Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung von Anton Maegerle und wurde zuerst auf vorwärts.de veröffentlicht
Am 22. Juni jährt sich der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion zum 70. Mal. Der Karlsruher Historiker Wigbert Benz dokumentiert mit „Der Hungerplan im ‚Unternehmen Barbarossa’ 1941“, dieses NS-Großverbrechen, bei dem Millionen Menschen verhungerten.
Im Vernichtungskrieg, den das NS-Regime gegen die Sowjetunion führte, starben mindestens vier Millionen Menschen in den besetzten Gebieten. Außerdem starben mehr als zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene. Sie sind Opfer des NS-Konzepts des gezielten Massenmordes durch Hunger. Da der größte Vernichtungskrieg in der Geschichte nicht so verlief, wie von den NS-Machthabern vorgesehen, wurde der Hungerplan nicht in vollem Umfang in die Tat umgesetzt.
Sowjetische Gebiete um „unnütze Esser“ bereinigen
Wigbert Benz analysiert zunächst die von „Reichsmarschall“ Hermann Göring in Auftrag gegebenen Planungen: Beim so genannten Russlandfeldzug sollten Millionen Menschen verhungern, um die Ernährung im Deutschen Reich und in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten der Sowjetunion zu sichern. Göring wurde, heute ist dies selbst in Historikerkreisen vergessen, explizit auch als Verantwortlicher für dieses Hungervorhaben bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tod verurteilt.
Im zweiten Teil skizziert Benz den Forschungsstand zum Vernichtungscharakter des Feldzuges gegen die Sowjetunion. Außerdem beleuchtet er die Kriegführung und Besatzungspraxis des NS-Regimes. Die Konzeption des „Hungerplans“ ist für Benz der Kern des nationalsozialistischen Weltbildes, mit seiner Einteilung der Völker in wertvolle und minderwertige. Für die als wertvoll eingestuften, an der Spitze die Deutschen, sollte Lebens- und Wirtschaftsraum im Osten erobert werden. Die sowjetischen Gebiete sollten um „unnütze Esser“ bereinigt werden.
Richtlinien für den „Hungerplan“ in Görings „Grüner Mappe“
Im Fokus der Analyse des dritten Kapitels stehen die zentralen Dokumente des Hungervorhabens. Am 2. Mai 1941 wurde der Plan, „zig Millionen Menschen verhungern“ zu lassen im Protokoll der Besprechung des Chefs des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), General Georg Thomas, mit den Staatssekretären aller wirtschafts- und sozialpolitisch wichtigen Ressorts festgehalten. Weitere Richtlinien gaben die Wirtschaftsorganisation Ost im Vierjahresplan vom 23. Mai 1941 und Görings „Grüne Mappe“ vom 1. Juni 1941 vor. Ziele und Methoden zur wirtschaftlichen Ausbeutung der zu besetzenden Ostgebiete wurden festgelegt.
Am Rande seiner Monografie stellt Benz ein für alle mal klar, dass die von rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Kreisen immer wieder bemühte Präventivkriegsthese, wonach Hitler-Deutschland einem Überfall Stalins auf das deutsche Reich lediglich zuvorkam, ins Reich der Legenden und Mythen gehört. Mutmaßungen über Angriffabsichten Stalins, so Benz, sind „nicht nur unbewiesen“, sondern haben bei der „Entscheidungsfindung der deutschen politischen und militärischen Führung an keiner Stelle eine Rolle gespielt“.
Enttäuscht bilanziert Benz, dass der NS-Terror der aktiv betriebenen Hungerpolitik bislang im deutschen Sprachraum kein Thema ist. Dabei handle es sich nach dem Holocaust um das größte Massenverbrechen des NS-Regimes. Die glänzende Analyse von Benz ist ein entscheidender Schritt dieses Thema zu beleuchten.
Wigbert Benz, Der Hungerplan im „Unternehmen Barbarossa“ 1941, Berlin 2011, Wissenschaftlicher Verlag Berlin wvb, 84 Seiten, 16 Euro, ISBN 978–3‑86573–613‑0.