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„ANSCHLÜSSE”. Ausstellung, Laufzeit bis 22. Oktober 2017

Eine Aus­stel­lung von Sarah Schlat­ter und Jakob Wein­gart­ner Lauf­zeit: 23. Sep­tem­ber bis 22. Okto­ber 2017 . Eröff­nung: Frei­tag, 22. Sep­tem­ber, 18 Uhr  https://galerie-hollenstein.lustenau.at/de/201703 Sarah Schlat­ter (geb. 1982 in Feld­kirch) lebt als Künst­le­rin in Ber­lin und Vor­arl­berg. Sie kon­zi­piert und erar­bei­tet Aus­stel­lun­gen, öffent­li­che Inter­ven­tio­nen und Kunst­wer­ke. Mit unter­schied­li­chen Medi­en kom­men­tiert sie Spu­ren, die an Orten und in […]

26. Sep 2017

Sarah Schlat­ter (geb. 1982 in Feld­kirch) lebt als Künst­le­rin in Ber­lin und Vor­arl­berg. Sie kon­zi­piert und erar­bei­tet Aus­stel­lun­gen, öffent­li­che Inter­ven­tio­nen und Kunst­wer­ke. Mit unter­schied­li­chen Medi­en kom­men­tiert sie Spu­ren, die an Orten und in Archi­ven hin­ter­las­sen wer­den, um sie in aktu­el­le Dis­kur­se einzubringen.

Jakob Wein­gart­ner (geb. 1979 in Feld­kirch) lebt als Autor und Regis­seur in Ber­lin. Er gestal­tet Doku­men­tar­fil­me, Hör­spie­le und Radio­fea­tures, erzählt Geschich­ten von sozia­len Rea­li­tä­ten, ihrer his­to­ri­schen Sedi­men­tie­rung und dem mensch­li­chen Wil­len, sie zu überwinden.

Sie ver­bin­det der prä­zi­se, zeit­ge­schicht­lich und poli­tisch infor­mier­te Blick auf sozia­le Phä­no­me­ne. Die­ser rich­tet sich für das Lust­en­au­er Pro­jekt auf zwei, durch ein Jahr­hun­dert von­ein­an­der getrenn­te Biografien:

Der ers­te Teil der Aus­stel­lung fokus­siert auf die Male­rin Ste­pha­nie Hol­len­stein (1886 in Lust­en­au bis 1944 in Wien), deren Bio­gra­fie eng mit der Geschich­te des Lust­en­au­er Aus­stel­lungs­raums ver­knüpft ist und deren künst­le­ri­scher Nach­lass auch hier ver­wahrt wird. Dabei inter­es­sie­ren Schlat­ter und Wein­gart­ner vor allem die wider­sprüch­li­chen Momen­te die­ser his­to­ri­schen Per­sön­lich­keit, die sie ent­lang einer schar­fen Trenn­li­nie zwi­schen ihrer öffent­li­chen und pri­va­ten Sei­te verorten:

„Das Pri­va­te ist immer auch poli­tisch – so lau­tet ein zen­tra­les Axi­om der femi­nis­ti­schen Bewe­gung. Auf­fal­lend ist aller­dings am Umgang mit Ste­pha­nie Hol­len­stein, dass sie bis­her zwar ger­ne als star­ke Frau­en­fi­gur insze­niert, ihr Werk jedoch von ihrer Per­son getrennt wur­de. Die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Agi­ta­ti­on und die Homo­se­xua­li­tät wur­den als Pri­vat­sa­che in den Schat­ten gescho­ben und eine äußerst wider­sprüch­li­che Per­sön­lich­keit der loka­len Zeit­ge­schich­te auf die­se Wei­se nor­miert.“ (Schlatter/Weingartner)

Aus­gangs­punkt für die Aus­ein­an­der­set­zung waren aus­führ­li­che und lang­wie­ri­ge Recher­chen in Tage- und Skiz­zen­bü­chern, Doku­men­ten und Brie­fen Hol­len­steins. Ins Zen­trum des ers­ten Aus­stel­lungs­raums set­zen Schlat­ter und Wein­gart­ner eine Black Box, einen tem­po­rä­ren Kino­saal, in dem drei kur­ze Stumm­fil­me abge­spielt wer­den. Nach der Her­kunft die­ser Fil­me gefragt, schil­dern die Künstler:

„Als wir uns die per­sön­li­chen Bücher Hol­len­steins durch­sa­hen, stan­den plötz­lich die­se Film­rol­len zwi­schen den Buch­rü­cken. Sie müs­sen bei der Archi­vie­rung durch­ge­rutscht sein. Als wir den Film­strei­fen dann zum ers­ten Mal gegen das Licht hiel­ten, waren wir fas­sungs­los: Hol­len­stein woll­te 1938 anschei­nend tat­säch­lich einen Film dre­hen, um Pro­pa­gan­da für den Anschluss an Hit­ler­deutsch­land machen! Die­ses sen­sa­tio­nel­le Mate­ri­al zeigt sie von einer unbe­kann­ten, per­sön­li­chen Sei­te. Schnell war uns klar, dass wir es als Aus­gangs­punkt in der Aus­stel­lung plat­zie­ren und den Besu­che­rIn­nen ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten anbie­ten wür­den. His­to­ri­sche Per­sön­lich­kei­ten wie Hol­len­stein leben in unse­rer Inter­pre­ta­ti­on wei­ter – was belas­sen wir in der Ver­gan­gen­heit, was neh­men wir mit?“ (Schlatter/Weingartner)

Rund­her­um instal­lie­ren Schlat­ter und Wein­gart­ner Frag­men­te, Repro­duk­tio­nen und Ver­grö­ße­run­gen teil­wei­se über­ar­bei­te­ter Archiv­ma­te­ria­li­en und schla­gen damit unter­schied­li­che Inter­pre­ta­ti­ons­li­ni­en vor, anhand derer sich die kom­ple­xen und teils wider­strei­ten­den Cha­rak­ter­zü­ge Ste­pha­nie Hol­len­steins nach­voll­zie­hen lassen.

Wäh­rend der ers­te Teil der Aus­stel­lung eine Annä­he­rung an eine his­to­ri­sche Per­son sucht, beschäf­tigt sich der zwei­te Teil mit einem Ereig­nis, das sich in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit in die Geschich­te Vor­arl­bergs ein­ge­schrie­ben hat. Im Mai 2016 erschoss der damals 27-jäh­ri­ge Gre­gor S. nach einem Rock­kon­zert in Nen­zing zwei Men­schen und ver­letz­te zwölf wei­te­re, bevor er sich selbst rich­te­te. Die Hin­ter­grün­de für die­se Tat blie­ben teil­wei­se im Dun­keln: Weder die Her­kunft der Waf­fen konn­te geklärt wer­den, noch gibt es Einig­keit über Aus­lö­ser und Motiv. Wäh­rend zahl­rei­che Medi­en die Tat als Bezie­hungs­tat kol­por­tier­ten und so ins Pri­va­te scho­ben, beton­ten ande­re das Umfeld von Gre­gor S., der als mehr­fach vor­be­straf­ter Rechts­extre­mer amt­lich bekannt war und vor 2013 nach­weis­lich dem Vor­arl­ber­ger Able­ger des inter­na­tio­na­len Neo­na­zi-Netz­werks Blood & Honour ange­hör­te. Schlat­ter und Wein­gart­ner recher­chier­ten im pri­va­ten Umfeld von Gre­gor S., spra­chen mit Jour­na­lis­tIn­nen, mit Exper­tIn­nen und mit Ange­hö­ri­gen der Opfer. Ent­stan­den ist eine ein­drück­li­che audio­vi­su­el­le Instal­la­ti­on, die im gro­ßen Aus­stel­lungs­raum der Gale­rie gezeigt wird und sich respekt­voll, doch poin­tiert mit der pri­va­ten Trau­er der Opfer, dem öffent­li­chen Trau­ma und den Gren­zen ideo­lo­gi­scher Erklä­rungs­mus­ter für Rechts­extre­mis­mus auseinandersetzt:

„Vor­der­grün­dig gibt es kei­ne Berüh­rungs­punk­te zwi­schen die­sen bei­den Per­so­nen: Hol­len­stein wur­de 1886 gebo­ren, Gre­gor S. ein Jahr­hun­dert spä­ter. Wir kom­pi­lie­ren jedoch eine audio­vi­su­el­le Col­la­ge mit Zita­ten aus dem pri­va­ten Archiv Hol­len­steins und Zita­ten aus öffent­lich zugäng­li­chen Face­book­sei­ten, die Gre­gor S. gefie­len. Die­se ver­stö­ren­de Gegen­über­stel­lung lässt Kon­ti­nui­tä­ten und Kon­tras­te sprach­li­cher und ideo­lo­gi­scher Natur her­vor­tre­ten. Außer­dem haben wir mit den Ange­hö­ri­gen eines Opfers von Nen­zing eine Sequenz erar­bei­tet, wel­che ihren Schmerz und ihre berüh­ren­de Trau­er­ar­beit doku­men­tiert.“ (Schlatter/Weingartner)

Emo­tio­nal berüh­rend und viel­schich­tig unter­sucht die Aus­stel­lung Wir­kung und Kon­ti­nui­tä­ten von Spra­che und Bil­dern poli­ti­scher Pro­pa­gan­da: „Wir machen Kunst, kei­ne zeit­ge­schicht­li­che Auf­ar­bei­tung. Wäh­rend Zeit­ge­schich­te Objek­ti­vi­tät anstre­ben muss, soll­te Kunst mit Hal­tung immer wie­der bereit sein, das Schach­brett der sozia­len Reprä­sen­ta­ti­on vom Tisch zu fegen.“ (Schlatter/Weingartner)
Rah­men­pro­gramm und Vermittlung

Frei­tag, 22. Sep­tem­ber, 18 Uhr
Eröffnung
Begrü­ßung durch Bür­ger­meis­ter Kurt Fischer
Zur Aus­stel­lung spricht Peter Niedermair
Prä­sen­ta­ti­on des 16-mm-Film­ma­te­ri­als durch Schlat­ter und Weingartner

Sonn­tag, 24. Sep­tem­ber, 11 Uhr
Der Amok­lauf von Nen­zing im Kontext
Dis­kus­si­on mit Uta Bach­mann (Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung), Arno Dal­pra (Täter­be­ra­tung ifS) und Tho­mas Ram­mer­stor­fer (Jour­na­list und Extremismusexperte)
Geän­der­te Mode­ra­ti­on: Peter Niedermair

Sams­tag, 7. Okto­ber, 18 bis 1 Uhr
Lan­ge Nacht der Museen
Paul Win­ter (live)
Sze­ni­sche Inter­pre­ta­ti­on des 16-mm-Stummfilm-Materials
Kurz­füh­run­gen durch die Aus­stel­lung mit Sarah Schlat­ter und Jakob Weingartner

Sonn­tag, 22. Okto­ber, 18 Uhr
Finis­sa­ge mit Ausstellungsgespräch
Offe­ne Dikus­si­ons­run­de am letz­ten Aus­stel­lungs­tag mit Künst­le­rIn­nen und Publikum

Die Aus­stel­lung wur­de ermög­licht durch die freund­li­che Unter­stüt­zung von
LAND VORARLBERG
ATELIER FÜR AUßER­GE­WÖHN­LI­CHE ANGELEGENHEITEN

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