2007 kannte Strache den „Stürmer“ noch nicht. Damals war der FPÖ-Chef gerade sehr erbost über die Medien, weil die Fotos von ihm veröffentlicht hatten, die ihn im Kreis von Neonazis bei Wehrsportübungen zeigten. Für Strache waren das harmlose Paintball-Spiele im Wald, die Vorwürfe gegen ihn „Gesinnungsterror“, und den Medien warf er zur Draufgabe noch vor, im „Stürmer“-Stil gegen ihn zu agieren.
Antisemitische Karikatur auf Straches Facebook-Seite und zum Vergleich die — ebenfalls problematische — originale Karikatur auf Straches Facebook-Seite:
Die Selbststilisierung Straches zum Opfer von Medien, die ihn im „Stürmer“-Stil vernichten wollten, war dann doch den meisten zuviel. Im Nationalrat verurteilten RednerInnen von SPÖ, ÖVP und Grünen die Straches Täter-Opfer-Umkehr und verlangten eine Entschuldigung. Um so größer war die Überraschung, als Strache in seiner Rede erklärte, er kenne den „Stürmer“ nicht, habe diese Zeitung noch nie gelesen und verabscheue die Zitate aus dem „Stürmer“ bzw. deren „ungebührliche“ Verlesung durch den Klubobmann der Grünen, Van der Bellen:
Wenn Herr Klubobmann Van der Bellen heute herauskommt und in einer ungebührlichen Art und Weise „Stürmer“-Zitate zum Besten gibt, so kann ich ihn nicht verstehen. Ich habe noch nie in meinem Leben diese Zeitung gelesen. Ich kenne diese Zitate nicht. (Abg. Dr. Van der Bellen: Sie haben den Vergleich gebracht!) Ich verabscheue diese Zitate. (Stenographisches Protokoll parlament.gv.at)
Wie man anderen „Stürmer“-Stil vorwerfen kann, ohne das antisemitische Hetzblatt zu kennen, verriet Strache nicht. Aber sein Parteikamerad Martin Graf (damals noch nicht Dritter Präsident, aber noch immer Olympe) hatte ihm in der Debatte schon vorexerziert, wie ein freiheitlicher Politiker eine so heikle Debatte führen kann:
Van der Bellen hat auch aus dem „Stürmer“ zitiert – mir vollkommen neu, denn ich habe diese Zeitung, auch wenn sie historisch ist, noch nie gelesen –, und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin ob dieser Diktion tatsächlich geschockt. (Ebd.)
Und weil es bei Martin Graf vielleicht wirklich notwendig ist, wiederholt er sein Nichtwissen und seinen Schock gleich noch einmal:
Ich weiß nicht, was der „Stürmer“-Stil ist, ich weiß nur, es ist ein grausliches Blatt gewesen, und Gott sei Dank gibt es das nicht mehr. Ich habe es auch noch nie gelesen, aber der Wabl weiß es. Er weiß, was diese Zeitung damals offensichtlich propagiert hat, er verwendet es ganz einfach und wirft anderen Leuten vor, im „Stürmer“-Stil zu agieren. (Ebd.)
Auf die Dauer ist es natürlich schwer erklärbar, wie man anderen „Stürmer“-Stil vorwerfen kann oder sich selbst – wie bei der antisemitischen Banker-Karikatur – gegen den Vorwurf des „Stürmer“-Stils wehren will, wenn man gleichzeitig erklärt, weder den „Stürmer“ noch den „Stürmer“-Stil zu kennen.
Diverse antisemitische NS-Schriften, die in der FPÖ nicht bekannt sind, manchmal aber doch …
Irgendwann nach der Veröffentlichung der antisemitischen Banker-Karikatur durch Strache im August 2012 müsste daher die „Stürmer“-Lektüre Straches stattgefunden haben. Jedenfalls ist sich Strache im „Standard“-Interview (10.4.13) mittlerweile ganz sicher:
Also, schauen Sie sich die Karikaturen im Stürmer einmal an, die schauen ganz anders aus! Das war kein Davidstern! Ich darf Sie aufklären: Der Davidstern hat durchgängige Linien und nicht gemalte Flächen. Und überhaupt: Ich habe den Stern gar nicht gesehen, als ich das Bild zum ersten Mal am Handy gesehen habe.
Anhand dieser Erklärung ist nur folgendes klar: Strache kann mit seinem Handy nicht gut umgehen (Vergrößerungsfunktion!), oder das Handy hat eine schlechte Auflösung, Strache kann noch immer nicht das Montblanc-Zeichen vom Davidstern , aber durchgängige Linien von gemalten Flächen gut unterscheiden. Die Erkenntnisse, die Strache aus seiner möglichen „Stürmer“-Lektüre gezogen hat, unterscheiden sich jedenfalls diametral von unseren.
Einen Trost gibt es ja: Die Staatsanwaltschaft Wien und Justizministerin Karl halten den Antisemitismus in Straches Cartoon nicht für strafwürdig, da er sich ja nicht gegen die Gesamtheit der jüdischen Bevölkerung richte.