Mittlerweile hat eine breite Diskussion darüber eingesetzt, ob die wirren Stammelsätze von Trier einfach nur peinlich sind oder ob hinter der Provokation auch eine politische Botschaft steht. Trier scheint sich trotz seiner Entschuldigung in der Rolle des Provokateurs zu gefallen:
Alle erwarten von mir, dass ich etwas Provokatives sage und mir fiel nichts ein, es war einfach langweilig. Ich bin kein Antisemit, kein Rassist und kein Nazi. Wer kann denn wirklich glauben, dass ich mit Hitler sympathisiere? Ich kann mir vorstellen, wie es ist, wie er in einem Bunker zu hocken. Das ist alles. Aber ich bin ein bisschen stolz, eine persona non grata zu sein, und bin gespannt, ob mir die Franzosen jetzt auch den Orden, den sie mir verliehen haben, von der Brust reißen.
Obwohl es mittlerweile auch bereits Kritiker der Entscheidung der Filmfestspiele gibt: Der Rauswurf des sicher begabten Filmemachers ist gerechtfertigt. Trier scheint zwar mittlerweile seinen Rauswurf aus Cannes zu akzeptieren, setzt aber nach: „Ich bin wirklich kein Mel Gibson.” Das hat durchaus etwas, denn Mel Gibson ist über Jahre hinweg immer wieder durch eindeutige rassistische, sexistische und antisemitische Äußerungen und Anspielungen aufgefallen. Schon sein Film „Die Passion Christi“ (2004) wurde wegen versteckter antisemitischer Tendenzen kritisiert. Im Jahr 2006 setzte er auch ein persönliches antisemitisches Statement und beschimpfte einen Polizisten als „Drecksjuden“. 2010 folgte dann ein Video, in dem Gibson seine damalige Freundin widerlichst beschimpft und bedroht, worauf ihm seine Agentur den Vertrag kündigt. 2011 taucht ausgerechnet Gibson in dem Film von Jodie Foster „Der Biber“ bei den Filmfestspielen von Cannes wieder aus der Versenkung auf!
Triers Gestammel ist nicht die gleiche Ebene wie Mel Gibsons antisemitische Ausfälle. Auffällig ist jedenfalls, dass versteckte oder offen antisemitische Anspielungen und Beschimpfungen gar nicht so selten sind. Der Schauspieler Charlie Sheen, ein schwerer Alkoholiker, pöbelte gegen den Produzenten der Serie “Two and a Half Men“ zu Beginn des Jahres mit dem Verweis auf dessen jüdischen Namen. Oliver Stone, der US-Regisseur, wiederum versuchte sich im Vorjahr in einer Relativierung des Holocaust, indem er darauf verwies, dass Hitler den Russen weit mehr angetan habe als den Juden. Die Dominanz jüdischer Medien in den USA verhindere diesbezüglich eine unvoreingenommene Betrachtung. Stone entschuldigte sich immerhin, während sich Sheen auf seine jüdische Vorfahren zu berufen versuchte, was die Sache nur noch schlimmer macht.
Besonders übel fielen die Ausfälle von Modedesigner John Galliano aus. Die britische Tageszeitung „The Sun“ veröffentlichte ein Video, in dem der betrunkene Galliano eine Frau am Nachbartisch anpöbelte: „Ich liebe Hitler. Leute wie Sie sollten tot sein. Ihre Mütter, Vorfahren, sollten alle verdammt vergast sein.” Ende Februar 2011 war Galliano in einem anderen Restaurant mit einer Frau aneinandergeraten, bezeichnete sie als „dreckiges Judengesicht“ und drohte ihren Begleiter umzubringen. Galliano, der für Dior als Chefdesigner arbeitete, wurde vom Mutterkonzern LVMH nach diesen Vorfällen gefeuert. Galliano, der nach dem Vorfall im Februar kurzfristig festgenommen wurde, soll demnächst deshalb vor Gericht stehen.
LVMH hatte 2010 bei einer rassistischen Äußerung des Parfümiers Jean-Paul Guerlain noch etwas länger für eine Reaktion benötigt. Guerlain, der sein Unternehmen schon 1994 an LVMH verkauft hatte, hatte in einem TV-Interview erklärt: „Einmal habe ich mich wie ein Neger ans Arbeiten gemacht. Ich weiß nicht, ob Neger immer so gearbeitet haben, aber gut.“ Guerlain, der zunächst mit einem belanglosen Entschuldigungsmail zu reagieren versuchte, wird sich im Jahr 2012 deshalb vor einem Pariser Strafgericht wegen Rassismus zu verantworten haben.
In den Medien ist es allerdings auch schwierig, selbst mit durchaus überlegten Äußerungen über Hitler eindeutig wahrgenommen zu werden. Diese Erfahrung musste der US-Schauspieler Will Smith machen. In einem Interview versuchte er, das Denken und Handeln Hitlers zu erklären: „Er wachte nicht mit dem Vorsatz auf – Lass mich heute das Schlimmstmögliche tun…Ich vermute, er wachte morgens auf und tat das Richtige im Sinne seiner perversen und umgekehrten Logik.”
Der Satz von Will Smith, der im englischen Original „das Richtige“ unter Anführungszeichen gesetzt hatte, wurde quer über die Welt medial so transportiert, als ob Smith Hitler als guten Menschen bezeichnet hätte. Es kostete Smith viel Kraft und einen Prozess, um über ein Gericht feststellen zu lassen, dass sein Satz von der Nachrichtenagentur und fast allen Medien völlig missinterpretiert worden ist. Eine gute Darstellung seines Falls und vor allem eine Lektion über Medien und Internet liefert Dennis Prager auf WorldNetDaily.
Will Smith, dem übel mitgespielt wurde, ist die Ausnahme. Bedrückend bleibt, dass selbst in so international orientierten Gruppen wie den Kulturschaffenden, egal ob aus Aggression, Blödheit, Langeweile oder Vorurteil, Antisemitismus, Rassismus und Hitlerei noch vorkommen.