Es ist eine schier unglaubliche Geschichte über einen Neonazi, der zum bombenbastelnden Jihadisten wurde, die sich aber anhand seiner Facebook-Seite und der YouTube-Konten gut nachvollziehen lässt. Sascha L. war bis etwa 2015 noch ein radikaler Neonazi. „Etwa 2015“ verwenden wir deshalb, weil sich in diesem Jahr auf seiner Facebook-Timeline der fließende Übergang vom Neonazi zum Jihadisten abspielt. Der „Spiegel“ geht von einem früheren Zeitpunkt (2014) aus.
Vor etwa zweieinhalb Jahren – so die Medienberichte – soll der Neonazi von Berlin in das eher beschauliche Northeim, eine Stadt mittlerer Größe im südlichen Niedersachsen, gezogen sein. In Berlin hatte Sascha L. auffällig gelebt, als Neonazi, war auch wegen mehrerer Delikte vorbestraft. In seiner kleinen Wohnung in Northeim lebt er völlig unauffällig und zurückgezogen, bis ihn die Polizei am 22. Februar besucht und eine Bombenwerkstätte vorfindet: „Bei der Durchsuchung seiner Wohnung im niedersächsischen Northeim wurden Acetonperoxid, andere Chemikalien und elektronische Bauteile zur Herstellung eines Sprengsatzes gefunden“ (Spiegel Online). Eigentlich hätte die Hausdurchsuchung dem Verdacht auf den Besitz von Gewalt- und Tierpornos gelten sollen, aber mit dem, was sie bei ihrem Einsatz fanden, waren die Ermittler noch mehr zufrieden. In ersten Vernehmungen gestand Sascha L., dass er mit selbst gebauten Sprengsätzen einen Anschlag auf Soldaten und Polizisten plante und sie in eine (Spreng-)Falle locken wollte.
Nach seiner Übersiedlung nach Northeim outete ihn im Herbst 2014 eine Antifa-Gruppe, die ihn aus seiner Berliner Periode kennt. Dort war Sascha L. bei den „Unsterblichen“ aktiv, die durch ihre nächtlichen Aufmärsche mit weißen Masken und Fackeln den „Volkstod“ beklagten und damit Aufsehen erregen wollten. Die Antifa-Gruppe hat in ihrem Outing auch Fotos präsentiert, die Waffen zeigen. Ob sie Sascha L. zuzuordnen sind, bleibt unklar. Das Outing bleibt folgenlos, die Antifa-Gruppe ist nicht vor Ort aktiv, sondern – wie sie selber schreibt – Hunderte Kilometer entfernt.
Sascha L. radikalisiert sich in dieser Periode immer mehr, was aus seinen Facebook-Postings deutlich ablesbar ist. Übrigens, das ihm zugeschriebene FB-Profil, das nur Einträge für die letzten drei Tage vor seiner Verhaftung enthält, ist vermutlich nicht von ihm, obwohl das Konto seinen Namen trägt und die Medien so berichten, als ob es seines wäre.
Auf Facebook hat Sascha schon 2014 eine Seite eröffnet, auf der er sich Peter U. nennt und als Künstler bezeichnet. Dort posiert er mit der „Unsterblich“-Maske. Seine „Volks“-Ideologie und der Antisemitismus werden immer schriller. Seine virtuellen LeserInnen spricht er mit „liebe Volksgenossen“ an, 2015 dann mit „Volksbrüder und Schwestern“. Sascha produziert am laufenden Band Videos, die er auf YouTube stellt und dann mit Facebook verlinkt. Alle diese Videos sind mittlerweile nicht mehr abrufbar, vermutlich von ihm selbst gelöscht. In ihnen setzt er sich mit dem Nationalsozialismus, den Juden, aber auch mit PEGIDA auseinander. Im Dezember 2014 ist für ihn klar, dass „selbst in der Führung der „Pegida” der Feind schon seinen Platz gefunden hat“ (10.12.14). Ähnliches sagt er Monate später über die Identitären: „Die identitäre Bewegung ist ein systemgesteuertes Instrument“ (18.5.2015). Ein anderes Video (4.12.14) setzt sich mit dem islamfeindlichen Blogger Stürzenberger auseinander: auch er ist für Sascha ein „Feind“. Es ist schon klar, warum er diese Spielart des Rechtsextremismus ablehnt: weil sie gegen den Islam sind. Am 22.12.2014 schreibt er dazu den Kommentar:
„Wenn die Weltelite es schafft, Muslime und Europäer aufeinander zu hetzen, dann bringt das für niemanden eine Befreiung. Das wäre so als wenn Insassen eines Gefängnis sich gegenseitig bekämpfen, statt die Wärter anzugreifen“.
Aber noch ist er Nazi und Muslim und kein Jihadist. Zum Jahreswechsel gibt er folgende Parole an das deutsche Volk via Facebook bekannt:
„So ich wünsche dem deutschen Volk kein Glück für das neue Jahr, denn Glück brauchen nur die Schwachen und das deutsche Volk ist gewiss nicht schwach!…“ (1.1.15).
2015 setzt sich Sascha L alias Peter U. in zwei Dokumenten noch einmal als Neonazi in Szene. Am 22. Mai stellt er das bislang nur mit deutschen Untertiteln erhältliche Lügenepos über den Völkermord an den deutschen Nazis auf YouTube, schreibt sich in den Vorspann ein: „Übersetzt und wiedergegeben von Peter U.“ Das Nazi-Filmchen wird begeistert von den übelsten Nazi-Blogs geteilt. „Der Trutzgauer Bote“, „Der Honigmann sagt“, „wissenschaft3000“, „Deutsche Lobby“ alle Hardcore-Nazi-Blogs übernehmen die Version von und mit Peter U. alias Sascha L., bedanken sich artig bei ihm.
Am 22. August gelingt ihm noch ein Coup. Auf dem rechtsextremen Blog mit dem bezeichnenden Namen „Kopfschuss911“ veröffentlicht er den für ihn programmatischen Text: „Wer gegen den Islam hetzt, zischt mit der Zunge des Judentums“. In diesem Text argumentiert Sascha L. zwar noch mit Nazi-Vokabular, aber schon mehr als Muslim für die Muslime und den Islam. Damit das bei den auf bestimmte Reize konditionierten Rechtsextremen und Nazis verfängt, muss er häufig das deutsche Volk und den Antisemitismus bemühen:
„In jeder Islamhetze finden sich Spuren des Judentums…“
Oder:
„Das Kaiserreich wie auch das nationalsozialistische Deutschland waren große Freunde und Brüder des Islams. Heute sind es ungewöhnlicherweise genau die Patrioten und Nationalisten, die gegen den Islam agieren — unter Führung des nicht auf den ersten Blick sichtbaren Juden oder Zionisten“.
Der Kommentar auf „Kopfschuss911“ ist die letzte Aktivität von Sascha L., die ihn als Neonazis ausweist. Auf Facebook ist dieser Kommentar vom 19.8.15 der letzte: „Also die Idee der Einheit ohne dummen Ausländerhass und Religionshass find ich ne gute Idee“. Er verweist dabei noch auf die Seite einer „Deutschen Einheit“, die es mittlerweile auch nicht mehr gibt. Dort wurde nicht nur der Hass auf Muslime verdammt, sondern auch der auf Homosexuelle. Der Judenhass bleibt aber die Konstante, die ihn in die jihadistsche Periode begleitet. Jetzt muss sich Sascha L. zunächst einmal mit dem Vorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat auseinandersetzen.