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„Es gibt das Völkische nicht ohne das Antisemitische“

Wie­so spie­len sich FPÖ­ler als Beschüt­zer von Juden auf? Und was haben mus­li­mi­sche Flücht­lin­ge damit zu tun? Ein Inter­view mit dem Rechts­ex­tre­­mis­­mus-For­­scher Andre­as Peham. Von Kers­tin Kel­ler­mann. Durch die IS-Anschlä­­ge in ande­ren Län­dern und durch per­ma­nen­te Pro­pa­gan­da wer­den Flücht­lin­ge von vie­len in Öster­reich als Bedro­hung wahr­ge­nom­men. Rechts­extre­me wer­den kaum noch erwähnt. Ist es nicht erstaunlich, […]

7. Okt 2017

Durch die IS-Anschlä­ge in ande­ren Län­dern und durch per­ma­nen­te Pro­pa­gan­da wer­den Flücht­lin­ge von vie­len in Öster­reich als Bedro­hung wahr­ge­nom­men. Rechts­extre­me wer­den kaum noch erwähnt. Ist es nicht erstaun­lich, dass in Öster­reich die Flücht­lin­ge den Rechts­extre­men hin­sicht­lich mög­li­cher Gefähr­lich­keit den Rang abge­lau­fen haben?

Die­se Ver­schie­bung von Bedro­hung auf die Flücht­lin­ge, und die Tat­sa­che, dass Neo­na­zis­mus und Rechts­extre­mis­mus nicht mehr in die­sem Aus­maß als gefähr­lich gese­hen wer­den, ist selbst Teil des Rechts­ru­ckes. Die­ser Rechts­ruck und die­se Ver­schie­bung wur­den nicht nur von der extre­men Rech­ten im eige­nen Inter­es­se for­ciert, son­dern vor allem die Bou­le­vard-Medi­en haben da flei­ßig mit­ver­scho­ben, wenn wir bei dem Bild blei­ben. Tat­säch­lich steht die irra­tio­na­le Angst vor den Geflüch­te­ten im Wider­spruch zur rea­len Angst der Geflüch­te­ten und den Zah­len, wie wir sie vom Innen­mi­nis­te­ri­um bekom­men, näm­lich dass die Anzahl von gewalt­tä­ti­gen Angrif­fen auf Flücht­lings­un­ter­künf­te sich von 2015 auf 2016 ver­dop­pelt hat. Heu­er wird die Zahl noch ein­mal wach­sen, wobei wir letz­tes Jahr schon bei fünf­zig gewalt­tä­ti­gen Angrif­fen auf Flücht­lings­hei­me waren. Ein ande­rer Punkt: Selbst wenn FPÖ und Bou­le­vard gemein­sam behaup­ten, die Mor­de in Linz sei­en ein isla­mis­ti­scher Angriff gewe­sen, so stimmt das nicht. Die­ser psy­chisch schwer belas­te­te, tune­si­sche Mann töte­te ein ihm bekann­tes Pen­sio­nis­ten-Ehe­paar. Es bleibt die Fra­ge, ob ein­zel­ne Ver­tre­ter der Poli­zei wider bes­se­res Wis­sen, die Mor­de für den Bou­le­vard und die FPÖ als IS-Ter­ror qua­li­fi­ziert haben. Es wird aber nichts über­blei­ben. Glei­ches gilt für die Amok­fahrt in Graz. Es geht bei Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus nie um Rea­li­tät, es geht um Bil­der und um Bedro­hungs­sze­na­ri­en, die im Fall des Isla­misms aber zumin­dest auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne einen wah­ren Kern haben. Isla­mis­mus und Dschi­ha­dis­mus sind inter­na­tio­nal eine Gefahr, aber in Öster­reich ist der Neo­na­zis­mus eine grö­ße­re Gefahr und auf poli­ti­scher Ebe­ne der Rechts­extre­mis­mus. Die­se Wahr­heit zu ver­de­cken, ist aus Per­spek­ti­ve der extre­men Rech­ten durch­aus logisch und sie machen das lei­der mit Erfolg — das Bedro­hungs­bild hat sich ausgetauscht.

In die­sem Zusam­men­hang den­ken vie­le, zumin­dest im Inter­net, dass die AFD­ler und ande­re Rechts­extre­me die bes­se­ren Beschüt­zer von Juden wären?

Das ist natür­lich Dem­ago­gie. Man braucht im Fall der AFD bzw. der FPÖ nur auf den Anti­se­mi­tis­mus in den Rei­hen die­ser bei­den Par­tei­en hin­wei­sen. Die­se Vor­fäl­le sind kei­ne Ein­zel­fäl­le, son­dern haben Sys­tem. Das Sys­te­ma­ti­sche am Anti­se­mi­tis­mus bei­der Par­tei­en liegt im Völ­ki­schen, das sie reprä­sen­tie­ren. Zum Völ­ki­schen hat sich sogar die gar nicht so weit rechts außen ste­hen­de Frau­ke Petry bekannt, als sie ver­lang­te, dass „das Völ­ki­sche“, sozu­sa­gen als Begriff, reha­bi­li­tiert wer­den soll. Es gibt das Völ­ki­sche aber nicht ohne das Antisemitische.

Erläu­tern Sie die­sen Zusam­men­hang bit­te noch genauer?

Im Zen­trum des Völ­ki­schen steht nicht das Indi­vi­du­um wie im Libe­ra­lis­mus, son­dern das Volk. Das Volk aber nicht als poli­ti­sche Gemein­schaft ver­stan­den, son­dern als „natür­li­che Abstam­mungs­ge­mein­schaft“. Die­ses „Volk“ bil­det dann eine homo­ge­ne Grup­pe, in der es angeb­lich kei­ne Kon­flik­te gibt. Die­se Vor­stel­lung steht aber im Wider­spruch zur Rea­li­tät und funk­tio­niert ein­fach nicht. Das zeig­te auch der Natio­nal­so­zia­lis­mus ganz deut­lich. So eine Gemein­schaft kann nur mit Zwang her­ge­stellt wer­den, indem zum Bei­spiel die Gewerk­schaf­ten ver­bo­ten wer­den, die diver­gie­ren­den Inter­es­sen unter­drückt — dann gibt es Homo­ge­ni­tät. Das traut sich aber heu­te kei­ner sagen. Die For­de­rung nach Volks­ge­mein­schaft eint bei­de Par­tei­en und die­ser Volks­ge­mein­schafts-Ideo­lo­gie liegt der Anti­se­mi­tis­mus zugrun­de. Denn es stellt sich die Fra­ge, wie kann man dann die Rea­li­tät mit all ihren sozia­len Kon­flik­ten, Geschlech­ter Kon­flik­ten oder Gene­ra­tio­nen Kon­flik­ten erklä­ren? Wie kann man alle die­se Kon­flik­te begrün­den, wenn man so einem Volks­ge­mein­schafts-Dün­kel anhängt? Indem man die unter­schied­li­chen Inter­es­sen­kon­flik­te zum Werk von Sün­den­bö­cken erklärt! Als sol­che bie­ten sich bis heu­te vor allem Juden und Jüdin­nen an, die seit jeher als jene hal­lu­zi­niert wer­den, die von außen und gleich­zei­tig innen die Gemein­schaft „zer­set­zen“ wür­den. Das ist das Anti­se­mi­ti­sche an die­ser Volks­ge­mein­schafts-Ideo­lo­gie. Die kommt auch aktu­ell nicht ohne Anti­se­mi­tis­mus aus. Der Anti­se­mi­tis­mus ist also in der Welt­an­schau­ung die­ser bei­den Par­tei­en ver­an­kert, aber nach außen herrscht das Bekennt­nis vor, gegen Anti­se­mi­tis­mus zu sein. Auf die­se Wei­se geht dann die­se Insze­nie­rung auf. Dass näm­lich Juden kei­ne bes­se­ren Beschüt­zer als die Rechts­extre­men hätten.

Wie spielt der Nah­ost-Kon­flikt in die­se Insze­nie­rung hinein?

Die Beschüt­zer-Ideo­lo­gie besitzt einen gewis­sen wah­ren Kern. AFD und die FPÖ haben Isra­el für sich ent­deckt. Isra­el als jüdi­sche Heim­statt, auch als Kon­se­quenz der Sho­ah, Isra­el aber vor allem als Vor­pos­ten des christ­li­chen Abend­lan­des, das wei­ten sie dann aus – des christ­lich-jüdi­schen Abend­lan­des. Was auch eine skan­da­lö­se Geschichts­fäl­schung ist, denn ein christ­lich-jüdi­sches Abend­land hat es bekannt­lich nie gege­ben. Isra­el wird zum Vor­pos­ten gegen die Ara­ber, wie es frü­her gehei­ßen hat, oder heu­te gegen den Islam. Man ver­kennt den Nah­ost-Kon­flikt, man sieht nicht mehr, dass die­ser ein ter­ri­to­ria­ler Kon­flikt ist, son­dern er wird zu einem inter­re­li­giö­sen Kon­flikt apo­ka­lyp­ti­schen Aus­ma­ßes. Das ist, bezeich­nen­der­wei­se, eine ähn­li­che Sicht­wei­se wie die der Isla­mis­ten. Auf die­se Wei­se wird der Nah­ost-Kon­flikt unlös­bar. Außer in einer apo­ka­lyp­ti­schen End­schlacht — dar­auf läuft es hin­aus. Dazu kommt noch ein wei­te­rer Aspekt: Bei­de Par­tei­en zei­gen sich sozu­sa­gen soli­da­risch mit Isra­el, sind aber trotz­dem anti­se­mi­tisch. Wie geht das? Indem man die Feind­grup­pe spal­tet. Es gibt die „guten Juden“, das wären, umge­legt auf Isra­el, die „Mus­kel­ju­den“, von denen Max Nord­au im frü­hen 20. Jahr­hun­dert geschrie­ben hat. Die kämp­fe­ri­schen Juden, eine Art jüdisch-natio­na­lis­ti­scher Vari­an­te des „wei­ßen Man­nes“, der die Last der Zivi­li­sa­ti­on in das Dun­kel des Mor­gen­lan­des bringt. Das erlaubt ihnen die Soli­da­ri­tät. Dann gibt es noch die „bösen Juden“, die als die „Lügen­pres­se“, „die ame­ri­ka­ni­sche Ost­küs­te“, die „Hoch­fi­nanz“, die „groß­städ­ti­schen Zer­set­zungs­den­ker“ und wie sie alle hei­ßen, umschrie­ben wer­den. Die­ses Mus­ter zeig­te schon das Bei­spiel der deut­schen Natio­nal-Zei­tung bis in die spä­ten 1970er Jah­re auf. Teils war die Bericht­erstat­tung israel­ver­klärt — Mosche Dajan wur­de zum Bei­spiel zum „neu­en Rom­mel“ erklärt, teils wur­de gegen Wie­der­gut­ma­chung agi­tiert und gegen die „ame­ri­ka­ni­sche Ost­küs­te“ gehetzt. Das ging schon ein­mal zusam­men und war­um soll es heu­te nicht wie­der zusam­men gehen? Ich stau­ne immer wie­der, wie leicht auch die so genann­ten kri­ti­schen Medi­en der FPÖ dazu bei­tra­gen, dass die­se Insze­nie­rung aufgeht.

Zur Per­son: Andre­as Peham arbei­tet seit 1996 als Rechts­extre­mis­mus­for­scher beim Dok­men­ta­ti­ons­ar­chiv des Öster­rei­chi­schen Wider­stan­des. Peham war zudem lang­jäh­ri­ger Bericht­erstat­ter für das Ste­phen Roth Insti­tu­te for the Stu­dy of Con­tem­po­ra­ry Anti­se­mi­tism and Racism an der Uni­ver­si­tät Tel Aviv und ist Grün­dungs­mit­glied der For­schungs­grup­pe Ideo­lo­gien und Poli­ti­ken der Ungleich­heit. Im Früh­jahr erscheint in der theorie.org-Reihe des Schmet­ter­lings­ver­lags sein neu­es Buch „Kri­tik des Anti­se­mi­tis­mus“.

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