Das Kurz-Stück von der Willkommenskultur

Dass Sebas­t­ian Kurz, Spitzenkan­di­dat der ÖVP, in der Ver­gan­gen­heit eine bessere Willkom­men­skul­tur für Flüchtlinge und Migran­tInnen gefordert und sich später dann davon dis­tanziert hat, ist sog­ar dem FPÖ-Stra­che aufge­fall­en. Dass Kurz die „Willkom­men­skul­tur“ in die poli­tis­che Debat­te einge­führt hat, um sie und die poli­tis­chen Konkur­renten später damit zu denun­zieren, ist ein Lehrstück schwarz­er bzw. türkiser poli­tis­ch­er Kommunikation.

Sebas­t­ian Kurz hat den Begriff der „Willkom­men­skul­tur“ nicht erfun­den. In Deutsch­land kur­siert er schon seit 2008 in der poli­tis­chen Debat­te – als Forderung der Wirtschaft und wirtschaft­sna­her poli­tis­ch­er Kreise. In Öster­re­ich wur­den der Begriff und die Forderung nach ein­er „Willkom­men­skul­tur“ daher nicht zufäl­lig von der Wirtschaft­skam­mer und ihren Expo­nentIn­nen über­nom­men. Das war 2011 — vorher wurde der Begriff in Öster­re­ich fak­tisch nicht ver­wen­det (siehe die APA-OTS-Suche).

Der 2011 als Inte­gra­tionsstaatssekretär angelobte Sebas­t­ian Kurz griff den neuen Begriff und die Forderung dankbar auf und war seit 2012 als Wan­der­predi­ger in Sachen Willkom­men­skul­tur unter­wegs (auch das ist über eine APA-OTS-Suche gut nachvol­lziehbar).

2015, als der Begriff der „Willkom­men­skul­tur“ von der Forschungsstelle Öster­re­ichis­ches Deutsch zum Wort des Jahres aus­gelobt wurde, ver­ab­schiedete sich Kurz davon, indem er ver­s­tummte. Die Forderung nach ein­er besseren Willkom­men­skul­tur kam dem, der sie in die poli­tis­che Debat­te einge­führt hat­te, nicht mehr über die Lip­pen. Ende 2015 durfte dann Ger­not Blümel, der Scharf­mach­er der ÖVP, vor „über­zo­gen­er (sic!) Willkom­men­skul­tur-Phan­tasien“ war­nen und den Boden auf­bere­it­en für die Wende.

Spätestens ab 2016 wird Kurz dann sehr deut­lich. In einem Inter­view mit der deutschen „Welt“ (13.1.2016) geißelt er nach den sex­uellen Über­grif­f­en von Köln die Rhetorik der Willkom­men­skul­tur und insze­niert sich als einen der Warn­er vor dieser.

Die Welt: „Besiegelt diese Gewalt das Ende der Willkommenskultur?“

Kurz: „Auch wenn das jet­zt hart klingt, aber ich habe bei diesen enor­men Men­schen­massen, die nun zu uns kom­men, mit Span­nun­gen, Über­grif­f­en und gewalt­täti­gen Auseinan­der­set­zun­gen gerech­net“.

In einem Stre­it­ge­spräch mit Eva Glaw­is­chnig im „Kurier“(12.6.2016) geht er noch einen Schritt weit­er und macht die dama­lige Parte­ichefin der Grü­nen direkt ver­ant­wortlich für die „Willkom­men­skul­tur“:

„Was Sie mit Ihrer Willkom­men­skul­tur im Vor­jahr aus­gelöst haben, hat uns mas­sive zusät­zliche Kosten bei der Flüchtlings­be­treu­ung und Unter­bringung gebracht“.

Der drastis­che Posi­tion­swech­sel des Sebas­t­ian Kurz blieb nicht unbe­merkt. Sybille Hamann beschrieb ihn sehr präzise in einem Kom­men­tar für die „Presse“ (28.12.2016):

„….Zwei Jahre ist es erst her, dass er sich aus­drück­lich „mehr Willkom­men­skul­tur” in Öster­re­ich gewün­scht hat. Kurz ernan­nte erfol­gre­iche Ein­wan­der­er zu „Inte­gra­tions­botschaftern”, tourte mit ihnen durchs Land und forderte von uns Bürg­ern, offen­er und wertschätzen­der auf jene Ein­wan­der­er zuzuge­hen, die sich bei uns eine neue Exis­tenz auf­bauen wollen. „Wir haben zu wenig Willkom­men­skul­tur”, for­mulierte er in mehreren großen Inter­views, samt der aus­drück­lichen Ein­ladung: Er freue sich über „jeden, der sich entschließt, Öster­re­ich­er zu wer­den”.

ÖVP hängt Kern den Willkom­mens-Kan­zler um

Dann kam 2016, der Wun­sch ging in Erfül­lung, es kamen sehr viele, und Kurz wollte plöt­zlich nicht mehr daran erin­nert wer­den, sich „Willkom­men­skul­tur” gewün­scht zu haben. Das Wort mutierte, mit sein­er tatkräfti­gen Mith­il­fe, über Nacht zum Schimpf­wort. Bürg­er, die offen auf Ein­wan­der­er zuge­hen, mutierten über Nacht zu „naiv­en Gut­men­schen”, an der „schädlichen Ein­ladungspoli­tik” war plöt­zlich allein Angela Merkel schuld“.

Im „Rot-Grün-Man­i­fest“, das die ÖVP kurz vor der Inthro­nisierung von Kurz als Spitzenkan­di­dat an ihre Funk­tionäre verteilt, dann der krö­nende Abschluss: Bun­deskan­zler Kern wird als „Willkom­men­skul­tur-Kan­zler“ tit­uliert. Sebas­t­ian Kurz hat die von ihm adap­tierte „Willkom­men­skul­tur“ weggelegt und erfol­gre­ich anderen umge­hängt, die er dafür auch noch beschimpft.