Verschwörungstheoretische und antisemitische Hassmails

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Hass­mails machen wie­der die Run­de: Der Anlass ist an sich belie­big. Die­ses Mal ist er die Debat­te um den Euro­päi­schen Sta­bi­li­täts­me­cha­nis­mus (ESM).

Mit „99 Jah­re“ über­ti­telt ein inexis­ten­ter „Otto Reich“ ein seit Anfang Juli 2012 zir­ku­lie­ren­des Mas­sen-Hass­mail, mit dem Ver­schwö­rungs­theo­rien pro­pa­giert und völ­lig kon­stru­ier­te Zusam­men­han­ge dar­ge­stellt wer­den, um Angst zu machen.

„Otto Reich“ schreibt:


„1913 wur­de die Finanz­ho­heit aus den Hän­den der Leu­te genom­men und einer klei­nen Grup­pe zuge­schanzt, die fort­an das Sagen über sämt­li­che Geld­ge­schäf­te hat­te. Dabei waren die­se Leu­te alle­samt pri­va­te Ban­ker, die es mit Tricks schaff­ten, den dama­li­gen Prä­si­den­ten Wil­son zu über­re­den, ihnen die Voll­macht über den Staats­haus­halt zu geben. Ein Schritt den er bis an sein Lebens­en­de bereut hat. Denn die­se Grup­pe hat­te nun die Macht die Wirt­schaft zu kon­trol­lie­ren und zu steu­ern, ohne dass Sie vor dem Gesetz Rechen­schaft able­gen muss­ten. 16 Jah­re spä­ter brach bei der Welt­wirt­schafts­kri­se das gan­ze Geld­sys­tem zusam­men. Die ein­zi­gen Pro­fi­teu­re waren die, die sowie­so das gesam­te Geld über­hat­ten: Rocke­fel­lers, Roth­schl­ds, War­burg, Mor­gan. Sie ret­te­ten freund­li­cher­wei­se die Wirt­schaft, indem Sie Anla­gen und Roh­stof­fe aufkauften.

Eine schö­ne neue Welt wünscht
euer Reich“


Das „Reich“ lässt also grü­ßen und spielt so mit dem Namen eines SS-Füh­rers Otto Reich, der unter ande­rem auch im KZ Maut­hau­sen sei­nem mör­de­ri­schen Hand­werk nach­ging, um zum offen­kun­dig zum gewünsch­ten Abschluss­ver­weis auf das Drit­te Reich zu kommen.


Links: Theo­dor Eicke, Rechts: Otto Reich
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Ent­spre­chend dem offen­kun­dig natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Back­ground des Mails auch die ver­brei­te­te Pro­blem­sicht: Eini­ge weni­ge Ban­kiers – das Ein­streu­en jüdi­scher Namen ist selbst­er­läu­ternd — hät­ten also den US-Prä­si­den­ten aus­ge­trickst, um die Herr­schaft an sich zu rei­ßen, die gesam­te Welt­wirt­schaft zu zer­stö­ren und schließ­lich kon­trol­lie­ren zu kön­nen. Der Hass­mailer greift auf leicht „veri­fi­zier­ba­re“ Andeu­tun­gen zurück, die sich bei einer ein­fa­chen Goog­le-Abfra­ge wun­der­haft von selbst „bestä­ti­gen“.


Goog­le-Suche nach Rocke­fel­ler-Roth­schild-War­burg-Mor­gan ergibt eine anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­theo­rie nach der ande­ren, mit dabei natür­lich der bekann­te und ein­schlä­gig auf­fal­len­de Kopp-Verlag
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Die Behaup­tun­gen und Anspie­lun­gen „Otto Reichs“ haben eines alle gemein­sam: Sie sind falsch.

  • Die US-Noten­bank Fed wur­de zwar 1913 gegrün­det, geht aber auf meh­re­re gleich­ar­ti­ge oder ähn­li­che Vor­gän­ger­insti­tu­tio­nen zurück. Die Grün­dung der Fed folg­te einer 130 Jah­re dau­ern­den, öffent­lich geführ­ten Diskussion.
  • US-Prä­si­dent Wil­son muss­te weder aus­ge­trickst wer­den noch bedau­er­te er bis zu sei­nem Lebens­en­de die Ein­rich­tung der Fed. Ein dies­be­züg­li­ches Zitat ist zum wesent­li­chen Teil unhis­to­risch, zum Teil stammt es aus dem Wahl­kampf 1912 (also vor Ein­rich­tung der Fed) und behan­delt auch gar nicht die Fed oder die Wirt­schafts­po­li­tik, son­dern die Admi­nis­tra­ti­on sei­nes repu­bli­ka­ni­schen Amtsvorgängers.
  • Die Fed kann nicht eigen­mäch­tig die Wirt­schaft kon­trol­lie­ren, son­dern hat gesetz­li­che Vor­ga­ben zu erfüllen.
  • Die Fed ist nicht im Eigen­tum eini­ger weni­ger Ban­kiers, son­dern war und ist eine Gemein­schafts­in­sti­tu­ti­on aller US-Ban­ken (im Übri­gen war die öster­rei­chi­sche Natio­nal­bank bis 1999 auch nicht im Besitz der Republik)
  • Die Rol­le der Zen­tral- und Noten­ban­ken in Kri­sen ist regel­mä­ßig mas­si­ver und oft durch­aus berech­tig­ter Kri­tik aus­ge­setzt. Gera­de aber für die im Hass­mail ange­spro­che­ne Welt­wirt­schafts­kri­se 1929 ff. ist die US-Fed nicht zen­tral ver­ant­wort­lich. Sie ist eine Fol­ge all­ge­mei­nen Ver­sa­gens der Insti­tu­tio­nen welt­weit sowie auch des schlich­ten Feh­lens von Wissen.

  • Kopp-Online ist wie immer bei anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­theo­rien mit dabei
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    Die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung der letz­ten 40 Jah­re hat deut­lich gemacht, dass kei­ne Zen­tral­bank der Welt stark genug ist, allei­ne die Welt­wirt­schaft zu len­ken. Jede in die­se Rich­tung gehen­de Behaup­tung ist eine Ver­schwö­rungs­theo­rie. Und die­se Ver­schwö­rungs­theo­rie macht es sehr schwer, die tat­säch­li­che Poli­tik, die tat­säch­li­chen ideo­lo­gi­sche Ver­bohrt­heit und die tat­säch­li­chen Fehl­ent­wick­lun­gen bei Zen­tral- und Noten­ban­ken zu kri­ti­sie­ren. Unfass­ba­rer­wei­se wirkt sub­stan­ti­el­le Kri­tik an die­sen Insti­tu­tio­nen Ver­schwö­rungs­theo­rien nicht ent­ge­gen, son­dern ver­stärkt sie sogar (weil die Lese­rIn­nen oft­mals nicht zwi­schen Rea­li­tät und Ver­schwö­rungs­theo­rie unter­schei­den). Des­halb sind Hass­mails wie die­ses auch so unglaub­lich beliebt bei Rechts­extre­mis­tIn­nen. Und des­halb ist es auch wich­tig, sie zu „ent­zau­bern“…