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Polizist, Lügner und Hetzer?

Ein neu­es Hetz­schrei­ben geht um in den sozia­len Netz­wer­ken, via Email und zuletzt auch in der „Kro­ne“. Einer, der sich als Poli­zist aus­gibt, will es ver­fasst haben. Ist er ein Poli­zist? Kei­ne Ahnung, denn der Het­zer schreibt anonym – wegen der Amts­ver­schwie­gen­heit, behaup­tet er. In sei­nem Schrei­ben lügt und hetzt er jeden­falls ganz ordent­lich. Eine […]

14. Jul 2015

„Wegen der Amts­ver­schwie­gen­heit muss ich anonym blei­ben“, schreibt der Ver­fas­ser, der ansons­ten Repres­sa­li­en „bis hin zur Sus­pen­die­rung“ befürch­tet. Das fängt ja schon gut an! Aus­ge­rech­net ein Poli­zist, der uns angeb­lich die „Wahr­heit“ mit­tei­len will, macht das, indem er Geset­ze bricht?! Soll­te der nicht eigent­lich für die Ein­hal­tung von Geset­zen sor­gen? Aber gut, viel­leicht hat er uns etwas so Wich­ti­ges zu sagen, das die Ver­let­zung von Amts­ge­heim­nis und Amts­ver­schwie­gen­heit recht­fer­ti­gen würde?

70.000 Flücht­lin­ge wer­den die­ses Jahr für Öster­reich erwar­tet, teilt er uns gleich zu Beginn ein­mal mit. Also gut, die­se Zahl ist sicher kein Amts­ge­heim­nis – die Innen­mi­nis­te­rin kann die im Schlaf auf­sa­gen. Die wei­te­ren Zah­len, die er offen­legt, sind auch kein Amts­ge­heim­nis, dafür fast alle gelogen.

Lüge 1

„Allein in Nie­der­ös­ter­reich haben wir bei­na­he täg­lich ca. 200 Auf­grif­fe an Ille­ga­len. Bun­des­weit sind es täg­lich 600, wel­che auch Asyl­an­trä­ge stellen.“

Täg­lich 600 Asyl­an­trä­ge, das wür­de für 2015 einen Wert weit über den pro­gnos­ti­zier­ten 70.000 erge­ben, selbst wenn man die­se Annah­me nur für das 2.Halbjahr trifft. Das Schrei­ben des Poli­zis­ten stammt aber aus dem 1. Halb­jahr, ist also nach­weis­lich falsch. Der­zeit wer­den täg­lich zwi­schen 250 und 400 Asyl­an­trä­ge öster­reich­weit gestellt.

Lüge 2

„Wuss­test (sic!) ihr, dass uns jeder Asyl­wer­ber pro Tag ca. 300 Euro kostet?“

Nein, wuss­ten wir nicht, weil die Zahl erlo­gen ist. Maxi­mal 40 Euro Taschen­geld gibt es pro Asyl­wer­ber – monat­lich! Dazu kom­men die Kos­ten für Unter­kunft­ge­ber, die der­zeit bei täg­lich 19 Euro lie­gen (die übri­gen Kos­ten fal­len kaum ins Gewicht). Da ist auch die Ver­pfle­gung inkludiert.

Lüge 3

„80 Pro­zent der Asyl­wer­ber haben kei­ne Berufs­aus­bil­dung, man­che von ihnen kön­nen weder lesen und schrei­ben und unter­fer­ti­gen ihre Ver­neh­mun­gen nur mit einem Fingerabdruck.“

Eine Stu­die des Wifo für das Sozi­al­mi­nis­te­ri­um besagt, “dass Asyl­wer­ber mehr­heit­lich Män­ner im Alter zwi­schen 20 und 40 Jah­ren (75 Pro­zent) mit einem tra­di­tio­nell sehr hohen Anteil an mitt­le­ren Qua­li­fi­ka­tio­nen sind“ (Neu­es Volks­blatt, 2.7.2015). Oder anders aus­ge­drückt: 56 Pro­zent der Asyl­wer­ber haben eine mitt­le­re Ausbildung.

Lüge 4

„Wuss­tet ihr, dass es Län­der inner­halb der EU gibt, die ver­trag­lich von der Auf­nah­me von Flücht­lin­gen aus­ge­nom­men sind? Sicher nicht. Dar­un­ter fal­len Groß­bri­tan­ni­en, Irland, alle bal­ti­schen Län­der, Tei­le von Skan­di­na­vi­en und sogar Polen.“

Die­se Behaup­tung ist Schwach­sinn. Wel­cher Ver­trag soll das sein? Die Dub­lin-Abkom­men regeln die Asyl­po­li­tik der EU, gel­ten für alle ihre Mit­glieds­staa­ten, Island, Nor­we­gen und die Schweiz. Selbst die ein­zi­ge Aus­nah­me von der Dub­lin II-Ver­ord­nung für Däne­mark ist seit 2006 hin­fäl­lig. Was es aller­dings gibt, sind ekla­tan­te Unter­schie­de zwi­schen den Län­dern (eine Fol­ge von Dub­lin II) und die Wei­ge­rung von etli­chen Län­dern, eine Quo­te für die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen zu vereinbaren.

Lüge 5

„Eigent­lich neh­men nur mehr Deutsch­land und wir Flücht­lin­ge auf, der Rest hat die Zei­chen der Zeit erkannt und dicht gemacht.“

Dass ein­zel­ne Län­der mit der Auf­nah­me und Ver­sor­gung von Flücht­lin­gen anschei­nend völ­lig über­for­dert sind, erle­ben wir der­zeit gera­de in Öster­reich. Die Behaup­tung ist den­noch falsch. Das Land, das – bezo­gen auf sei­ne Ein­woh­ner­zahl – 2014 die meis­ten auf­nahm, war Schwe­den. 2015 war es bis­her Ungarn (gefolgt von Schwe­den und Österreich).

Ohne Schwie­rig­kei­ten könn­ten wir wei­te­re Lügen aus dem Schrei­ben des angeb­li­chen Poli­zis­ten wie­der­le­gen, etwa jene, dass die Flücht­lin­ge „ein Leben lang von uns bezahlt“ wer­den. Von den rund 80.000 aner­kann­ten Flücht­lin­gen sind rund 17.000 arbeits­los. Sicher eine hohe Zahl, aber weit von der Het­ze des Poli­zis­ten entfernt.

Als Lösung fällt ihm nur ein: Gren­zen dicht „wie in der guten alten Zeit“. Wel­che alte Zeit für den Poli­zis­ten gut ist, wol­len wir lie­ber gar nicht genau­er erör­tern. Fak­tum ist, dass selbst mehr­fa­che Sta­chel­draht­zäu­ne und das Mit­tel­meer Men­schen nicht von der Flucht vor Krieg, Hun­ger und Ter­ro­ris­mus abhal­ten kön­nen, son­dern höchs­tens den Preis für Schlep­pe­rei nach oben treiben.

Kei­ne Fra­ge, Öster­reich nimmt – ver­gli­chen mit ande­ren EU-Mit­glieds­staa­ten – vie­le Flücht­lin­ge auf. Aber es waren auch schon deut­lich mehr! 1956/57 kamen in der Ungarn­kri­se rund 180.000 aus unse­rem Nach­bar­land, 1968 nach der sowje­ti­schen Inva­si­on in die Tsche­cho­slo­wa­kei waren es 160.000 und in den 90er-Jah­ren wäh­rend des Bos­ni­en-Kriegs noch immer 90.000, die hier Auf­nah­me fan­den – ohne Asylantrag!

Mitt­ler­wei­le hat auch die „Kro­nen Zei­tung“ (11.7.15) Aus­zü­ge aus dem Brief des angeb­li­chen Poli­zis­ten ver­öf­fent­licht und ihm so höhe­re Wei­hen ver­lie­hen. Für die „Kro­ne“ scheint klar, dass das Schrei­ben von einem ech­ten Poli­zis­ten stammt.

Soll­te das so sein, dann wären Innen­mi­nis­te­ri­um und Lan­des­po­li­zei­di­rek­ti­on NÖ aller­dings wirk­lich gefor­dert. Ein Poli­zist, der hetzt und lügt und mög­li­cher­wei­se auch noch gegen das Straf­recht (Amts­ge­heim­nis) und das Beam­ten­dienst­recht (Amts­ver­schwie­gen­heit) ver­stößt, das soll­te die Poli­zei eigent­lich interessieren.

Ein sehr infor­ma­ti­ver Bei­trag bzw. Fak­ten­check zu Flücht­lin­gen fin­det sich in der Online-Aus­ga­be der OÖN.

Mimi­ka­ma, die Web­sei­te, die sich mit Falsch­mel­dun­gen, Abo­fal­len, Spam usw. beschäf­tigt, hat auch einen Bei­trag zu dem Poli­zis­ten-Brief gestal­tet, der sich fast aus­schließ­lich auf Infos von SOS Mit­mensch stützt.

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