Mythos Dresden I

Lesezeit: 4 Minuten

Am 13. Febru­ar fin­det in Dres­den wie schon seit Jah­ren eine der größ­ten Zusam­men­rot­tun­gen von Alt- und Neo­na­zis in Euro­pa statt. Die Nazis ver­su­chen damit, sich der Erin­ne­rung an den alli­ier­ten Luft­an­griff auf Dres­den zu bemäch­ti­gen. Öster­rei­chi­sche Nazis haben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren immer wie­der ver­sucht, den Bom­ben­an­griff auf Dres­den, die weit­ge­hen­de Zer­stö­rung der Stadt, für ihre Zwe­cke zu instrumentalisieren.
Jahr für Jahr pil­gern öster­rei­chi­sche Alt- und Neo­na­zis auch zur Demons­tra­ti­on nach Dres­den. Der fol­gen­de Bei­trag ana­ly­siert die Gedenk­kul­tur aus Dresd­ner Perspektive.

Dresden: Mythos und Etablierung eines Nationalen Gedenktages

An die­sem Sonn­tag, 13. Febru­ar 2011, wer­den in Dres­den alle Glo­cken geläu­tet. Seit 1946 bege­hen die Offi­zi­el­len der Stadt den Tag des „Unter­gangs“ der Stadt Dres­den infol­ge alli­ier­ter Luft­an­grif­fe am 13. und 14. Febru­ar 1945.

Wenig hat sich seit­dem die Dresd­ner Stadt­ge­sell­schaft dafür inter­es­siert, dass sie mit die­ser offi­zi­el­len Gedenk­fei­er Mythen bedien­te und ent­wi­ckel­te, die in beson­de­rer Wei­se Ent­schul­dungs­an­ge­bo­te und Schuld­ab­wehr bedie­nen. Die Dresd­ner Stadt­ge­sell­schaft konn­te durch die sich als anti­fa­schis­tisch ver­ste­hen­de DDR ihre ver­bre­che­ri­sche natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Geschich­te verdrängen.
In unmit­tel­ba­rer Nach­fol­ge der eigens von Josef Goeb­bels ent­wor­fe­nen Rela­ti­vie­rung und Gleich­set­zung des alli­ier­ten Luft­krie­ges gegen Hit­ler­deutsch­land mit der Scho­ah ver­fes­tig­ten sich Mythen wie der einer unschul­di­gen Kunst- und Kul­tur­stadt, der von einem nicht mehr kriegs­wich­ti­gen Ter­ror­an­griff bis hin zur Über­nah­me ein­zel­ner Nazi­for­mu­lie­run­gen, etwa der von den ame­ri­ka­ni­schen Luftgangstern.

Bis heu­te wer­den Dis­kur­se in der Stadt geführt, die an die­sen Pro­pa­gan­da­lü­gen der Nazis und spä­ter der kal­ten Krie­ger anknüp­fen. Argu­men­ta­tiv ver­stärkt wer­den die­se Mythen durch Aus­sa­gen von Auto­ri­tä­ten, die mit der zer­stör­ten Stadt Dres­den sprach­li­che Bil­der schaf­fen, die eben­falls Ent­schul­dungs­in­itia­ti­ven und Rela­ti­vie­rungs­an­ge­bo­te im Ver­gleich Scho­ah zu Ver­bre­chen der deut­schen Gesell­schaft in ihrer NS Geschich­te machen.

Auch nach der fried­li­chen Revo­lu­ti­on kommt es zu kei­ner kri­ti­schen Refle­xi­on, die von einer brei­ten neu­en ver­ant­wort­li­chen Poli­tik der Stadt­ge­sell­schaft ent­wi­ckelt wür­de. Wei­ter­hin hal­ten sowohl die Lan­des­spit­ze des neu­en Frei­staa­tes Sach­sen als auch die Dresd­ner Stadt­spit­ze und ihre Frak­tio­nen an der Fei­er­lich­keit des Geden­kens zum „Unter­gang“ der Stadt Dres­den durch die alli­ier­ten Luft­an­grif­fe fest. Es wird mit dem Ruf aus Dres­den zum Wie­der­auf­bau der Frau­en­kir­che sogar noch ein wei­te­rer Mythos in den ohne­hin schon vol­ler bizar­rer Ein­fäl­le nur so strot­zen­den Erin­ne­rungs­tep­pich eingewoben.

1991, die Stadt Dres­den war bereits zur „Stadt der Bewe­gung“ von einem der damals aktivs­ten Neo­na­zis um Micha­el Küh­nen, einem gewis­sen Rei­ner Sonn­tag aus­ge­ru­fen wor­den, wird unver­hofft das ein­zig­ar­ti­ge Mobi­li­sie­rungs­po­ten­ti­al der Nazi­sze­ne in den „neu­en“ Bun­des­län­dern deutlich.

Jener Rei­ner Sonn­tag einst ein Spit­zel der poli­ti­schen Poli­zei in der DDR und Ende der acht­zi­ger Jah­re nach West­deutsch­land aus­ge­wie­sen, wird in einer Aus­ein­an­der­set­zung der Rot­licht­sze­ne, in der er sich in Frank­furt am Main aus­pro­biert hat­te, 1991 erschossen.
Sei­ne Kame­ra­den spre­chen, da sie ihn nur als Neo­na­zi ken­nen vom „Blut­zeu­gen der Bewe­gung“. Sei­ne Beer­di­gung wird zur ers­ten gro­ßen Nazi­de­mo in Ost­deutsch­land und wird weit vor den Pro­tes­ten der Bür­gern und Neo­na­zi­sze­ne gegen die Aus­stel­lung Ver­bre­chen der Wehr­macht erst­mals 2000 Teil­neh­mer haben und somit zur größ­ten Nazi­de­mo nach dem Ende des zwei­ten Welt­krie­ges. Selbst der VAPO Füh­rer Gott­fried Küs­sel wird Gast sein und das trotz Ein­rei­se­ver­bots für ihn nach Deutschland.

1998 wird die rech­te Sze­ne, nun­mehr ver­jüngt und nach den zahl­rei­chen Ver­bo­ten Mit­te der neun­zi­ger Jah­re gegen ihre Orga­ni­sa­tio­nen wie­der den Blick nach Dres­den richten.
Die 1998 mit etwas mehr als 30 Teil­neh­mern statt­fin­den­de Demons­tra­ti­on ist der damals sicher beschei­de­ne, aber doch erkenn­ba­re Ver­such, das in Dres­den nun­mehr seit über 50 Jah­ren statt­ge­fun­de­ne offi­zi­el­le Geden­ken an den alli­ier­ten Luft­an­griff zu besetzen.

Bereits in den sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­ren gibt es immer wie­der For­de­run­gen, auch von den soge­nann­ten Ver­trie­be­nen­ver­bän­den, einen natio­na­len Gedenk­tag und Ort zu schaf­fen, der an die deut­schen Opfer des zwei­ten Welt­krie­ges erin­nert und von offi­zi­el­ler Sei­te, also mit Pro­to­kol­leh­ren und offi­zi­el­len Reden, mit mili­tä­ri­schen Ehren und so wei­ter durch­ge­führt wer­den kann.
Nach eini­gem Augen wischen ist es eben die­ser 13. Febru­ar in Dres­den, der alle Erwar­tun­gen der Ewig­gest­ri­gen erfüllt. In Dres­den sind zwei Pro­to­koll­äm­ter für die offi­zi­el­le Gedenk­ver­an­stal­tung ver­ant­wort­lich. Es wer­den Reden gehal­ten, es gibt einen zen­tra­len Erin­ne­rungs­ort und es gibt eine Stadt­ge­sell­schaft, die sich als Opfer des von den Alli­ier­ten geführ­ten Befrei­ungs­krie­ges fühlt und das in meh­re­ren Jah­ren mythisch ver­klärt und ritua­li­siert hat.
So gelingt es der rech­ten Sze­ne, begin­nend mit 1999, wo es immer­hin schon eini­ge hun­dert Teil­neh­mer am soge­nann­ten Trau­er­marsch der Jun­gen Lands­mann­schaft Ost­preu­ßen gibt, sich bis 2005 auf mehr als 5000 Teil­neh­mer in der Mobi­li­sie­rung und von da an dau­er­haft bei die­ser Teil­neh­mer­zahl ver­blei­bend zu steigern.

Dani­lo Starosta
AG Mythos Dres­den, eine Initia­ti­ve infol­ge Geh Den­kens 2009

➡️ Mythos Dres­den (II): Eta­blie­rung eines Natio­na­len Gedenktages