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Die Fei­er­ta­ge geben hof­fent­lich die Zeit, um eini­ges zu lesen, auch nach­zu­le­sen, wofür man sich sonst nicht die Zeit nimmt. Gute Kom­men­ta­re, Inter­views oder Bei­trä­ge aus Medi­en zum Bei­spiel. Wir haben eini­ge von ihnen hier zusam­men­ge­stellt. Lei­der ver­lan­gen immer mehr Online-Medi­en Geld für das Lesen ihrer Bei­trä­ge. In die­sen Fäl­len kön­nen wir nur mar­kan­te Zitate […]

25. Dez 2018

Anti­se­mi­tis­mus in Österreich

Im „Kurier“ vom 7. Dezem­ber 2018 inter­view­te der Her­aus­ge­ber Hel­mut Brand­stät­ter den Rab­bi­ner Schlo­mo Hof­meis­ter. Bemer­kens­wer­te Ant­wor­ten, die Schlo­mo Hof­meis­ter gibt, etwa auf die Fra­ge nach dem Anti­se­mi­tis­mus in Österreich.

Kurier: Vor eini­gen Jah­ren gab es ein­mal einen Vor­fall am Schwe­den­platz! Spü­ren Sie Anti­se­mi­tis­mus in Öster­reich?

Hof­meis­ter: Ja, als ich noch rela­tiv neu in Wien war, hat mir ein Hoo­li­gan am Schwe­den­platz den Hit­ler­gruß gezeigt und mich beschimpft, dar­auf­hin habe ich mich an einen in der Nähe ste­hen­den Poli­zis­ten gewandt, der hat nur gesagt, „Geh herst, heit is’ Fuß­ball“. Mitt­ler­wei­le bin ich sehr dick­häu­tig gewor­den. Anti­se­mi­tis­mus von rechts erle­be ich regel­mä­ßig, mehr­mals im Monat, wenn nicht wöchent­lich.

Kurier: Was pas­siert da?

Hof­meis­ter: Ver­ba­le Aggres­si­vi­tät. Ich bin nie phy­sisch ange­grif­fen wor­den, aber ver­bal. Nach dem Mot­to „schleich di“ oder „du gehörst hier nicht her“. Jun­ge Leu­te äußern sich dann, wenn sie in der Grup­pe sind. Dann gibt es Anfein­dun­gen wie „Dich haben sie ver­ges­sen“ oder „Da hat das Gas nicht mehr ausgereicht.“

Kurier: Flücht­lin­ge aus Syri­ensind mit einem Hass auf Isra­el und die Juden aufgewachsen.

Hof­meis­ter: Dort herrscht ein viru­len­ter Anti­zio­nis­mus, der sich auch mit Anti­se­mi­tis­mus natür­lich ver­bin­det. Mei­ner eige­nen Erfah­rung nach sind gera­de die Flücht­lin­ge aus die­ser Regi­on jedoch bereit, ihr Welt­bild neu zu ord­nen und sich von die­sen indok­tri­nier­ten Vor­ur­tei­len zu befrei­en, und all­ge­mein wesent­lich welt­of­fe­ner als der durch­schnitt­li­che Euro­pä­er in 2018. Vie­len Euro­pä­ern macht es Angst, dass da Men­schen kom­men, die ihre Reli­gi­on kon­se­quent prak­ti­zie­ren und sich auch selbst­be­wusst kul­tu­rell unter­schei­den. Wenn die­se Men­schen dann auch noch qua­li­fi­ziert sind, viel­leicht sogar im Öffent­li­chen Dienst arbei­ten könn­ten, dann wird es ganz beson­ders bedroh­lich. Ihnen, auch voll­kom­men unbe­grün­det, den kol­lek­ti­ven Vor­wurf zu machen, unde­mo­kra­tisch, frau­en­feind­lich, gewalt­tä­tig und Fein­de der euro­päi­schen Wer­te­ord­nung zu sein, ist dann ein ger­ne bemüh­ter Mecha­nis­mus, ohne aber die­sel­ben Maß­stä­be auch dem eige­nen Demo­kra­tie­ver­ständ­nis, dem eige­nen Sexis­mus und den eige­nen Pro­ble­men mit häus­li­cher Gewalt anzulegen.

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Anti­se­mi­tis­mus, beschrie­ben von Umber­to Eco („Der Fried­hof in Prag“)

„Der Groß­va­ter beschrieb mir jene lau­ern­den Augen, die einen so falsch anse­hen, dass man unwill­kür­lich erbleicht, jenes schlei­mi­ge Lächeln, jene hyä­nen­gleich über die Zäh­ne zurück­ge­zo­ge­nen Lip­pen, jene schwe­ren, ver­derb­ten, ver­roh­ten Bli­cke, jene vom Hass ein­ge­gra­be­nen Fal­ten zwi­schen Nas und Lip­pen, die nie­mals zur Ruhe kom­men, jene Haken­na­se gleich dem Schna­bel eines exo­ti­schen Vogels. (…) Und das Auge, ah das Auge (…) Fieb­rig rollt es mit sei­ner Pupil­le in der Far­be gerös­te­ten Bro­tes und ent­hüllt Krank­hei­ten der von den Sekre­ten eines acht­zehn Jahr­hun­der­te wäh­ren­den Has­ses zer­fres­se­nen Leber (…) schon mit zwan­zig Jah­ren scheint der Jude ver­welkt wie ein Greis.“

Anti­se­mi­tis­mus bei HC Stra­che (mitt­ler­wei­le – 2018! – gelöscht)

Anti­se­mi­tis­mus in Europa

Im „pro­fil“ vom 26.11.18 fin­det man ein Inter­view mit Ronald S. Lau­der, dem Prä­si­den­ten des Jüdi­schen Welt­kon­gres­ses, in dem Lau­der, poli­tisch ein bein­har­ter Kon­ser­va­ti­ver, sei­ne Besorg­nis zum Vor­marsch der extre­men Rech­ten in Euro­pa, zu Vik­tor Orbán und der FPÖ aus­drückt. Dass er Trump und Kurz ver­harm­lost, ist sei­ner poli­ti­schen Grund­hal­tung geschul­det, macht sei­ne sons­ti­gen Aus­sa­gen aber nicht weni­ger relevant.

pro­fil: Sie waren ab 1985 zur Zeit Wald­heimsUS-Bot­schaf­ter in Öster­reich und ken­nen die­ses Land wei­ter­hin sehr gut. Wir haben bereits zum zwei­ten Mal die Betei­li­gung einer rech­ten Par­tei wie der FPÖ in einer Regie­rung. Sind Sie dar­über besorgt?

Lau­der: Als ich in Öster­reich Bot­schaf­ter war, gab es eine fast gleich­wer­ti­ge Macht­ver­tei­lung zwi­schen Links und Rechts. Es war eine gute Macht­ba­lan­ce. Ich beob­ach­te die Hand­lun­gen der FPÖ und kann dazu nur so viel sagen: Die­se Par­tei über­nimmt nach und nach in vie­len Berei­chen die Kon­trol­le. Neh­men Sie nur die Akti­on des Innen­mi­nis­ters zur Kon­trol­le des Ver­fas­sungs­schut­zes BVToder Ansa­gen von FPÖ-Poli­ti­kern, den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk stren­ger zu kon­trol­lie­ren. Ich glau­be nicht, dass Herr Kurz schon bemerkt hat, wie weit er sei­ne Regie­rung, die er gebil­det hat, über­haupt noch kon­trol­liert. Ich ken­ne Herrn Bun­des­kanz­ler Kurz sehr gut. Er ist ein Poli­ti­ker mit guten Absich­ten, aber kann er die­se FPÖ wirk­lich noch kon­trol­lie­ren? Ich bezweif­le das.

pro­fil: In Ungarn nützt Pre­mier­mi­nis­ter Vik­tor Orbán ganz offen anti­se­mi­ti­sche Vor­ur­tei­le für sei­ne Poli­tik aus, etwa durch sei­ne Atta­cken auf Geor­ge Sor­os. Laut Umfra­gen glaubt bereits eine deut­li­che Mehr­heit der Ungarn, dass Sor­os Mil­lio­nen Migran­ten nach Ungarn schleu­sen will.
Lau­der: Orbán unter­hält aber auch sehr gute Bezie­hun­gen mit Isra­el. Und er wen­det einen alten Trick an, indem er eine ein­zi­ge Per­son zur Ziel­schei­be macht.

pro­fil: Eine sol­che Poli­tik ist doch gefähr­lich, gera­de für Juden.
Lau­der: Ja, sie ist sehr gefähr­lich, und man fühlt sich ohn­mäch­tig, die­se Art von Poli­tik zu stop­pen. Wir erle­ben gera­de, dass man­che Poli­ti­ker ver­su­chen, die Geschich­te neu zu schrei­ben. 70 Jah­re und drei Gene­ra­tio­nen nach dem Holo­caust pas­siert so etwas, und wer kann das auf­hal­ten? Was kön­nen Regie­run­gen gegen Neo­na­zis tun? In Chem­nitz mar­schier­ten Neo­na­zis mit Hit­ler­gruß durch die Stra­ßen, und die Poli­zis­ten taten nichts und schau­ten nur zu, auch weil sich die Regie­rung in Ber­lin nicht imstan­de sieht, die­se Leu­te zu kon­trol­lie­ren.

pro­fil: Wur­de durch die Zuwan­de­rung aus isla­mi­schen Län­dern Anti­se­mi­tis­mus nach Euro­pa eingeführt?
Lau­der: 
Ich den­ke, dass dies nur einen klei­nen Teil des Zuwach­ses an Anti­se­mi­tis­mus aus­macht. Außer­dem fra­ge ich mich schon, wer all die­se Arbei­ten wie Rei­ni­gung oder Alten­pfle­ge machen soll, wenn sie die Deut­schen, Polen, Ungarn oder Öster­rei­cher nicht mehr aus­füh­ren wol­len….

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Anti­se­mi­tis­mus und Israel

Ulrich Schmid ist ein Schwei­zer Jour­na­list und Schrift­stel­ler, der seit 2015 aus Jeru­sa­lem berich­tet und für die „Neue Zür­cher Zei­tung“ den Bei­trag „Wie Net­an­ya­hu mit Euro­pas Rech­ten flir­tet“ ver­fasst hat. Eine ful­mi­nan­te Abrech­nung über die unhei­li­ge Alli­anz zwi­schen Isra­els Rech­ten wie Minis­ter­prä­si­dent Net­an­ya­hu und Euro­pas extre­men Rech­ten, aber auch ein Bei­trag, der sicht­bar macht, dass Isra­el trotz Net­an­ya­hu und Ultra­or­tho­do­xen eine leben­di­ge Demo­kra­tie ist.

„Ist es eine Wahr­neh­mungs­stö­rung? Im Vor­feld sei­nes jüngs­ten Isra­el-Besuchs hat­te Ita­li­ens Innen­mi­nis­ter Matteo Sal­vi­ni gesagt, der wach­sen­de Anti­se­mi­tis­mus gehe Hand in Hand mit dem isla­mis­ti­schen Extre­mis­mus, «dem nie­mand Beach­tung schenkt». Vor­aus­ge­setzt, er mein­te den Extre­mis­mus, von dem der Wes­ten pau­sen­los spricht, der jeden Tag aufs Neue die Medi­en­ma­na­ger beglückt und vor dem sein Gast­ge­ber, Minis­ter­prä­si­dent Net­an­ya­hu, die Welt von früh bis spät warnt: Wäre es da nicht auch denk­bar, dass Sal­vi­ni dach­te, es schen­ke in Isra­el nie­mand der Tat­sa­che Beach­tung, dass die ita­lie­ni­schen Faschis­ten, die er kennt, schätzt und anspornt, einst auch ganz ger­ne Juden töteten? (…)

Als Vik­tor Orbán, die Sym­bol­fi­gur der neu­en euro­päi­schen Rech­ten, Jeru­sa­lem beehr­te, twit­ter­te Yair Lapid, Chef der Mit­te­par­tei Yesh Atid, das sei eine Schan­de. Erst «plün­de­re» Net­an­ya­hu durch sein Über­ein­kom­men mit Polen das Gedächt­nis an die Holo­caust-Opfer, und dann erwei­se er Orban die Ehre, aus­ge­rech­net Orban, der einen Nazi-Kol­la­bo­ra­teur geprie­sen habe. Lapid mein­te Mik­los Hor­thy, den unga­ri­schen Reichs­ver­we­ser, den der Minis­ter­prä­si­dent in Buda­pest als «aus­ser­ge­wöhn­li­chen Staats­mann» beti­telt hat­te. Auch die toxi­schen Kam­pa­gnen Orb­ans gegen den jüdi­schen Mil­li­ar­där Geor­ge Sor­os lös­ten in der libe­ra­len Sze­ne Isra­els Empö­rung aus. Net­an­ya­hu scheint das kalt­zu­las­sen. Er bleibt sei­nen Rechts­po­pu­lis­ten treu. Vor weni­gen Tagen hat er ange­kün­digt, er wer­de an der Inau­gu­ra­ti­on des bra­si­lia­ni­schen Prä­si­den­ten Jair Bol­so­n­a­ro teilnehmen.

Die Min­ne ist stark, sie ist gegen­sei­tig und hat tie­fe Wur­zeln. Euro­pas Popu­lis­ten lie­ben Isra­el in ers­ter Linie, weil nir­gend­wo wie hier die Poli­tik jener völ­kisch, reli­gi­ös und natio­nal gepräg­ten «Iden­ti­tät» gepflegt wird, an der sich die Rech­ten see­lisch auf­rich­ten, wenn sie sich wie­der ein­mal von Frem­den über­rannt sehen. Sagen­haft, die­se Israe­li. Die wis­sen noch, was Vater­land ist und Patrio­tis­mus. Sogar, wer Jude ist und wer nicht, wis­sen sie genau. Euro­pas Rech­te muss vor Neid ver­blas­sen: Die Sache mit der Rein­heit des Bluts ist am Ver­däm­mern, man hat’s schwer in einer Zeit, in der gute Schwei­zer Xher­dan Shaqi­ri heis­sen.

Isra­els Rech­te betrei­ben Poli­tik so, wie es die euro­päi­schen Rech­ten ger­ne möch­ten, aber nicht kön­nen. Sie defi­nie­ren, was gut und böse ist, was israe­lisch und anti­is­rae­lisch ist, was dem Vater­land nützt und was ihm scha­det. Es weht ein Hauch von McCar­thy­is­mus durchs Land: Anstän­di­ge Patrio­ten sind rechts, Lin­ke und Libe­ra­le sind Lan­des­ver­rä­ter. Der Ter­mi­nus «anti­is­rae­lisch» wird seit Jah­ren schon ver­wen­det, er betrifft die bereits erwähn­ten Säku­la­ren eben­so wie Künst­ler, die Isra­el lie­ben und dem Land zei­gen möch­ten, dass es auf Abwe­ge gerät, wenn es kon­struk­ti­ve Kri­ti­ker ver­femt. Wort­füh­re­rin die­ser Fak­ti­on ist die Kul­tur­mi­nis­te­rin Regev.

Dass die Rechts­po­pu­lis­ten mit ihren Besu­chen an der West­mau­er und in Yad Vas­hem ver­su­chen, die Sün­den der Ver­gan­gen­heit zu til­gen und sich gleich­sam rein­zu­wa­schen, wie da und dort geschrie­ben wird, mag sein. Poli­ti­ker tun, was der Moment gebie­tet. Doch das sind Ges­ten, tief geht das nicht. Anti­se­mi­tis­mus ist die DNA rech­ter Ras­sis­ten. Der­zeit eint der gros­se gemein­sa­me Feind, der mus­li­mi­sche Jiha­dis­mus. Doch mor­gen schon kann es mit der Min­ne vor­bei sein. Wenn wie­der ein kal­ter Wind weht in Euro­pa, wenn die Men­schen böse wer­den und Sün­den­bö­cke brau­chen, dann wird auch der rech­te Anti­se­mi­tis­mus rasch wie­der erwachen. 

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