­men­hangs zwis­chen Stimme und Rasse beste­hen kön­nte. Ins­beson­dere die ‚klin­is­che Rel­e­vanz’, die er ver­mutet, wird an kein­er Stelle konkretisiert, obwohl das Fachge­bi­et Logopädie ein prak­tisch-klin­is­ches Fach ist.“ (W)

Weil es keine Forschung zum The­ma „Rasse“ gibt, erge­ht sich der Autor in Ver­mu­tun­gen, ob die Rasse eines Sängers inner­halb einzel­ner Stim­m­gat­tun­gen ein Kri­teri­um darstellt, also dass z. B. eine asi­atis­che Sopranistin kürzere Stimm­lip­pen hat als eine europäis­che“ (S. 23) oder in ein­deutig ras­sis­tis­chen Bew­er­tun­gen, wonach „die Hälfte der (…) mit­tleren Sprech­stimm­la­gen der Türken (…) nach deutschen Maßstäben, als pathol­o­gisch gel­ten“ (S.18).

Einem unser­er Gutachter fällt gle­ich zu Beginn sein­er Betra­ch­tung der akademis­che Habi­tus des Autors auf: „Um viele dumme Dinge zu sagen, benutzt er diese Art pseudoin­tellek­tueller deutsch­er Sprache, mit lan­gen Sätzen und einem elitären Vok­ab­u­lar, obwohl nor­males Deutsch dafür reichen würde.“ (W)

Das klingt hart, ist aber die Kon­se­quenz daraus, dass der Autor Seite um Seite die fehlende Forschung zum The­ma Rasse bzw. ihre Unter­drück­ung beklagt, jedoch keinen Beleg für ihre Notwendigkeit erbrin­gen kann, „wed­er im prak­tisch-klin­is­chen noch im wis­senschaftlichen Kon­text“ (W). Also nur heiße Luft?

Nein, denn abseits der Selb­stin­sze­nierung des Autors, der sich mit dieser Arbeit als Opfer des Wis­senschafts­be­triebs und der ange­blich unter­drück­ten Forschung zu beschreiben ver­sucht, ist „die Frage zu stellen, was das eigentliche Anliegen dieser Arbeit ist und in welch­er Denk­tra­di­tion sie ste­ht“ (W). Tat­säch­lich stellt der Autor an kein­er Stelle sein­er Arbeit einen Bezug zur Geschichte der Rassen­the­o­rie her: „Das ist ger­ade bei einem The­ma mit den weitre­ichen­den Kon­se­quen­zen der Ermor­dung von vie­len Mil­lio­nen Men­schen eine wis­senschaftlich unzuläs­sige ahis­torische Verkürzung.“ (W)

Sucht man nach einem wis­senschaft­shis­torischen Kon­text für den Drang des Autors nach Ver­mes­sun­gen des Vokaltrak­ts bezüglich unter­schiedlich­er „Rassen“, so stößt man auch auf Johannes Ranke, der den Abstand zwis­chen den Brust­warzen bzw. den Augen, Höhe der Schamhaare und anderen Haupt­pro­por­tio­nen bei ver­schiede­nen Men­schen­grup­pen („weiße Sol­dat­en, Matrosen, Stu­den­ten, Voll­blut­neger, Mulat­ten und Indi­an­er“) ver­messen ließ, um so schließlich festzustellen:

Der Fortschritt der natur­wis­senschaftlichen Erken­nt­nis beruht nicht auf ein­er Meth­ode der Aus­gle­ichung der beste­hen­den Abwe­ichun­gen (…), son­dern auf ein­er möglichst schar­fen und genauen Her­vorhe­bung der Unter­schiede.” (Ranke, Der Men­sch, 1923) Sein Motiv erläuterte er im Vor­wort zu sein­er Arbeit: „Die Rassenkunde wird durch die deutschen Kolonien für uns von immer steigen­der aktueller Bedeutung.“

Was sind die Kolonien unseres Autors? Die „bevölkerung­stech­nis­chen Verän­derun­gen, denen sich ganz Wes­teu­ropa unterzieht“ (S. 55). Da legt der Autor „sein Erken­nt­nis­in­ter­esse offen: In der Tra­di­tion der Rassen­bi­olo­gie der 20-er Jahre sollen Dif­feren­zen von Mess­werten zwis­chen Men­schen zur Grund­lage bevölkerungspoli­tis­ch­er Strate­gien gemacht wer­den. Auch wenn Seifter ver­sucht, eine Trennlin­ie zwis­chen Rasse und Ras­sis­mus zu ziehen, um sich vom Ras­sis­mus abzu­gren­zen, ent­larvt sein let­zter Satz seine eigentliche Inten­tion.“ (W)

Uns liegen weit­ere fundierte Stel­lung­nah­men zu anderen Arbeit­en des „Rasse“-Autors vor – aber wozu? „Wenn wir (andauernd) solch pseu­do-wis­senschaftlichen Schmar­rn kom­men­tieren und kri­tisieren müssten, dann hät­ten wir wohl keine Zeit für andere Sachen.“ (W) Das ist der pointierte Schlusssatz aus einem unser­er wis­senschaftlichen Gutacht­en. Stimmt!

Wir haben den Namen des „Rasse“-Autors bish­er nicht genan­nt (nur in einem Zitat). Aus gutem Grund. Wir wollen seine banale ras­sis­tis­che Arbeit nicht noch weit­er erhöhen, indem wir ihn auch noch vorstellen. Dass sich mehrere Wis­senschaf­terIn­nen die Mühe machen, sein ras­sis­tis­ches Mach­w­erk zu kom­men­tieren, ist eigentlich ohne­hin schon zu viel der Ehre.

Fra­gen, die bleiben

Ist es schon wieder so weit? „Rasse“ als akzep­tierte Kat­e­gorie in Wis­senschaft und Forschung an öster­re­ichis­chen Hochschulen?
Welch­er wis­senschaftliche Betreuer nimmt eine so ein­deutig ras­sis­tis­che Arbeit ab? Und warum?
Warum kön­nen Arbeit­en von solchen Autoren in qua­si offiziellen Pub­lika­tio­nen der Graz­er Uni­ver­sität („Lin­guis­tis­che Stu­di­en“) pub­liziert werden?
Gibt es weit­ere Forsch­er bzw. Wis­senschafter an öster­re­ichis­chen Uni­ver­sitäten und Fach­hochschulen, die „Rasse“ und „Rasse­nun­ter­schiede“ wis­senschaftlich erörtern wollen?

Unseren Infor­ma­tio­nen zufolge ist die Bach­e­lo­rar­beit über „Rasse und Stimme“ in den let­zten Tagen Gegen­stand höch­ster Geheimhal­tung seit­ens der Leitung der Fach­hochschule Joan­neum in Graz gewor­den. Wir fordern Trans­parenz und Konsequenz!

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