In Österreich ist eine Vielzahl an Vereinen aus dem Spektrum des türkischen Rechtsextremismus aktiv. Seriöse quantitative Untersuchungen, wie groß die AnhängerInnen- und AktivistInnenzahl dieser Gruppierungen in Österreich sind, gibt es bislang nicht. Bei den letzten Parlamentswahlen im Oktober 2015 errang die regierende islamistische AKP unter den in Österreich lebenden türkischen StaatsbürgerInnen 69%, die kemalistische CHP 10,4%, die rechtsextreme MHP 6,7 und die linke HDP 12,3%.
Die Strömungen des organisierten türkischen Rechtsextremismus sind in zwei größeren Dachverbänden organisiert.
Der MHP-nahe Dachverband Österreichische Türkische Föderation, Avusturya Türk Federasyon (ATF) verfügt über mehr als 25 Vereine und Gruppen in fast allen Bundesländern (mit Ausnahme Kärnten und Burgenland). Inhaltlich ist sie türkisch-nationalistisch ausgerichtet. Ethnisch kulturellen Unterschiede innerhalb der Türkei werden strikt verneint, weshalb sie vor allem in der Auseinandersetzung mit KurdInnen unversöhnlich und militant agiert.
Der deutlich kleinere Dachverband der BBP-nahen (Abspaltung von der MHP) Avusturya Nizam-? Alem Federasyonu (ATF) verfügt über sechs Vereine in Wien, Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg. Wie ihre Mutterpartei BBP, zeichnen sich auch die österreichischen Organisationen der Nizam-? Alem (wörtlich „Weltsystem“) durch einen militanten Nationalismus, Antikommunismus, Islamismus, Antisemitismus, Hass auf KurdInnen, ArmenierInnen und andere Minderheiten aus.
Der Dachverband der AKP-nahen Vereine ist die UETD. Er ist heute der einflussreichste und größte Dachverband in der türkischen Community Österreichs. Die UETD wird stark von den Entwicklungen und Wendungen der Erdogan-AKP bestimmt und ist dieser treu ergeben. Nachdem die UETD auch als Lobbyorganisation in Europa gegründet wurde, versucht sie sich zeitweise durch gemäßigteres Auftreten zu tarnen, was ihr aber nur sehr eingeschränkt gelingt. Gegen die Grünpolitikerin Berivan Aslan wird offen wegen ihres Engagements für einen Friedensprozess mit den KurdInnen gehetzt.
In den letzten Jahren nähern sich allerdings die Vereine der MHP auch Vereinen aus dem Umfeld der türkischen Regierungspartei AKP an. Dies widerspiegelt den Annäherungsprozess der beiden Parteien in der Türkei.
Oft werden die verschiedenen Gruppierungen des türkischen Rechtsextremismus mit dem populären Begriff „Graue Wölfe“ bezeichnet. „Graue Wölfe“ im engeren Sinn sind allerdings nur die militanten Jugendgruppen der rechtsextremen türkischen Nationalen Bewegungspartei, Milliyetçi Hareket Partisi, MHP, die v.a. in den 1970er-Jahren Anschläge auf Linke und Minderheiten verübten. Der Begriff wird allerdings heute auch als Sammelbewegung für türkische NationalistInnen verwendet, die aus dieser ideologischen Tradition stammen.
Einschätzung
Türkischer Rechtsextremismus ist mit der gleichen Schärfe abzulehnen, wie jener der FPÖ oder irgendwelchen Deutschnationalen. Das Gefahrenpotential des türkischen Rechtsextremismus ist in Österreich ernst zu nehmen. Die Zahl der Übergriffe gerade auf KurdInnen steigt. Polizei, Verfassungsschutz und Justiz müssen reagieren, waren aber beispielsweise beim Demoangriff am 16.7. auf ein kurdisches Lokal überfordert.
Parteien und Institution müssen bei grundsätzlich sinnvollen Kooperationen mit migrantischen Vereinen genau hinschauen, welches Gedankengut diese Vereine verbreiten und jede Unterstützung für rechtsextreme Vereine konsequent ablehnen.
Ausführliche Hintergrundinformationen zu den drei Dachverbänden
Türkische Föderation – MHP in Österreich
Der Dachverband der Vereine der MHP wurde in Österreich 1995 als „Dachorganisation Türkische Kultur und Sportgemeinschaft in Österreich (ADÜTF)“ gegründet und tritt seit einigen Jahren als Österreichische Türkische Föderation, Avusturya Türk Federasyon (ATF) auf. Im Gegensatz zur Mutterpartei in der Türkei, betreibt der Dachverband in Österreich neben Kultur- und Sozialeinrichtungen auch islamische Gebetsräume und ist damit auch in der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) vertreten.
Die ideologische Ausrichtung der Türkischen Föderation ist auf den Facebook-Seiten ihrer Mitgliedsorganisationen und den verwendeten Symbolen klar erkennbar. Hier wird vor allem gegen KurdInnen im Allgemeinen und die PKK im Besonderen Stimmung gemacht. 2015 stand auch die Mobilisierung gegen die Anerkennung des Genozids an den ArmenierInnen 1915 im Zentrum.
Die ATF, also der Dachverband der MHP-nahen Vereine, kam in den letzten Jahren wegen der Nähe seines Linzer Mitgliedsvereins Avrasya politisch ins Gerede, da dieser trotz Hetze gegen KurdInnen und ArmenierInnen und offenem Antisemitismus ein politisches Naheverhältnis zur Linzer SPÖ unterhielt und mehrmals vom Linzer Bürgermeister Klaus Luger und anderen SPÖ-Politikern besucht wurde. Bis 2014 nahm der Verein sogar noch am Maiaufmarsch der Linzer SPÖ teil. Die engen Kontakte zwischen Linzer SPÖ und Avrasya wurden erst im März 2016 beendet, nachdem ein auf der Facebook-Seite des Vereins ein Foto des Schriftführers des Vereins beim faschistischen Wolfsgruß im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen gepostet worden war.
Facebook-Eintrag mit einem Foto eines hochrangigen Avrasya-Funktionärs mit Wolfsgruß im KZ Mauthausen.
In Wien kooperieren die Vereine der ATF allerdings auch mit der ÖVP. Dass in Wien die ÖVP trotz ihrer geringen Bedeutung für die ATF wichtig ist, liegt wohl auch darin, dass insgesamt der Einfluss linker kurdischer und türkischer Gruppen, sowie von Gruppen des Politischen Islam in der SPÖ größer ist und sich die Situation damit auch von jener in Linz unterscheidet.
Europäische Türkische Union – BBP in Österreich
Ein weiterer, aber deutlich kleinerer Dachverband ist Avusturya Nizam-? Alem Federasyonu der österreichische Dachverband der Büyük Birlik Partisi (BBP) einer MHP-Abspaltung, der allerdings hierzulande oft unter dem Gesamtnamen Europäische Türkische Union Avrupa Türk Birli?i (ATB) auftritt. Die österreichischen Mitgliedsvereine dieser radikaleren Abspaltung der MHP, die zugleich eine islamisierte Variante des Turanismus vertritt, werden von der Zentrale in Mörfelden-Walldorf, in der Nähe von Frankfurt am Main, geleitet. Wie ihre Mutterpartei BBP, zeichnen sich auch die österreichischen Organisationen der Nizam-? Alem (wörtlich „Weltsystem“) durch einen militanten Nationalismus, Antikommunismus, Islamismus, Antisemitismus, Hass auf KurdInnen, ArmenierInnen und andere Minderheiten aus. Interessant ist dabei auch die starke Identifikation mit antirussischen Kämpfern in Tschetschenien, die auch bei der türkischen Mutterpartei BBP zu finden ist. Das Gebetshaus des Mitgliedsvereins in Zisterdorf in Niederösterreich ist nach „?ehit Dudayev“ (Märtyrer Dudayev) dem 1996 getöteten tschetschenischen Präsidenten benannt.
Diese Strömung des türkischen Nationalismus besitzt Vereine in Wien, Oberösterreich und Salzburg. In Wien betreibt Nizam‑i Alem ein islamisches Gebetshaus im 5. Gemeindebezirk, das sich auch als Teil der offiziellen Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) versteht und bei den Wahlen 2011 auch als Wahllokal für die Führung der IGGiÖ diente. Ein weiteres Vereinslokal befindet sich im 10. Bezirk. In Oberösterreich befindet sich ein Mitgliedsverein in Braunau. Weitere Vereinslokale befinden sich im niederösterreichischen Weinviertel und in Hallein im Bundesland Salzburg. In Vorarlberg gibt es eine weitere Gruppe an AktivistInnen, die jedoch über kein eigenes Vereinslokal verfügt.
AKP nahe Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD)
Als wichtigste Auslandsorganisation der AKP fungiert die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, Avrupal? Türk Demokratlar Birli?i, UETD. Diese Europa-Organisation der AKP ist in unterschiedlichen Staaten mit eigenen Vereinen organisiert. Wien spielt dabei jedoch eine zentrale Rolle für die Europa-Organisation. 2014 war die Organisation mehrmals durch Medienauftritte ihres Vorstandsvorsitzenden Abdurrahman Karayazili in den österreichischen Medien präsent. Dieser wurde allerdings im November 2014, wohl aufgrund seiner sehr umstrittenen Medienauftritte, wieder abgelöst. Die AKP verfügt nicht über einen eigenen Moschee-Dachverband, sondern bedient sich meist des staatlichen Dachverbandes, der Österreichischen Türkischen Islamischen Union, Avusturya Türk ?slam Birli?i, AT?B. In den letzten Jahren kommt es auch zu einer Wiederannäherung mit der Österreichischen Islamischen Föderation Avusturya ?slam Federasyonu, A?F, die dem europaweiten Milli Görü?-Netzwerk angehört.
Durch die Eskalation des Türkisch-Kurdischen Konfliktes ist seit dem Herbst 2015 sowohl in der Türkei, als auch in Europa eine Annäherung zwischen den rechtsextrem-nationalistischen Gruppierungen und der regierenden AKP zu beobachten. Zum einen wechseln ehemalige SympathisantInnen rechtsextremer Dachverbände ins AKP-Spektrum, zum anderen kommt es zu organisatorischen Kooperation wie der Beteiligung an Demonstrationen.
In den letzten Monaten haben sich lokale ATF-Vereine stärker Vereinen angenähert, die mit der türkischen Regierungspartei AKP verbunden sind (UETD und der vom türkischen Amt für Religion betriebene Moscheedachverband AT?B), sowie der, der Saadet Partisi nahestehenden die Österreichische Islamische Föderation (Milli Görü?) und damit aus dem Spektrum des Politischen Islam stammen, jedoch seit dem Sommer 2015 in der Kurdenfrage eine ähnliche Position einnehmen, wie die rechtsextreme MHP bzw. ATF. Im April 2015 arbeitete dieses gesamte Spektrum, gemeinsam mit den AnhängerInnen der „sozialdemokratischen“ CHP zusammen um eine nationalistische Großdemonstration gegen die Anerkennung des Genozids an den ArmenierInnen 1915 durch Österreich zu organisieren. Selbst in Vorarlberg kam es damals zu einer Kundgebung des ATF-Vereins Safak gegen einen Gedenkgottesdienst für die im Genozid getöteten ArmenierInnen.
Einrichtungen kurdischer Organisationen werden immer wieder angegriffen. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Angriffe nicht von der UETD organisiert werden, allerdings gibt es keinerlei Verurteilung dieser Attacken durch die UETD, die jedenfalls die Autorität hätte mäßigend einzuwirken. Vielmehr heizt die UETD gezielt die Stimmung unter den türkischen MigrantInnen an. Auf einer Demonstration am 3.7. aus Anlass des Terroranschlags in Istanbul hat die UETD nicht nur gemeinsam mit Vertretern der Muslimbruderschaft demonstriert, sondern sind auch die österreichische PolitikerInnen Berivan Aslan (Grüne) und Andreas Schieder (SPÖ) auf Plakaten wegen ihres Einsatzes für Frieden mit den KurdInnen geschmäht worden. Zur Demonstration am 16.7.2016, die auf der Wiener Mariahilferstraße das kurdische Lokal „Türkis“ angegriffen hat, gab es auch einen Aufruf der UETD. Eine Verurteilung von Gewalt durch die UETD gab es erst zwei Tage später nach öffentlicher Aufforderung.