Die Angst des Karpfen und die Sprache
Johannes Maria Staud, Komponist der Oper „Die Weiden“, und Durs Grünbein, Schriftsteller aus Dresden, der das Libretto verfasst hat, antworten im Interview mit dem „Kurier“ vom 4.12.2018 auf Fragen zu Karl Kraus und den Karpfen.
Kurier: Warum verwandeln Sie die Menschen in Ihrer Oper in Karpfen?
Durs Grünbein: Karpfen sind ganz friedliche Fische, aber sie sind auch Fische mit einem sehr großen Maul. Die Symbolik dieser nach Luft schnappenden, verängstigten Wesen zeigt, dass es nicht primär um Aggression, sondern um Angstzustände in der Gesellschaft geht. Und diese äußern sich in einem karpfenartigen Schmatzen.
Kurier: Weshalb zitieren Sie Karl Kraus?
Grünbein: Karl Kraus war mit dem Ersten Weltkrieg in die Situation geraten, dass die Literaturbeinah sprachlos geworden war. Dieser sprachempfindliche Mensch litt geradezu physisch unter dem Jargon des Unmenschen. „Die letzten Tage der Menschheit“ sind eine Montage aus Zitaten. Auch heute gibt es eine Tendenz zur Verrohung der Sprache. Man muss nur zitieren, um zu schockieren.
Kurier: Wie ist das zu verstehen?
Grünbein: Ein neuer Ton geht um in Europa. Eine Radikalisierung des öffentlichen Sprechens findet da gerade statt. „Die Grenzen des Sagbaren zu erweitern“, ist das Ziel, wie es ein deutscher Rechtspopulist neulich offen erklärte. Ein Jargon der Entmenschlichung macht sich breit. Jüngstes Beispiel: Ein Mitglied der AfD-Parteijugend „Junge Alternative“ schreibt in seiner Chatgruppe, das einzige Ticket, das er einem Flüchtling geben würde, wäre eines für den Expresszug nach Auschwitz-Birkenau.
Staud: In Deutschland sagt das eine Oppositionspartei, in Österreich spricht der Innenminister von einer „konzentrierten“ Haltung von Flüchtlingen. Das wäre überall ein Rücktrittsgrund gewesen, aber in Österreich hat das keine Konsequenzen. Man fragt oft nach dem Zusammenhang der politischen Sprache heute mit dem Dritten Reich. Was aber ist im Austrofaschismus mit der Pressefreiheit, der Opposition, dem Umfärben des Justizapparates passiert? Heute werden punktuell ähnliche Prozesse in Gang gesetzt. Unsere Gesellschaft ist so auf Blut gebaut, dass man diese Verrohung der Sprache, vor allem wie sie in den Internetforen geprägt wird, mit großer Erschütterung wahrnimmt. Das ist der Beginn einer Entwicklung. Deshalb müssen wir aufschreien.
Es beginnt bei der Sprache
In einem Interview mit dem „Standard“ vom 10.11.2018 („Patriotismus ist mir verdächtig“) ist Olga Neuwirth, ebenfalls österreichische Komponistin, zu sehr ähnlichen Einschätzungen gekommen. Zunächst aber erklärt sie, warum sie in der von ihr komponierten Filmmusik zum Stummfilm „Stadt ohne Juden“ kurz das Stück „Immer wieder Österreich“ der FPÖ-Kombo John-Otti-Band zitiert.
Standard: So, wie das Lied eingebaut ist, entsteht ein Konnex zwischen FPÖ und Antisemitismus.
Neuwirth: Ich lasse das in der Musik, aber jeder weiß, was ich meine. Es kommt ja an jener Stelle, an welcher der Hass gegen Juden erstmals mit Freude herausposaunt wird. Da blühen Ressentiments richtig auf, die man auch heute überall sieht. Ich kenne das, ich bin auf dem Land aufgewachsen. Es war immer unheimlich, obwohl es zu Bruno Kreiskys Zeiten nicht en vogue war, Ressentiments auszusprechen. Es hat wohl in den Menschen gebrodelt, jetzt darf es aber raus. In meinem Ort gibt es unglaublich viele leidenschaftliche Identitäre, die sich mit Stolz zeigen. Ich finde das irritierend. Es hat sich schnell radikalisiert, da die Haltung von oben nicht sanktioniert, sondern begünstigt wird. Nun traut sich jeder. Deshalb ist dieses Spiel mit dem Feuer von hochrangigen Politikern so gefährlich und nicht mehr akzeptabel. Verharmlosung ist nicht mehr angesagt. Wer Gewalt und Hass schürt, setzt sie in den Köpfen der Menschen fest und triggert mehr und mehr Gewalt. Wer das nicht sehen will, macht sich automatisch schuldig. Das Schlimme ist, dass es wenig Aufregung darüber gibt. Durch diese unentwegt eingesetzte Sprache der Verhetzung wird alles nivelliert und erscheint plötzlich harmlos. Ich finde das schlimm. Ich habe den Chefdolmetscher der Nürnberger Prozesse kennengelernt, Richard Sonnenfeldt. Er hat gesagt: Es beginnt immer bei der Sprache. Er hatte mit Hermann Göring zu tun und hat auch über Göring gelacht. Er hat sich vergegenwärtigen müssen, wer das eigentlich war. Das Böse zeigt sich nicht pur. Deswegen finde ich Sprache so wichtig. Letztendlich sieht man die Auswüchse ihrer Verwendung bei Trump, Salvini und den anderen.
Der Domino-Effekt in der Sprache und Benzin
Was Neuwirth, Staud und Grünbein hier ausführen, wurde von Susan Benesch in dem von ihr gegründeten Projekt über gefährliche Sprache „Dangerous Speech Project“ über Jahre hinweg untersucht. Dem „Spiegel“ (Nr. 47 vom 17.11.2018) gab sie dazu ein spannendes (und durchaus widersprüchliches) Interview, das leider nur eingeschränkt zugänglich ist. Hier einige Auszüge:
Spiegel: Was macht Angst so gefährlich?
Benesch: Das Gefühl, existenziell bedroht zu sein, ist viel stärker als beispielsweise Hass. Das ist einer der Gründe, warum ich für meine Arbeit den Begriff „gefährliche Sprache“ nutze und nicht „Hate Speech“. Es gibt eine Menge Hass, der völlig ungefährlich ist, weil er ziemlich sicher keine Gewalt auslöst. Ich könnte Ihnen fürchterliche Dinge an den Kopf werfen, aber ich bin mir sicher, dass Sie trotzdem nicht zur Waffe greifen. (…)
Spiegel: Vor drei Wochen ermordete ein Rechtsradikaler elf Menschen in einer Synagoge in Pittsburgh, wenige Tage zuvor wurden Paketbomben abgefangen, die an politische Gegner von Trump adressiert waren. Welchen Anteil tragen Trumps eigene Äußerungen an dieser Gewalt?
Benesch: Ich würde die beiden mutmaßlichen Täter dazu gern fragen. Bisher haben wir starke Indizien aus ihren Social-Media-Profilen. Cesar Sayoc, der die Paketbomben gebaut haben soll, scheint direkt von Trump inspiriert: Viele der Lügen, die Trump verbreitet, hat Sayoc wiederholt gepostet. Seine Bomben hat er an Menschen und Organisationen verschickt, die Trump selbst öffentlich angegriffen hat, von George Soros bis CNN. Sayoc scheint jemand zu sein, den wir als besonders anfällig für gefährliche Sprache bezeichnen könnten. Robert Bowers, der Täter von Pittsburgh, schrieb vor dem Anschlag, dass „schmutzige, böse Juden“ „schmutzige böse Muslime“ ins Land brächten. Er könne nicht tatenlos zusehen, wie seine Landsleute geschlachtet würden. Er mag von Trumps oft wiederholter Idee inspiriert wurden sein, dass Muslime eine tödliche Gefahr für die USA seien, Bei beiden gibt es also viele Anklänge an das, was Trump sagt. (…)
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Spiegel: In Deutschland sind durch die AfD Begriffe in die öffentliche Debatte eingeführt worden, die stark an den Nationalsozialismus erinnern: Volksverräter, Lügenpresse, linksgrün-versifft.
Benesch: Es hilft, sich Sprache als ein Spektrum vorzustellen. Die Wahrscheinlichkeit, mit der sie zu Gewalt führt, kann man auf einer Skala abbilden, von niedrig bis sehr hoch. Das Problem ist: Wenn eine nur leicht gefährliche Sprache sozial akzeptabler wird, dann wird auch jene Sprache gebräuchlicher, die eine Stufe gefährlicher ist. Das ist wie eine Reihe von Dominosteinen: Wenn der eine fällt, kippt der nächste. Die Hürden zur Gewalt fallen schrittweise.
Spiegel: Also gilt auch für Sprache ein „Wehret den Anfängen“?
Benesch: Es gibt eine für mich unvergessliche Bemerkung eines Zeugen im Uno-Kriegsverbrechertribunal für Ruanda. Es ging damals um den Radiosender RTLM, auch „Radio Machete“ genannt, der die Gruppe der Tutsis als Volksfeinde und existenzielle Gefahr für die Hutus geißelte und mit solchen Botschaften zum Völkermord beitrug. Angeklagt waren zwei Führungskräfte des Senders. Der Zeuge sagte: Die Angeklagten hätten nach und nach Benzin über das ganze Land getropft, bis es eines Tages in Flammen aufgehen würde. Das ist ein brillantes Bild. Irgendwann, wenn genug Benzin getropft ist, reicht ein kleiner Funke.