Im Blattinneren bemüht sich der allzeit getreue Bernhard Tomaschitz, die deutsche Militärhilfe für die Ukraine in Kriegsbeteiligung und „Kriegslust“ umzuschreiben: mit mäßigem Erfolg, eher eine Pflichtübung. Pflichtübung für wen oder was? Die Antwort lässt sich aus dem ableiten, was in der gesamten Doppelnummer verschwiegen wird: dass es sich bei dem, was „Zur Zeit“ einen „Ausbruch des Ukrainekrieges“ nennt, um einen imperialen Angriffs- und Eroberungskrieg Russlands handelt, der nicht nur einen klaren Bruch des Völkerrechts darstellt, sondern auch der europäischen Friedensordnung, wie sie in den Verträgen und Regeln der OSZE über Jahrzehnte hinweg festgelegt wurde – mit der Sowjetunion und danach auch mit Russland. Aber von internationalen Verträgen, Regeln und Institutionen halten die Rechtsextremen üblicherweise ja ohnehin sehr wenig.

Da ist es für einen wie Andreas Mölzer schon viel lustiger, für einen kurzen Moment die Seiten zu wechseln und sich als strenger Kritiker einer „Wiederkehr des deutschen Militarismus“ zu präsentieren. Ja, ausgerechnet Mölzer! Aber ohnehin nur für einen sehr kurzen Moment, denn „erinnert muss in diesem Zusammenhang daran werden, dass es auch positive Traditionen des preußischen Soldatentums gibt. Ohne patriotische Hingabe, ohne Disziplin und ohne Pflichtbewusstsein wird auch eine moderne deutsche Armee nicht existieren können.“
Da ist er wieder, der alte Mölzer! Um dem blauen Lesepublikum klarzumachen, was unter den positiven Traditionen des preußischen Soldatentums, patriotischer Hingabe und Disziplin zu verstehen ist, wird versucht, das in der seltsamen Doppelnummer mit einer historischen Reminiszenz an „die Ereignisse in Charkow im Februar und März 1933“ zu belegen.
Charkiw heißt die Stadt auf Ukrainisch, aber die russische Benennung durch den Autor Klaus Gröbig, einen AfD-Mann aus Berlin, ist noch das geringste Problem an diesem Beitrag. Die Chuzpe muss man erst einmal aufbringen, nach einem Jahr Krieg und Zerstörung durch Russland, durch den die zweitgrößte Stadt der Ukraine um Jahrzehnte zurückgebombt wurde, einen Beitrag unter dem Titel „Geräumt und zurückerobert“ über Charkiw im Jahr 1943 aus der Perspektive der deutschen Wehrmacht zu verfassen – ohne jede Bezugnahme auf die aktuellen oder historischen Leiden, die die jeweiligen Eroberer über die Stadt und ihre Menschen gebracht haben.

Charkiw, das 1933 bereits durch die von Stalin der Ukraine aufgezwungene Hungersnot riesige menschliche Verluste erleiden musste, hat durch Hitlers Angriffs- und Eroberungskrieg gleich mehrfach und sehr massiv Terror und Schäden erleiden müssen. Seine jüdischen Einwohner*innen wurden schon kurz nach Einrücken der deutschen Truppen 1941 fast komplett in den Massakern von Drobyzkyj Jar ausgelöscht – bis zu 20.000 Menschen wurden ermordet. Der restlichen Zivilbevölkerung verordneten die Nazis, so wie Stalin einige Jahre zuvor, eine Hungersnot, die geschätzte 14.000 Todesopfer in der Stadt forderte. Zehntausende arbeitsfähige Einwohner*innen wurden als Zwangsarbeiter*innen in das Deutsche Reich verschleppt, ungefähr drei Viertel aller Häuser der Stadt wurden bis Kriegsende zerstört oder zu Ruinen gemacht. Die Zahl der zivilen Opfer war insgesamt riesig.

Von all dem ist in dem seltsamen Beitrag des AfD-Mannes Gröbig nichts zu lesen. Keine Zeile, keine Silbe. Stattdessen ermüdende Beschreibungen von Truppenbewegungen und Kriegstaktiken, die noch dazu etliches verschweigen oder gar verfälschen. So ist in Gröbigs Beitrag zu lesen, dass die Stadt 1943 „vom II.SS-Panzerkorps gegen Hitlers ausdrücklichem [sic!] Befehl am 16. Februar geräumt worden war“. Einige Absätze bzw. Wochen später „wollte nun (…) der Kommandeur des II. SS-Panzerkorps, Obergruppenführer Paul Hausser (…) die Stadt, die er vor knapp einem Monat räumen musste, nun wieder einnehmen“.
Schön, dass die Lüge so einfach zu finden ist. Paul Hausser, ein ganz übler Nazi-Verbrecher, „musste“ nicht räumen, sondern hat sich einem Befehl Hitlers und seiner militärischen Vorgesetzten Erich von Manstein und Hubert Lanz widersetzt, sie einfach nicht zur Kenntnis genommen. Statt an dieser Stelle in einem Einschub die Mölzerschen Seifenblasen über preußisches Soldatentum, Patriotismus und Pflichtbewusstsein zum Platzen zu bringen, gibt es einen Kasten zu General Erich von Manstein, der – aufpassen, Mölzer! – „auf verschiedenen preußischen Kadettenanstalten“ ausgebildet, später einer der klügsten Militärs Hitlers, aber auch einer seiner bravsten Pflichterfüller („Preußische Feldmarschälle meutern nicht“) und Kriegsverbrecher wurde.

Statt sich unter dem Titel „Geräumt und zurückerobert“ unter Ausblendung so ziemlich aller Gegebenheiten und Grausamkeiten in eine sehr kurze Phase von Siegen der Hitler-Truppen hineinzuträumen, würden das Leiden von Charkiw und seiner Bevölkerung unter Stalin, Hitler und Putin, aber auch die Befehlsverweigerung von Hausser so wie das Pflichterfüllertum des Generalfeldmarschalls Manstein für etliche Doppelnummern einer Zeitschrift reichen – aber sicher nicht für „Zur Zeit“, wo man sich nur in großdeutscher Hagiographie versteht. Die Niederlage des Nazi-Regimes stand zum Zeitpunkt der Rückeroberung Charkiws im März 1943 schon fest, die militärischen Fähigkeiten und Taktiken Mansteins haben Hitlers Krieg im Osten höchstens verlängert und so weitere Hunderttausende zivile und militärische Opfer verursacht.
Wie sich die „Zurückeroberung“ Charkiws durch den SS-Verbrecher Hausser im März 43 tatsächlich abgespielt hat, wird in der Dissertation des Historikers Gunter Friedrich („Kollaboration in der Ukraine im Zweiten Weltkrieg. Die Rolle der einheimischen Stadtverwaltung während der deutschen Besetzung Charkows 1941 bis 1943“) beschrieben:
Am 15. März gelang es allerdings den SS-Panzerdivisionen „Das Reich“ und „Leibstandarte Adolf Hitler“ die Stadt zurückzuerobern. In tendenziöser Literatur wird das militärische Vorgehen der SS-Einheiten als operative Meisterleistung beschrieben, dabei wird allerdings vielfach nicht erwähnt, welche Schrecken die nachfolgende Wiederbesetzung mit sich brachte. Die Einwohner Charkows sprachen in diesem Zusammenhang von der „anderen“ Besetzung der Stadt. Die SS-Einheiten exekutierten bei der Wiedereroberung der Stadt wahllos Einwohner. Deutsche Soldaten sperrten Einheimische ohne weitere Verdachtsmomente in Kellergewölbe und töteten die Gefangenen
mit Handgranaten. Kriegsversehrte Rotarmisten, die in einem Charkower Krankenhaus zurückgeblieben waren, wurden von der SS in ihren Betten exekutiert oder bei lebendigem Leib verbrannt und sowjetische Kriegsgefangene öffentlich gekreuzigt und verstümmelt. (S. 124 f.)
Manstein, der preußische Militarist nach Mölzerschem Maß, war zwar kein Nazi, aber ein übler Pflichterfüller, der im Herbst 1941, als er Hungeraufstände in der Ukraine befürchtete, in einem Befehl an seine Truppe forderte, das „jüdisch-bolschewistische System“ auszurotten:
Deshalb drängte er die Einsatzgruppe D mit deren zuständigem Sonderkommando 11b die erst für den März 1942 vorgesehene Liquidierung der in Simferopol lebenden Juden und Roma noch vor Weihnachten durchzuführen. So fiel am 6. Dezember der Entschluss zur umgehenden Ermordung dieser nicht zuletzt auch als „unnütze Esser“ angesehenen Menschen im Simferopol-Massaker. (Wikipedia)
Hat ihm nicht wirklich geschadet, seine aktive Rolle bei der Ermordung von Juden und Roma! Eigentlich 18 Jahre Haft, die dann auf ca. sieben Jahre gekürzt wurden, Haftverschonung wegen eines „Augenleidens“ und dann mehrere Jahre Berater beim Aufbau der Bundeswehr. In „Zur Zeit“ ist dazu verharmlosend zu lesen: „Neuere Historiker versuchen Manstein eine Beteiligung an Kriegsverbrechen anzuhängen.“
Der höchstrangige SS-Mann Hausser, der 1945 in Zell am See festgenommen wurde, musste sich für seine Verbrechen nie vor einem Gericht verantworten, sondern betätigte sich als Nazi weiter und wieder. Auch dazu findet sich in „Zur Zeit“ keine Silbe.
