ZARA dokumentiert für ganz Österreich 927 rassistische Vorfälle, TIGRA allein für Tirol 247. Die Erklärung für diese Zahlen ist einfach und gleichzeitig eine Bestätigung für die Arbeit beider Organisationen: Beide Zahlen dokumentieren nicht alle rassistischen Vorfälle im jeweiligen Bereich, sondern nur die jeweils von den beiden Beratungsstellen erfassten Vorfälle. Anders ausgedrückt: Wo Information und Beratung stattfindet, wird auch gemeldet.
Für TIGRA ist es der zweite Jahresbericht – der Trägerverein wurde 2013 gegründet, erhielt 2014 ein Büro in Innsbruck und veröffentlichte im Vorjahr seinen Bericht für das Jahr 2014. 94 Vorfälle waren es damals, 247 im Vorjahr. Der gewaltige Anstieg lässt sich vielleicht noch irgendwie damit kleiner reden, dass es eben auch einige Zeit dauert, bis Betroffene auf eine neue Beratungsstelle aufmerksam werden. Aber man ahnt es und spürt es wohl auch, dass der Rassismus im Jahr 2015 eine neue Qualität erreicht hat.
„Das Jahr, in dem Rassismus ganz normal wurde“, titelt der „Standard“ in der Print-Ausgabe vom 22.3. seinen Artikel über den Rassismus-Report von ZARA. Seit dem Jahr 2000 dokumentiert ZARA (steht für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit ) seine Arbeit in den jährlichen Reports. Die Jahresberichte werden immer besser, genauer, analytischer.
Ein Beispiel: die Tabelle, die den rapiden Anstieg bei rassistischen Vorfällen im Internet dokumentiert.
Aber auch bei den erfassten rassistischen Vorfällen insgesamt hat sich einiges getan: Etwas mehr als 300 waren es 2001, 2010 745, 2014 794 und 2015 schließlich 927. Die Zahlen zeigen nicht mehr als die Spitzen von Eisbergen – wer die exemplarischen Einzelfallberichte liest, ahnt, wie schrecklich diese rassistischen Übergriffe für Betroffene sind. Und wie unschätzbar wichtig es ist, dass es Einrichtungen wie ZARA und TIGRA gibt, die ihnen zuhören, für sie Partei nehmen.
Viele dieser Einzelfallberichte enden so:
Da die drei Angst haben, erstatten sie keine Anzeige. ZARA bietet Frau S. an, die drei Betroffenen nachträglich dabei zu unterstützen, doch noch Anzeige zu erstatten, sofern diese das möchten. Frau S. bedankt sich für die Beratung und informiert ZARA in der Folge, dass die betroffene Familie mit dem Fall abschließen und keine weiteren Schritte setzen möchte. (Einzelfall 8, S. 16)
Oder so:
ZARA bietet Herrn K. abschließend noch an, Anzeige gegen den Mann wegen rassistischer Beleidigung und gefährlicher Drohung zu erstatten, da diese Anzeigen offenbar nicht durch die Polizei erfolgt sind. Herr K. entscheidet sich aber dagegen, da er mit dem Vorfall abschließen möchte. (Einzelfall 9, S. 17)
Was ZARA beschreibt – Angst, Verletzung, fehlende Unterstützung durch andere (Zeugen, Exekutive, Vorgesetzte) – findet sich auch im Rassismus-Bericht von TIGRA: „Nachdem keine weitere sofortige aussichtsreiche Möglichkeit gefunden werden konnte, entschied sich der betroffene Mann dazu, seinen Arbeitsplatz zu verlassen“ (Einzelfall: Rassistische Beschimpfung/Beleidigung am Arbeitsplatz, S. 28)
Oder auch: „Der Fall wurde von TIGRA aufgenommen und dokumentiert. Die Betroffenen waren sehr verletzt und enttäuscht, wollten den Vorfall aber nicht weiterverfolgen.“ (Einzelfall: Herabwürdigende Behandlung eines Kindes, S. 35)
Der Terminus „Einzelfall” täuscht bei den Reaktionen der Betroffenen darüber hinweg, dass ihre sehr verständliche Reaktion, den jeweiligen Vorfall nicht weiter zu verfolgen, abschließen zu wollen, eine sehr typische und keineswegs einzelfallhafte ist.