Nationalrat und Widerstand: eine zutiefst österreichische Debatte

In ein­er zunächst unbe­deu­ten­den Debat­te im Nation­al­rat wur­den im Ver­lauf Emo­tio­nen hochgekocht, die daran zweifeln lassen, dass eine Mehrheit der Abge­ord­neten die Nazi-Ver­gan­gen­heit Öster­re­ichs aufgear­beit­et hat.

Don­ner­stag, 16. Juni: Sitzungstag des Nation­al­rats. Let­zter Tage­sor­d­nungspunkt: eine „Erste Lesung“, also Debat­te ohne Beschlussfas­sung, zum The­ma Nov­el­lierung des Ehren­ze­ichenge­set­zes. Der BZÖ-Mann Rain­er Wid­mann stellt seinen Abän­derungsvorschlag vor: Ehren­ze­ichen der Repub­lik sollen auch nachträglich und posthum aberkan­nt wer­den kön­nen. Zur Begrün­dung führt er das Ehren­ze­ichen für Marschall Tito und die Ver­brechen, die nach dem Ende des Nazi-Regimes an Kriegs­ge­fan­genen und Zivilis­ten durch die Kom­mu­nis­ten unter Tito verübt wur­den, an.

Die näch­sten Red­ner argu­men­tieren betont sach­lich. Peter Wittmann hält nur dage­gen, dass im Unter­schied zur Recht­sauf­fas­sung von Wid­mann (BZÖ) und zu den Ehren­bürg­er­schaften die Wirk­samkeit von Ehren­ze­ichen laut Gesetz mit dem Tod erlösche. Herib­ert Don­ner­bauer (ÖVP) will auf die Begrün­dung Wid­manns mit Tito über­haupt nicht einge­hen und find­et den Vorschlag diskus­sion­swürdig. Die FPÖ, die den näch­sten Rede­beitrag stellen kön­nte, verzichtet (zunächst) auf eine Rede, was Har­ald Walser (Grüne), dem näch­sten Red­ner, auf­fällt: „Ich habe fest­gestellt, dass sich bei diesem Tage­sor­d­nungspunkt keine Rednerin/kein Red­ner der Frei­heitlichen Partei zu Wort meldet. Vielle­icht kön­nte das mit den Ehren­bürg­er­schaften zusam­men­hän­gen, die aberkan­nt wor­den sind, wobei sich die Frei­heitliche Partei ja inter­na­tion­al medi­al eine ziem­lich blutige Nase geholt hat. (Zwis­chen­rufe bei der FPÖ.)“

Walser, der die Vorschläge von Wid­mann dur­chaus für diskus­sion­swürdig hält, spricht dann die Begrün­dung von Wid­mann an und hält fest:

Die Begrün­dung sollte man allerd­ings ein bis­sel kri­tis­ch­er hin­ter­fra­gen. Vielle­icht zuerst ein­mal das, was außer Stre­it ste­ht. Ich möchte die Ver­brechen nicht leug­nen. Da sind Ver­brechen passiert, und ger­ade in mein­er Zun­ft der His­torik­er, zu der ich mich zäh­le, hat es sehr wohl auch, und das ger­ade bei kri­tis­chen His­torik­ern, eine gewisse Mys­ti­fizierung dieses Marschalls gegeben. Das bleibt unbenom­men, und das ist ganz klar.

Dann spricht Walser den Beitrag jen­er Öster­re­icherIn­nen an, die bis zum Kriegsende in der Tito-Armee gekämpft haben:

Was bei Marschall Tito aber – und das möchte ich aus­drück­lich fes­thal­ten – klar auf der pos­i­tiv­en Seite zu ver­merken ist, ist sein Beitrag zur Repub­lik Öster­re­ich in ein­er Zeit, als es diese Repub­lik nicht gegeben hat. In der Zeit von 1938 bis 1945 gab es keine kämpfend­en Ein­heit­en auf der Welt, die im Dien­ste der Repub­lik Öster­re­ich unter­wegs waren, es gab keine kämpfend­en Ein­heit­en, die das Rot-Weiß-Rot auf ihrer Brust tru­gen, außer fünf Batail­lone in der jugoslaw­is­chen Par­ti­sa­ne­n­armee. (Abg. Pet­zn­er: Die haben Tausende in Kärn­ten ermordet!) Diese fünf Batail­lone haben ganz bewusst für ein unab­hängiges, freies Öster­re­ich gekämpft. (Abg. May­er­hofer: Kom­mu­nis­ten!) (…) Und ger­ade Marschall Tito hat in diesem Punkt also sehr, sehr große Ver­di­en­ste, aber wie gesagt, auch die Ver­brechen sind klar. (Abg. Grosz: Das darf ja wohl nicht wahr sein!) Und auch über diese Dinge muss gere­det werden.

Es fol­gt eine erwart­bare Rep­lik von Wal­ter Rosenkranz (FPÖ): 

Ihre His­torik­er-Zun­ft möchte ich über­haupt nicht in irgen­dein­er Form in Mis­skred­it brin­gen oder in Abrede stellen. Nur eines: Selb­st die Befreiung Öster­re­ichs, wobei man sich Ver­di­en­ste erwor­ben hat, recht­fer­tigt nicht Massen­mord, Vertrei­bung und andere Gräueltat­en an unschuldigen, zivilen Opfern, Herr Ober­his­torik­er und Ober­lehrer dieses Haus­es. (Beifall bei FPÖ und BZÖ.)

Dann ist der Abge­ord­nete Ste­fan Pet­zn­er (BZÖ) am Wort. Er hat sich vor sein­er Wort­mel­dung darum bemüht, auch den FPK-Mann Strutz zu ein­er Wort­mel­dung zu bewe­gen, doch der will nicht. Pet­zn­er nimmt die Erk­lärung von Walser nicht zur Ken­nt­nis, son­dern polemisiert:

Da gibt es Gräuelgeschicht­en, die kön­nen Sie sich gar nicht vorstellen. Män­ner, Frauen, kleine Kinder wur­den ver­schleppt und ermordet! Dass Sie das hier mit Ihrer Rede im Nation­al­rat gutheißen, vertei­di­gen und sog­ar lobend anpreisen, indem Sie die Tito-Par­ti­sa­nen für ihre Ruhmes­tat­en loben, ist wirk­lich eine Unge­heuer­lichkeit. Es ist wirk­lich schock­ierend, dass das hier in diesem Hohen Haus gesagt wird.

Pet­zn­er ist damit noch nicht zufrieden. Er will auch die Zus­tim­mung der ÖVP und holt sie sich:

Ihre ide­ol­o­gis­che Geis­te­shal­tung ken­nen wir jet­zt. Es ist Gott sei Dank nicht jene der Öster­re­icherin­nen und Öster­re­ich­er und schon gar jene nicht der Kärnt­ner­in­nen und Kärnt­ner, die für ihre Frei­heit gekämpft und sich diese erkämpft haben – und dafür danken wir ihnen noch heute! (Beifall bei BZÖ, FPÖ und Abge­ord­neten der ÖVP.)

Für die Frei­heit gekämpft haben nach Ansicht Pet­zn­ers also jene Öster­re­icherIn­nen, die auf Seit­en der Hitler-Armee kämpfen bzw. in den Tod gehen mussten.

Als näch­ster Red­ner spricht Wolf­gang Pirkl­hu­ber (Grüne). Er ver­sucht, die Abge­ord­neten wieder an den Beitrag von Har­ald Walser zu erin­nern: „Daher müssen diese Men­schen gewürdigt wer­den. Aus heutiger Sicht ist es sin­nvoll, sich diese Geschehnisse in aller Ruhe anzuse­hen, Herr Kol­lege Pet­zn­er – und nicht hier revan­chis­tisch zu argu­men­tieren. Genau darauf hat Kol­lege Walser hingewiesen. (Abg. Mag. Wurm: Ein Männerthema!)“

Nach Pirkl­hu­ber ist Her­bert Scheib­n­er (BZÖ) dran. Er dis­tanziert sich zunächst vom Nation­al­sozial­is­mus, um dann zur Attacke gegen die Grü­nen im All­ge­meinen und Walser im beson­deren anzusetzen:

Sie haben nichts gesagt von jenen, die für ein unab­hängiges Öster­re­ich Wider­stand geleis­tet haben! Die größte Hochachtung vor diesen Men­schen, die ihr Leben einge­set­zt haben im Wider­stand gegen den Nation­al­sozial­is­mus! Sie aber haben Tito beziehungsweise Titos Sys­tem als pos­i­tiv dargestellt für diese Gräueltat­en, das ist das ver­w­er­fliche! Das sollte hier im Öster­re­ichis­chen Nation­al­rat im 21. Jahrhun­dert nicht mehr möglich sein, näm­lich dass jemand, und ger­ade ein Lehrer, hier her­aus­ge­ht und kom­mu­nis­tis­che Gräueltäter pos­i­tiv find­et. (Beifall bei BZÖ, FPÖ und ÖVP. – Abg. Mag. Schöneg­ger: Skandal!)

Zu diesem Zeit­punkt sind die Abge­ord­neten der ÖVP und nicht nur Bernd Schöneg­ger schon fast kom­plett in das Lager von BZÖ und FPÖ überge­laufen, spenden frenetis­chen Beifall und Zwischenrufe.

Johannes Hüb­n­er (FPÖ) war zwar bei der Rede von Walser nicht im Ple­narsaal, aber das The­ma find­et sich für ihn von alleine. Er schwadroniert von ein­er Stal­in-Plakette in der Schön­brun­ner Straße und weiß, ohne den Nation­al­sozial­is­mus bzw. den Wider­stand mit einem Wort zu erwäh­nen, wer die Vertei­di­ger von Massen­mor­den, Gräueltat­en und Gewalt sind:

Es gibt eine einzige Gruppe, die nicht bere­it ist, sich von Gräueltat­en, von Gewalt, von Massen­mor­den zu dis­tanzieren und diese klar zu verurteilen – und das ist die Frak­tion der Grü­nen! – Danke. (Beifall bei FPÖ, BZÖ und Abge­ord­neten der ÖVP. – Abg. Dr. Walser: Und dazu brauchen wir die Frei­heitlichen! – Abg. Scheib­n­er: Entschuldige dich!)