Vor 220 Jahren wurde der Dialektdichter Franz Stelzhamer (1802 – 1874) geboren. Vor 70 Jahren beschloss der OÖ. Landtag, Stelzhamers Gedicht „Hoamatgsang“ in der Vertonung von Hans Schnopfhagen (1845 – 1908) zur oberösterreichischen Landeshymne zu erklären. Besonders rund sind beide Jubiläen nicht. Doch das Land ließ es sich nicht nehmen, seine – durchaus populäre – Hymne durch einen Festabend in der Anton-Bruckner-Privatuniversität zu feiern. Dass das offizielle Oberösterreich wenigstens kurz mit der eigenen Doppelbödigkeit konfrontiert wurde, ist den Lehrenden und Studierenden der Universität zu verdanken. Sie trugen unter anderem Teile von Stelzhamers Essay „Jude“ vor: „Kein Volk der Erde hat nach seinem politischen Ableben mit einer solchen Zähigkeit, ja völligen Unumbringbarkeit fortgedauert, wie der Jude. (…) Besteht in zahlloser Menge und mit unberechenbarem Einfluß auf die Geschicke der Völker. (…) In alle Welt zerstreut, schlingt er sich, bald dünner, bald breiter, ein Riesenbandwurm, um die Ernährungsorgane eines jeden kultivirten (sic!) Staatskörpers, und wie oft man ihn auch abzutreiben versucht hat, man gewann (…) bis jetzt nur größere oder kürzere Stücke, nie aber den Kopf selbst.”
Da half keine Verdrängung mehr: Oberösterreichs gefeierter Landeshymnen-Dichter, der mit dem „Stelzhamerbund“ eine rührige Lobby hat, war ein Vernichtungsantisemit. Mitte des 19. Jahrhunderts ging sein kaum verhohlener Aufruf zum Genozid über das damals übliche Maß an judenfeindlichen Einstellungen weit hinaus. Nicht, dass das etwas Neues wäre: Vor allem der Schriftsteller Ludwig Laher – immerhin Träger des Kulturpreises des Landes Oberösterreich – weist seit vielen Jahren beharrlich auf diese Tatsache hin und fordert Konsequenzen ein. Doch bisher ignorierte die Landesspitze Lahers Aufklärungsarbeit nach Kräften. Der Festabend in der Privatuniversität war ein Durchbruch. ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer sprach plötzlich von „unentschuldbaren antisemitischen Ausfällen“ Stelzhamers. Um dann doch die Kurve zu nehmen: Die Landeshymne sei ein „steter Anstoß, auch die Erinnerung an die Schatten unserer Geschichte lebendig zu halten“, so Stelzer. Eine seltsame Logik. Müssten dann nicht aus Gründen des Gedenkens möglichst viele Werke von Vernichtungsantisemiten im öffentlichen Leben verankert und gepflegt werden? Wundern kann einen diese Logik freilich nicht. Der ÖVP-Landeshauptmann redet ja auch seine Koalition mit der rechtsextremen FPÖ schön …
Zum Judenhass Stelzhamers sollte Oberösterreichs Regierung künftig etwas mehr einfallen. Denn durch einen hervorragenden Artikel Ludwig Lahers in der „Süddeutschen Zeitung“ ist jetzt auch internationale Aufmerksamkeit für das Thema garantiert. (Danke an das oö. Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextremismus für die Erlaubnis zum Abdruck!)
Zitat aus Lahers Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (28.11.22) „Wider die Verharmlosung”
Stelzhamers Wirkung auf breite Bevölkerungskreise beruht auf schlichten Dialektgedichten. Sie vergleichen den blühenden Kirschbaum mit dem in ewiger Blüte stehenden Ich, verspotten böhmakelnd die aus wirtschaftlichen Gründen ins deutschsprachige Österreich drängenden Tschechen, feiern den Vielklang des Vogelgezwitschers und den kreuzguten Kaiser, der auch schön sein muss, denn schön sein und gut sein ist, wie Stelzhamer betont, dasselbe.
Alles schön und gut, aber er konnte es noch deftiger. 1852 erschien in München „Das bunte Buch”, eine bunte Mischung, die auch Essays enthält. Darin wettert Stelzhamer etwa gegen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” und den „Antichrist”. „Jude” nennt sich der schlimmste Text: „Kein Volk der Erde hat nach seinem politischen Ableben mit einer solchen Zähigkeit, ja völligen Unumbringbarkeit fortgedauert, wie der Jude. (…) Besteht in zahlloser Menge und mit unberechenbarem Einfluß auf die Geschicke der Völker. (…) In alle Welt zerstreut, schlingt er sich, bald dünner, bald breiter, ein Riesenbandwurm, um die Ernährungsorgane eines jeden kultivirten (sic!) Staatskörpers, und wie oft man ihn auch abzutreiben versucht hat, man gewann (…) bis jetzt nur größere oder kürzere Stücke, nie aber den Kopf selbst.”