Aufgelesen (III)

Bevor wir wie­der unse­ren nor­ma­len redak­tio­nel­len Betrieb auf­neh­men, machen wir noch eine Run­de und sacken eini­ge sehr prä­gnan­te Wort­spen­den für ein letz­tes „Auf­ge­le­sen“ ein. Zu Wort kom­men Mar­tin Pol­lack und Micha­el Köhl­mei­er. Wider­stand ist ange­sagt Mar­tin Pol­lack, der viel­sei­ti­ge Autor, Jour­na­list und Über­set­zer, ist heu­er völ­lig ver­dient gleich mit zwei Prei­sen für sei­ne Arbeit ausgezeichnet […]

4. Jan 2019

Wider­stand ist angesagt

Mar­tin Pol­lack, der viel­sei­ti­ge Autor, Jour­na­list und Über­set­zer, ist heu­er völ­lig ver­dient gleich mit zwei Prei­sen für sei­ne Arbeit aus­ge­zeich­net wor­den: dem Johann-Hein­rich-Merck-Preis, der von der Deut­schen Aka­de­mie für Spra­che und Dich­tung ver­ge­ben wird, und mit dem öster­rei­chi­schen Staats­preis für Kul­tur­pu­bli­zis­tik. Bei den Dan­kes­re­den, die Aus­ge­zeich­ne­te bei sol­chen Anläs­sen hal­ten dür­fen, hat Pol­lack deut­li­che Wor­te gesprochen.

„In Sowjet­zei­ten war die Mos­kau­er Pro­pa­gan­da leicht zu durch­schau­en, sie kam plump und durch­sich­tig daher. Die neue Pro­pa­gan­da schleicht auf lei­sen Soh­len, oft gut getarnt. Sie wird ver­brei­tet von zahl­lo­sen Trol­len, die auf Befehl Fake-Pro­fi­le erstel­len und Fake-News ver­brei­ten, um Ängs­te und Unsi­cher­hei­ten zu schü­ren. Dane­ben exis­tiert aller­dings auch noch die alte Pro­pa­gan­da, die plum­pe Lüge, die sich allein auf die Auto­ri­tät des Red­ners stützt, dem kei­ner zu wider­spre­chen wagt. Jeder weiß, dass er lügt, und er weiß, dass alle wis­sen, dass er lügt, und trotz­dem lügt er der Öffent­lich­keit ins Gesicht, ohne mit der Wim­per zu zucken. Jarosław Kac­zyń­ski, Chef der rechts­po­pu­lis­ti­schen pol­ni­schen Regie­rungs­par­tei PiS, Recht und Gerech­tig­keit, sag­te vor eini­ger Zeit in einer öffent­li­chen Rede, im libe­ra­len Wes­ten wür­de jeder­mann, der behaup­te, aus einer homo­se­xu­el­len Ehe könn­ten kei­ne Kin­der her­vor­ge­hen, unver­züg­lich ins Gefäng­nis gewor­fen. Bewei­se dafür führ­te er kei­ne an. Kac­zyń­ski nimmt als Herr­scher für sich in Anspruch, die Fak­ten belie­big mani­pu­lie­ren zu kön­nen. Er allein bestimmt, was wahr ist. Dafür gibt es in Polen einen Satz, der schon die Kom­mu­nis­ten und ihren Umgang mit der Wahr­heit cha­rak­te­ri­sier­te: Fak­ty są inne? Tym gor­zej dla fak­tów. Die Fak­ten sind anders? Umso schlim­mer für die Fak­ten. Alle Regime, von denen hier die Rede ist, regie­ren mit Angst, sie schü­ren Ängs­te, Zwei­fel und Unsi­cher­hei­ten. Ängs­te vor Flücht­lin­gen und Homo­se­xu­el­len, vor Femi­nis­tin­nen und kri­ti­schen Intel­lek­tu­el­len, vor unab­hän­gi­gen Jour­na­lis­ten und Ver­tre­tern von NGOs, und gene­rell vor dem Ande­ren, dem Frem­den, der anders aus­sieht und, Gott möge abhü­ten!, viel­leicht auch noch anders betet. (…)

Was tun? Was kön­nen, was müs­sen wir tun, um dem rech­ten Back­lash, der Aus­brei­tung von Natio­na­lis­mus und Frem­den­hass, Het­ze gegen Flücht­lin­ge und Anders­den­ken­de Ein­halt zu gebie­ten? Es gibt kei­ne ein­fa­che Ant­wort. Doch wir haben ein paar Richt­li­ni­en, an die wir uns hal­ten kön­nen, auch wenn sie alt sind und naiv klin­gen mögen. Das soll­te nicht gegen sie spre­chen. In ers­ter Linie heißt es, nicht zu resi­gnie­ren. Nicht den Kopf hän­gen zu las­sen. Wir dür­fen nicht weg­schau­en, im Gegen­teil, wir müs­sen genau hin­schau­en und die Ent­wick­lung scharf im Auge behal­ten. Wir müs­sen uns infor­mie­ren und danach trach­ten, auch ande­re zu infor­mie­ren. Auf wel­che Wei­se auch immer. Wir dür­fen nicht so tun, als wäre alles in Ord­nung. Das ist es nicht! Die Situa­ti­on ist gefähr­lich, brand­ge­fähr­lich sogar. Das dür­fen wir nie ver­ges­sen, sonst wer­den wir über­rollt und an die Wand gedrückt. Wir müs­sen Wider­stand leis­ten, auf allen Ebe­nen und mit allen Mit­teln, wir müs­sen schrei­ben und dis­ku­tie­ren, strei­ten und ver­su­chen, zu über­zeu­gen, wir müs­sen uns zusam­men­schlie­ßen und neue Stra­te­gien aus­ar­bei­ten. Und wir dür­fen uns auf kei­nen Fall ein­schüch­tern und dazu ver­lei­ten las­sen, Selbst­zen­sur zu üben. Selbst­zen­sur ist das schlimms­te Gift, das die Gesell­schaft von innen her­aus ero­diert.

zur voll­stän­di­gen Rede von Mar­tin Pol­lack zur Ver­lei­hung des Johann-Hein­rich-Merck-Prei­ses Ein kur­zer ORF-Bei­trag ist hier zu sehen.

Nur weni­ge Wochen spä­ter konn­te Pol­lack die nächs­te Dan­kes­re­de hal­ten – anläss­lich der Ver­lei­hung des Staats­prei­ses für Kul­tur­pu­bli­zis­tik. Der „Stan­dard“ hat sie in der Rubrik „Kom­men­tar der Ande­ren“ ver­öf­fent­licht. Hier eini­ge Auszüge:

Die Zeit der Scham

Ich schä­me mich, dass ein rei­ches Land wie Öster­reich laut Regie­rungs­be­schluss bei den Ärms­ten der Armen spa­ren möch­te, näm­lich im Rah­men der Inde­xie­rung der Fami­li­en­bei­hil­fe. Im Aus­land leben­de Kin­der von EU-Bür­gern, die hier arbei­ten, sol­len weni­ger Fami­li­en­bei­hil­fe als in Öster­reich leben­de Kin­der erhal­ten. Und ich schä­me mich dafür, dass die FPÖ die­sen erbärm­li­chen Plan noch mit ras­sis­ti­schen Kli­schees und beschä­men­den Sprü­chen wie „Unser Geld für unse­re Kin­der” unter­mau­ert. Da wer­den Neid, Zwie­tracht und Frem­den­feind­lich­keit geschürt, unge­ach­tet der Tat­sa­che, dass vie­le Opfer hier­zu­lan­de als Pfle­ge­kräf­te arbei­ten, ohne die unser Pfle­ge­sys­tem inner­halb weni­ger Tagen zusam­men­bre­chen würde. (…)

Ich schä­me mich, dass Ange­hö­ri­ge der FPÖ immer wie­der durch ihre Nähe zu NS-Gedan­ken­gut und rechts­extre­men Krei­sen auf­fal­len. Nach Deu­tung der FPÖ han­delt es sich um unbe­deu­ten­de Ein­zel­fäl­le, die aller­dings in ihrer Bal­lung ein beschä­men­des Gesamt­bild erge­ben. Da wim­melt es von Nazi-Pos­tings und ein­schlä­gi­gen Sprü­chen, von ras­sis­ti­schen und kaum ver­hüll­ten anti­se­mi­ti­schen oder anti­is­la­mi­schen Aus­fäl­len, nicht zu ver­ges­sen die zahl­rei­chen Auf­trit­te von FPÖ-Poli­ti­kern bei rechts­extre­men oder gar neo­na­zis­ti­schen Zusam­men­künf­ten, in Öster­reich wie im Aus­land, etwa bei der deut­schen AfD. 

Ich schä­me mich, dass mit Ein­tritt der FPÖ in die Regie­rung deutsch­na­tio­na­le Bur­schen­schaf­ter uner­war­tet an Ein­fluss gewan­nen und in wich­ti­ge poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Posi­tio­nen gehievt wur­den. Ich ken­ne die­ses Milieu seit mei­ner Kind­heit, ich bin in die­sen Krei­sen groß gewor­den und weiß, wie die­se Leu­te ticken. Wenn sie sich heu­te als lupen­rei­ne Demo­kra­ten gerie­ren, ist das völ­lig unglaub­wür­dig. Man braucht nur ein wenig am Lack zu krat­zen, und schon kommt der völ­ki­sche, demo­kra­tie­feind­li­che Geist zum Vorschein. (…)

Doch mit Scham allein ist es nicht getan. Wir dür­fen uns nicht damit abfin­den, dass unser Land wei­ter in die­se Rich­tung gedrängt wird.

Das Ritu­al der schein­ba­ren Distanzierung

Micha­el Köhl­mei­er, der im Mai 2018 in sei­ner Rede zum Gedenk­akt des Par­la­ments sehr kla­re Kri­tik an Schwarz­blau for­mu­lier­te, leg­te im Dezem­ber noch ein­mal nach. In Inter­views mit den „vol.at“ und dem „pro­fil“ bekräf­tig­te er nicht nur deren Inhalt – „Ich wür­de kei­nen Bei­strich ändern“ –, son­dern erwei­ter­te sie auch. Hier Aus­zü­ge aus dem Inter­view mit „pro­fil“ (Nr. 52 vom 21.12.2018) „Der Kanz­ler soll uns nicht für dumm verkaufen“:

pro­fil: Ein letz­tes Zitat aus Ihrer Rede im Mai: „Zum gro­ßen Bösen kamen die Men­schen nie mit einem gro­ßen Schritt, son­dern mit vie­len klei­nen, von denen jeder zu klein schien für eine gro­ße Empö­rung. Erst wird gesagt, dann wird getan.” Seit­dem kur­sier­te ein unsäg­li­ches FPÖ-Video, in dem Mus­li­me ver­ächt­lich gemacht wur­den, und Stra­che freu­te sich in einem Face­book-Ein­trag, dass auf einem Wie­ner Weih­nachts­markt statt Plas­tik­zel­ten, die im Vor­jahr einer „mus­li­mi­schen Zelt­stadt” gegli­chen hät­ten, wie­der Holz­hüt­ten zum Ein­satz kämen. Sind das jene klei­nen Schrit­te, von denen Sie sprachen?
Köhl­mei­er: Ja. Wegen Holz­hüt­ten auf einem Weih­nachts­markt aber die gro­ße Empö­rung füh­ren? Dann wird man zu Don Qui­jo­te und irgend­wann zu einer lächer­li­chen Figur. Wenn man aber nichts sagt, pflanzt sich das Ver­un­glimp­fen und Ver­leum­den immer wei­ter fort. Zehn klei­ne Schrit­te addiert sind ein gro­ßer. Auf die­sen Mecha­nis­mus kann sich Stra­che seit Jah­ren ver­las­sen: Man steckt in der Qui­jo­te-Fal­le. Das ist zugleich das Teuf­li­sche dar­an, weil man sich natür­lich jedes Mal hät­te mit Nach­druck empö­ren müs­sen — sei es über Holz­hüt­ten-Ein­trä­ge oder Vide­os, in denen Men­schen isla­mi­scher Her­kunft kol­lek­tiv her­ab­ge­wür­digt wer­den.

pro­fil: Vize­kanz­ler Stra­che hat­te mit dem Video „kei­ne Freu­de”. Reicht das nicht als Entschuldigung?
Köhl­mei­er: Man kennt das Wort­ar­se­nal: Offe­ne ras­sis­ti­sche Aus­rut­scher in Wahl­kämp­fen wer­den damit erklärt, dass man eben Ecken und Kan­ten zei­gen müs­se. In der Tages­po­li­tik wird ein ras­sis­ti­sches Video zu einem läss­li­chen Feh­ler dekla­riert und damit ent­schul­digt, dass eben der Nar­ren­saum der Par­tei hier am Werk gewe­sen sei. Das Ritu­al der schein­ba­ren Distan­zie­rung läuft ab und beginnt andern­tags von vor­ne.

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