Skurrile Weltbilder: Die Juden und die U‑Bahn

Lesezeit: 4 Minuten

„Will ja nie­man­dem etwas unter­stel­len.…“, meint Stan­dard-Forum-User „der unver­bes­ser­wis­ser­li­che“, und setzt an zur Dar­le­gung einer der skur­rils­ten und absur­des­ten anti­se­mi­ti­schen Kon­struk­tio­nen, die uns in den letz­ten Jah­ren unter­ge­kom­men ist.

Ver­schwö­rungs­theo­rien haben durch­aus unter­halt­sa­me Aspek­te: Die Suche nach den Anfangs­punk­ten der auto­re­fle­xi­ven Argu­men­ta­ti­on hat etwas von einer Schnit­zel­jagd, und vie­le Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter sind der­ar­tig skur­ril, dass es schwer­fällt, sie ernst zu neh­men. Den­noch kön­nen sie für die zu Ver­schwö­rern ima­gi­nier­ten Grup­pen bis­wei­len kata­stro­pha­le Fol­gen haben. Zurück zum Stan­dard-Pos­ter „der unver­bes­ser­wis­ser­li­che“. Der Online-Stan­dard berich­te­te am 30.1.2014, die U‑Bahnline U2 sol­le zukünf­tig zwi­schen 19 Uhr und 6 Uhr 30 mit ver­min­der­ter Geschwin­dig­keit die Stre­cke zwi­schen den Sta­tio­nen Schot­ten­ring und Tabor­stra­ße durch­fah­ren, „weil sich der Lärm in die­sem Stre­cken­seg­ment stär­ker auf das dicht besie­del­te Gebiet an der Ober­flä­che aus­brei­tet als bei der Pla­nung berech­net“. Und wei­ter: „Von den Zügen ver­ur­sach­te Schwin­gungs­wel­len wür­den zu Schall­schutz­pro­ble­men … füh­ren. Um die Anrai­ner zumin­dest abends und nachts vor dem erhöh­ten Lärm­pe­gel zu schüt­zen, wur­de … eine Lang­sam­fahr­stel­le ein­ge­rich­tet (…).“ Die „Wie­ner Lini­en (sei­en) kürz­lich von meh­re­ren Anrai­nern auf die gestie­ge­ne Geräusch­ku­lis­se auf­merk­sam gemacht.“ Exper­tIn­nen wür­den nun Mes­sun­gen vornehmen.

Wie mag das zur Begrün­dung anti­se­mi­ti­scher Pos­tings gerei­chen, mögen sich geneig­te Lese­rIn­nen nun­mehr fra­gen. Stan­dard-Pos­ter „der unver­bes­ser­wis­ser­li­che“ weiß es: „Will ja nie­man­dem etwas unter­stel­len.…“ schreibt er qua­si selbst­ent­lar­vend. „… aber zwi­schen Schot­ten­ring und Tabor­stra­ße woh­nen nicht weni­ge Men­schen jener Her­kunft, die es auch geschafft haben, zwi­schen den Sta­tio­nen Sta­di­on und Donau­ma­ri­na einen Sicht­schutz instal­lie­ren zu las­sen, wie­wohl ein sol­cher zwi­schen den Sta­tio­nen Stad­lau und Hard­eg­gas­se, sowie an ande­ren Stel­len der Tras­se min­des­tens eben­so argu­men­tier­bar wäre. Das ist eine Par­al­le­le, dir (sic!) zumin­dest mir auf­fällt.

Wer den Zusam­men­hang nicht kennt: Zwi­schen den Sta­tio­nen Sta­di­on und Donau­ma­ri­na befin­den sich neben einem Ein­kaufs­zen­trum, zwei Park­ga­ra­gen, sehr vie­len Sport­plät­zen und der ÖGB-Zen­tra­le unter ande­rem auch eine von der Kul­tus­ge­mein­de (IKG) betrie­be­ne Sport­stät­te, ein Senio­rIn­nen­heim und eine Schu­le. Die Bau­flä­che wur­de der IKG als Ent­schä­di­gung für 1938 geraub­te jüdi­sche Sport­plät­ze zur Ver­fü­gung gestellt. Und tat­säch­lich hat der zwei­te Bezirk mit knapp 3000 Men­schen den öster­reich­weit höchs­ten Anteil von Bewoh­ne­rIn­nen jüdi­schen Glau­bens: er beträgt hei­ße 3% der Bevölkerung.

Stan­dard-Pos­ter „der unver­bes­ser­wis­ser­li­che“ will in sei­nem Pos­ting also einen Zusam­men­hang von Tem­po­re­duk­ti­on der U‑Bahn, Sicht­schutz­an­la­ge und Men­schen jüdi­schen Glau­bens herstellen…

Im Ver­gleich zum Pos­ting im Stan­dard-Online ist die Ver­knüp­fung der Geburts­spit­ze im Mai mit der Ankunft der Stör­che aus ihrem Win­ter­rück­zugs­ge­biet gera­de­zu seri­ös. Beson­ders erstaun­lich ist aber der impli­zi­te (aber offen­kun­dig nicht sub­stan­ti­ier­te und auch nicht sub­stan­ti­ier­ba­re) Vor­wurf, dass JüdIn­nen… ja, was denn? … dass JüdIn­nen sich über von der U‑Bahn ver­ur­sach­ten Lärm und Schwin­gun­gen beschweren…?

Selbst wenn die Anrai­ne­rIn­nen, die sich bei den Wie­ner Lini­en über Lärm und Schwin­gun­gen beschwert haben, jüdi­schen Glau­bens wären (was rein sta­tis­tisch eher unwahr­schein­lich ist ange­sichts ihrer gerin­gen Anzahl von 3%), so hät­ten die­se doch nur das getan, was ihnen von Rechts­we­gen wie jedem ande­ren Men­schen in die­sem Land zusteht: sich haben sich über einen Miss­stand beschwert.

Völ­lig ohne Zusam­men­hang mit dem Bericht kon­stru­iert der Pos­ter ein anti­se­mi­ti­sches Zerr­bild, das ein­zig zum Inhalt hat, dass Men­schen ein Recht nut­zen, das ihnen – wie allen ande­ren — zusteht. Mit dem unsin­ni­gen Zerr­bild darf nun wei­ter­de­li­riert wer­den: Haben JüdIn­nen etwas gegen U‑Bahnen? Haben sich JüdIn­nen gegen die U‑Bahn ver­schwö­ren, weil sie Öster­rei­che­rIn­nen am schnel­len Fort­kom­men mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln hin­dern wol­len? Oder bil­den JüdIn­nen eine beson­ders effek­ti­ve Lob­by zur Durch­set­zung ihrer Rechte?

Womit wir wie­der bei der Gefähr­lich­keit von Ver­schwö­rungs­theo­rien wären: Sie kön­nen noch so absurd sein, aber sie die­nen stets Lese­rIn­nen als Pro­jek­ti­ons­flä­chen für nega­ti­ve Eigen­schaf­ten – und sei­en die noch so aus den Fin­gern gezogen.

Wenn „der unver­bes­ser­wis­ser­li­che“ zufäl­lig zwi­schen Stad­lau und der Sta­ti­on Hard­eg­gas­se wohnt und einen Sicht­schutz will, so soll er sich dafür ein­set­zen. Es ste­hen aus­rei­chen­de recht­li­che und poli­ti­sche Mit­tel zur Ver­fü­gung, dies zu the­ma­ti­sie­ren und durch­zu­set­zen. Besag­tem Pos­ter scheint es aber wich­ti­ger zu sein, sein ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sches Welt­bild aus­zu­bau­en und Schul­di­ge zu fin­den: Dass er kei­nen Sicht­schutz hat, ist nicht etwa sei­ner eige­nen Inak­ti­vi­tät geschul­det, son­dern einer jüdi­schen Ver­schwö­rung… gegen wasauch­im­mer. Zu die­sem Zweck kann dann auch noch mit dem Wort „Her­kunft“ ein Anknüp­fungs­punkt für ande­re ras­sis­ti­sche Dis­kur­se geschaf­fen wer­den. Wobei doch völ­lig klar ist, wo die Her­kunft jüdi­scher Men­schen in Öster­reich gele­gen ist: Ganz offen­sicht­lich in Öster­reich… … aber das passt wohl nicht ins ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sche Welt­bild des unver­bes­ser­wis­ser­li­chen Standardposters…