Faschismus

Was ist Faschismus?

Der Begriff des Faschis­mus geht ursprüng­lich auf eine poli­ti­sche Mas­sen­be­we­gung in Ita­li­en zurück, wel­che nach dem Ende des Ers­ten Welt­krie­ges gegrün­det wur­de. Das Wort „fas­ces“, nach dem sich die faschis­ti­schen Kampf­bün­de „fascio di com­bat­ti­men­to“ benann­ten, bezeich­net das latei­ni­sche Herr­schafts­sym­bol der Likt­oren (eine Art Leib­gar­de der Herr­scher im alten Rom), ein Ruten­bün­del mit einer Axt in der Mit­te. Sie sym­bo­li­sier­ten den bün­di­schen Zusam­men­halt und zugleich zeig­ten sie die Berech­ti­gung, Kör­per- und Todes­stra­fen zu ver­hän­gen. Schon bald wur­de der Name jene­rer Bewe­gung rund um Beni­to Mus­so­li­ni, die 1922 in Ita­li­en an die Macht kam, zum oft unge­nau­en und infla­tio­nä­ren Sam­mel­be­griff für ähn­li­che Bewe­gun­gen in ande­ren Län­dern. Als Gemein­sam­kei­ten wer­den hier­bei eine (völ­kisch) natio­na­lis­ti­sche, anti­so­zia­lis­ti­sche, auto­ri­tä­re und anti­par­la­men­ta­ri­sche ideo­lo­gi­sche Stoß­rich­tung genannt. Was und wer nun aber als faschis­tisch zu gel­ten habe, ist nach mitt­ler­wei­le 90 Jah­ren Dis­kus­si­on (auch inner­halb der Lin­ken) wei­ter­hin umstrit­ten. Ganz zu Schwei­gen von Cha­rak­ter und Funk­ti­on, die der Faschis­mus inner­halb jener Ver­hält­nis­se ein­nimmt, die ihn her­vor­ge­bracht haben: die bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­sche Gesellschaft.
Fest steht, dass nicht jede bös­ar­ti­ge Dik­ta­tur auto­ma­tisch unter dem Begriff des Faschis­mus zu fas­sen ist. Der infla­tio­nä­re Gebrauch des Faschis­mus­be­griff erschwert eine ein­fa­che Dar­stel­lung und kla­re Ein­ord­nung. Im Fol­gen­den soll es dar­um gehen, einen kur­zen Über­blick über die wich­tigs­ten Faschis­mus­theo­rien zu bie­ten, die Unter­schie­de zwi­schen dem ita­lie­ni­schen Faschis­mus und dem deut­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus her­aus­zu­stel­len und den Grün­den für die gesell­schaft­li­che Wirk­mäch­tig­keit faschis­ti­scher Ideo­lo­gien und Bewe­gun­gen nachzugehen.

Der Faschis­mus ist ein zutiefst wider­sprüch­li­ches Phä­no­men. Er trägt sowohl „revo­lu­tio­nä­re“ wie auch kon­ser­va­ti­ve Ele­men­te in sich. Häu­fig wird dabei zwi­schen dem Faschis­mus als Ideo­lo­gie und des­sen Bewe­gungs­pha­se einer­seits und dem Faschis­mus an der Macht ande­rer­seits unter­schie­den. In Ita­li­en zeich­ne­te sich der Faschis­mus an der Macht durch ein Bünd­nis mit den herr­schen­den Eli­ten aus Poli­tik, Wirt­schaft und Kir­che aus und voll­zog die Zer­schla­gung der Links­par­tei­en und Gewerk­schaf­ten, schaff­te die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie und erkämpf­te Arbeiter*innenrechte ab und arbei­te­te zusam­men mit Unter­neh­men an der Mili­ta­ri­sie­rung der Gesell­schaft, wel­che im Krieg kul­mi­nie­ren soll­te. Die­ses Bünd­nis mit den herr­schen­den Eli­ten wird in der soge­nann­ten Bona­par­tis­mus­theo­rie, die sich stark an Marx Schrif­ten der nie­der­ge­schla­ge­nen Revo­lu­ti­on in Frank­reich ori­en­tiert, auf­ge­grif­fen und hebt die Ver­selbst­stän­di­gung der Exe­ku­ti­ve gegen­über den ande­ren staat­li­chen Gewal­ten hervor.

Hinter dem Faschismus steht das Kapital?

Die Fokus­sie­rung auf den funk­tio­na­len Cha­rak­ter des Faschis­mus für das Kapi­tal und die herr­schen­de Klas­se, in Zei­ten einer kapi­ta­lis­ti­schen Kri­se die Gefahr einer Revo­lu­ti­on des Pro­le­ta­ri­ats nie­der­zu­schla­gen, führ­teim Mar­xis­mus-Leni­nis­mus zu einem star­ken Bezug auf Geor­gi Dimi­t­row. Sei­ne zen­tra­le The­se lau­te­te, dass der Faschis­mus die „ter­ro­ris­ti­sche Dik­ta­tur der am meis­ten reak­tio­nä­ren, chau­vi­nis­ti­schen und impe­ria­lis­ti­schen Ele­men­te des Finanz­ka­pi­tals“ sei. Die­se Theo­rie blen­det jedoch nicht nur den „avant­gar­dis­ti­schen“ und „revo­lu­tio­nä­ren“ Cha­rak­ter faschis­ti­scher Ideo­lo­gien in ihrem Selbst­ver­ständ­nis aus, son­dern folgt auch einem öko­no­mis­ti­schen Reduk­tio­nis­mus, der nicht nach den sozio-poli­ti­schen, sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen Bedin­gun­gen des Auf­stiegs des Faschis­mus als Mas­sen­be­we­gung fragt.

Der autoritäre Charakter und die Faschismus-Skala.

Eben die­ser Fra­ge, war­um sich näm­lich ein Groß­teil der Arbeiter*innenklasse statt für eine pro­le­ta­ri­sche Revo­lu­ti­on zu kämp­fen dem Faschis­mus zuneig­te, geht die Kri­ti­sche Theo­rie nach. Allen vor­an Theo­dor W. Ador­nos Stu­di­en zum auto­ri­tä­ren Cha­rak­ter zei­gen auf, dass es nicht nur einer „von oben“ her­ab ver­ord­ne­ten Poli­tik bedarf, son­dern auch einem Bedürf­nis „von unten“ um den Faschis­mus zu erklä­ren. In der Faschis­mus-Ska­la wer­den zen­tra­le Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten ange­zeigt, die als Bedin­gung für die Annah­me faschis­ti­scher Ideo­lo­gien aus­ge­macht wer­den. Dar­un­ter fin­den sich Eigen­schaf­ten wie eine signi­fi­kan­te Ich-Schwä­che, eine star­re Fixie­rung auf Wer­te mit­tel­stän­di­scher Kon­ven­tio­nen, auto­ri­tä­re Unter­tä­nig­keit bei Auto­ri­tä­ten der Eigen­grup­pe, Aggres­sio­nen und Bestra­fungs­phan­ta­sien gegen­über jenen, die ver­meint­lich oder tat­säch­lich kon­ven­tio­nel­le Wer­te ver­let­zen, Aber­glau­be und Ste­reo­ty­pie, Kraft­meie­rei, Zur­schau­stel­lung von Stär­ke und Robust­heit ver­bun­den mit Ver­ach­tung gegen­über Schwa­chen, Destruk­ti­vi­tät und Zynis­mus, Nei­gung zur Pro­jek­ti­on und zur Her­vor­he­bung des Sexu­el­len, Abwehr des Sub­jek­ti­ven, Phan­ta­sie­vol­len und Sen­si­blen. Dadurch geht auch die Fähig­keit zur Selbst­re­fle­xi­on ver­lo­ren. Das Feh­len der Eigen­stän­dig­keit führt zum Ver­lan­gen nach star­ren, ste­reo­ty­pen Struk­tu­ren und zur Abwehr der Ambi­va­lenz. Die Selbst­be­herr­schung und die Anpas­sung an die Kon­ven­tio­nen und Wer­te der Gesell­schaft, die Ver­in­ner­li­chung des gesell­schaft­li­chen Zwangs, um ihn erträg­lich gestalt­bar zu machen, füh­ren in wei­te­rer Fol­ge zur Abspal­tung eige­ner unter­drück­ter, weil uner­wünsch­ter Trieb­im­pul­se und zu Pro­jek­ti­on auf „Ande­re“. Die­ser Mecha­nis­mus geht soweit, dass die phy­si­sche Ver­fol­gung von Nicht-Iden­ti­schen als psy­chi­sche Ent­las­tung mög­lich wird. „Die­ser Mecha­nis­mus lässt sich als nega­tiv gewen­de­te Wunsch­vor­stel­lung bezeich­nen, nega­tiv im Sin­ne eines sich im Haus auf ‚die ande­ren’ mani­fes­tie­ren­den Selbst­has­ses. […] Was man selbst nicht haben kann, soll auch kein ande­rer besit­zen. Der ‚Gedan­ke an Glück’ muss aus­ge­trie­ben wer­den.“ Mit die­sem Vor­gang der Pro­jek­ti­on las­sen sich eine Viel­zahl an ras­sis­ti­schen und anti­se­mi­ti­schen Res­sen­ti­ments erklä­ren, deren Grund­la­ge die kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft bil­det, zu der sich die ein­zel­nen Men­schen als arbeits­pro­duk­ti­ve und staats­loya­le Sub­jek­te zurich­ten müs­sen. Neben dem Vor­gang der Pro­jek­ti­on, der sol­cher Zurich­tung folgt und dem Bedürf­nis nach star­ren und rigi­den Grenz­zie­hun­gen um sich eine Iden­ti­tät zu zim­mern, in einer Gesell­schaft in der der in der Kon­kur­renz Ver­ein­zel­te ten­den­zi­ell über­flüs­sig und ersetz­bar ist, gehö­ren auto­ri­tä­re Unter­wür­fig­keit und auto­ri­tä­re Aggres­si­on gegen Fremd­grup­pen zu zwei Sei­ten der glei­chen Medail­le. Der star­ke Staat dient hier als Quel­le von Kraft in einer Welt vol­ler Ohn­macht, der man sich unter­zu­ord­nen habe. Die Aggres­sio­nen und Bestra­fungs­phan­ta­sien wer­den auf Ein­zel­ne und Grup­pen abge­lei­tet, die als schwach gel­ten und aus der Eigen­grup­pe aus­ge­schlos­sen werden.

Die Massenpsychologie des Faschismus und die Furcht vor der Freiheit.

Neben Ador­no sind es vor allem Wil­helm Reich und Erich Fromm, die in ihren Wer­ken „Mas­sen­psy­cho­lo­gie des Faschis­mus“ und „Die Furcht vor der Frei­heit“, auf die sub­jek­ti­ve Ebe­ne in der Dar­stel­lung faschis­ti­scher Ideo­lo­gien ein­ge­hen. Der im Faschis­mus kul­ti­vier­te Anti­in­di­vi­dua­lis­mus, dass der Ein­zel­ne sich dem „gro­ßen Gan­zen“, dem Volk und dem Füh­rer unter­zu­ord­nen habe, ver­spricht dem Ein­zel­nen eine per­sön­li­che nar­ziss­ti­sche Auf­wer­tung und kann als „Ratio­na­li­sier­te Furcht vor der Frei­heit“ ver­stan­den wer­den, die von der Sehn­sucht nach Ein­fach­heit, Klar­heit und der Auf­lö­sung von Kom­ple­xi­tät geprägt ist. Das Auf­ge­hen im (natio­na­len) Kol­lek­tiv, das nur mit der Preis­ga­be der eig­nen Indi­vi­dua­li­tät zu haben ist, bie­tet Schutz vor den Zumu­tun­gen der moder­nen Arbeits­ge­sell­schaft, stif­tet Gebor­gen­heit und Wär­me in einer erkal­te­ten Welt. Zudem las­sen sich hier Pri­vi­le­gi­en und Rech­te für die Ein­ge­schlos­se­nen durch den Aus­schluss der „Ande­ren“ behaupten.

Autoritäre Revolte gegen die Moderne.

Der Sozio­lo­ge Zeev Stern­hell ver­sucht dem­ge­gen­über die faschis­ti­sche Ideo­lo­gie ideen­ge­schicht­lich her­zu­lei­ten. Der Faschis­mus ver­neint die offe­ne Gesell­schaft und bejaht die geschlos­se­ne Gemein­schaft. Auf das „unvoll­ende­te Pro­jekt der Moder­ne“, die sich durch Ratio­na­lis­mus, Ega­li­ta­ris­mus und eine ver­nünf­ti­ge Gestal­tung der Lebens­ver­hält­nis­se aus­zeich­net, pro­kla­miert der Faschis­mus eine Absa­ge an die Moder­ne und die Wer­te der Auf­klä­rung. Die tief­grei­fen­den poli­ti­schen, sozia­len und öko­no­mi­schen Umwäl­zun­gen, die mit der Durch­set­zung der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­se ein­her­ge­hen, befrei­ten die Men­schen zwar aus dem direk­ten, per­sön­li­chen Zwang, konn­ten aber die Ver­spre­chen der Moder­ne nicht ein­lö­sen. Anstatt die Ein­lö­sung die­ser Ver­spre­chen zu for­dern, ant­wor­tet der Faschis­mus auf die als sinn­los und ent­frem­det wahr­ge­nom­me­ne Moder­ne damit, die Men­schen wie­der durch eine höhe­re Ord­nung, durch die rech­ten Mythen von Volk und Nati­on und vor allem durch eine neue orga­ni­sche Eli­te, in Dienst und Zucht zu neh­men. Dem Faschis­mus gilt die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie und das abs­trak­te Recht als west­li­che Deka­denz, wenn nicht als „jüdi­sche Machen­schaft“, wel­che nicht mit dem als natür­lich gedach­ten Wesen in Ein­klang zu brin­gen sind. Der faschis­ti­sche Rechts­theo­re­ti­ker und Kron­ju­rist des Drit­ten Rei­ches, Carl Schmitt, bringt die faschis­ti­sche Vor­stel­lung auf den Punkt, wenn er davon spricht, dass nicht der Bür­ger son­dern der Sol­dat die neue Gemein­schaft erschafft. Der Faschis­mus ent­wirft das Bild des sol­da­ti­schen Man­nes (The­we­leit), einer heroi­schen Männ­lich­keit, die sich von allem Schwa­chen und Weich­li­chen abgrenzt. Anti­fe­mi­nis­mus ist in die­ser Ideo­lo­gie imma­nent vor­han­den, der männ­li­che Krie­ger, der Tugen­den wie Furcht­lo­sig­keit, Tap­fer­keit und Opfer­be­reit­schaft in sich trägt, ist das Ide­al­bild. Die direk­te poli­ti­sche Tat – die Gewalt — und Kom­pro­miss­lo­sig­keit wird als „faschis­ti­scher Stil“ gegen die Ver­mitt­lun­gen der moder­nen Gesell­schaft in Stel­lung gebracht. Die Vor­stel­lung von Staat­lich­keit kann als Apo­lo­gie die­ser Gewalt ver­stan­den wer­den: „Sou­ve­rän ist, wer über den Aus­nah­me­zu­stand ent­schei­det“ , der per­sön­li­che Befehl wird gegen das abs­trak­te „jüdi­sche“ Recht in Stel­lung gebracht. Den Cha­rak­ter des Natio­nal­so­zia­lis­mus als „Unrechts­staat“, in der das Recht zwar als Form erhal­ten bleibt, aber inhalt­lich kom­plett ent­leert wird, hat Franz Neu­mann in sei­nem Werk „Behe­mo­th“ analysiert.

Volksgemeinschaft statt Klassengesellschaft

Faschis­mus und bür­ger­li­che Gesell­schaft sind nicht das Sel­be, auch wenn reak­tio­nä­re Ideo­lo­gien Pro­duk­te der bür­ger­li­chen Gesell­schaft sind. Der Faschis­mus gibt sich anti­bür­ger­lich. Oder wie Mois­he Pos­tone es beschrie­ben hat, er ist die kon­for­mis­ti­sche Revol­te gegen das Kapi­tal, auf Grund­la­ge des Kapi­tals. Gegen die bür­ger­li­che Frei­heit setzt der Faschis­mus den Anti­in­di­vi­dua­lis­mus und das Gemein­schafts­dün­kel, gegen die for­mel­le Gleich­heit pro­kla­miert er die prin­zi­pi­el­le Ungleich­heit der Men­schen und den völ­ki­schen Ras­sis­mus. Und gegen die Ver­nunft stellt er natio­na­le Mythen, Blut und Boden und den Irra­tio­na­lis­mus. Ein idyl­li­sches Bild einer roman­ti­schen Ver­gan­gen­heit wird ent­wor­fen, die für den Faschis­mus Legi­ti­ma­ti­ons­grund­la­ge und Ziel­vor­stel­lung glei­cher­ma­ßen dar­stellt — ver­bun­den mit apo­ka­lyp­ti­schen Unter­gangs- und Ret­tungs­phan­ta­sien, in der der Füh­rer die erhoff­te Erlö­sung brin­gen soll. Die Wider­sprü­che der moder­nen Gesell­schaft sol­len auto­ri­tär ver­söhnt wer­den in einer Bluts­ge­mein­schaft aus Herr­schern und Beherrsch­ten. In der Vor­stel­lung der Volks­ge­mein­schaft, einem der zen­tra­len Begrif­fe des Faschis­mus, soll die Kas­sen­ge­sell­schaft nega­tiv auf­ge­ho­ben wer­den. In dem anti­se­mi­ti­schen Angriff auf die abs­trak­te Sei­te des Kapi­ta­lis­mus (glo­ba­le Finanz­wirt­schaft, Zin­sen usw.) wird ein „natio­na­ler Sozia­lis­mus“ pro­kla­miert, der die Eigen­tums­ver­hält­nis­se und die Pro­duk­ti­ons­wei­se nicht in Fra­ge stellt. Die­ser völ­ki­sche, res­sen­ti­ment­ge­la­de­ne „Anti­ka­pi­ta­lis­mus“ ist nicht nur blo­ßer „Schein“ um die Arbeiter*innen zu ködern, son­dern letzt­end­lich zen­tra­ler Bestand­teil des mör­de­ri­schen Anti­se­mi­tis­mus. Hin­ter den unver­stan­de­nen Zwän­gen und Dyna­mi­ken des Kapi­ta­lis­mus wird eine gehei­me, ver­bor­ge­ne, glo­ba­le Ver­schwö­rung ima­gi­niert. Die Juden und Jüdin­nen erschei­nen als die Per­so­ni­fi­ka­ti­on des „raf­fen­den“ Kapi­tals, wel­ches dem „schaf­fen­den“ Volk gegenübersteht.

Die proletarische Nation? Der „linke“ Beitrag an der Entstehung faschistischer Ideologie.

Phi­lo­so­phisch rich­tet sich der Faschis­mus gegen Libe­ra­lis­mus und Mar­xis­mus und zeich­net sich durch Anti­in­di­vi­dua­lis­mus, Antie­ga­li­ta­ris­mus und Anti­hu­ma­nis­mus aus. Poli­tisch-ideo­lo­gisch stellt der Faschis­mus eine Syn­the­se von völ­ki­schem Natio­na­lis­mus und der Marx­re­vi­si­on des fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phen und Syn­di­ka­lis­ten Geor­ges Sor­els dar. Die­se Ana­ly­se teilt anschei­nend auch Armin Moh­ler, der „geis­ti­ge Vater“ der „Neu­en Rech­ten“ in Deutsch­land, wenn er in einem Inter­view meint: „Faschis­mus ist für mich, wenn ent­täusch­te Libe­ra­le und ent­täusch­te Sozia­lis­ten sich zu etwas neu­em zusam­men­fin­den. Dar­aus ent­steht was man Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on nennt.“ Der Bei­trag Sor­els für das Ent­ste­hen der faschis­ti­schen Ideo­lo­gie, der auch Mus­so­li­ni stark beein­fluss­te, ist nicht von der Hand zu wei­sen. Die ita­lie­ni­schen Faschist*innen grif­fen Sor­els Leh­re von der Mobi­li­sie­rungs­fä­hig­keit sozia­ler Mythen für Bewe­gun­gen auf. Sor­el ersetz­te das Pro­le­ta­ri­at durch den Mythos der Nati­on und betrach­te­te die Gewalt als wich­tigs­tes poli­ti­sches Mit­tel um die Schei­dung zwi­schen Freund und Feind zu inten­si­vie­ren, des­sen äußers­te Kon­se­quenz der Krieg darstellt.

Faschismus oder Nationalsozialismus?

Inwie­fern der deut­sche Natio­nal­so­zia­lis­mus mit dem Begriff des Faschis­mus zu fas­sen ist, ist nicht so ein­fach zu beant­wor­ten. Die Bezü­ge auf die faschis­ti­sche Ideo­lo­gie, die der Natio­nal­so­zia­lis­mus vor­weist, ist nicht von der Hand zu wei­sen – von der Über­nah­me des Begriffs „Duce“, also Füh­rer, dem faschis­ti­schen Gruß bis zu viel­fa­chen ideo­lo­gi­schen Über­ein­stim­mun­gen. Den­noch ver­blas­sen hin­ter dem Spe­zi­fi­kum des Natio­nal­so­zia­lis­mus, dem indus­tri­ell betrie­be­nen, mil­lio­nen­fa­chen Mas­sen­mord am euro­päi­schen Juden­tum, die Gemein­sam­kei­ten. Zudem konn­te der Natio­nal­so­zia­lis­mus sich viel mehr von den Eli­ten lösen, die ihn zur Macht ver­hol­fen haben, als es dem ita­lie­ni­schen Faschis­mus mög­lich war — unter ande­rem ein Grund für die ideo­lo­gi­sche Eska­la­ti­on und dem suk­zes­si­ven Ver­fall des Staa­tes in Nazi­deutsch­land. Vor allem die Sho­ah, wel­che staat­lich betrie­ben und akri­bisch-büro­kra­tisch umge­setzt wur­de, kann und muss als Allein­stel­lungs­merk­mal des Natio­nal­so­zia­lis­mus im Ver­gleich zu ande­ren faschis­ti­schen Regi­men gelten.

Moderner oder anti-moderner Faschismus?

Die Fra­ge, ob der Faschis­mus eine moder­ne Bewe­gung ist, ob er als Betriebs­un­fall zu gel­ten habe oder inners­te Kon­se­quenz des Kapi­ta­lis­mus mit samt sei­nen Ver­wer­fun­gen dar­stellt, ob er eine Form der Kri­sen­lö­sung oder nur eine ande­re Form kapi­ta­lis­ti­scher Herr­schaft dar­stellt oder doch etwas mit der bür­ger­li­chen Gesell­schaft Unver­gleich­ba­res, kann so nicht ein­deu­tig beant­wor­tet wer­den. Da der Faschis­mus eine zutiefst wider­sprüch­li­che Ideo­lo­gie ist, muss auch eine Ana­ly­se die­se Wider­sprü­che aus­hal­ten. Der Faschis­mus hat­te durch­aus Moder­ni­sie­rungs­be­stre­bun­gen, war jedoch ideo­lo­gisch gegen die Moder­ne gerich­tet, er gab sich anti­bür­ger­lich und revo­lu­tio­när und sicher­te den­noch den Macht­er­halt der herr­schen­den Eli­ten. Des­halb muss vor einer fal­schen Ver­eindeu­ti­gung in die eine oder ande­re Rich­tung gewarnt und vor allem das ideo­lo­gi­sche Selbst­bild des Faschis­mus ernst genom­men und nicht als Rattenfänger*innenstrategie abge­tan wer­den, denn sonst lei­det die Ana­ly­se dar­un­ter. Und damit auch die gegen den Faschis­mus gerich­te­te Praxis.

(Neo-)faschismus heute

Vor der Ver­wen­dung des Faschis­mus- und Neo­fa­schis­mus­be­griffs, soll­te die­ser nicht genau bestimmt sein, ist bei der Beschrei­bung heu­ti­ger Phä­no­me­ne zu war­nen. Da die gän­gi­gen Faschis­mus­theo­rien ent­lang der his­to­ri­schen Erschei­nungs­for­men ent­wi­ckelt wur­den, besteht so die Gefahr von fal­scher his­to­ri­scher Ana­lo­gi­sie­rung bei der Unter­su­chung moder­ner rechts­extre­mer Phä­no­me­ne. Die Dis­kon­ti­nui­tä­ten zu den his­to­ri­schen Erschei­nungs­for­men wer­den mit der Zeit grö­ßer und das macht den Begriff unscharf. „Jede selek­ti­ve Kon­zen­tra­ti­on auf die his­to­ri­schen Faschis­men erschwert nicht nur den Blick auf Brei­te und Tie­fe jenes Tra­di­ti­ons­spek­trums, aus dem aktu­el­le rechts­extre­me Inno­va­ti­ons­be­mü­hun­gen der­zeit wich­ti­ge Impul­se bezie­hen. Sie behin­dert auch die Wahr­neh­mung der Tat­sa­che, dass sich moder­ne Grup­pie­run­gen vor allem mit­tels Inte­gra­ti­on neu­er Ele­men­te zuneh­mend von faschis­ti­schen Über­lie­fe­run­gen zu ent­fer­nen suchen.“ Denn über den aktu­el­len Erfolg rechts­extre­mer Grup­pen (auch hin­sicht­lich ihrer Brei­ten­wirk­sam­keit) ent­schei­det, „in wel­chem Aus­maß es gelingt, das so sehr lädie­ren­de Ver­gan­ge­ne zu ‚bewäl­ti­gen’, sich aus per­so­nel­len wie pro­gram­ma­ti­schen Kon­ti­nui­tä­ten mit dem his­to­ri­schen Faschis­mus behut­sam zu lösen und – bei glaub­haf­ter Signa­li­sie­rung hier­durch unbe­schä­digt geblie­be­nen Tra­di­ti­ons­be­zugs – die unum­gäng­lich gefor­der­te Anpas­sun­gen an die geän­der­ten indus­trie­ge­sell­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen vor­an­zu­brin­gen“, schreibt Wil­li­bald Hol­zer im „Hand­buch des öster­rei­chi­schen Rechtsextremismus“.

Den­noch las­sen sich auch heu­te noch rechts­extre­me Grup­pen als faschis­tisch oder neo­fa­schis­tisch klas­si­fi­zie­ren, wenn sich die­se in einem gro­ßen Aus­maß und mit hoher Authen­ti­zi­tät auf den Faschis­mus bezie­hen. Um eine sol­che Ein­ord­nung tref­fen zu kön­nen, ist jedoch eine Begriffs­be­stim­mung und ana­ly­ti­sche Durch­drin­gung des (his­to­ri­schen) Faschis­mus vonnöten.

Zum Autor: Alex­an­der Wink­ler ist Poli­tik­wis­sen­schaf­ter und arbei­tet zu Rechts­extre­mis­mus und Gesellschaftskritik.

Weiterführende Literaturtipps:

  • Ador­no, Theo­dor W. (1995): Stu­di­en zum auto­ri­tä­ren Cha­rak­ter. Suhr­kamp, Frank­furt am Main.
  • Fromm, Erich (2005): Die Furcht vor der Frei­heit. Aus dem Eng­li­schen von Lise­lot­te und Ernst Mickel, 12. Auf­la­ge, München.
  • Löwen­thal, Leo (1982): Fal­sche Pro­phe­ten. In: Stu­di­en zum Auto­ri­ta­ris­mus. Frank­furt am Main: Suhr­kamp, S. 11–160
  • Neu­mann, Franz (1984): Behe­mo­th. Struk­tur und Pra­xis des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Fischer, Frankfurt.
  • Pos­tone, Mois­he (1995): Anti­se­mi­tis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus. In: Deutsch­land, die Lin­ke und der Natio­nal­so­zia­lis­mus. Poli­ti­sche Inter­ven­tio­nen. ça ira, Frei­burg. S. 165 – 194.
  • Reich, Will­helm (1933): Die Mas­sen­psy­cho­lo­gie des Faschis­mus. Erwei­ter­te und revi­dier­te Fas­sung: Kie­pen­heu­er & Witsch, Köln 1971
  • Stern­hell, Zeev / Sznaj­der, Mario / Ashe­ri, Maia (1999): Die Ent­ste­hung der faschis­ti­schen Ideo­lo­gie. Von Sor­el zu Mus­so­li­ni. Ham­bur­ger Edi­ti­on, Hamburg.
  • Stern­hell, Zeev (2002): Faschis­ti­sche Ideo­lo­gie. Eine Ein­füh­rung. Ver­bre­cher Ver­lag, Berlin.
  • The­we­leit, Klaus (2005): Män­ner­phan­ta­sien, 2 Bän­de, München/Zürich.
  • Wip­per­mann, Wolf­gang (2009): Faschis­mus. Eine Welt­ge­schich­te vom 19. Jahr­hun­dert bis heu­te. Pri­us Ver­lag, Darmstadt.
  • In Kür­ze erhält­lich: Wör­sching, Mathi­as (2017): Faschis­mus­theo­rien. Ihre Geschich­te, ihre Aktua­li­tät. Schmet­ter­ling Ver­lag, Stuttgart.