Rechtspopulismus ist Gift!
Die türkische Autorin Ece Temelkuran wurde von der „Presse“ (15.4.2019) interviewt – in erster Linie natürlich zum Abbau der Demokratie in der Türkei, den sie mit dem erstarkenden Rechtspopulismus in Europa vergleicht:
„Meine Argumentation ist: Keine Demokratie ist immun gegen rechten Populismus. Genau das, was vor 15 Jahren in der Türkei passiert ist, passiert nun hier. Sobald rechter Populismus die politische Bühne betreten hat, vergiftet er den Diskurs. Es zieht den gesamten politischen Grundboden nach rechts, polarisiert und schafft Feindschaft. (…)
Rechtspopulismus kommt nicht über Nacht, er schleicht sich ein und kontaminiert. Sie sagen, Sie lebten hier nicht in einem autoritären Staat. Korrekt. Bei der Angelobung Jörg Haiders musste er noch beschützt werden, heute ist das nicht mehr so. Europa hat damals auf Haider streng reagiert, aber Europa selbst hat sich verändert. Rassistische, xenophobe Ideen gehören nun zum „freien Ideenmarkt“, und das ist gefährlich. Das sind keine Ideen, das ist Gift.“
Das vollständige Interview ist (gegen Bezahlung) hier nachlesbar.
Krankmachende Gifte und die extreme Rechte
Virginie Despentes, die französische Schriftstellerin („Das Leben des Vernon Subutex“) hat zwar bei der letzten Präsidentschaftswahl Emmanuel Macron gewählt, aber nur, um Marine Le Pen als Präsidentin zu verhindern. Die Wochenzeitung „Der Freitag“ veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 7.2.2019 ein Interview, in dem sie nicht nur mit Macron abrechnet („Kandidat der großen Patrons“), sondern auch mit den vielbeschworenen europäischen Werten aufräumt:
„Was die Werte angeht: Das ist schon verkackt. Die Flüchtlingskrise in Europa verbietet uns, von Humanismus zu sprechen. Und die Missachtung der Stimmen des griechischen Volkes verbietet uns, noch von Demokratie zu sprechen. Da darf man sich nichts vormachen: Diese Werte wurden bereits geopfert. Die Austeritätspolitik in allen Ländern Europas wiederum ist ein Vernichtungskrieg, der alle sozialen Errungenschaften, die durch die Kämpfe der Bevölkerung im 20. Jahrhundert erreicht wurden, zerstören soll. Man will die europäischen Bevölkerungen auf das Armuts- und Elendslevel des 18. Jahrhunderts zurückfahren.“
Gefragt, ob die Bewegung der Gelbwesten eine Chance darstellt, antwortet Despentes:
“Es ist kompliziert. Meine Generation erlebt erstmals, dass ein Teil der Linken an der Seite der extremen Rechten demonstriert. Endlich verschaffen sich die Landbevölkerung, das Prekariat und die geopferte Mittelschicht Gehör. Aber Sorge macht, dass die extreme Rechte seit 15 Jahren enge Bande zu Hochfinanz, Polizei und hohen Funktionären pflegt. Die Linke hat kein vergleichbares Netz, und die Rechte ist bereit, die Macht an sich zu reißen. Man erinnert sich, dass sich das französische Großbürgertum 1936 entschied, Hitler zu unterstützen; und es sieht aus, als würde es wieder so wählen. Die Börse kann sich mit repressiven Regimes der extremen Rechten arrangieren, während sie die Restriktionen, die ihr die Linke auferlegen würde, nicht erträgt. Die Gesellschaft kann nicht zugleich rassistischer, nationalistischer und gerechter werden. Es wird am Ende das eine oder das andere sein.“
Und schließlich kommt sie noch einmal auf das Thema Umwelt- und Klimakrise zu sprechen, allerdings mit einem problematischen Schlenker zu den humanistischen Werten:
„Die Böden quellen über von radioaktiven Abfällen, die wir nicht beseitigen können, aber wir nutzen weiter die Atomkraft. Unsere Nahrung ist voll krank machender Gifte, aber wir ändern die Rezepte nicht. Die humanistischen Werte sind gar nicht mehr das Wichtigste: Inzwischen geht es darum, das Überleben auf der Erde zu bewahren.“
Die Interviewerin fragt: Ist dies das Dringendste?
„Ja, der Umweltschutz. Notwendig ist eine Revolution wider den Neoliberalismus, und ich glaube nicht, dass meine Generation das packt. Es sind die Jugendlichen von heute, die Wähler von morgen, die vielleicht sagen werden: Wir wollen atmen und Wasser trinken können, ohne dadurch Krebs zu bekommen.“
Das vollständige Interview findet man hier.
Die Angst und der Hass
Im „Spiegel“ (Nr. 12 vom 16.3.2019) analysiert der Psychiater Andreas Heinz die Auswirkungen zunehmender Aggressionen und Ängste unter dem Titel “Im Moment sieht es düster aus“.
Spiegel: Kann man den Hass im Land wirklich mit der Zukunftsangst der Menschen rechtfertigen?
Heinz: Ich will hier niemanden verteidigen. Es ging ja darum, eine Erklärung zu finden. Durch die Verunsicherungen in der Gesellschaft werden die Diskussionen immer heftiger. Im Internet kann jeder jeden beleidigen. Dazu sind politische Parteien aufgestiegen, die bisherige Tabus sagbar gemacht haben. Inzwischen haben viele Menschen das Gefühl, sich nicht mal mehr hinter der Anonymität verstecken zu müssen. In den Diskursen, die heute in den sozialen Medien stattfinden, verstärken sich natürlich die Schreckensszenarien. Aber grundsätzlich ist das alles nichts Neues.
Spiegel: Was meinen Sie damit?
Heinz: Unsere Gesellschaft war schon einmal so verängstigt. Denken Sie an die Angst vor der Atomvernichtung im Kalten Krieg. Ich hatte Patienten, die fürchteten, man würde ihnen mit Strahlenpistolen in den Kopf schießen. Oder erinnern Sie sich an die frühen Neunzigerjahre, an die Stimmung in Rostock-Lichtenhagen. Dort hatte sich die Polizei zurückgezogen, es wurde möglich, dass ein Mob mit Molotowcocktails ein bewohntes Haus angriff. Und wie hat die Politik reagiert? Sie hat dieses Verhalten indirekt sogar unterstützt, sie hat den Asylparagrafen geändert und sonst fast nichts getan.
Spiegel: Der Sozialwissenschaftler Andreas Zick sieht in den Angriffen das Ergebnis einer fortschreitenden Individualisierung. Leben wir heute in einer Ego-Gesellschaft?
Heinz: Dass die Gesellschaft egoistischer wird, stimmt so, denke ich, nicht. Politisch motivierte oder rassistische Gewalt äußert sich häufig als Gemeinschaftsgefühl, das ist ja das Vertrackte daran. Wenn eine Gruppe weißer Jugendlicher einen Schwarzen angreift und tottritt, wie damals in Eberswalde, dann ist das absolut brutal, aber die Menschen, die sich darin bewegen, haben das Gefühl, sie tun das für ihre Gemeinschaft. Sie fühlen sich einer Solidargemeinschaft zugehörig, in der sie etwas füreinander tun und die ihren Selbstwert aufbessert.
Auch dieses Interview ist hier nur über eine Bezahlschranke abrufbar. (Es ist möglich, für ein Monat ein kostenloses Testabo abzuschließen.)