Das Kurz-Stück von der WillkommenskulturLesezeit: 3 Minuten

Dass Sebas­ti­an Kurz, Spit­zen­kan­di­dat der ÖVP, in der Ver­gan­gen­heit eine bes­se­re Will­kom­mens­kul­tur für Flücht­lin­ge und Migran­tIn­nen gefor­dert und sich spä­ter dann davon distan­ziert hat, ist sogar dem FPÖ-Stra­che auf­ge­fal­len. Dass Kurz die „Will­kom­mens­kul­tur“ in die poli­ti­sche Debat­te ein­ge­führt hat, um sie und die poli­ti­schen Kon­kur­ren­ten spä­ter damit zu denun­zie­ren, ist ein Lehr­stück schwar­zer bzw. türkiser […]

25. Sep 2017

Sebas­ti­an Kurz hat den Begriff der „Will­kom­mens­kul­tur“ nicht erfun­den. In Deutsch­land kur­siert er schon seit 2008 in der poli­ti­schen Debat­te – als For­de­rung der Wirt­schaft und wirt­schafts­na­her poli­ti­scher Krei­se. In Öster­reich wur­den der Begriff und die For­de­rung nach einer „Will­kom­mens­kul­tur“ daher nicht zufäl­lig von der Wirt­schafts­kam­mer und ihren Expo­nen­tIn­nen über­nom­men. Das war 2011 — vor­her wur­de der Begriff in Öster­reich fak­tisch nicht ver­wen­det (sie­he die APA-OTS-Suche).

Der 2011 als Inte­gra­ti­ons­staats­se­kre­tär ange­lob­te Sebas­ti­an Kurz griff den neu­en Begriff und die For­de­rung dank­bar auf und war seit 2012 als Wan­der­pre­di­ger in Sachen Will­kom­mens­kul­tur unter­wegs (auch das ist über eine APA-OTS-Suche gut nach­voll­zieh­bar).

2015, als der Begriff der „Will­kom­mens­kul­tur“ von der For­schungs­stel­le Öster­rei­chi­sches Deutsch zum Wort des Jah­res aus­ge­lobt wur­de, ver­ab­schie­de­te sich Kurz davon, indem er ver­stumm­te. Die For­de­rung nach einer bes­se­ren Will­kom­mens­kul­tur kam dem, der sie in die poli­ti­sche Debat­te ein­ge­führt hat­te, nicht mehr über die Lip­pen. Ende 2015 durf­te dann Ger­not Blü­mel, der Scharf­ma­cher der ÖVP, vor „über­zo­ge­ner (sic!) Will­kom­mens­kul­tur-Phan­ta­sien“ war­nen und den Boden auf­be­rei­ten für die Wen­de.

Spä­tes­tens ab 2016 wird Kurz dann sehr deut­lich. In einem Inter­view mit der deut­schen „Welt“ (13.1.2016) gei­ßelt er nach den sexu­el­len Über­grif­fen von Köln die Rhe­to­rik der Will­kom­mens­kul­tur und insze­niert sich als einen der War­ner vor dieser.

Die Welt: „Besie­gelt die­se Gewalt das Ende der Willkommenskultur?“

Kurz: „Auch wenn das jetzt hart klingt, aber ich habe bei die­sen enor­men Men­schen­mas­sen, die nun zu uns kom­men, mit Span­nun­gen, Über­grif­fen und gewalt­tä­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen gerech­net“.

In einem Streit­ge­spräch mit Eva Gla­wi­sch­nig im „Kurier“(12.6.2016) geht er noch einen Schritt wei­ter und macht die dama­li­ge Par­tei­che­fin der Grü­nen direkt ver­ant­wort­lich für die „Will­kom­mens­kul­tur“:

„Was Sie mit Ihrer Will­kom­mens­kul­tur im Vor­jahr aus­ge­löst haben, hat uns mas­si­ve zusätz­li­che Kos­ten bei der Flücht­lings­be­treu­ung und Unter­brin­gung gebracht“.

Der dras­ti­sche Posi­ti­ons­wech­sel des Sebas­ti­an Kurz blieb nicht unbe­merkt. Sybil­le Hamann beschrieb ihn sehr prä­zi­se in einem Kom­men­tar für die „Pres­se“ (28.12.2016):

„….Zwei Jah­re ist es erst her, dass er sich aus­drück­lich „mehr Will­kom­mens­kul­tur” in Öster­reich gewünscht hat. Kurz ernann­te erfolg­rei­che Ein­wan­de­rer zu „Inte­gra­ti­ons­bot­schaf­tern”, tour­te mit ihnen durchs Land und for­der­te von uns Bür­gern, offe­ner und wert­schät­zen­der auf jene Ein­wan­de­rer zuzu­ge­hen, die sich bei uns eine neue Exis­tenz auf­bau­en wol­len. „Wir haben zu wenig Will­kom­mens­kul­tur”, for­mu­lier­te er in meh­re­ren gro­ßen Inter­views, samt der aus­drück­li­chen Ein­la­dung: Er freue sich über „jeden, der sich ent­schließt, Öster­rei­cher zu wer­den”.

ÖVP hängt Kern den Will­kom­mens-Kanz­ler um

Dann kam 2016, der Wunsch ging in Erfül­lung, es kamen sehr vie­le, und Kurz woll­te plötz­lich nicht mehr dar­an erin­nert wer­den, sich „Will­kom­mens­kul­tur” gewünscht zu haben. Das Wort mutier­te, mit sei­ner tat­kräf­ti­gen Mit­hil­fe, über Nacht zum Schimpf­wort. Bür­ger, die offen auf Ein­wan­de­rer zuge­hen, mutier­ten über Nacht zu „nai­ven Gut­men­schen”, an der „schäd­li­chen Ein­la­dungs­po­li­tik” war plötz­lich allein Ange­la Mer­kel schuld“.

Im „Rot-Grün-Mani­fest“, das die ÖVP kurz vor der Inthro­ni­sie­rung von Kurz als Spit­zen­kan­di­dat an ihre Funk­tio­nä­re ver­teilt, dann der krö­nen­de Abschluss: Bun­des­kanz­ler Kern wird als „Will­kom­mens­kul­tur-Kanz­ler“ titu­liert. Sebas­ti­an Kurz hat die von ihm adap­tier­te „Will­kom­mens­kul­tur“ weg­ge­legt und erfolg­reich ande­ren umge­hängt, die er dafür auch noch beschimpft.

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