In der Einleitung erweitern die FIPU-AutorInnen die Rechtsextremismus-Definition von Willibald Holzer (1) um ein kritisches Verständnis von Geschlecht als (naturalisierter) Ordnungskategorie. Bereits der damit geschaffene begriffliche Rahmen macht deutlich, dass die Kategorie Geschlecht ein Kernelement rechtsextremer Ideologiebildung ist. Die insgesamt zehn Beiträge des Bandes tragen allesamt diesem Befund Rechnung und diskutieren ihn aus unterschiedlichen Perspektiven.
Im ersten Text rekonstruiert Judith Götz den Stand der geschlechterreflektierten Rechtsextremismusforschung in Österreich. Dabei werden nicht nur inhaltliche Verschiebungen und thematische Schwerpunkte aufgezeigt, es wird auch deutlich gemacht, wie sehr das Thema in der Forschung vernachlässigt wurde, obwohl es sich dabei offensichtlich um eine „notwendige Analysekategorie“ (S. 50) handelt.
Diese Notwendigkeit zeigt auch Carina Klammer in ihrem Beitrag aus historischer Perspektive auf. Darin geht es um die Geschlechter- und Körperpolitiken des Nationalsozialismus und deren Nachwirken im kulturellen Gedächtnis nach 1945. Sie beleuchtet die enge Verbindung von Geschlechterbildern mit antisemitischen „Rasse“-Zuschreibungen im Rahmen der nationalsozialistischen Ästhetisierung von Politik. Erörtert wird der Zusammenhang von der quasireligiösen Vorstellung „völkischer Reinheit“ mit bestimmten Frauenbildern (etwa der ‚Mutter’), sowie der damit in Verbindung stehenden Funktionalisierung von Sexualität.
Die beiden darauf folgenden Texte behandeln Themen, die in der bisherigen Rechtsextremismus-Forschung besonders wenig beachtet wurden, aber für das Verstehen von rechten Geschlechterdiskursen notwendig sind: Andreas Hechler beleuchtet in seinem Beitrag rechtsextreme Ressentiments gegen intergeschlechtliche Menschen und zeigt die Strategien rechtsextremer AkteurInnen im Umgang mit dem Thema auf. Alle diese Strategien – von Ignoranz über Pathologisierung bis Paternalismus – sind diskriminierend und stellen auf natürliche Zweigeschlechtlichkeit ab. Der Autor macht deutlich, dass ein Verständnis des rechten Diskurses um Intergeschlechtlichkeit nötig wäre, um den biologistischen rechtsextremen Bezug auf Geschlecht allgemein besser zu verstehen. Im darauf folgenden Beitrag geht es um das Verhältnis von Rechtsextremismus und Trans*. Judith Götz bestimmt einerseits Trans*feindlichkeit als grundlegenden Bestandteil von Rechtsextremismus und beleuchtet andererseits Strategien rechtsextremer Trans*personen, mit dem offensichtlichen Widerspruch ihres Engagements umzugehen. Götz erörtert dies anhand der Aktivistin Monika Donner.
Lisa Auzinger befasst sich in ihrem Beitrag mit den Geschlechterbildern in rechtsextremer Erziehung. Dabei werden Merkmale rechtsextremer Erziehungsmethoden sowohl innerhalb der Familie, als auch im Rahmen organisierter Kinder- und Jugendarbeit betrachtet. Anschließend werden Fragen nach präventiven Handlungsperspektiven erörtert.
Mathias Falter und Verena Stern analysieren die ideologische Verortung der FPÖ bezüglich Geschlechterpolitik. Unter anderem wird anhand des „Handbuch freiheitlicher Politik“ – für dessen Herausgabe maßgeblich Norbert Hofer verantwortlich ist – eindrucksvoll aufgezeigt, wie die freiheitlichen Angriffe auf ‚Gender’ als ideologische Klammer für unterschiedliche rechtsextreme Momente fungieren: So wird gegen das Hinterfragen von Geschlechterrollen als Gefahr für das (ethnisch homogen definierte) „Volk“ polemisiert, womit das völkische Narrativ einer angeblichen „Zersetzung“ bedient wird; sexuelle Gewalt wird ausschließlich im Zusammenhang mit „Fremden“ thematisiert, wodurch das Thema ausgelagert und für rassistische Motive hauptsächlich gegen Muslime instrumentalisiert wird; schließlich wird gegen ‚Gender Mainstreaming’ und ‚Political Correctness’ oftmals im Rahmen von verschwörungstheoretischen Konstrukten gehetzt, wodurch zentrale Element des Antisemitismus bedient werden, ohne direkt von Juden und Jüdinnen zu sprechen. Zudem bildet der freiheitliche geschlechterpolitische Diskurs eine wichtige Scharnierfunktion, die rechtsextreme Ideologie mit konservativen Positionen verbindet.
Um diese Scharnierfunktion des Antifeminismus geht es auch im Beitrag von Stefanie Mayer und Judith Götz. Die Autorinnen analysieren aktuelle Politiken gegen Feminismus anhand von Textbeispielen. Die aktuelle Rhetorik des Antifeminismus wird dabei etwa hinsichtlich der Erfindung und Verbreitung des Begriffs „Gender-Ideologie“ dechiffriert. Als gleichbleibendes und verbindendes Element des Antifeminismus fungiert eine biologistische Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, die qua eines normativen Verständnisses von „Natürlichkeit“ und „Normalität“ als unhintergehbare Wahrheit fixiert wird. Vor diesem Hintergrund plädieren die Autorinnen dafür, Antifeminismus als eigenständige Ideologie der Ungleichheit zu betrachten.
Um eine theoretische Betrachtung geht es im darauf folgenden Beitrag von Carina Klammer und Nico Bechter. Sie stellen die Frage, warum sich das Thema Gender so gut als verbindendes Element zwischen verschiedenen reaktionären Gruppen eignet. Dazu analysieren sie den Anti-Gender-Diskurs mittels eines theoretischen Begriffs, der ursprünglich aus der Antisemitismusforschung kommt: dem „kulturellen Code“ von Shulamit Volkov. Dadurch werden Überschneidungen aber auch Unterschiede von Anti-Gender und Antisemitismus aufgezeigt, wobei hervortritt, dass der zeitgenössische Antifeminismus eine ähnliche integrative Breitenwirkung in antidemokratischen Spektren hat.
Heribert Schiedel analysiert die Bedeutung der Kategorie ‚Männlichkeit’ für rechtsextreme Diskurse. Dabei werden aus psychoanalytisch inspirierten Perspektiven bestimmte Männlichkeitskonzeptionen in den Blick genommen, die rechtsextreme Fanatisierung (insbesondere in der Adoleszenz) begünstigen. Maskulinität erscheint dabei als wichtige Ressource zur Bewältigung von Verunsicherung und Krisen, weshalb der autoritäre Protest der extremen Rechten diesbezüglich besonders anschlussfähig ist.
Der abschließende Beitrag von Anna Jungmayr, Judith Götz und Katharina Nöbl beleuchtet Protestformen gegen AbtreibungsgegnerInnen und zeigt auf, dass diese bislang vorwiegend von feministischen Gruppen eingefordert werden mussten (und erst in letzter Zeit auch vermehrt von antifaschistischen Gruppen eingefordert werden). Die Autorinnen stellen antifeministische Mobilisierungen und feministische Proteste dagegen anhand von historischen und aktuellen Beispielen dar, wobei auch kritisch auf Leerstellen verwiesen wird. Als Conclusio bleibt, dass Proteste gegen Rechtsextremismus mit dem Fokus auf ‚Geschlecht’ zwar zugenommen haben, aber etwa gegenüber den Themen Nationalismus und Rassismus immer noch oftmals als nachrangig betrachtet werden.
Alle Beiträge eint die Erkenntnis, dass es sich bei ‚Geschlecht’ um eine zentrale Kategorie im Rechtsextremismus handelt, ohne deren permanente Verhandlung und Mobilisierung völkische Ideologie nicht möglich wäre. Das FIPU-Buch analysiert diesen Befund auf gewohnt hohem Niveau und legt die Notwendigkeit einer kritischen Perspektive auf die Kategorie ‚Geschlecht’ vielfältig dar. Dass der Antifeminismus, der gegenwärtig als Anti-“Genderismus“ daherkommt, ein zentrales Verbindungsglied zwischen konservativer und völkischer Ideologie ist, wird in mehreren Beiträgen herausgearbeitet und verleiht dem Buch eine hohe Brisanz. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich dabei weiterhin um ein viel zu wenig bearbeitetes Themenfeld handelt.
Der Band sollte nicht so verstanden werden, dass er diese Leerstelle füllen könnte – sie ist nach wie vor zu groß. Es wäre aber viel gewonnen, wenn darin ein fundierter Aufruf gesehen würde, eine kritische Reflexion von Geschlechterdiskursen als selbstverständlichen Bestandteil in Analysen und Kritik von Rechtsextremismus einzubeziehen. Es ist dem Buch zu wünschen, auch weit über die Grenzen von Academia zu gelangen. Insbesondere JournalistInnen und AktivistInnen, die sich mit den tagtäglichen Äußerungen und publizistischen Produkten rechtsextremer AkteurInnen beschäftigen, sei die Lektüre ans Herz gelegt.
FIPU (Hg.): Rechtsextremismus. Band 3: Geschlechterreflektierte Perspektiven. Edition kritik & utopie, Wien: Mandelbaum. 19.00 €, 342 Seiten, ISBN: 978385476–683‑4, Erschienen: April 2019
Fußnote
1 Dabei handelt es sich um jenen analytischen Rechtsextremismus-Begriff mit dem sowohl das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) als auch wir arbeiten.