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Steinhauser: Islamismus und Rechtsextremismus – mehr Gemeinsamkeiten als angenommen

Isla­mis­mus und Rechts­extre­mis­mus ste­hen sich schein­bar als poli­ti­sche Gegen­spie­ler gegen­über: auf der einen Sei­te Rechts­extre­mis­mus und Rechts­po­pu­lis­mus, die den Isla­mis­mus und des­sen Ter­ror instru­men­ta­li­sie­ren, um gegen den Islam zu mobi­li­sie­ren, auf der ande­ren Sei­te der Dschi­ha­dis­mus, der anti­mus­li­mi­sche Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen durch die Rech­te als ein Rekru­tie­rungs­ar­gu­ment ins Tref­fen führt, um Jugend­li­chen zu bewei­sen, dass ‚der Westen‘ […]

3. Nov 2020

Vor­aus­zu­schi­cken ist, dass Islam und Isla­mis­mus nicht gleich­zu­set­zen sind. Wäh­rend der Islam im Rah­men der grund­recht­lich garan­tier­ten Reli­gi­ons­frei­heit in sei­ner Aus­übung zu schüt­zen ist, ist unter Isla­mis­mus eine poli­ti­sche Rich­tung zu ver­ste­hen, deren Ziel die Errich­tung einer allein reli­gi­ös legi­ti­mier­ten Gesell­schafts- und Staats­ord­nung dar­stellt, in der Gesell­schaft und Staat sich den über­stei­ger­ten reli­giö­sen Ord­nungs­über­le­gun­gen zu unter­wer­fen haben. Unter Dschi­ha­dis­mus wie­der­um sind jene isla­mis­ti­schen Strö­mun­gen ein­zu­ord­nen, die ter­ro­ris­ti­sche Gewalt als das pri­mä­re Mit­tel zur Durch­set­zung ihrer Zie­le pro­pa­gie­ren und praktizieren.

Im Rechts­extre­mis­mus tritt die Nati­on oder Ras­se an die Stel­le der Reli­gi­on. Wesent­li­che Merk­ma­le sind ein auto­ri­tä­res bis dik­ta­to­ri­sches, von Chau­vi­nis­mus gepräg­tes Poli­tik­ver­ständ­nis sowie die Ver­harm­lo­sung oder Recht­fer­ti­gung des Natio­nal­so­zia­lis­mus, gepaart mit anti­se­mi­ti­schen, frem­den­feind­li­chen und sozi­al­dar­wi­nis­ti­schen Einstellungen.

Tat­sa­che ist aber, dass Rechts­extre­mis­mus und Isla­mis­mus mehr Gemein­sam­kei­ten und ideo­lo­gi­sche Par­al­le­len haben, als bei­de sich ein­ge­ste­hen. Ist der Isla­mis­mus also eine Form des Rechts­extre­mis­mus mit deut­li­chen inhalt­li­chen Über­schnei­dun­gen zum ‚tra­di­tio­nel­len‘ Rechtsextremismus?

Autoritäre Rebellion gegen das herrschende System

Islamist_innen und Rechts­extre­me insze­nie­ren sich ger­ne als Rebell_innen gegen herr­schen­de Sys­te­me: die einen gegen den Wes­ten, die ande­ren gegen Regie­run­gen, die nicht das ‚gesun­de Volks­emp­fin­den‘ zur aus­schließ­li­chen Grund­la­ge ihrer Poli­tik­ge­stal­tung machen. Als beson­de­re Feind­bil­der die­nen in bei­den Fäl­len die USA und Isra­el. Dabei han­delt es sich aber um eine auto­ri­tä­re Rebel­li­on. Ziel ist nicht die Frei­heit, son­dern die Besei­ti­gung der Demo­kra­tie, an deren Stel­le eine wie auch immer gear­te­te Gemein­schaft tre­ten soll, der sich der Ein­zel­ne zu unter­wer­fen hat.

Verschwörungstheorien und Bedrohungsszenarien

Kaum jemand spinnt daher so hart­nä­ckig absur­de Ver­schwö­rungs­theo­rien wie Rechtsextremist_innen und Islamist_innen, die vor allem online Ver­brei­tung fin­den. Dabei steht stets eine her­auf­be­schwo­re­ne Bedro­hung durch Drit­te im Mit­tel­punkt, die ent­we­der das ‚rei­ne Volk‘ oder die ‚rei­ne Leh­re‘ gefähr­de. Die­ses Bedro­hungs­sze­na­rio wird zur Rekru­tie­rung und Dau­er­mo­bi­li­sie­rung der eige­nen Anhän­ger und Anhän­ge­rin­nen benutzt. Mit Hil­fe von Unter­gangs­phan­ta­sien und der Erzeu­gung von apo­ka­lyp­ti­scher End­zeit­stim­mung ver­sam­meln sowohl rechts­extre­me als auch isla­mis­ti­sche Anfüh­rer ihre Anhän­ger­schaf­ten hin­ter sich. Die agi­ta­ti­ve Erre­gung befin­det sich auf einem per­ma­nen­ten Höhe­punkt. Die Beschwö­rung des kurz bevor­ste­hen­den Unter­gan­ges recht­fer­tigt Gewalt als schein­bar letz­te Mög­lich­keit der Selbstverteidigung.

Ständige Opferrolle

Die­se künst­lich geschaf­fe­ne per­ma­nen­te Bedro­hung begüns­tigt eine wei­te­re Gemein­sam­keit. Vertreter_innen bei­der Ideo­lo­gien sehen sich stän­dig als Opfer von Ver­fol­gung. Rechts­extre­me sehen sich ger­ne von der „Lügen­pres­se“ bewusst miss­in­ter­pre­tiert und ver­leum­det: Weil wir für euch sind, sind sie gegen uns, lau­tet die simp­le Bot­schaft des rech­ten Ran­des. Aber auch der Isla­mis­mus kul­ti­viert die Opfer­rol­le. Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen sowie die behaup­te­te Aggres­si­on des Wes­tens oder Isra­els sind zen­tra­le Argu­men­te der Islamist_innen für die Rekru­tie­rung von Dschihadist_innen. Bei­de Grup­pen insze­nie­ren sich als Opfer und lei­ten dar­aus die Recht­fer­ti­gung dafür ab, ver­ba­le, rea­le oder ter­ro­ris­ti­sche Gewalt anzuwenden.

Reaktionäres Gesellschaftsbild

Gesell­schafts­po­li­tisch ist man sich in vie­len Punk­ten nahe. Die Rol­le der Frau in der Gesell­schaft? Homo­se­xua­li­tät? Auto­ri­tä­re Erzie­hung? In vie­len Fra­gen kön­nen sich Isla­mis­mus und Rechts­extre­mis­mus rasch eini­gen. Bei­de Strö­mun­gen wet­tern gern gegen die „Deka­denz des Libe­ra­lis­mus“, ver­tre­ten einen rück­wärts­ge­wand­ten Ultra­kon­ser­va­ti­vis­mus und ver­herr­li­chen dif­fus blei­ben­de frü­he­re Zei­ten. 

Unumstößliche Gesetze

Selbst dort, wo es Unter­schie­de gibt, las­sen sich Gemein­sam­kei­ten her­stel­len. Unbe­strit­ten ist, dass sich der Rechts­extre­mis­mus in sei­ner Haupt­strö­mung weni­ger auf die Reli­gi­on, son­dern auf die Nati­on oder Eth­nie bezieht, die es rein­zu­hal­ten und zu schüt­zen gilt. Dabei ver­weist er häu­fig auf ver­meint­li­che Natur­ge­set­ze, die eine unum­stöß­li­che Ord­nung bil­den, die nicht in Fra­ge gestellt wer­den dür­fe. Die Welt ist nach dem Freund-Feind-Sche­ma gestal­tet: „unser Volk“ gegen „Frem­de“ oder „Unter­men­schen“. 

Im Isla­mis­mus bil­det die über­stei­ger­te Inter­pre­ta­ti­on der Reli­gi­on den Deu­tungs­rah­men. Auch hier gel­ten unum­stöß­li­che Geset­ze, die in die­sem Fall von Gott stam­men und vom Men­schen nicht bezwei­felt wer­den dür­fen, auch hier gilt das Freund-Feind-Sche­ma: Gläu­bi­ge gegen Ungläu­bi­ge. Der zen­tra­le Unter­schied besteht in der Durch­läs­sig­keit des Sys­tems: Im Isla­mis­mus kann jede/r durch Kon­ver­si­on und Hel­den­tod Erlö­sung fin­den, der Rechts­extre­mis­mus hin­ge­gen sieht kei­ne bewuss­te Über­tritts­mög­lich­keit zu einer Eth­nie oder einer Nati­on vor. 

Bedrohte Männlichkeit

Sowohl im Rechts­extre­mis­mus als auch im Isla­mis­mus herrscht ein stren­ges Patri­ar­chat. Füh­rungs­funk­tio­nen wer­den in der Regel von Män­nern besetzt, Frau­en auf die Rol­le der Gebä­re­rin zurück­ge­setzt. Die­se stren­ge Rol­len­auf­tei­lung dient als Zufluchts­ort für die bedroh­te Männ­lich­keit in einer sich ver­än­dern­den Gesell­schaft. Bei­de Ideo­lo­gien sehen im Auf­bre­chen her­kömm­li­cher Geschlech­ter­rol­len eine Ver­weich­li­chung und „Ver­schwu­lung“ unse­rer Gesell­schaft. Dabei ver­ste­cken sich hin­ter die­ser mar­tia­li­schen Macho-Fas­sa­de in Wahr­heit sowohl im Rechts­extre­mis­mus als auch im Isla­mis­mus Angst und Unklar­heit über das eige­ne Männ­lich­keits­bild. Die Beto­nung tra­di­tio­nel­ler Rol­len­bil­der soll den ver­un­si­cher­ten Män­nern Ori­en­tie­rung geben.

Antisemitismus

Der Anti­se­mi­tis­mus spielt in den Haupt­strö­mun­gen des Rechts­extre­mis­mus und des Isla­mis­mus eine wich­ti­ge Rol­le. Anti­se­mi­ti­sche Het­ze und Über­grif­fe wer­den da wie dort aktiv betrie­ben und pro­pa­gan­dis­tisch aus­ge­lebt. Wenn ein mus­li­mi­scher Fri­seur auf Face­book ein Foto von Adolf Hit­ler mit dem Text pos­tet: „Ich könn­te alle Juden töten, aber ich habe eini­ge am Leben gelas­sen, um euch zu zei­gen, wie­so ich sie getö­tet habe“ (APA, 15.9.2015), dann trifft man sich argu­men­ta­tiv in Wort und Bild. Der Anti­se­mi­tis­mus ist auch der Punkt, der zu einer ganz kon­kre­ten Koope­ra­ti­on zwi­schen Islamist_innen und Rechtsextremist_innen führ­te. 2006 lud der dama­li­ge ira­ni­sche Prä­si­dent Mah­mud Ahma­di­ned­schad in Tehe­ran zu einer gro­ßen Holo­caust­leug­ner_in­nen-Kon­fe­renz, an der zahl­rei­che nam­haf­te Rechtsextremist_innen teilnahmen.

Strenge Hierarchie

Auch das Orga­ni­sa­ti­ons­kon­zept des Isla­mis­mus ähnelt jenem des Faschis­mus. Bei­de Strö­mun­gen sind streng hier­ar­chisch auf­ge­baut. Der Füh­rer respek­ti­ve Pre­di­ger wird als unan­greif­ba­rer Cha­ris­ma­ti­ker insze­niert, des­sen Anord­nun­gen dog­ma­ti­sche Wir­kung ent­fal­ten und nicht in Fra­ge gestellt wer­den dür­fen. Nicht sel­ten steu­ern Eli­ten auf die­se Wei­se die Mas­sen und instru­men­ta­li­sie­ren die­se für ihre Inter­es­sen. Der Ein­zel­ne hat sich der Gemein­schaft ohne Wider­spruch unterzuordnen.

Was heißt das?

Rechts­extre­mis­mus und Isla­mis­mus haben vie­le ideo­lo­gi­sche Gemein­sam­kei­ten, obwohl sie in geo­gra­fisch unter­schied­li­chen Gebie­ten wur­zeln und sich zeit­lich unter­schied­lich ent­wi­ckelt haben. Wäh­rend der Rechts­extre­mis­mus in Öster­reich sich mehr oder weni­ger inten­siv auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus bezieht, hat der Isla­mis­mus dort nur punk­tu­el­le Berüh­rungs­punk­te. Den­noch kön­nen die bei­den Strö­mun­gen auf­grund der ange­spro­che­nen Par­al­le­len als ver­wandt bezeich­net wer­den. 

Dar­aus lei­tet sich aber eine wich­ti­ge Erkennt­nis ab. Die gesell­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung fin­det nicht zwi­schen Rechtsextremist_innen und Islamist_innen statt. Wer Isla­mis­mus ablehnt, muss sich auch kon­se­quent von Rechts­extre­mis­mus und Rechts­po­pu­lis­mus abgren­zen. Die pola­ri­sie­ren­de Het­ze der FPÖ, der Iden­ti­tä­ren oder von PEGIDA ist genau­so brand­ge­fähr­lich wie die Rhe­to­rik der Islamist_innen. Sie alle suchen Feind­bil­der, um alte Ideen neu zu ver­pa­cken, um die Gesell­schaft zu spal­ten und zu verunsichern.

Aber wir müs­sen auch mit glei­cher Vehe­menz den ideo­lo­gi­schen Vertreter_innen des Isla­mis­mus ent­ge­gen­tre­ten – aller­dings ohne anti­mus­li­mi­sche Vor­ur­tei­le zu repro­du­zie­ren. Da darf es kein Weg­schau­en geben. Zivil­ge­sell­schaft und lin­ke Bewe­gun­gen müs­sen sich als poli­ti­sche Geg­ne­rin­nen des reak­tio­nä­ren Isla­mis­mus begrei­fen. Wer die­se Lücke nicht besetzt, darf sich nicht wun­dern, wenn dann als Fol­ge gegen eine wie­der­erstark­te Rech­te demons­triert wer­den muss. Nur wer die Par­al­le­len sieht und benennt, wird bei­de Strö­mun­gen schwä­chen können.

Lite­ra­tur
„Ich könn­te alle Juden töten“ – Zwei Jah­re bedingt (APA via nachrichten.at, 15.9.2015), zuletzt ein­ge­se­hen 3.11.2020

Arti­kel aus:
Albert Stein­hau­ser in: Albert Stein­hau­ser, Harald Wal­ser (Hg.), Rechts­extre­mis­mus­be­richt 2016. Der Grü­ne Klub im Par­la­ment. Wien 2016, 98–102.

Wei­ter­füh­rend:

➡️ Maik Fie­litz, Julia Ebner, Jakob Guhl, Mat­thi­as Quent: Hass­lie­be: Mus­lim­feind­lich­keit, Isla­mis­mus und die Spi­ra­le gesell­schaft­li­cher Pola­ri­sie­rung. For­schungs­be­richt. Hg.: Insti­tut für Demo­kra­tie und Zivil­ge­sell­schaft (IDZ), Jena/London/Berlin 2018.
➡️ Man­ja­na Sold: Rechts­extre­mis­mus und reli­gi­ös begrün­de­ter Extre­mis­mus. Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung 2020.

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