Rezension „Rechtsextremismus Band 3: Geschlechterreflektierte Perspektiven”

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Die For­schungs­grup­pe Ideo­lo­gien und Poli­ti­ken der Ungleich­heit (FIPU) the­ma­ti­siert in ihrem drit­ten Sam­mel­band das Ver­hält­nis von Rechts­extre­mis­mus und Geschlecht. Wie bereits die bei­den Vor­gän­ger, ist auch Band 3 in der Rei­he kri­tik & uto­pie des Man­del­baum­ver­lag erschie­nen. Dies­mal wird die obli­ga­to­ri­sche Korn­blu­me am dun­kel­vio­let­ten Buch­co­ver von einer Got­tes­an­be­te­rin bedrängt.

In der Ein­lei­tung erwei­tern die FIPU-AutorIn­nen die Rechts­extre­mis­mus-Defi­ni­ti­on von Wil­li­bald Hol­zer (1) um ein kri­ti­sches Ver­ständ­nis von Geschlecht als (natu­ra­li­sier­ter) Ord­nungs­ka­te­go­rie. Bereits der damit geschaf­fe­ne begriff­li­che Rah­men macht deut­lich, dass die Kate­go­rie Geschlecht ein Kern­ele­ment rechts­extre­mer Ideo­lo­gie­bil­dung ist. Die ins­ge­samt zehn Bei­trä­ge des Ban­des tra­gen alle­samt die­sem Befund Rech­nung und dis­ku­tie­ren ihn aus unter­schied­li­chen Perspektiven.

Im ers­ten Text rekon­stru­iert Judith Götz den Stand der geschlech­ter­re­flek­tier­ten Rechts­extre­mis­mus­for­schung in Öster­reich. Dabei wer­den nicht nur inhalt­li­che Ver­schie­bun­gen und the­ma­ti­sche Schwer­punk­te auf­ge­zeigt, es wird auch deut­lich gemacht, wie sehr das The­ma in der For­schung ver­nach­läs­sigt wur­de, obwohl es sich dabei offen­sicht­lich um eine „not­wen­di­ge Ana­ly­se­ka­te­go­rie“ (S. 50) handelt.

Die­se Not­wen­dig­keit zeigt auch Cari­na Klam­mer in ihrem Bei­trag aus his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve auf. Dar­in geht es um die Geschlech­ter- und Kör­per­po­li­ti­ken des Natio­nal­so­zia­lis­mus und deren Nach­wir­ken im kul­tu­rel­len Gedächt­nis nach 1945. Sie beleuch­tet die enge Ver­bin­dung von Geschlech­ter­bil­dern mit anti­se­mi­ti­schen „Rasse“-Zuschreibungen im Rah­men der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ästhe­ti­sie­rung von Poli­tik. Erör­tert wird der Zusam­men­hang von der qua­si­re­li­giö­sen Vor­stel­lung „völ­ki­scher Rein­heit“ mit bestimm­ten Frau­en­bil­dern (etwa der ‚Mut­ter’), sowie der damit in Ver­bin­dung ste­hen­den Funk­tio­na­li­sie­rung von Sexualität.

Die bei­den dar­auf fol­gen­den Tex­te behan­deln The­men, die in der bis­he­ri­gen Rechts­extre­mis­mus-For­schung beson­ders wenig beach­tet wur­den, aber für das Ver­ste­hen von rech­ten Geschlech­ter­dis­kur­sen not­wen­dig sind: Andre­as Hech­ler beleuch­tet in sei­nem Bei­trag rechts­extre­me Res­sen­ti­ments gegen inter­ge­schlecht­li­che Men­schen und zeigt die Stra­te­gien rechts­extre­mer Akteu­rIn­nen im Umgang mit dem The­ma auf. Alle die­se Stra­te­gien – von Igno­ranz über Patho­lo­gi­sie­rung bis Pater­na­lis­mus – sind dis­kri­mi­nie­rend und stel­len auf natür­li­che Zwei­ge­schlecht­lich­keit ab. Der Autor macht deut­lich, dass ein Ver­ständ­nis des rech­ten Dis­kur­ses um Inter­ge­schlecht­lich­keit nötig wäre, um den bio­lo­gis­ti­schen rechts­extre­men Bezug auf Geschlecht all­ge­mein bes­ser zu ver­ste­hen. Im dar­auf fol­gen­den Bei­trag geht es um das Ver­hält­nis von Rechts­extre­mis­mus und Trans*. Judith Götz bestimmt einer­seits Trans*feindlichkeit als grund­le­gen­den Bestand­teil von Rechts­extre­mis­mus und beleuch­tet ande­rer­seits Stra­te­gien rechts­extre­mer Trans*personen, mit dem offen­sicht­li­chen Wider­spruch ihres Enga­ge­ments umzu­ge­hen. Götz erör­tert dies anhand der Akti­vis­tin Moni­ka Don­ner. 

Lisa Auzin­ger befasst sich in ihrem Bei­trag mit den Geschlech­ter­bil­dern in rechts­extre­mer Erzie­hung. Dabei wer­den Merk­ma­le rechts­extre­mer Erzie­hungs­me­tho­den sowohl inner­halb der Fami­lie, als auch im Rah­men orga­ni­sier­ter Kin­der- und Jugend­ar­beit betrach­tet. Anschlie­ßend wer­den Fra­gen nach prä­ven­ti­ven Hand­lungs­per­spek­ti­ven erör­tert.   

Mathi­as Fal­ter und Vere­na Stern ana­ly­sie­ren die ideo­lo­gi­sche Ver­or­tung der FPÖ bezüg­lich Geschlech­ter­po­li­tik. Unter ande­rem wird anhand des „Hand­buch frei­heit­li­cher Poli­tik“ – für des­sen Her­aus­ga­be maß­geb­lich Nor­bert Hofer ver­ant­wort­lich ist – ein­drucks­voll auf­ge­zeigt, wie die frei­heit­li­chen Angrif­fe auf ‚Gen­der’ als ideo­lo­gi­sche Klam­mer für unter­schied­li­che rechts­extre­me Momen­te fun­gie­ren: So wird gegen das Hin­ter­fra­gen von Geschlech­ter­rol­len als Gefahr für das (eth­nisch homo­gen defi­nier­te) „Volk“ pole­mi­siert, womit das völ­ki­sche Nar­ra­tiv einer angeb­li­chen „Zer­set­zung“ bedient wird; sexu­el­le Gewalt wird aus­schließ­lich im Zusam­men­hang mit „Frem­den“ the­ma­ti­siert, wodurch das The­ma aus­ge­la­gert und für ras­sis­ti­sche Moti­ve haupt­säch­lich gegen Mus­li­me instru­men­ta­li­siert wird; schließ­lich wird gegen ‚Gen­der Main­strea­ming’ und ‚Poli­ti­cal Cor­rect­ness’ oft­mals im Rah­men von ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Kon­struk­ten gehetzt, wodurch zen­tra­le Ele­ment des Anti­se­mi­tis­mus bedient wer­den, ohne direkt von Juden und Jüdin­nen zu spre­chen. Zudem bil­det der frei­heit­li­che geschlech­ter­po­li­ti­sche Dis­kurs eine wich­ti­ge Schar­nier­funk­ti­on, die rechts­extre­me Ideo­lo­gie mit kon­ser­va­ti­ven Posi­tio­nen ver­bin­det. 

Um die­se Schar­nier­funk­ti­on des Anti­fe­mi­nis­mus geht es auch im Bei­trag von Ste­fa­nie May­er und Judith Götz. Die Autorin­nen ana­ly­sie­ren aktu­el­le Poli­ti­ken gegen Femi­nis­mus anhand von Text­bei­spie­len. Die aktu­el­le Rhe­to­rik des Anti­fe­mi­nis­mus wird dabei etwa hin­sicht­lich der Erfin­dung und Ver­brei­tung des Begriffs „Gen­der-Ideo­lo­gie“ dechif­friert. Als gleich­blei­ben­des und ver­bin­den­des Ele­ment des Anti­fe­mi­nis­mus fun­giert eine bio­lo­gis­ti­sche Kon­struk­ti­on von Zwei­ge­schlecht­lich­keit und Hete­ro­se­xua­li­tät, die qua eines nor­ma­ti­ven Ver­ständ­nis­ses von „Natür­lich­keit“ und „Nor­ma­li­tät“ als unhin­ter­geh­ba­re Wahr­heit fixiert wird. Vor die­sem Hin­ter­grund plä­die­ren die Autorin­nen dafür, Anti­fe­mi­nis­mus als eigen­stän­di­ge Ideo­lo­gie der Ungleich­heit zu betrach­ten.  

Um eine theo­re­ti­sche Betrach­tung geht es im dar­auf fol­gen­den Bei­trag von Cari­na Klam­mer und Nico Bech­ter. Sie stel­len die Fra­ge, war­um sich das The­ma Gen­der so gut als ver­bin­den­des Ele­ment zwi­schen ver­schie­de­nen reak­tio­nä­ren Grup­pen eig­net. Dazu ana­ly­sie­ren sie den Anti-Gen­der-Dis­kurs mit­tels eines theo­re­ti­schen Begriffs, der ursprüng­lich aus der Anti­se­mi­tis­mus­for­schung kommt: dem „kul­tu­rel­len Code“ von Shul­a­mit Vol­kov. Dadurch wer­den Über­schnei­dun­gen aber auch Unter­schie­de von Anti-Gen­der und Anti­se­mi­tis­mus auf­ge­zeigt, wobei her­vor­tritt, dass der zeit­ge­nös­si­sche Anti­fe­mi­nis­mus eine ähn­li­che inte­gra­ti­ve Brei­ten­wir­kung in anti­de­mo­kra­ti­schen Spek­tren hat. 

Heri­bert Schie­del ana­ly­siert die Bedeu­tung der Kate­go­rie ‚Männ­lich­keit’ für rechts­extre­me Dis­kur­se. Dabei wer­den aus psy­cho­ana­ly­tisch inspi­rier­ten Per­spek­ti­ven bestimm­te Männ­lich­keits­kon­zep­tio­nen in den Blick genom­men, die rechts­extre­me Fana­ti­sie­rung (ins­be­son­de­re in der Ado­les­zenz) begüns­ti­gen. Mas­ku­li­ni­tät erscheint dabei als wich­ti­ge Res­sour­ce zur Bewäl­ti­gung von Ver­un­si­che­rung und Kri­sen, wes­halb der auto­ri­tä­re Pro­test der extre­men Rech­ten dies­be­züg­lich beson­ders anschluss­fä­hig ist.       

Der abschlie­ßen­de Bei­trag von Anna Jung­mayr, Judith Götz und Katha­ri­na Nöbl beleuch­tet Pro­test­for­men gegen Abtrei­bungs­geg­ne­rIn­nen und zeigt auf, dass die­se bis­lang vor­wie­gend von femi­nis­ti­schen Grup­pen ein­ge­for­dert wer­den muss­ten (und erst in letz­ter Zeit auch ver­mehrt von anti­fa­schis­ti­schen Grup­pen ein­ge­for­dert wer­den). Die Autorin­nen stel­len anti­fe­mi­nis­ti­sche Mobi­li­sie­run­gen und femi­nis­ti­sche Pro­tes­te dage­gen anhand von his­to­ri­schen und aktu­el­len Bei­spie­len dar, wobei auch kri­tisch auf Leer­stel­len ver­wie­sen wird. Als Con­clu­sio bleibt, dass Pro­tes­te gegen Rechts­extre­mis­mus mit dem Fokus auf ‚Geschlecht’ zwar zuge­nom­men haben, aber etwa gegen­über den The­men Natio­na­lis­mus und Ras­sis­mus immer noch oft­mals als nach­ran­gig betrach­tet wer­den.                

Alle Bei­trä­ge eint die Erkennt­nis, dass es sich bei ‚Geschlecht’ um eine zen­tra­le Kate­go­rie im Rechts­extre­mis­mus han­delt, ohne deren per­ma­nen­te Ver­hand­lung und Mobi­li­sie­rung völ­ki­sche Ideo­lo­gie nicht mög­lich wäre. Das FIPU-Buch ana­ly­siert die­sen Befund auf gewohnt hohem Niveau und legt die Not­wen­dig­keit einer kri­ti­schen Per­spek­ti­ve auf die Kate­go­rie ‚Geschlecht’ viel­fäl­tig dar. Dass der Anti­fe­mi­nis­mus, der gegen­wär­tig als Anti-“Genderismus“ daher­kommt, ein zen­tra­les Ver­bin­dungs­glied zwi­schen kon­ser­va­ti­ver und völ­ki­scher Ideo­lo­gie ist, wird in meh­re­ren Bei­trä­gen her­aus­ge­ar­bei­tet und ver­leiht dem Buch eine hohe Bri­sanz. Ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund, dass es sich dabei wei­ter­hin um ein viel zu wenig bear­bei­te­tes The­men­feld han­delt.  

Der Band soll­te nicht so ver­stan­den wer­den, dass er die­se Leer­stel­le fül­len könn­te – sie ist nach wie vor zu groß. Es wäre aber viel gewon­nen, wenn dar­in ein fun­dier­ter Auf­ruf gese­hen wür­de, eine kri­ti­sche Refle­xi­on von Geschlech­ter­dis­kur­sen als selbst­ver­ständ­li­chen Bestand­teil in Ana­ly­sen und Kri­tik von Rechts­extre­mis­mus ein­zu­be­zie­hen. Es ist dem Buch zu wün­schen, auch weit über die Gren­zen von Aca­de­mia zu gelan­gen. Ins­be­son­de­re Jour­na­lis­tIn­nen und Akti­vis­tIn­nen, die sich mit den tag­täg­li­chen Äuße­run­gen und publi­zis­ti­schen Pro­duk­ten rechts­extre­mer Akteu­rIn­nen beschäf­ti­gen, sei die Lek­tü­re ans Herz gelegt. 

FIPU (Hg.): Rechts­extre­mis­mus. Band 3: Geschlech­ter­re­flek­tier­te Per­spek­ti­ven. Edi­ti­on kri­tik & uto­pie, Wien: Man­del­baum. 19.00 €, 342 Sei­ten, ISBN: 978385476–683‑4, Erschie­nen: April 2019 

Fuß­no­te

1 Dabei han­delt es sich um jenen ana­ly­ti­schen Rechts­extre­mis­mus-Begriff mit dem sowohl das Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des öster­rei­chi­schen Wider­stands (DÖW) als auch wir arbeiten.