Antisemitismus in Österreich
Im „Kurier“ vom 7. Dezember 2018 interviewte der Herausgeber Helmut Brandstätter den Rabbiner Schlomo Hofmeister. Bemerkenswerte Antworten, die Schlomo Hofmeister gibt, etwa auf die Frage nach dem Antisemitismus in Österreich.
Kurier: Vor einigen Jahren gab es einmal einen Vorfall am Schwedenplatz! Spüren Sie Antisemitismus in Österreich?
Hofmeister: Ja, als ich noch relativ neu in Wien war, hat mir ein Hooligan am Schwedenplatz den Hitlergruß gezeigt und mich beschimpft, daraufhin habe ich mich an einen in der Nähe stehenden Polizisten gewandt, der hat nur gesagt, „Geh herst, heit is’ Fußball“. Mittlerweile bin ich sehr dickhäutig geworden. Antisemitismus von rechts erlebe ich regelmäßig, mehrmals im Monat, wenn nicht wöchentlich.
Kurier: Was passiert da?
Hofmeister: Verbale Aggressivität. Ich bin nie physisch angegriffen worden, aber verbal. Nach dem Motto „schleich di“ oder „du gehörst hier nicht her“. Junge Leute äußern sich dann, wenn sie in der Gruppe sind. Dann gibt es Anfeindungen wie „Dich haben sie vergessen“ oder „Da hat das Gas nicht mehr ausgereicht.“
Kurier: Flüchtlinge aus Syriensind mit einem Hass auf Israel und die Juden aufgewachsen.
Hofmeister: Dort herrscht ein virulenter Antizionismus, der sich auch mit Antisemitismus natürlich verbindet. Meiner eigenen Erfahrung nach sind gerade die Flüchtlinge aus dieser Region jedoch bereit, ihr Weltbild neu zu ordnen und sich von diesen indoktrinierten Vorurteilen zu befreien, und allgemein wesentlich weltoffener als der durchschnittliche Europäer in 2018. Vielen Europäern macht es Angst, dass da Menschen kommen, die ihre Religion konsequent praktizieren und sich auch selbstbewusst kulturell unterscheiden. Wenn diese Menschen dann auch noch qualifiziert sind, vielleicht sogar im Öffentlichen Dienst arbeiten könnten, dann wird es ganz besonders bedrohlich. Ihnen, auch vollkommen unbegründet, den kollektiven Vorwurf zu machen, undemokratisch, frauenfeindlich, gewalttätig und Feinde der europäischen Werteordnung zu sein, ist dann ein gerne bemühter Mechanismus, ohne aber dieselben Maßstäbe auch dem eigenen Demokratieverständnis, dem eigenen Sexismus und den eigenen Problemen mit häuslicher Gewalt anzulegen.
Antisemitismus, beschrieben von Umberto Eco („Der Friedhof in Prag“)
„Der Großvater beschrieb mir jene lauernden Augen, die einen so falsch ansehen, dass man unwillkürlich erbleicht, jenes schleimige Lächeln, jene hyänengleich über die Zähne zurückgezogenen Lippen, jene schweren, verderbten, verrohten Blicke, jene vom Hass eingegrabenen Falten zwischen Nas und Lippen, die niemals zur Ruhe kommen, jene Hakennase gleich dem Schnabel eines exotischen Vogels. (…) Und das Auge, ah das Auge (…) Fiebrig rollt es mit seiner Pupille in der Farbe gerösteten Brotes und enthüllt Krankheiten der von den Sekreten eines achtzehn Jahrhunderte währenden Hasses zerfressenen Leber (…) schon mit zwanzig Jahren scheint der Jude verwelkt wie ein Greis.“
Antisemitismus bei HC Strache (mittlerweile – 2018! – gelöscht)
Antisemitismus in Europa
Im „profil“ vom 26.11.18 findet man ein Interview mit Ronald S. Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, in dem Lauder, politisch ein beinharter Konservativer, seine Besorgnis zum Vormarsch der extremen Rechten in Europa, zu Viktor Orbán und der FPÖ ausdrückt. Dass er Trump und Kurz verharmlost, ist seiner politischen Grundhaltung geschuldet, macht seine sonstigen Aussagen aber nicht weniger relevant.
profil: Sie waren ab 1985 zur Zeit WaldheimsUS-Botschafter in Österreich und kennen dieses Land weiterhin sehr gut. Wir haben bereits zum zweiten Mal die Beteiligung einer rechten Partei wie der FPÖ in einer Regierung. Sind Sie darüber besorgt?
Lauder: Als ich in Österreich Botschafter war, gab es eine fast gleichwertige Machtverteilung zwischen Links und Rechts. Es war eine gute Machtbalance. Ich beobachte die Handlungen der FPÖ und kann dazu nur so viel sagen: Diese Partei übernimmt nach und nach in vielen Bereichen die Kontrolle. Nehmen Sie nur die Aktion des Innenministers zur Kontrolle des Verfassungsschutzes BVToder Ansagen von FPÖ-Politikern, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk strenger zu kontrollieren. Ich glaube nicht, dass Herr Kurz schon bemerkt hat, wie weit er seine Regierung, die er gebildet hat, überhaupt noch kontrolliert. Ich kenne Herrn Bundeskanzler Kurz sehr gut. Er ist ein Politiker mit guten Absichten, aber kann er diese FPÖ wirklich noch kontrollieren? Ich bezweifle das.
profil: In Ungarn nützt Premierminister Viktor Orbán ganz offen antisemitische Vorurteile für seine Politik aus, etwa durch seine Attacken auf George Soros. Laut Umfragen glaubt bereits eine deutliche Mehrheit der Ungarn, dass Soros Millionen Migranten nach Ungarn schleusen will.
Lauder: Orbán unterhält aber auch sehr gute Beziehungen mit Israel. Und er wendet einen alten Trick an, indem er eine einzige Person zur Zielscheibe macht.
profil: Eine solche Politik ist doch gefährlich, gerade für Juden.
Lauder: Ja, sie ist sehr gefährlich, und man fühlt sich ohnmächtig, diese Art von Politik zu stoppen. Wir erleben gerade, dass manche Politiker versuchen, die Geschichte neu zu schreiben. 70 Jahre und drei Generationen nach dem Holocaust passiert so etwas, und wer kann das aufhalten? Was können Regierungen gegen Neonazis tun? In Chemnitz marschierten Neonazis mit Hitlergruß durch die Straßen, und die Polizisten taten nichts und schauten nur zu, auch weil sich die Regierung in Berlin nicht imstande sieht, diese Leute zu kontrollieren.
profil: Wurde durch die Zuwanderung aus islamischen Ländern Antisemitismus nach Europa eingeführt?
Lauder: Ich denke, dass dies nur einen kleinen Teil des Zuwachses an Antisemitismus ausmacht. Außerdem frage ich mich schon, wer all diese Arbeiten wie Reinigung oder Altenpflege machen soll, wenn sie die Deutschen, Polen, Ungarn oder Österreicher nicht mehr ausführen wollen….
Antisemitismus und Israel
Ulrich Schmid ist ein Schweizer Journalist und Schriftsteller, der seit 2015 aus Jerusalem berichtet und für die „Neue Zürcher Zeitung“ den Beitrag „Wie Netanyahu mit Europas Rechten flirtet“ verfasst hat. Eine fulminante Abrechnung über die unheilige Allianz zwischen Israels Rechten wie Ministerpräsident Netanyahu und Europas extremen Rechten, aber auch ein Beitrag, der sichtbar macht, dass Israel trotz Netanyahu und Ultraorthodoxen eine lebendige Demokratie ist.
„Ist es eine Wahrnehmungsstörung? Im Vorfeld seines jüngsten Israel-Besuchs hatte Italiens Innenminister Matteo Salvini gesagt, der wachsende Antisemitismus gehe Hand in Hand mit dem islamistischen Extremismus, «dem niemand Beachtung schenkt». Vorausgesetzt, er meinte den Extremismus, von dem der Westen pausenlos spricht, der jeden Tag aufs Neue die Medienmanager beglückt und vor dem sein Gastgeber, Ministerpräsident Netanyahu, die Welt von früh bis spät warnt: Wäre es da nicht auch denkbar, dass Salvini dachte, es schenke in Israel niemand der Tatsache Beachtung, dass die italienischen Faschisten, die er kennt, schätzt und anspornt, einst auch ganz gerne Juden töteten? (…)
Als Viktor Orbán, die Symbolfigur der neuen europäischen Rechten, Jerusalem beehrte, twitterte Yair Lapid, Chef der Mittepartei Yesh Atid, das sei eine Schande. Erst «plündere» Netanyahu durch sein Übereinkommen mit Polen das Gedächtnis an die Holocaust-Opfer, und dann erweise er Orban die Ehre, ausgerechnet Orban, der einen Nazi-Kollaborateur gepriesen habe. Lapid meinte Miklos Horthy, den ungarischen Reichsverweser, den der Ministerpräsident in Budapest als «aussergewöhnlichen Staatsmann» betitelt hatte. Auch die toxischen Kampagnen Orbans gegen den jüdischen Milliardär George Soros lösten in der liberalen Szene Israels Empörung aus. Netanyahu scheint das kaltzulassen. Er bleibt seinen Rechtspopulisten treu. Vor wenigen Tagen hat er angekündigt, er werde an der Inauguration des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro teilnehmen.
Die Minne ist stark, sie ist gegenseitig und hat tiefe Wurzeln. Europas Populisten lieben Israel in erster Linie, weil nirgendwo wie hier die Politik jener völkisch, religiös und national geprägten «Identität» gepflegt wird, an der sich die Rechten seelisch aufrichten, wenn sie sich wieder einmal von Fremden überrannt sehen. Sagenhaft, diese Israeli. Die wissen noch, was Vaterland ist und Patriotismus. Sogar, wer Jude ist und wer nicht, wissen sie genau. Europas Rechte muss vor Neid verblassen: Die Sache mit der Reinheit des Bluts ist am Verdämmern, man hat’s schwer in einer Zeit, in der gute Schweizer Xherdan Shaqiri heissen.
Israels Rechte betreiben Politik so, wie es die europäischen Rechten gerne möchten, aber nicht können. Sie definieren, was gut und böse ist, was israelisch und antiisraelisch ist, was dem Vaterland nützt und was ihm schadet. Es weht ein Hauch von McCarthyismus durchs Land: Anständige Patrioten sind rechts, Linke und Liberale sind Landesverräter. Der Terminus «antiisraelisch» wird seit Jahren schon verwendet, er betrifft die bereits erwähnten Säkularen ebenso wie Künstler, die Israel lieben und dem Land zeigen möchten, dass es auf Abwege gerät, wenn es konstruktive Kritiker verfemt. Wortführerin dieser Faktion ist die Kulturministerin Regev.
Dass die Rechtspopulisten mit ihren Besuchen an der Westmauer und in Yad Vashem versuchen, die Sünden der Vergangenheit zu tilgen und sich gleichsam reinzuwaschen, wie da und dort geschrieben wird, mag sein. Politiker tun, was der Moment gebietet. Doch das sind Gesten, tief geht das nicht. Antisemitismus ist die DNA rechter Rassisten. Derzeit eint der grosse gemeinsame Feind, der muslimische Jihadismus. Doch morgen schon kann es mit der Minne vorbei sein. Wenn wieder ein kalter Wind weht in Europa, wenn die Menschen böse werden und Sündenböcke brauchen, dann wird auch der rechte Antisemitismus rasch wieder erwachen.