Dabei fasst die Autorin Politik als „besonderes Betätigungsfeld marktstrategischer Bemühungen“ und nähert sich in relativ untypischer, wenn auch für das Thema durchwegs passender Weise der Thematik indem sie einen sprachwissenschaftlichen Zugang in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellt.
In der in der Reihe „Sprache – Politik – Gesellschaft“ veröffentlichten Publikation identifiziert die Autorin zunächst für die Untersuchung relevante Begriffe und differenziert u.a. zwischen Werbung bzw. PR und politischer Propaganda sowie zwischen politischer und persuasiver Kommunikation. Letztgenannte bewege sich „zwischen Belehrung, Überredung und Überzeugung. Während es bei Belehrung um Wissensbestände geht, zielen Überredung und Überzeugung auf die Meinungsbildung ab.“ Die Schwierigkeit, trotz sehr diverser Erscheinungsformen des Rechtsextremismus, eine Auswahl rechtsextremer Internetseiten zu treffen, löst die Autorin, indem sie ihren Analysekorpus aus den Top-Linklisten der beiden bedeutenden rechtsextremen Internetseite Thiazi.net und widerstand.info zusammenstellte. Insgesamt 81 (deutschsprachige, parteiunabhängig, weder kommerziell noch journalistisch orientierte) Internetauftritte rechtsextremer Gruppierungen zwischen 2009 bis 2015 stellt Reissen-Kosch ins Zentrum ihrer Forschung. Ausgehend von zielgruppenorientierten Überlegungen konzentriert sie sich u.a. darauf, welche neuen Möglichkeiten politischer Kommunikation das Internet mit sich brachte und widmet sich dabei vor allem der sprachlichen Gestaltung, inhaltlichen Ausrichtung, strukturellen Komplexität sowie dem auf den analysierten Internetseiten dargestellten Maß der Gewaltbereitschaft. In weiterer Folge macht Reissen-Kosch unterschiedliche Zielgruppen und Werteprofile aus, die auf den Internetseiten mit Bildern untermalt in die jeweiligen Lebensrealitäten der Menschen integriert werden und insbesondere junge Menschen ansprechen sollen.
Die eingangs sehr klare Benennung des Vorhabens verliert sich jedoch im leider phasenweise sehr trockenen Analyseteil in linguistisch-methodischer Fachsprache und ist trotz beeindruckender Grafiken und anschaulichem Bildmaterial stellenweise nur wenig leser_innenfeundlich. Auch das Fazit hätte angesichts der doch sehr umfassenden Analyse durchwegs länger ausfallen können, da die in der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse so eher zwischen den Zeilen gesucht werden müssen. In aller Kürze schafft es die Autorin aber dennoch aufzuzeigen, dass „rechtsextreme Gruppierungen über ihre Selbstdarstellungstexte im Internet massiv Propaganda betreiben“ und es ihnen gelingt, durch unterschiedliche Identifikationsangebote diverse (nicht nur am vermeintlichen gesellschaftlichen Rand angesiedelten) Zielgruppen, oftmals über „Mitmach-Möglichkeiten“, anzusprechen.
Abschließend erwähnt die Autorin, dass es sich bei ihrer akribisch recherchierten Arbeit dennoch nur um eine „Pilotstudie“ handle und es weitere umfassendere und tieferreichende Auseinandersetzungen mit der Materie bräuchte. Auch wenn das Aufzeigen von Präventions- und Inventionsmöglichkeiten nicht notwendigerweise zu den Kernaufgaben von Linguist_innen gehört, wäre eine vielleicht noch dringlichere Frage, jene nach den Umgangsformen und Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf die bereits gewonnenen Erkenntnisse.
Reissen-Kosch, Jana (2016): Identifikationsangebote der rechten Szene im Netz. Linguistische Analyse persuasiver Online-Kommunikation. Bremen: Hempen. 36 Euro.