Hat sich nicht Strache auch über das angeblich manipulativ zusammengeschnittene Video aus Ibiza beklagt? Oder – ganz aktuell – Sebastian Kurz darüber gejammert: „Es werden einige SMS-Fetzen aus dem Zusammenhang gerissen oder in einen anderen Kontext gestellt, und dann wird drum herum ein strafrechtlicher Vorwurf kreiert.“ (Ö1 Abendjournal, 6.10.2021)
Im Falle der Fratelli d’Italia ist das belastende Material, das das Nachrichtenportal fanpage.it veröffentlicht hat, das Ergebnis von drei Jahren verdeckter Recherche – teilnehmende Beobachtung sozusagen. Der Journalist von fanpage „hatte sich vor drei Jahren bei Fidanza und Jonghi Lavarini als Unternehmer mit rechten Sympathien vorgestellt und das Vertrauen der beiden gewonnen. Ganz offen plaudern sie denn auch über die Möglichkeit, mit illegalen Spenden den Wahlkampf einer Kandidatin für den Stadtrat von Mailand zu befeuern.“ (taz.de, 5.10.21)
Carlo Fidanza ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Leiter der Fratelli-Delegation dort. Vor allem aber ist der enge Vertraute von Giorgia Meloni, der von Wikipedia unzutreffend als „rechtskonservativ“ beschrieben wird, bestens befreundet mit Roberto Jonghi Lavarini, genannt der „Schwarze Baron“ – ein echter Neofaschist. Lavarini hat auch schon eine zweijährige Haftstrafe wegen Verharmlosung des Faschismus ausgefasst.
Der Journalist von fanpage konnte über seine versteckte Kamera dokumentieren, wie sich die von den beiden koordinierte rechtsextreme Lobby über die Auswahl von rechtsextremen Kandidat*innen, deren Wahlkampffinanzierung über Schwarzgelder und Geldwäsche beriet und so nebenbei auch über ihre rassistischen, sexistischen und antisemitischen „Witze“ lachte . inklusive Bewunderung für Hitler und Mussolini und einschlägige Grüße.
Die erwartbaren Reaktionen: Fidanza musste seine Parteifunktionen zurücklegen, was nicht wirklich schmerzt, und Meloni stellte sich und ihre Partei als Opfer dar, die kurz vor den Kommunalwahlen gemeuchelt werden sollten.
Dabei könnten sich Meloni und ihre „Brüder“ ja fast entspannen, denn auch ihre unmittelbare rechtsextreme Konkurrentin, die Lega, steckt im Dreck. Da wäre zunächst einmal der fast zeitgleiche Skandal um Luca Morisi, den engsten Berater von Parteichef Matteo Salvini. Morisi, dessen hetzerisches Wirken gerade in der sehenswerten „Arte“-Doku „Propagandamaschine Social Media“ (online bis 10.12.21) dokumentiert ist, trat eine Woche vor den Kommunalwahlen „aus privaten Gründen“ zurück.
Wie sich dann aber rasch herausstellte, ermittelte die Staatsanwaltschaft von Verona wegen Drogenhandels gegen Morisi:
Er habe zwei männliche Prostituierte um die Zeche geprellt und sie mit Kokain und K.-o.-Tropfen versorgt, berichten italienische Medien. Unangenehm für Salvini. Der fordert seit Jahren harte Strafen für den Besitz von Drogen auch in kleinen Mengen. Vor allem hetzt der Rechtspopulist gegen ausländische Dealer und Migranten. Dennoch hält er an seinem Parteifreund Morisi fest. „Auf mich kannst Du immer zählen. Immer”, schreibt er öffentlich an seinen ehemaligen Medienchef. (blick.ch, 3.10.21)
Schon vorher hatte sich Salvini selbst ein dickes faules Ei gelegt. Weil er die Regierungskoalition von Mario Draghi und deren Entscheidungen mitträgt, kommt der rabiate Rechtspopulist immer häufiger in Erklärungs- und Rechtfertigungsprobleme. Da die Fratelli wie ziemlich alle rechtsextremistischen Parteien in Europa eine pandemie- und impfgegnerische Position vertraten, jedenfalls immer wieder damit spielten und damit der Lega das Wasser abgraben wollten, wollte Salvini zumindest in Teilbereichen punkten und wechselte häufig seine Positionen:
So bringt jeder Tag einen Kurswechsel. Mal gibt er den moderaten, verantwortungsbewussten Mitgestalter an der Seite Draghis. Dann stellt er wieder Ultimaten, droht mit dem Widerstand im Parlament. Mal ist er für harte Maßnahmen im Kampf gegen Corona, dann wieder für deren totale Abschaffung. Er turtelt mit Impfgegnern und Kritikern des Zertifikats, obschon die eine wahltechnisch vernachlässigbare Minderheit sind. Offenbar lässt er sich von ihrem schrillen Auftritt im Netz blenden. (sueddeutsche.de, 23.9.21)
Als Mario Draghi im Juli der Geduldsfaden riss und er nicht geimpfte Politiker wie Salvini wegen ihrer Aussagen über die Impfung hart kritisierte („Der Aufruf, sich nicht impfen zu lassen, ist ein Aufruf zum Sterben“), verriet ein Twitter-Foto, das Salvini selbst online gestellt hatte, dass Salvini sich schon heimlich impfen hatte lassen.
Am Foto zeigt sich der Lega-Chef beim Espresso in einem Gastgarten. Zu sehen sind auch einige Zettel unter Salvinis Schutzmaske am Tisch liegen. Auf einem davon ist ein QR-Code unter der Aufschrift „Region Lombardei” abgebildet. Viele erkannten das Formular sofort als Impfzertifikat bzw. Grünen Pass. (puls24.at, 23.7.21)
Salvini musste in der Folge unter vielen Verrenkungen seine erste Teilimpfung zugeben. Und prompt zog Meloni nach und gestand ebenfalls, geimpft zu sein. So sind die rechtsextremen Zwillinge nicht nur gemeinsam im Sumpf, sondern auch bei den Impfungen vereint.