Sommerlektüre Rechtsextremismus: Purtschellers Opus Magnum

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Anfang die­ses Jah­res ver­lo­ren Anti­fa­schis­tIn­nen in Öster­reich mit dem Publi­zis­ten Wolf­gang Purtschel­ler nicht nur den Men­schen, son­dern auch ein wan­deln­des Lexi­kon über den öster­rei­chi­schen Rechts­extre­mis­mus nach 1945. Nach­ruf des DÖW: Wer sich für die­se The­ma­tik inter­es­siert, kommt um Purtschel­lers Mono­gra­phie „Auf­bruch der Völ­ki­schen“ von 1993 nicht her­um. Ihr ist der drit­te Teil unse­rer Lek­tü­re­emp­feh­lun­gen für den Som­mer gewid­met.

Wolf­gang Purtschel­ler, „Auf­bruch der Völ­ki­schen. Das rechts­extre­me Netz­werk“ (Wien: Picus 1993, 448 S.)

War­um anno 2016 ein Buch über die extre­me Rech­te bis 1993 lesen? Zunächst ein­mal, weil vie­le der von Purtschel­ler behan­del­ten Orga­ni­sa­tio­nen und Peso­nen­zu­sam­men­hän­ge noch heu­te aktiv sind. Zum zwei­ten, weil für das Ver­ständ­nis der aktu­el­len extre­men Rech­ten Purtschel­lers Dar­stel­lung ihrer Vor­läu­fer höchst auf­schluss­reich ist – nicht zuletzt, um nicht vor­schnell gän­gi­gen Selbst­dar­stel­lun­gen auf den Leim zu gehen: all­zu vie­les, was sich heu­te das Eti­kett „neu­rechts“ auf­klebt oder auf­ge­klebt erhält, ist in Wahr­heit alles ande­re als neu. Zum drit­ten ist bis zum heu­ti­gen Tag kei­ne detail­rei­che­re Dar­stel­lung der extre­men Rech­ten in Öster­reich von der Nach­kriegs­zeit bis in die frü­hen 90er Jah­re erschie­nen. Vier­tens weckt auch die his­to­ri­sche Situa­ti­on, in der Purtschel­ler sein Werk aufs Papier brach­te nicht weni­ge Asso­zia­tio­nen zur aktu­el­len Lage: heu­te wie damals schwingt sich eine an jeder Ecke „Aus­län­der­pro­ble­ma­tik“ wit­ter­en­de FPÖ von einem Wahl­er­folg zum nächs­ten; heu­te wie damals grup­piert sich eine durch poli­zei­li­che Repres­si­on zu tak­ti­schen Anpas­sun­gen gedräng­te neo­na­zis­ti­sche Sze­ne neu und greift dabei zu ver­gleichs­wei­se unver­däch­ti­gen Begrif­fen wie „Iden­ti­tät“ (so der Titel einer kurz­le­bi­gen, in den frü­hen 90er Jah­ren gestar­te­ten rechts­extre­men Zeit­schrift für ein jun­ges Publi­kum). Nicht zuletzt bie­tet Purtschel­lers pole­mi­scher, aber immer fak­ten­ba­sier­ter Stil neben rei­chen Infor­ma­tio­nen auch eini­ges Lesevergnügen.


ZVAB — Auf­bruch der Völ­ki­schen. Das brau­ne Netz­werk, Purtschel­ler, Wolfgan
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Die Publi­ka­ti­on fokus­siert die Ideo­lo­gie und das Selbst­ver­ständ­nis der behan­del­ten Akteu­rIn­nen. Anders als vie­le kri­ti­sche Publi­ka­tio­nen der 1990er ist es kein FPÖ-Buch, aber wie jedes Buch über den öster­rei­chi­schen Rechts­extre­mis­mus not­wen­dig auch eines über die FPÖ. Die Kapi­tel wid­men sich schwer­punkt­haft bestimm­ten Grup­pen oder The­men, immer jedoch bewahrt Purtschel­ler den Blick für natio­na­le wie inter­na­tio­na­le Quer­ver­bin­dun­gen, die den Netz­werk­cha­rak­ter der rechts­extre­men Polit­land­schaft sicht­bar machen. Dabei zeigt der Autor sich alles ande­re als blind gegen­über Ver­bin­dungs­li­ni­en in die gesell­schaft­li­che „Mit­te“ und sogar bis zur poli­ti­schen Lin­ken. Den Weg weist er bereits in der Ein­lei­tung, wenn er fest­hält, dass „rechts­extre­mis­ti­sche Denk­mus­ter zur ‚ost­mär­ki­schen’ Nor­ma­li­tät gehö­ren“ und die „Erfolgs­sto­ry des Rechts­extre­mis­mus made in Aus­tria … in ers­ter Linie die Geschich­te der – oft unver­ständ­lich anmu­ten­den – gesell­schaft­li­chen und staat­li­chen Nach­sicht und Tole­ranz die­sen Umtrie­ben gegen­über“ sei (S. 15).

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Nichts­des­to­trotz ist es die rechts­extre­me bis neo­na­zis­ti­sche Sze­ne­rie selbst, die im Fokus des Buches steht. Das Spek­trum lie­ße sich kaum prä­gnan­ter umrei­ßen, als Purtschel­ler selbst es am Back­co­ver tut: „ange­jähr­te Wer­wöl­fe und jugend­li­che Wehr­sport­grupp­ler, distin­gu­ier­te Südtirol-‚Bumser’ und despe­ra­te Bom­ben­le­ger, grei­se SS-ler und puber­tie­ren­de SA-Fans, ver­folg­te Ausch­witz­lüg­ner und deko­rier­te Kriegs­schuld­leug­ner, knor­ri­ge Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten und mar­ki­ge Abge­ord­ne­te, knüt­teln­de Bar­den und knüp­peln­de Gar­den, schril­le Hetz­pos­til­len und seri­ös auf­ge­ma­scherl­te Theo­rie­blät­ter, dis­kre­te Kul­tur­ver­ei­ne und publi­ci­ty­gei­le Kader­grup­pen, uri­ge Natio­nal-Sozia­lis­ten und flot­te Natio­nal-Frei­heit­li­che, untä­ti­ge Behör­den und täti­ge Wie­der­be­tä­ti­ger.“ Purtschel­lers Par­force­ritt durch die rechts­extre­me Orga­ni­sa­ti­ons­land­schaft und ihr Per­so­nal lässt nichts aus: ob Natio­nal­de­mo­kra­ti­sche Par­tei oder Natio­na­lis­ti­sche Front, Offen­hau­sen oder ÖLM, AFP oder ANR, „Aula“ oder „Eck­art“, Scrin­zi oder Stü­ber, Boro­da­jke­wy­czs oder Bur­ger, Hon­sik oder Küs­sel – nichts, was sich nach 1945 in im öster­rei­chi­schen Rechts­extre­mis­mus einen Namen mach­te, bleibt unbeachtet.

Vor die­sem Hin­ter­grund loh­nen allein schon das Quel­len­ver­zeich­nis sowie der Per­so­nen- und Orga­ni­sa­tio­nen­in­dex im Anhang den Kauf des Buchs. Purtschel­ler greift auf eine Fül­le an Infor­ma­tio­nen zurück, die bis zum Erschei­nen des Buches nir­gend­wo sonst so ein­fach zu haben waren – dar­un­ter von (ehe­ma­li­gen) Sze­ne­mit­glie­dern Zuge­tra­ge­nes. Nach­drück­lich unter­streicht er in der Ein­lei­tung die Bedeu­tung der Recher­che­ar­beit in ihrem eige­nen Inter­es­se unge­nannt geblie­be­ner Anti­fa­schis­tIn­nen – und betont den Cha­rak­ter des Buches als ein Kol­lek­tiv­werk. „Alle wis­sen, daß die­ses Buch viel har­te, vor allem aber gemein­sa­me Arbeit ver­kör­pert, und wenn mein Name auf dem Cover auf­scheint, dann nur, weil in einer Gesell­schafts­ord­nung, die Krieg und Faschis­mus so natur­ge­setz­mä­ßig in sich trägt wie die Wol­ke den Regen, sogar Zusam­men­fas­sun­gen das erbärm­li­che Eti­kett des per­sön­li­chen geis­ti­gen Eigen­tums tra­gen müs­sen.“ (S. 20) So hoch Purtschel­ler die­se Beschei­den­heit anzu­rech­nen ist, so wenig muss man in den Ent­ste­hungs­pro­zess des Buches ein­ge­bun­den gewe­sen sein, um zu wis­sen, dass sei­ne eige­ne Rol­le für anti­fa­schis­ti­sche Recher­che­ar­beit in Öster­reich kaum über­schätzt wer­den kann. „Auf­bruch der Völ­ki­schen“ ist unzwei­fel­haft eines der wich­tigs­ten Bücher, die über den öster­rei­chi­schen Rechts­extre­mis­mus je erschie­nen sind.