Wenigen ist aufgefallen, dass der Kanzler – eigentlich wenig elegant – nicht nur die „eigenartige Wortkreation“, sondern auch das Konzept dahinter versenkt hat: im „Standard“ dem Michael Simoner und im ORF dem Armin Wolf (ZiB 2 vom 20.9.2018)*. Da wies Kuckuck Kurz jede Verantwortung für die „Anlandeplattformen“ weit von sich, bezeichnete sie als „eigenartige Wortkreation“ (was sie ja tatsächlich auch ist), die er „für etwas skurril halte“(ZIB 2) und rätselte, „wem das Wort eigentlich eingefallen ist“ („Standard“). Ja, wem wohl?
Bis zum EU-Gipfel Ende Juni 2018 in Brüssel war das Wort „Anlandeplattform“ der deutschen Sprache noch völlig unbekannt. Dann versank der Brüsseler EU-Gipfel fast im Streit zwischen jenen Hardlinern, die weder Asyl noch Migration für Menschen aus Afrika möglich machen, und denen, die zumindest irgendwie an der Genfer Flüchtlingskonvention festhalten wollen. Und wie so oft bei EU-Gipfeln wurde dann in der Nacht des 28. Juni die Idee mit den „disembarkation platforms“ in der Abschlusserklärung verankert. Wörtlich übersetzt gibt das Ding nicht viel her: „Ausschiffungsplattformen“. Drum bemühten sich die versammelten Politiker, den nichtssagenden englischen Begriff umzumodeln. Nach der bräunlichen Spur, die Kickl mit seinen „konzentrierten Lagern“ gezogen hatte, war man um Abgrenzung bemüht. „Anhaltelager“ und „Internierungslager“ gehen nicht, fand EU-Kommissar Hahn (ZiB2, 13.7.18). Der deutsche EU-Kommissar Oettinger versuchte sich in schlimmstem Orwellschem Neusprech: „Unterbringungsstätten, die Menschenwürde beinhalten“ (sueddeutsche.de, 29.6.18). Kanzler Kurz war da flexibler: Egal, ob man das Ding „sichere Schutzzonen“(!), „Auffangzentren“ oder „Anlandeplattformen“ nenne, auf den Inhalt käme es an.
Was für ein Inhalt? Kurz ist schon in seiner Zeit als Außenminister der FPÖ hinterhergelaufen und hat mit ihr das „australische Modell“ des Abfangens von Flüchtlingen auf offener See und ihrer Deportation auf isolierte Inseln von Drittstaaten angepriesen. Dass das „australische Modell“ der Flüchtlingspolitik verlogen, zynisch, mit den Menschenrechten unverträglich und nebenbei auch noch sauteuer ist, wurde hinlänglich beschrieben und kommentiert.
In den Wochen nach dem Brüsseler Gipfel von Ende Juni ist Kurz nicht müde geworden, die Vorzüge von „Anlandeplattformen“ in den prächtigsten Farben darzustellen: Sie würden das Ende von Tod, Elend und Schlepperei im Mittelmeer bedeuten. Eine „starke Zusammenarbeit“ mit den nordafrikanischen Staaten sei dazu allerdings notwendig. Die stramme Diktatur in Ägypten? Kein Problem für Kurz. Der völlige Verfall jeder politischen und rechtlichen Ordnung in Libyen? Eine „vertiefte Kooperation“ mit der „von uns anerkannten Regierung“ sei durchaus möglich, so Kurz.
Beim informellen Salzburger Gipfel ist wohl auch Kurz klar geworden, dass nicht bloß das Wort, sondern auch das dahinter versteckte Internierungslagerkonzept so nicht durchsetzbar ist. Auch nicht in der Rambo-bzw. Rommel-Variante des Reinhard Bösch. Faktisch alle angefragten afrikanischen Staaten lehnen aus sehr unterschiedlichen Motiven Gefangenenlager für Flüchtlinge ab. Das Kuckucks-Konzept von Kanzler Kurz taugt nichts, ist nur gequirlte Luft, mit der Kurz in unterschiedlichen Duftnoten („australisches Modell“, „sichere Schutzzonen“, „Anlandeplattformen“) die ihm geneigte Öffentlichkeit unterhalten hat.
Prompt entsorgt Kurz die „eigenartige Wortkreation“ der „Anlandeplattformen“, findet sie „skurril“ und fragt laut, wem dieses Unwort wohl eingefallen sein könnte. Wir haben da eine Spur! Bis zum Brüsseler Gipfel, der in der Nacht zum 29. Juni die „disembarkation platforms“ gebar, wurde die skurrile Wortschöpfung „Anlandeplattformen“ im Deutschen faktisch von niemandem verwendet. Mit einer Ausnahme: Kanzler Kurz!
Die APA zitiert ihn in einer Aussendung am 28.6. – vor Beginn des Gipfels – so:
„Optimistisch hat sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor dem EU-Gipfel in Brüssel gezeigt: ‚Ich glaube, dass es heute möglich ist, eine Trendwende in der Flüchtlings- und Migrationspolitik einzuleiten’, sagte Kurz am Donnerstag vor dem Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel. Mit einer Einigung des Gipfels auf ‚Anlandeplattformen’ könne wahrscheinlich erstmals gelingen, ‚dass Menschen, die ihren Weg mit Schleppern nach Europa starten, nicht mehr in Europa aussteigen, sondern außerhalb von Europa.’“ (derstandard.at, 28.6.18).
Nach dem Brüsseler Gipfel war Kurz in seiner Begeisterung für die Anlandeplattformen gar nicht mehr zu bremsen:
„Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält Abkommen mit den nordafrikanischen Staaten für ‚Anlandeplattformen’ für Flüchtlinge für machbar.“(Neues Volksblatt, 2.7.18).
„Mit seiner Forderung einer Einrichtung sogenannter Anlandeplattformen außerhalb der EU, wo aufgegriffene Flüchtlinge untergebracht werden sollen, hat sich Kurz in Brüssel durchgesetzt.“ (Der Standard, 31.7.18).
Jetzt hat Kurz sein übelriechendes Kuckucksei entsorgt. Entwarnung ist aber nicht angebracht. Vermutlich brütet er schon an einer weiteren „eigenartigen Wortkreation“, mit der er die Debatte über Flüchtlinge wieder neu befeuern kann.
*) In einem Blogeintrag hat sich Armin Wolf nach der ZiB vom 20.9. 2 ebenfalls mit der Herkunft des Wortes „Anlandeplattformen“ beschäftigt und ist dabei über APA-Recherche zu dem gleichen Ergebnis gekommen wie wir: Kanzler Kurz war der Erste, der das Wort „Anlandungsplattformen“ in den Mund genommen hat. Wolf zitiert dazu auch noch Jean-Claude Juncker, der das ebenso vermutet hat: „Ich glaube, das wärst Du gewesen“. Kurz: „Nein, nein, nein, nein, nein!“. – Kuckuck!
